1 Hört auf mich, Ozeanküsten, fernher aufmerkt, Nationen! ER berief mich vom Schoße auf, von meiner Mutter Leib auf gedachte er meinen Namen. 2 Er machte meinen Mund einem scharfen Schwert gleich – hat im Schatten seiner Hand mich versteckt! er machte mich zu einem blanken Pfeil – hat in seinem Köcher mich verborgen! 3 Er sprach zu mir: Mein Knecht bist du, Jissrael du, mit dem ich prangen darf.
4 Und doch habe ich sprechen müssen: Ins Leere habe ich mich gemüht, in Irrsal und Dunst meine Kraft allvertan – ! Gleichwohl: mein Recht war bei IHM, mein Werklohn bei meinem Gott. 5 Jetzt aber hat ER gesprochen, der vom Mutterleib auf mich bildete zum Knecht sich, Jaakob zu ihm zurückkehren zu lassen, daß Jissrael zu ihm heimgebracht werde – gewichtig bin ich in SEINEN Augen und mein Gott ist mein Sieg nun – , 6 er sprach: Zu gering ists dafür, daß du mir Knecht wardst, zu erstellen Jaakobs Stäbe, die Bewahrten Jissraels umkehren zu lassen, – den Weltstämmen gebe ich dich zum Licht, daß meine Freiheit werde bis an den Rand des Erdreichs. 7 So hat ER gesprochen, der Auslöser [= Erlöser] Jissraels, sein Heiliger, zu dem Seelenverachteten, zum Abscheu der Stämmewelt, zum Knecht der Zwingherrn: Könige werdens sehn, und aufstehn, Fürsten, und sich niederwerfen, um SEINER willen, daß er treu ist, des Heiligen Jissraels, der dich wählte. 8 So hat ER gesprochen: In der Stunde der Gnade antwortete ich dir, am Tag der Befreiung half ich dir, ich will dich aber verwahren, ich will dich aber geben zu einem Volksbund, das Erdreich herzustellen, verödete Eigentume einzueignen, 9 zu den Gekerkerten zu sprechen: Fahret aus! zu denen in Finsternis: Werdet offenbar! An den Wegen sollen sie weiden, auf allen Kahlhängen ist ihnen Weidegrund, 10 sie werden nicht hungern, sie werden nicht dürsten, nicht schlägt sie heißer Wüstenwind und Sonne, denn sie lenkt ihr Erbarmer, an Wassersprudel leitet er sie.

Buber/ Rosenzweig, Die Schrift

Jesaja spricht von sich und seiner Berufung, Gottes Botschafter zu sein. Er ruft es allen Völkern zu, wo immer sie sich befinden, was immer sie antreibt, wie immer sie zu Israel, Gottes erwähltem Volk, stehen. Sie alle sollen auf ihn, den Künder, hören! Seine Berufung war kein Schnellschuss Gottes, so wie heute schnell mal Minister ausgetauscht werden und ihren Platz vom Verkehrsministerium zum Familienministerium wechseln. Schon vor seiner Zeugung und Geburt kannte Gott diesen Jesaja – Jeschajahu יְשַׁעְיָהוּ = ER wird retten, erlösen.

Wir können daraus ableiten, dass Gott einen Lebensplan für alle Menschen hat, weit über ihr irdisches Leben hinaus. ER ruft alle Menschen, ihren Lebensplan zu erkennen und zu verwirklichen, weil nur so erfülltes Leben entsteht. Jeder kann seinen Platz und seine Aufgabe finden. Wenn dieser Platz und diese spezifische Aufgabe nicht ausgefüllt werden, bleibt eine Lücke im Leben einer ganzen Gesellschaft.

