Die Berge von Giboa

zur Paraschat Zachor, am Schabbat Wajikra 9. Adar II 5782; 12. März 2022

Diese Haftara befasst sich damit, warum Gott König Scha’ul verwarf. Warum geht ER so gnadenlos mit Scha’ul um? Warum gibt ER ihm keine Chance mehr? Immerhin war Scha’ul der erste König Israels und hatte keine Vorbilder, an denen er sich orientieren konnte. Warum vergab ER dem König nicht? Hatte Gott nicht Unmenschliches von Scha’ul gefordert?

Scha’ul שָׁאוּל = der Erbetene wurde vom Volk erbeten, denn im ursprünglichen Sinn wollte Gott der König Seines Volkes sein. In Seiner Weisheit hatte Gott vorgebaut und schon Mosche befohlen, dass jeder König einmal in seiner Amtszeit eine Torarolle abschreiben und einmal im Jahr diese Rolle dem Volk vorlesen muss (Dtn. 17,14-20). Scha’ul hat eine Torarolle abgeschrieben, aber ob er sie verlesen und verstanden hat, ist unbekannt. Damit sollte sich jeder König vergegenwärtigen, dass es immer einen höheren König über ihm gibt.

Somit können wir sehen, dass Scha’ul zwar der erste König Israels war, aber durch die Tora Gott als Vorbild hatte. Er konnte wissen, dass Gott König blieb und ER den irdischen König als Vertrauten und Ausführenden des göttlichen Willens eingesetzt hatte. Blieb also der König mit Gott in Verbindung und im vertrauensvollen Gespräch, würde er immer wissen, was zu tun ist.

Laut dem 1. Buch Samuel stand der Prophet Schmu‘el שְׁמוּאֵל = Sein Name ist Gott an Scha’uls Seite. So gab Schmu’el ihm in Gottes Auftrag hier in unserem Abschnitt die Anweisung, Amalek auszurotten. Schmu’el sagte ihm: „Du bist durch mich zum König gesalbt worden und wurdest damit ausgestattet mit allen Hilfsmitteln Gottes, um Seinen Willen auszuführen. Jetzt ist die Zeit gekommen, genau zuzuhören וְעַתָּה שְׁמַע we’ata sch’ma! Jetzt ist die Zeit וְעַתָּה we‘ata, da Gott dich als Partner verbindlich gebraucht. Lass Gott nicht im Stich! שְׁמַע sch’ma = Höre! Höre und gehorche unverzüglich!“

Und Schmu’el spricht weiter, und es wird deutlich, dass Gott nicht leichtfertige Entscheidungen trifft. „ICH habe gemustert, genau geprüft, was damals geschah, als Amalek sich den aus Ägypten Flüchtenden in den Weg stellte, sie unmenschlich behandelte und bekämpfte. Kein Mitleid hatte Amalek, kein Mitgefühl mit dem Brudervolk. Immerhin war Amalek ein Enkel Esaus. Doch der Versöhnungskuss Esaus war wohl ein „Esauskuss“ und trug Hass und Unversöhnlichkeit noch in die nachfolgenden Generationen.

Gott akzeptiert auch heidnische Völker, wenn es bei ihnen ein Mindestmaß an Ethik gibt. Wir sehen das am Aufruf Scha’uls an die Keniter. Sie sollen beim Kampf nicht mit den Amalekitern umkommen. Bei den Amalekitern ist jedoch nichts von Moral zu finden, weshalb Gott Scha’ul als König auffordert, nicht ein Schaf von Amalek übrig zu lassen.

Falls Scha’ul mit diesem Auftrag Schwierigkeiten hatte, verbarg er sie und sprach nicht mit Gott darüber. Vielmehr rekrutierte Scha’ul  210.000 Mann, 200.000 Mann Fußvolk und 10.000 Männer aus Juda. Die 2 sagt etwas über die Gespaltenheit und die Zweifel Scha’uls aus. Dagegen steht die 1 für die Einheit und das Vertrauen auf Gott, das später der ebenfalls aus Juda stammende König David mitbrachte. Die Quersumme 3 erzählt dem Leser, dass sich etwas verwandeln wird, doch für Scha’ul nicht zum Guten. Mit seinen nicht vor Gott ausgesprochenen Zweifeln deutet sich eine andere Transformation an, die einen König aus Juda erstehen lassen wird.

