Predigttext für Sonntag, 31.12.2023, den ersten Sonntag nach dem Geburtsfest

Joh. 12,44 Jesus aber rief und sprach: Wer an mich glaubt, der glaubt nicht an mich, sondern an den, der mich gesandt hat. 45 Und wer mich sieht, der sieht den, der mich gesandt hat. 46 Ich bin als ein Licht in die Welt gekommen, damit jeder, der an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibt. 47 Und wenn jemand meine Worte hört und nicht glaubt, so richte ich ihn nicht; denn ich bin nicht gekommen, um die Welt zu richten, sondern damit ich die Welt rette. 48 Wer mich verwirft und meine Worte nicht annimmt, der hat schon seinen Richter: Das Wort, das ich geredet habe, das wird ihn richten am letzten Tag. 49 Denn ich habe nicht aus mir selbst geredet, sondern der Vater, der mich gesandt hat, er hat mir ein Gebot gegeben, was ich sagen und was ich reden soll. 50 Und ich weiß, dass sein Gebot ewiges Leben ist. Darum, was ich rede, das rede ich so, wie der Vater es mir gesagt hat.

Dieses Kapitel nimmt uns mit in Jehoschuas letzte Lebensphase. Es beginnt sechs Tage vor Pessach mit der Auferweckung des Lazarus, erzählt von der Salbung Jehoschuas, die er als Liebesdienst für sein Begräbnis deutet, und seinem Disput mit Judas Ischariot. Es geht um Todesdrohungen gegen ihn und im scharfen Gegensatz dazu um Menschen, die zum Pessachfest nach Jerusalem kamen und Jehoschua, den großen Rabbi, sehen und hören wollen. Von seinem Einzug in Jerusalem wird berichtet und der Hilflosigkeit der religiösen Obrigkeit. Darum ist ein gewichtiges Thema direkt vor unseren Versen das Thema Glaube Emuna אֱמוּנָה und Nichtglaube, das der Evangelist ausbreitet.

Die Menschen des Volkes hatten vom Maschiach gehört und wusste aus den Quellen der ihnen vorliegenden Schriften des Tanach, dass dieser die Erlösung am Ende der Tage bringen würde. Wie in Jesaja 11 geschrieben, wird dieser Nachkomme Davids das Friedensreich für Mensch und Tier bringen; er wird die Völker der Welt in seinen Frieden rufen und das Volk Israel gänzlich in sein Heimatland zurückbringen. Darum fragen die Rabbiner immer wieder: „Ist schon Frieden auf Erden? – Dann kann der Maschiach noch nicht gekommen sein!“

Die Menschen können Jehoschua nicht einordnen, darum fragen sie:
Joh. 12,34 Die Menge antwortete ihm: Wir haben aus der Weisung (Tora הַתּוֺרָה) gehört, dass der Messias in Ewigkeit bleibt; wie sagst du denn, der Sohn des Menschen müsse erhöht werden? Wer ist dieser Sohn des Menschen (בֶּן-הָאָדָם ben ha’adam)?

Den Begriff „Ben Adam“ habe ich schon des Öfteren erwähnt. Es ist der Begriff, der am häufigsten beim Propheten Hesekiel vorkommt und einen Menschen – wie beispielsweise Hesekiel – meint, der eine Neuschöpfung Adams darstellt.

Wie die Propheten so verkündet auch Jehoschua dunkle Tage, geprägt von Gewalt, Mord und Lüge, von denen jeder Mensch bedroht ist und in Hoffnungslosigkeit versinken kann, wenn er nicht die stärkende Botschaft des Lichts in sich aufnimmt und bewahrt. Jeder soll so ein Kind des Lichts werden, aber sie glauben ihm nicht! Die Umstehenden wollen seine Mahnung nicht hören. Sie glauben ihm so wenig wie Jahrhunderte zuvor Juden die Botschaft Jesajas ablehnten, wie der Prophet in Jes. 53,1 beklagt:

Joh. 12,37 Obwohl er aber so viele Zeichen vor ihnen getan hatte, glaubten sie ihm nicht an ihn (לֹא הֶאֱמִינוּ לוֺ lo he’eminu lo); 38 damit das Wort des Propheten Jesaja erfüllt würde, das er gesprochen hat: (Jes. 53,1)»Herr, wer hat unserer Verkündigung geglaubt, und wem ist der Arm des Herrn geoffenbart worden?«
Joh. 12,40  »Er hat ihre Augen verblendet und ihr Herz verhärtet, damit sie nicht mit den Augen sehen, noch mit dem Herzen verstehen und sich bekehren und ich sie heile.« (Jes. 6,10)