Jeschajahu weiß um seine Berufung, die seine Namensgebung mit einschließt. Gott will schon durch den Namen Seines Knechtes die Botschaft ausgerufen wissen: „ICH werde MEIN Volk erlösen! ICH werde die Völker erlösen, wenn sie durch MEIN Sprachrohr MEINE Botschaft empfangen, hören werden.“

Gott bereitete Seinen Knecht in der Verborgenheit vor. ER lehrte ihn die Rede, die Durchschlagkraft haben wird wie ein scharfes Schwert. Jeschajahus Worte werden ins Innerste treffen, durchtrennen, die Geister scheiden, zur Umkehr rufen. Er wurde zu einem geschärften, glatten, blitzblankem Pfeil, der sein Ziel punktgenau erreicht. Für diese Klarheit bereitete Gott ihn von Mutterleib vor, sogar als der Künder selbst noch nichts von seinem Werdegang ahnte. Gott schützte ihn mit Seiner Hand und verbarg ihn im Köcher unter all den anderen Pfeilen, aber er war noch nicht an der Reihe.
Buber schreibt in seiner Übersetzung der Verse 2+3 „er“ klein, weil zwar Gott gemeint ist, aber hier nicht der Gottesname, das Tetragrammaton, vorkommt, sondern lediglich das Personalpronomen.

Doch nun ist Jeschajahus Zeit gekommen, und Gott schmückt sich mit Seinem Künder. „Du bist MEIN Knecht עַבְדִּי awdi, Jeschajahu, der zum Volk Israel gehört, das ebenso MEIN Knecht ist. Jeden einzelnen aus Israel habe ich zu MEINEM Knecht berufen, und du, Jeschajahu, stehst pars pro toto für Israel.“
עֶבֶד ewed = Knecht ist ein Ehrentitel für viele Gottesmänner neben dem Volk Israel יִשְׂרָאֵל = Gottesstreiter, wozu Mosche und Jehoschua, der Sohn Nuns gehören. Jehoschuas Name trägt dieselbe Bedeutung wie Jeschajahu, denn er brachte das Volk ins Land der Verheißung und „ER rettete“ Israel von der Macht seiner Feinde.

Gerne schieben Anmerkungen gängiger Bibelübersetzungen hier den Messias hinein, womit sie auf Jesus abzielen. Aber sind sich die christlichen Bibelleser nicht im Klaren darüber, dass Gott deutlich sagen kann, wenn ER den Messias meint?
Diese Botschaft ist eine Trostbotschaft an die Israeliten in Babylon. Sie dürfen die Gewissheit haben, dass das Exil zu Ende gehen wird, dass Gott bei Seinem Volk ist, wie ich anlässlich Jom Kippur aus Jes. 63,8+9 ausführte. Außerdem macht der Name Jeschajahus, des Künders, wie der Name Jehoschuas aus Nazareth deutlich, dass die Erlösung und Rettung allein von Gott kommen. Gott rettete das Volk Israel aus Ägypten, ER rettete es immer wieder aus Not und Bedrängnis und rettet es bis heute. In diesen Text etwas hineinzulesen, was nicht dort steht, zeugt nicht von aufrichtiger, der Wahrheit verpflichteten Theologie, sondern lässt schmerzlich an die Substitutionstheologie denken, welche zu vielen Juden das Leben kostete. Die Bibel der Juden, das Erste Testament oder der Tanach (Hebräische Bibel bestehend aus Tora, Newiim=Propheten, Chetuwim=Schriften), muss dringend mit jüdischen, nicht mit tendenziösen Augen gelesen werden.
Man kann selbstverständlich sagen, dass auch Jehoschua aus Nazareth ein Israelit ist, der zu seiner Zeit den Auftrag Gottes hatte, SEINE Botschaft der Hoffnung und Ermahnung, den Fingerzeig auf Gottes Rettung und Hilfe, dem Volk Israel in der bedrohlichen Römischen Herrschaftszeit zu übermitteln.

Jetzt aber ist Jeschajahus Stunde gekommen und er merkt, dass er sich oft vergeblich müht, dass seine Botschaft ignoriert wird. Wer will Mahnungen und Warnungen schon hören. So war es damals – so ist es heute. Unsere heutigen Krisen sind ebenfalls „Rückrufaktionen Gottes“, aber das interessiert niemanden. Bequemer ist es, in Menschen, in der Natur das Problem zu verorten, denn damit entgehen wir alle zusammen elegant der Verantwortung.

