Schabbat 3.Nissan 5780; 28. März 2020
Das dritte Buch Mose erscheint manchem Leser langweilig, langatmig und vielleicht sogar nicht mehr in die Zeit passend. Es gibt keinen Tempel mehr in Jerusalem, was kann uns dann dieses Buch mit den vielen Vorschriften überhaupt noch sagen? Warum sollte man sich mit den Opfern befassen, die doch ohnehin hinfällig sind? Im jüdischen Gottesdienst traten Gebete an die Stelle der Opfer, sodass diese nicht vergessen werden. Sie haben auch heute noch ihre Bedeutung, aber auf der spirituellen Ebene. Darum ist es interessant, sich mit der rabbinischen Sicht auf dieses Buch einzulassen.
- Mose, unser Lehrer
- Will Gott Opfer?
- Spirituelle Bedeutung der Opfer
- Welche Opfer bringen wir?
- Umkehr zu Gott
- Ein interessanter Nebeneffekt in Corona-Zeiten, unser Lehrer
An diesem Schabbat beginnt bereits die Lesung des 3. Buches Mose. Vergangene Woche wurde noch das Stiftszelt fertiggestellt und durch Mose aufgerichtet, nun spricht Gott aus diesem Zelt zu Mose, was er den Kindern Israel mitteilen soll.
Gott ruft Mose zu sich. Jetzt ruft ER ihn nicht mehr auf den Berg, jetzt ruft ER ihn aus dem Zelt heraus in Seine Nähe.
Dieses Rufen ist ein Zeichen der besonderen Beziehung zwischen Gott und Mose. ER redet mit Mose wie mit einem Freund. Und wie wir im Buch Exodus nach dem goldenen Kalb sahen, lässt Gott sich von Mose bitten und umstimmen.
Ex.33,11Der Herr aber redete mit Mose von Angesicht zu Angesicht, wie jemand mit seinem Freunde redet. Dann kehrte er zum Lager zurück, während sein Diener Josua, der Sohn Nuns, ein junger Mann, das Zelt nie verließ.
Num.12, 8Von Mund zu Mund rede ich mit ihm, / nicht in Gesichten und nicht in Rätseln, / und die Gestalt des Herrn schaut er.
Diese besondere Beziehung zwischen Gott und Seinem Knecht Mose wird auch nochmals nach dessen Tod ausgedrückt. Bis heute gilt dieser Satz, dass es keinen größeren Propheten und Wundertäter in Israel gab, niemand, mit dem Gott zu vertrauensvoll umging. Nur ihm wurde die Auszeichnung zuteil, den Kindern Israel die Tora Gottes zu überbringen. Darum wird sie auch oft „Die Tora des Mose“ genannt.
Dtn.34, 10 Und es stand hinfort kein Prophet in Israel auf wie Mose, mit dem der Herr von Angesicht zu Angesicht verkehrte, 11(keiner ihm gleich) in all den Zeichen und Wundern, mit denen ihn der Herr gesandt hat, dass er sie im Lande Ägypten am Pharao, an allen seinen Dienern und an seinem ganzen Lande tue, 12 und in all (den Erweisen) der starken Hand und in all den großen und furchtbaren Taten, die Mose vor den Augen ganz Israels getan hat.
Will Gott Opfer?
Nun bekommt Mose die Anweisung, wie die Opfer darzubringen sind.
Opfer sind für uns heutige, moderne Menschen ein schwieriges Thema. Auch Juden, die die Errichtung des dritten Tempels herbeisehnen, sind darin gespalten, ob es wieder zu Tieropfern kommen wird oder nicht. Seit knapp 2000 Jahren gibt es im Judentum keine Tieropfer mehr, weil der Tempel im Jahre 70 n.d.Z. zerstört wurde, der einzige Ort, an dem solche Opfer erlaubt waren.
Die Opferanweisungen im Buch Levitikus werden durch die Rabbiner nicht erst seit dem Verlust des Tempels spirituell gedeutet, denn lange Jahre mussten Juden während der Zeiten der Vertreibung auf ihr Zentralheiligtum verzichten. Und zu oft hatte Gott durch die Propheten und selbst durch König David sagen lassen, dass es IHN nicht nach den Opfern verlangt, sondern nach den Herzen Seiner Kinder.
Ps.40,7 Schlachtopfer und Speisopfer gefallen dir nicht, / doch Ohren hast du mir gegraben; / Brandopfer und Sündopfer forderst du nicht.
Was nützen Opfer, wenn nicht die ganze Botschaft Gottes gehört wird! Gott ließ Sein Volk am Sinai die Weisungen hören und es versprach, danach zu handeln. Das muss weiterhin gelten.