Die Menschen hatten ihre Augen und Herzen vor der Botschaft ihres Gottes verschlossen. Der Ewige wollte sie vor dem Bösen bewahren, wollte ihre Herzen von der Bosheit heilen, aber sie waren dazu nicht willens. All das verkündete Jesaja, als er im Tempel die Herrlichkeit des höchsten Schöpfers sah:
Joh. 12,41 Dies sprach Jesaja, als er seine Herrlichkeit sah und von ihm redete.
Jes. 6,1 Im Todesjahr des Königs Usijahu sah ich meinen Herrn sitzen auf hohem und ragendem Stuhl, seine Säume füllten den Hallenraum.

Jehoschua selbst stellt am Ende des Kapitels klar, dass es nicht um den Glauben an ihn geht oder das Vertrauen in seine Worte. Es geht eher um einen Glauben, wie Gott ihn schon für Mosche wollte:
Ex 19,9 ER sprach zu Mosche: Da, ich komme zu dir in der Dichte des Gewölks, um des willen, daß höre das Volk, wann ich mit dir rede, und auch dir sie vertrauen auf Weltzeit וְגַם בְּךָ יַאֲמִינוּ we’gam becha ja’aminu (dir glauben). Mosche meldete IHM die Rede des Volkes.

Nicht um Jehoschua geht es, sondern um Gott, den Vater, der Jehoschua in diese Welt sandte so wie zuvor Jesaja/ Jeschajahu. In beiden Namen steckt das Bekenntnis zu Gott, dem Retter und Erlöser: ER, JHWH, wird erlösen, wird retten. Jehoschua bringt die Botschaft des Lichts, der Wahrheit und der Hoffnung zu denen, die ihn hören wollen. Mit dieser Botschaft lässt er Gott sichtbar werden, denn ansonsten gilt:
Ex. 33,20 Er sprach: Mein Antlitz kannst du nicht sehen, denn nicht sieht mich der Mensch und lebt. 

Mit seiner Licht bringenden Botschaft wird er die Welt nicht richten, sondern ein Licht für die Welt (Licht für die Völker לְאוֹר גּוֹיִם le’or goijim Jes. 42,6) sein, da er weiß, dass die jüdische Botschaft einmal alle Völker erreichen wird. Jeder wird sich darum selbst richten, denn er hat Gottes wegweisendes Wort der Tora gehört und nicht beherzigt, nicht in Taten umgesetzt zugunsten der Gemeinschaft Israels. Er wird in der Finsternis der Angst und der Unsicherheit bleiben ohne Erkenntnis, ohne Orientierung, ohne Hilfe, ohne Hoffnung.

Jehoschua macht überdeutlich, dass er der von Gott gesandte Bote (אֶת-שֹׁלְחִי et schlachi = der mich sandte), ein mit der guten Botschaft der Tora Ausgestatter ist, aber dass das Gericht nicht bei ihm liegt. Er ist ein Schali’ach שליח, ein Gesandter, wie es heute noch im Judentum Gesandte Gottes gibt, die voller Hingabe die Worte des Tanach verkünden. Genauso empfinden Yuval und ich uns als Schluchim שליחים Gesandte, oder wie mein Schwiegervater Pinchas Lapide zu sagen pflegte: Er habe ein großes Sendungsbewusstsein. Jehoschua lehrt, mahnt und warnt als Gottes Gesandter, Gottes Künder נָּבִיא Nawi, als Werbender für Gottes unendliche und unabänderliche Liebe, aber für die Wirkung auf die Zuhörenden sieht er  sich nicht zuständig. Das Wort der Tora, das Gott am Sinai zu Seinem Volk sprach, wird den Unbelehrbaren richten.

Jehoschua weiß sich Gott gegenüber gehorsam. Der VATER vertraute ihm Sein Wort an, gebot ihm – wie Seinen Propheten, den Newiim נָּבִיאים = Kündern – was er zu verkünden hatte. Nichts tat dieser gehorsame und bescheidene Diener aus sich selbst heraus. In Worten und Taten war er von Gott, dem Vater und König aller Menschen abhängig.
Joh. 5,19 Der Sohn kann nichts von sich aus tun, sondern nur, wenn er den Vater etwas tun sieht. Was nämlich der Vater tut, das tut in gleicher Weise der Sohn.