Doch Gott hat Großes mit Seinem Künder vor: Er wird nicht nur zur Befreiung Israels beitragen, sondern seine Botschaft wird Befreiung für die Völker bis ans Ende der Welt sein! Zu Jeschajahus Zeit war Israel noch nicht gesammelt, noch nicht zurückgeführt. Doch dieses Wunder wird sich vor den Augen der Welt ereignen. Dann werden Völker erkennen, wie sehr sie Israel geknechtet, verachtet und bedrückt haben. Doch Gott erlöst Sein Volk und stellt sein Ansehen wieder her, sodass die Nationen und ihre Herrscher erkennen müssen, dass der Ewige allein der wahre Gott und Retter ist. Dann werden sie klein und demütig werden, ihre Knie beugen und den wahren König anerkennen. Die Erlösung Israels gibt den Völkern die Chance auf Erlösung! An Israel kommen sie nicht vorbei, auch nicht heute, auch nach Jesus nicht, denn seine Botschaft war dieselbe! Er verwies auf den Vater, auf Gott, den König.

Dasselbe sagt Jesaja an anderer Stelle:
Jes. 45,22 Wendet euch mir zu und laßt euch befreien, alle Enden der Erde, denn ich bin Gottheit, keiner sonst! 23  Ich habe bei mir geschworen, aus meinem Mund fuhr Bewährtes, Rede, die nicht zurückkehrt: Ja, mir beugen wird sich alles Knie, zuschwören alle Zunge. 24 Nur bei IHM, wird man sprechen, habe ich Gerechtigkeit und Macht. Zu ihm kommen, beschämt, alle wider ihn Entflammten, 25 als durch IHN bewahrheitet preist sich aller Same Jissraels.
Gott steht unverbrüchlich auf der Seite Israels. Das ist nach meinem Dafürhalten der Grund für allen Antisemitismus, denn die Völker sind neidisch und eifersüchtig auf das Volk Gottes. Sie müssen erst mit der Macht Gottes konfrontiert werden und dann bereitwillig ihre Knie beugen vor dem allmächtigen Schöpfer, vor dem Herrn der Heerscharen, vor dem Gott der Götter. Erst dann wird den Völkern Rettung und Erlösung zuteil.

Zuerst wird Israel erlöst, indem Gott des Bundes mit Seinem Volk gedenkt, des Bundes, den die Völkerwelt oft verspottete und meinte, Gott habe Sein Volk verstoßen. Eben das ist nicht der Fall. ER steht zu Seinem Bund, den ER schon mit Abraham schloss, ER belebt das verödete Eigentum Seines Volkes und befreit die im Kerker der Nationen Sitzenden, führt die in der Finsternis der Diaspora Leidenden in Sein Licht. ER holt sie heraus, weidet sie und führt sie zu frischem Wasser. Gott erweist sich als ihr guter Hirte, der allen Mangel beseitigt.

V8 אֶתֶּנְךָ לִבְרִית עָם – etencha le’brit am = ICH werde dich geben zum Bund mit dem Volk. Dadurch, dass Gott sich an Israel verherrlicht, dass Gott Sein Volk groß macht, werden die Völker hinzukommen.

So gibt es das aktuelle Wunder der Wiedererstehung Israels und seines Wachstums in Wissenschaft und Technik, sodass Karl Lauterbach im Rahmen der Bekämpfung von Corona nach Israel reiste und sagte: „Wir müssen von den Besten lernen.“ Gottfried Bühler zeichnete einen Film auf: Das versprochene Wunder: Die Staatsgründung Israels. Der moderne Staat Israel steht für Gottes Treue, an dem sich die Völker noch stoßen. Da aber Gottes Wort Wahrheit ist, wird Israel erst dann zum „Bundesmittler“ (Zürcher Bibel), wenn die Völker Gott als König anerkennen, wie Israel es tut. Denn es betet allmorgendlich:
„In Wahrheit, du bist der Erste, und du bist der Letzte, und außer dir haben wir keinen König, Erlöser und Helfer.“ (Siddur, Schacharit-Gebet)

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