Jes.1,11Was soll mir die Menge eurer Schlachtopfer? spricht der Herr. Satt habe ich die Brandopfer von Widdern und das Fett der Mastkälber, und das Blut der Stiere und Lämmer und Böcke mag ich nicht. 12 Wenn ihr kommt, mein Angesicht zu schauen, wer hat das von euch verlangt, dass ihr meine Vorhöfe zertretet? 13 Bringet nicht mehr unnütze Gaben – ein Greuelopfer ist es mir. Neumond und Sabbat, Versammlung berufen – ich mag nicht Frevel und Feiertag.
Feiertage wie der heute beginnende Schabbat oder Neumonde wie vor zwei Tagen, als der Monat Nissan begann, sind geheiligte Tage. Sie erinnern an die Schöpfung und an die Zeiten der Besinnung, die Gott für den Menschen schuf, nicht um ihrer selbst willen.
Was hat es nun mit den Opfern auf sich?
Spirituelle Bedeutung der Opfer
In V2 heißt es: …Ein Mensch, wenn er von euch IHM eine Nahung darnaht, …
Die Rabbiner lesen daraus, dass es um zweierlei geht. Zum einen darum, dass der Mensch, wenn er das Opfer in den Tempel bringt, es aus seinem eigenen Inneren bringt. Dieses Tier soll ihm verdeutlichen, dass eigentlich er, der Mensch, wegen seiner Vergehen sterben müsste. Jetzt tritt das Tier an seine Stelle. Nur in der Einsicht und Verbindung mit dem Tier wird das Opfer seine Wirkung entfalten.
Mit dem Tier geht es auch darum, die eigene „tierische“ Seele, den Teil unserer Seele, der mehr nach dem Materiellen Ausschau hält als nach dem Spirituellen, Gott zu bringen, damit unsere spirituelle Seele dadurch gestärkt und unsere „tierische“ Seele dadurch verwandelt wird.
Zum anderen geht es um den Begriff eines der verschiedenen Opfer, den Buber hier mit „eine Nahung darnaht“ übersetzt, im Hebräischen: יַקְרִיב מִכֶּם קָרְבָּן – jekarew me’chem korban. Ein Korban hat den Sinn und Zweck, Gott nahe zu kommen.
Eine solche „Nahung“ an Gott kann ohne das materielle Heiligtum in Jerusalem geschehen, weil jeder mit Gott verbundene Mensch ein „kleines Heiligtum“ ist. In den Gebeten, die heutzutage in den Synagogen und den häuslichen Gebeten an die Stelle der Opfer treten, kann der Beter Gott nahe kommen und dem Ewigen aufrichtig sein Herz öffnen. Darum heißt es im „Schma Israel“:
Dtn.6,5 Liebe denn IHN deinen Gott mit all deinem Herzen, mit all deiner Seele, mit all deiner Macht.
Durch die Bedeutung der Opfer nähern wir uns nicht nur selbst zu Gott, sondern die unterschiedlichen Gaben bringen die gesamte Welt Gott näher. Folgende Unterteilung fand ich bei Chabad :
Domem – Leblose Objekte > Salz, das zum Haltbarmachen des Fleisches benutzt wurde
Zomeach – wachsende Pflanzen (Flora) > Kräuter auf dem Kräuteropferaltar oder Mehlopfer als Begleitgabe zum Tieropfer
Chaj – Lebewesen (Fauna) > das Tieropfer selbst
Medaber – intelligente, sprachfähige Menschen, die mit aufrichtigem Herzen opfern.
Machen wir uns also bewusst, dass wir heute, wenn wir vor Gott treten, die gesamte Welt vor Gott betend vertreten, die unter unserer Gedankenlosigkeit und Ausbeutung ebenso leidet wie jeder von uns.
Welche Opfer bringen wir?
Im Buch Levitikus wird es später das Wort geben, das deutlich macht, was neben Gebeten noch möglich und nötig ist, um Gott nahe zu kommen:
Lev.19,18 Heimzahle nicht und grolle nicht den Söhnen deines Volkes. Halte lieb deinen Genossen, dir gleich. ICH bins.
Gott bedarf des Menschen nicht und nicht seiner Gaben. Alles, was wir hingegen zu besitzen meinen, gehört in Wirklichkeit Gott. Darum fordert ER uns auf, uns um unseren Mitmenschen zu kümmern und das weiterzugeben und zu teilen, was ER uns als unsere Fülle zugeteilt hat. Jeder kann das nach seinem Herzen und seinem Vermögen tun. Dadurch erweisen wir uns als treue Verwalter Seiner Schöpfung und Seiner Gaben.