Jehoschua bekennt mit seinen Worten, dass ewiges Leben durch die Gebote Gottes kommt. Nicht Jehoschua bringt ewiges Leben, sondern die Worte Gottes, die er gemäß göttlichem Gebot verkündet. Und Gott allein ist derjenige, der Wunder tut, wie es im Psalm heißt:
Ps. 72,18  Gesegnet ER, Gott, Der Gott Jissraels, der Wunder tut, er allein לְבַדּוֹ lewado,

Dieser Predigttext am Sonntag nach Heilig Abend wird manchen Hörer desillusionieren, denn durch Jehoschuas eigene Worte erfährt jeder, der für seine Rede empfänglich ist, dass er nicht den Anspruch hat, ein besonderer, alleiniger Sohn Gottes oder gar Gott zu sein, denn dann wäre er nicht derart abhängig von seinem Vater und dem Vater aller Menschen. Sein eigenes Zeugnis gilt Gott, der ALLEIN Gott ist, denn Jehoschua selbst lehrte einmal einen Schriftgelehrten:

Mk. 12,29 Jesus aber antwortete ihm: Das erste Gebot unter allen ist: 
              Höre Israel, der Herr, unser Gott, ist ein Herr; (Dtn. 6,4)
שְׁמַע יִשְׂרָאֵל יְהוָֺה אֱלֹהֵינוּ יְהוָֺה אֶחָד Schma Israel, Adonai Eloheinu, Adonai echad

Um diesen EINEN Gott und Vater ging es Jehoschua im Leben, in seinen Lehren und im Tod.

5 thoughts on “Predigt Joh. 12,44f An wen müssen wir glauben?

  1. Mit der Tiefe des Judentums, ohne die das Christentum gar nicht entstanden wäre, zeigt Debora Lapide einmal mehr, worauf es Jehoschua ankam und heute als Jesus ankommt :
    Jesus will nicht angebetet werden, will nicht als an einem Kreuz nackt Hängender vergötzt sein. Solches ist ihm zuwider, ebenso Adonai, Gott, der der alleinig Anzubetende ist.
    Dafür hat Jesus GELEBT.
    Dafür hat Jesus GOTTES WORT gelehrt und in die TAT umgesetzt, für ALLE JUDEN, die somit gesegnet sind GOTTES LICHT in die Welt zu bringen. Halleluja
    Danke Debora !

  2. Wie immer sehr gut und klar, danke Also Jesus sieht sich selbst als Nachfolger der Propheten, als Gott-Gesandter, als Mahner, “ Dolmetscher“, als Rabbi, aber niemals als göttlich. Für uns Christen sollen aber die Evangelien die Grundlage der Gottesgleichheit sein.
    Ich frage mich immer mehr, welche Missverständnisse bereits in den ersten Abschriften reininterpretiert wurde . Gar nicht mal aus böser Absicht, ganz einfach vielmehr so: der Wunsch war der Vater der Gedanken ( bzw. der Schriften). Ich finde das nicht schlimm, ganz im Gegenteil. Als Rabbi wirkt Jesus für mich wesentlich lebendiger und glaubwürdiger.

    1. Danke, liebe Doris, dass Sie das sagen: Jesus wirkt für Sie lebendiger! Das ist mein Ziel, sowie es das Ziel meiner Schwiegereltern war und das meines Mannes ist. Niemandem soll Jesus weggenommen werden, Jesus soll nicht klein gemacht werden. Im Gegenteil, er soll an Größe gewinnen, indem er authentisch in seinem Judentum verankert wird. Mit seiner Lehre wird er besser verstanden, wenn er als Jude unter Juden wahrgenommen wird. Ich freue mich über Ihr Verstehen.

      1. Das ist sehr schön ausgedrückt: authentisch als Jude im Judentum verankert. Nur so wird die ganze Sache „rund“ und es braucht keine zusätzlichen komplexe Deutungen. Und zwar als unglaublich gelehrter, intellektueller, weiser, empathischer Mann, der keineswegs den Freuden des Lebens abgeneigt war (was hätte er sonst auf Hochzeiten zu suchen gehabt), der von Menschenansammlungen oft genervt und von den gleichen Zweifeln heimgesucht wurde wie andere (Flucht auf Berge und in die Wüste), der seine familiären Problem hatte ( wer hat die nicht..), und der…. ja, irgendwie dem damaligen gelebten Judentum aber doch seinen persönlichen, unbequemen Stempel aufgedrückt hatte (z.b. weg von der Überbewertung der Dogmen und des Kults und hin zum Dienst am Nächsten, auch hin zur Wahrnehmung der Individualität des Einzelnen), was er letztendlich und logischerweise mit seinem Leben bezahlen musste – habt ihr dazu speziell auch eine Predigt oder Video oder ist das doch eher die spezielle christliche Interpretation?

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