Schabbat 26. Tischrei 5782, 2. Oktober 2021 zur Toralesung Bereschit Gen. 1,1 – 6,8
Dieser Schabbat Bereschit ist etwas Besonderes, denn er ist der Schabbat nach Simchat Tora, dem Tora-Freudenfest, das den Festzyklus der besinnlichen Tage und der Bußtage abschloss. Nun hat uns der Alltag wieder und mit dem Schabbat Bereschit haben wir die Chance, neu anzufangen, uns herausfordern zu lassen, zu fallen und aufzustehen und uns zu bewähren.
Bereschit macht uns vertraut mit dem Anfang der Welt, dem Anfang der gesamten Schöpfung. Es führt uns den Anfang des Menschen vor Augen, der als Partner Gottes geschaffen wurde. Jedoch der erste Ungehorsam zeigt uns schnell Gottes erste konsequente Haltung gegenüber dem Menschen.
Es ist der Anfang eines vertrauten Zweierbündnisses, der Ehe, und daraus hervorgehend der Familie. Leider erfahren wir nicht, wie das erste Menschenpaar seine Ehe und Familie gestaltete, da sie doch die Vertrautheit mit Gott noch kannten. Ob sie sich davon noch inspirieren und leiten ließen? Das bleibt anzuzweifeln, wenn wir das erste Brüderpaar erleben, das nicht brüderlich miteinander umging. So kommt es zum ersten Mord, der ersten Sünde.
Wir lernen die ersten Generationen kennen und Gottes Enttäuschung über Seine Geschöpfe, sodass er beschließt, die Menschheit zu vernichten. In dem Augenblick lernen wir den ersten Gerechten kennen, Noach, der Gunst bei Gott fand.
Aus Bereschit lernen wir, dass im Anfang die gesamte Schöpfung gut, ja sogar sehr gut war. Die Menschheit bekam von Gott die besten Voraussetzungen für ein gutes Leben. Aber wir müssen uns eingestehen, dass der Mensch ohne Gott nicht in der Lage ist, diese Voraussetzungen zum Wohle der Schöpfung zu nutzen.
Auf den Anfang bezieht sich ebenfalls der Text der Haftara in
Jes. 42,5 So hat der Gottherr, ER, gesprochen, der die Himmel schuf und sie spannte, der die Erde breitete zusamt den aus ihr Gesproßnen, der dem Volk auf ihr Odem gab, Hauch den sie Begehenden:
Gott spannte über uns den Himmel aus wie ein Zeltdach zu unserem Schutz.
Jes. 40,22 … der wie Flockentuch ausspannt die Himmel, – wie als Zelt zum Siedeln spreitet er sie!
Dieser Himmel ist gleichsam unser Versorger, denn er gibt Tau und Regen zur rechten Zeit. Darum ist der Himmel ein Synonym für Gott. Vom Himmel aus fällt der Segen auf die Erde, die ihre Gewächse hervorbringen kann. Das tut sie sehr selbstständig, wenn wir im Schöpfungsbericht genau lesen. Darum kann sie es auch unterlassen, wenn sie gegen den aufmüpfigen Menschen rebelliert.
Alle Lebewesen haben ihren Atem von Gott, aber dem Menschen hauchte ER den Lebensatem ein und gab ihm damit von Seinem Geist. Eine der wichtigsten Voraussetzungen, denn so kann der Mensch mit Gott in Kontakt bleiben und den Willen Gottes erkennen. Nimmt der Mensch diese Gabe dankbar an? Spürt er noch die Verantwortung für die Schöpfung und für den Nebenmenschen gegenüber Gott?
Dieser Gott, der alle guten Voraussetzungen schuf, hat sich einen Helfer und Zeugen erwählt, mit dem ER einen Bund schloss. Dieser Zeuge hat Gottes Auftrag, das Wissen über Gott, den Heidenvölkern weiterzugeben und dadurch ein Licht für sie zu sein. Dieser Zeuge öffnet der Blinden Augen, befreit Gefangene und führt Menschen aus der Finsternis ins Licht.