Gott sieht das Ergebnis von Scha’uls Feldzug, und da er nicht mit IHM redete, wendet Gott sich nun an Schmu’el und setzt ihn in Kenntnis darüber, dass Scha’ul nicht länger König sein soll. Für Schmu’el ist diese Nachricht unerträglich. Er fleht für Scha’ul die ganze Nacht zu Gott, bekommt jedoch keine andere Anweisung. So sucht er den König selbst auf.

Bevor Schmu’el ihn trifft, erfährt er bereits, dass der König sich ein Denkmal setzte. Scha’ul setzte demnach mehr auf weltliche Ehre als auf Gehorsam gegenüber dem wahren König. Er ist nicht interessiert am Beständigen, Ewigen, sondern am Vergänglichen. Er ist nicht neugierig auf Gottes Zufriedenheit und auf dessen Bewertung der Situation, sondern nimmt im Stil des Eigenlobs die Einschätzung vorweg. Scha’ul ist mit sich zufrieden, obwohl er seinen eigenen Willen zum Maßstab seines Handelns machte.

Als Schmu’el kommt und ihm sagt, dass Gott ihn verwarf, reagiert Scha’ul uneinsichtig und argumentiert und diskutiert heillos herum. Er findet sogar einen Sündenbock, auf den er seine Verantwortung legt: das Volk.
1.Sam. 15,15 Schaul sprach: Vom Amalekiter haben sies mitkommen lassen, was das Volk als das Beste der Schafe und der Rinder verschonte, um IHM deinem Gott zu schlachten, aber den Rest haben wir gebannt.
„Ich, Scha’ul, habe damit doch nichts zu tun. Was kann ich dafür, dass das Volk das Vieh der Amalekiter nahm. Aber das Beste wollten wir ja sowieso Gott opfern.“
Ein Sich-Rauswinden wie beim ersten Ungehorsam: „Die Frau und DU seid schuld!“
Gen. 3,12 Der Mensch sprach: Das Weib, das du mir beigegeben hast, sie gab mir von dem Baum, und ich aß.

Noch als Schmu’el genau erklärt, was der König hätte tun sollen, ist er uneinsichtig und beteuert, Gott gehorcht zu haben. Und noch einmal beschuldigt er das Volk. Warum übernimmt er keine Verantwortung? Warum bekennt er sich nicht schuldig und schiebt stattdessen andere vor, für deren Tun er als König die Verantwortung trägt? Gott ist ein barmherziger Gott, der den reuigen Sünder annimmt. Aber diese Barmherzigkeit hat Scha’ul verspielt, denn er schob wiederholt dem Volk seine eigene Verantwortung zu und sprach es damit ungerechtfertigter Weise schuldig.

Mit Opfern für Gott meint Scha’ul, Schmu’el beeindrucken zu können. Aber Gott braucht unsere Opfer nicht! Höchstens Opfer, die aus dem Herzen des Menschen kommen.
Ps. 50,9 „Ich mag aus deinem Hause den Farren nicht nehmen, aus deinen Pferchen die Böcke. … 12  Hungerte ich, ich sagte dir es nicht an, denn der Boden und seine Fülle ist mein. 13 Soll das Fleisch der Stiere ich essen, trinken das Blut der Böcke?! 14 Opfere Gotte Dank, zahle dem Höchsten so deine Gelübde! 15 Und dann rufe mich am Tage der Drangsal, ich will dich losschnüren und du wirst mich ehren.“

Gott setzt Scha’uls Sünde des Ungehorsams und der Widerspenstigkeit gleich mit Wahrsagerei und Götzendienst. ER verwirft Scha’ul in gleichem Maße, wie Scha’ul IHN verworfen hat.