Im Hebräischen heißen solche Gaben „Zedaka“. Mit ihnen soll der Geber Gerechtigkeit üben. Durch solche Gaben ist es möglich, Menschen in Not zu unterstützen und ihnen zu geben, was sie in ihrer Not brauchen, denn manchmal reicht die gesetzlich geregelte Unterstützung nicht aus.
In dieser Zeit der Corona-Krise kann man von solch einer Bereitschaft zur Zedaka hören: Frauen nähen Mundschutz für Ärzte, wofür sie den kochfesten Stoff geschenkt bekommen. Sie selber erhalten für den Versandt ihrer Leistung lediglich die Portogebühr.
Da erlassen Verpächter ihren Pächtern für den kommenden Monat die Pacht.
Ein Gastwirt kocht nicht nur für seinen Stammgast weiter, sondern auch für andere, die nicht für sich selber kochen können. Somit lässt er die Lebensmittel auch nicht verkommen und versorgt Bedürftige.
Ein Marktleiter will den Panikkäufen von Toilettenpapier mit erhöhten Preisen für mehr als eine Packung Toilettenpapier entgegenwirken und die Mehreinnahmen in die Wissenschaft spenden.
Ein Rat des Rechtsexperten im ZDF Moma heute Morgen war, notwendige Stornierungen wenn möglich in Umbuchungen abzuwandeln, sodass nicht sofort Unsummen von Einnahmen wieder ausgezahlt werden müssten. Mit einem kleinen Entgegenkommen des Betreibers einer Unterkunft oder einer Fluglinie zum späteren Zeitpunkt hätten beide gewonnen.
Corona zeigt an einigen Stellen wunderbare Wirkung, wenn es um Menschlichkeit geht.
Umkehr zu Gott
Gott sucht unsere Herzen. Darum ist es bei der Annäherung an Gott so wichtig, dass wir selbstkritisch mit uns umgehen. Menschlichkeit ist Gott wichtiger als Tieropfer oder lieblos und routinemäßig gegebene Spenden. Um das zu vermeiden, sollten wir einen Blick in unser Leben zulassen.
Von den Opfertieren heißt es, dass sie makellos sein mussten. Jedes Tier musste also überprüft werden, ob es sich überhaupt zur „Nahung“ eignete. Das können wir in unserer Annäherung an Gott mit unserer Selbstüberprüfung und der Bereitschaft zur Umkehr vergleichen.
„Umkehr“ heißt auf Hebräisch תְּשׁוּבָה – „Teschuwa“. Gleichzeitig bedeutet dieses Wort: Antwort. Wenn wir bereit sind zur Besinnung und Umkehr, geben wir Gott eine Antwort auf Seine immer wiederkehrende Frage: Mensch, wo bist du?
Wir Menschen werden nie perfekt sein, aber darauf kommt es Gott nicht an. Es kommt IHM auf unsere Aufrichtigkeit und Umkehr an. Das macht uns würdig, vor IHN zu treten und uns IHM zu nahen.
Ein interessanter Nebeneffekt in Corona-Zeiten
Im Abschnitt um die Opfer ging es auch um die Zeiten wie Schabbat und weitere Feiertage. Gott hatte sowohl ihre Einhaltung als auch die Opfer geboten, und nun war ER ihrer überdrüssig!
Gebote einhalten ohne mit dem ganzen Herzen dabei zu sein, ist Gott ein Gräuel. Wer den Schabbat hält, soll sich ganz auf Gott und Sein Wort einlassen. Er soll sich in der Nähe zu Gott üben durch das Lesen und Lernen in der Tora. Der Alltag soll dabei nicht stören, weshalb nicht nur die Hausfrau die Speisen vorkochte, sondern auch keine Geschäfte getätigt werden und kein Geld in die Hand genommen wird. Was ist das für ein Schabbat, an dem man in Gedanken nur beim nächsten Geschäft ist oder mit seinen Nachbarn und Freunden nach dem Gottesdienst nur über den Kauf des nächsten Autos redet?!
Nun hat uns Corona im Griff, egal ob in Deutschland, Israel, Amerika, die ganze Welt und damit auch die ganze jüdische Welt. Und so stellte Johannes Gerloff in einem lesenswerten Artikel fest, dass in Zeiten dieser Ausgangsbeschränkungen der Schabbat wieder gehalten wird! Wo will man hin? Was will man planen? Also gibt es wieder ein Einhalten des Schabbat.
https://www.mena-watch.com/israel-und-das-corona-virus/
Schabbat Schalom!
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