Doch wer ist dieser Gesandte, dieser Bevorzugte Gottes?
Jes. 42,1 Mein Knecht hier, an dem ich halte, mein Erwählter, dem eine Seele gnadet, auf ihn gebe ich meinen Geisthauch, den Weltstämmen führe er Recht hin.
Gott hat einen Knecht, den ER selbst erwählte und den Seine Seele liebt. Dieser Knecht ist mit Gottes Geist durch den Bundesschluss ausgestattet und kann die Völker der Welt aus ihrem eigenen Unrechts- und Götzenregime zu dem Einen Gott führen, der Himmel und Erde für alle schuf.
Dieser Knecht ist kein einzelner, wie wir sehen können und wie es im Kontext zu lesen ist, in dem die Haftara steht.
Jes. 41,8 Du aber, Jissrael, mein Knecht, Jaakob, den ich wählte, Same Abrahams, meines Liebenden! 9 du, den ich erfaßte von den Rändern der Erde her, von ihren Achsein her habe dich ich gerufen, ich sprach zu dir: Mein Knecht bist du! Gewählt habe ich dich einst und habe dich nie verworfen, – 10 fürchte dich nimmer, denn ich bin bei dir, starre nimmer umher, denn ich bin dein Gott, ich stärke dich, ich helfe dir auch, ich halte dich auch mit der Rechten meiner Wahrhaftigkeit.
14 Fürchte dich nimmer, du Jaakobwürmlein, ihr Jissraelsleutchen, ich selber helfe dir, ist SEIN Erlauten, dein Auslöser, der Heilige Jissraels ists.
Das Volk Israel in der Gesamtheit ist Gottes Knecht יִשְׂרָאֵל עַבְדִּי Israel awdi = Israel, mein Knecht, was einem Ehrentitel gleichkommt, den desgleichen Mosche trug. Diese Bedeutung von „Knecht Gottes“ als Israel zieht sich durch alle Kapitel Jesajas, durch ALLE „Gottesknechtslieder“. Diesen Seinen Knecht erwählte Gott, und diese Erwählung hat IHN nie gereut, bei allen Hochs und Tiefs, die Gott mit Seinem Volk erlebte.
Wir können nicht von einem ewigen Gott reden, einem Gott, der gestern, heute und für alle Zeit derselbe ist, wenn dieser Gott Sein Volk nicht mehr liebte oder sogar verstoßen könnte. Israel braucht darum keinen anderen Erlöser als den Ewigen allein, den Heiligen Israels!
Jes. 42,8 ICH WERDE DA SEIN: das ist mein Name, meinen Ehrenschein gebe ich nicht einem andern, noch den Bildwerk meinen Lobpreis: 9 die Früheren, hier, sie kamen, Neues melde ich an, eh es wächst, lasse ich euch es erhorchen.
Gott erneuert immer wieder Seinen Bund mit Seinem Volk, denn das Neue חֲדָשׁוֹת chadaschot sind genauso Erneuerungen. Gottes Name drückt ebenso aus, dass ER für Seine Menschen so da sein wird, wie sie IHN brauchen, selbst wenn ER sich nie ändert. Gottes Name steht in der 3. Person im Futur יְהוָה JHWH = ER wird sein als der ER sein wird. Denn so stellte ER sich Mosche vor: אֶהְיֶה אֲשֶׁר אֶהְיֶה eheije ascher eheije ICH werde sein, der ICH sein werde.
Der Ewige lässt Sein Volk immer wieder zuversichtlich nach vorne sehen auf Neues mit dem lehrreichen Rückblick auf die Anfänge. Die Früheren הָרִאשֹׁנוֹת ha’rischonot sind streng genommen die Ersten, die Anfänglichen wie in Bereschit בְּרֵאשִׁית.