Scha’uls Einsicht kommt zu spät. Es ist zu bezweifeln, dass sie aus seinem Herzen kommt. Es passt eher zu diesem König, dass er Angst hat vor dem Verlust seines Images. Er will umkehren und Schmu’el soll ihn begleiten. Auch David hatte allen Grund, nach seiner Bettgeschichte mit Batscheba umzukehren, doch er tat es allein vor Gott. Scha’ul pflegte seine Beziehung zu Gott nicht, weshalb er nicht zu einer reifen Einsicht gelangen konnte. Seine Bitten klingen wie ein kaltes Schachern.

Als Scha’ul den Propheten festhalten will, reißt ein Stück seines Mantels ab. Damit erhält er auch auf der symbolischen Ebene die Botschaft:
1.Sam. 15,28 Ab reißt ER heut, herunter von dir, das Königsamt Jissraels, er gibt es deinem Genossen, der besser ist als du, –

Nach dieser Episode müsste Scha’ul doch wissen, dass es Gott ernst ist, dass ER Seine Entscheidung nicht bereut, wie auch Schmu’el ihm darlegte. Trotzdem geht es dem König nur um seine Ehre, um sein Ansehen vor dem Volk. Es geht ihm nicht um Gottes Ehre oder Ansehen, sonst fiele er demütig und reuevoll vor Gott nieder. Doch Scha’ul kennt nur eines: Ich:
1.Sam. 15,30 Da sprach er: Ich habe gesündigt – jetzt aber ehre mich doch gegenüber den Ältesten meines Volks und gegenüber Jissrael, kehre mit mir um, daß ich mich vor IHM deinem Gott verneige.

Schmu’el geht schließlich mit Scha’ul und dieser betet Gott an, aber Schmu’el vollendet schließlich des Königs Aufgabe am König von Amalek. Wortlos trennen sich die Wege des Königs von Israel und seines Propheten. Doch im Gegensatz zu Scha’ul trauert Schmu’el um den verstoßenen Gesalbten.

Hat Gott einen König wegen seines Mitleids verworfen?
Die Rabbiner erklären zu dieser Stelle Folgendes: „Wenn du in Situationen, in denen Barmherzigkeit nicht angezeigt ist, gegen Gottes Willen Barmherzigkeit zeigst, dann wirst du in Situationen, in denen Barmherzigkeit gefragt ist, nicht barmherzig sein, denn auf deine Gefühle ist kein Verlass.“

Dementsprechend dürfen wir 2. Samuel 22 nicht aus dem Blick verlieren. In Nob wurde David von 85 Priestern versteckt, als er auf der Flucht vor Scha’ul war. Dort befand sich ein Denunziant, der David und die Priester verriet. Jetzt ist Scha’ul in seinem Wahn so unbarmherzig, dass er diese 85 Priester Gottes umbringen lässt und sogar die ganze Stadt Nob auslöscht. Er begeht kaltblütigen Mord und hat keine Vorbehalte, Menschen umzubringen. Das ist das Gefährliche, wenn man seine Gefühle zum Maß aller Dinge macht.

Auch heute fragen wir uns, ob die Herrscher dieser Welt Gottes Wort nicht kennen, wo ihnen doch enge Beziehungen zu ihren Kirchen nachgesagt werden. Wie können sie dann Kriege vom Zaun brechen und rücksichtslos morden?
Wenn das Ego größer ist als die Anerkennung Gottes, dann bleiben das Wort Gottes und das Wohlergehen der Mitmenschen auf der Strecke. Gott schaut sich solches Treiben eine Weile an, gibt Gelegenheit zu aufrichtiger Umkehr. Doch wenn die verstreicht, reißt Gott das Zepter an sich. Dann schauen sich die Herrscher der Welt um. Denn wenn Gott ihre Macht beendet, ist ihr Abgang von der Bühne der Macht ein erniedrigender. Für die Unterdrückten aber die ersehnte Befreiung.

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