Darum kann Gott ein neues Lied שִׁיר חָדָשׁ Schir chadasch gesungen werden. Dieses Lied kann ein altes sein, aber es kommt neu aus einem erneuerten Herzen. Das Lob Gottes ist alt, hat alte Worte in den Psalmen, doch ist das Lob Gottes jeden Morgen neu, wenn wir erneut und erneuert jeden neuen Tag begrüßen.
Dieses erneuerte Loblied nach Zeiten des Ungehorsams erklingt nun in unserem Text über der ganzen Welt bis zu den entferntesten Inseln. So reicht das Lob und die Ehre Gottes als strahlendes Licht bis in die Finsternis der Heidenvölker und führt sie in die Freiheit.
Gott lässt uns wissen, dass Sein Knecht Israel selber unter Blindheit und Taubheit leiden kann. Israel ist ein Volk, das viel vom Wirken Gottes und Seinen Wundern sah und Gottes Worte und Gebote hörte, aber es gibt immer wieder Zeiten, wo Sein Volk keine Lehren daraus zieht. Dann gibt der Ewige es seinen Feinden preis, wie ER es in der Tora ankündigte.
Trotzdem bleibt Israel, das unter den Feinden über das Maß geschunden wird, Gottes Knecht, der Sohn, über den sich Gott Mal um Mal erbarmt. Auch das ist Sein Wort und Versprechen in Seiner heiligen, immer gültigen Tora!
Der nie gekündigte Bund
„Ich lebe nicht fern von der Stadt Worms,
Aus dem Zwiegespräch mit Karl Ludwig Schmidt im Jüdischen Lehrhaus in Stuttgart am 14. Januar 1933; zitiert bei Peter von der Osten-Sacken, Begegnung im Widerspruch, in: Leben und Begegnung. Ein Jahrhundert Martin Buber, Berlin 1978, S. 134f http://www.imdialog.org/bp2016/06/buberblick.pdf
an die mich auch eine Tradition meiner Ahnen bindet;
und ich fahre von Zeit zu Zeit hinüber.
Wenn ich hinüberfahre, gehe ich immer zuerst zum Dom.
Das ist eine sichtbar gewordene Harmonie der Glieder,
eine Ganzheit, in der kein Teil aus der Vollkommenheit wankt.
Ich umwandle schauend den Dom mit einer vollkommenen Freude.
Dann gehe ich zum jüdischen Friedhof hinüber.
Der besteht aus schiefen, zerspellten, formlosen, richtungslosen Steinen.
Ich stelle mich darein,
blicke von diesem Friedhofgewirr zu der herrlichen Harmonie empor und mir ist,
als sähe ich von Israel zur Kirche auf.
Da unten hat man nicht ein Quentchen Gestalt;
man hat nur die Steine und die Asche unter den Steinen.
Man hat die Asche, wenn sie sich auch noch so verflüchtigt hat.
Man hat die Leiblichkeit der Menschen, die dazu geworden sind.
Man hat sie. Ich habe sie.
Ich habe sie nicht als Leiblichkeit im Raum dieses Planeten,
aber als Leiblichkeit meiner eigenen Erinnerung bis in die Tiefe der Geschichte,
bis an den Sinai hin.
Ich habe da gestanden, war verbunden mit der Asche und quer durch sie mit den Urvätern.
Das ist Erinnerung an das Geschehen mit Gott, die allen Juden gegeben ist.
Davon kann mich die Vollkommenheit des christlichen Gottesraums nicht abbringen,
nichts kann mich abbringen von der Gotteszeit Israels.
Ich habe da gestanden und habe alles selber erfahren, mir ist all der Tod widerfahren:
all die Asche, all die Zerspelltheit, all der lautlose Jammer ist mein;
aber der Bund ist mir nicht aufgekündigt worden.
Ich liege am Boden, hingestürzt wie diese Steine.
Aber aufgekündigt ist mir nicht.
Der Dom ist, wie er ist. Der Friedhof ist, wie er ist.
Aber aufgekündigt ist uns nicht worden.“