Predigttext vorgeschlagen für Sonntag, d. 5. März 2023

1 Und er fing an, in Gleichnissen zu ihnen zu reden: Ein Mensch pflanzte einen Weinberg und zog einen Zaun darum und grub eine Kelter und baute einen Wachtturm und verpachtete ihn an Weingärtner und reiste außer Landes. 2 Und er sandte zur bestimmten Zeit einen Knecht zu den Weingärtnern, damit er von den Weingärtnern [seinen Anteil] von der Frucht des Weinberges empfange. 3 Die aber ergriffen ihn, schlugen ihn und schickten ihn mit leeren Händen fort. 4 Und wiederum sandte er einen anderen Knecht zu ihnen; und den steinigten sie, schlugen ihn auf den Kopf und schickten ihn entehrt fort. 5 Und er sandte wiederum einen anderen, den töteten sie, und noch viele andere; die einen schlugen sie, die anderen töteten sie. 6 Nun hatte er noch einen einzigen Sohn, seinen geliebten; den sandte er zuletzt auch zu ihnen und sprach: Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen! 7 Jene Weingärtner aber sprachen untereinander: Das ist der Erbe! Kommt, lasst uns ihn töten, so wird das Erbgut uns gehören! 8 Und sie ergriffen ihn, töteten ihn und warfen ihn zum Weinberg hinaus. 9 Was wird nun der Herr des Weinbergs tun? Er wird kommen und die Weingärtner umbringen und den Weinberg anderen geben! 10 Habt ihr nicht auch dieses Schriftwort gelesen: »Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden. 11 Vom Herrn ist das geschehen, und es ist wunderbar in unseren Augen«? 12 Da suchten sie ihn zu ergreifen, aber sie fürchteten das Volk; denn sie erkannten, dass er das Gleichnis gegen sie gesagt hatte. Und sie ließen ab von ihm und gingen davon.

Schlachter-Übersetzung 2000

Die Deutung dieses Gleichnisses läuft meistens auf die Substitutionstheologie = Ersatztheologie hinaus. Zeigt nicht Jesus ganz deutlich, dass Israel sich an Gottes Sohn, dem geliebten und einzigen, Jesus, vergreift? Dass Israel darum alles genommen und den Christen gegeben werden wird?

Wenn wir diese Stelle im Zusammenhang mit Jesu anderen Aussagen sehen, ist es unter der Bedingung wirklich möglich, dass Jesus an dieser Stelle von der Überwindung des Judentums spricht? Nur wenige Sätze weiter stellt er dagegen die Kernbotschaft des Judentums in den Mittelpunkt, wenn er sagt:
Mk. 12,29 Das erste Gebot unter allen ist: »Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist Herr allein; 30 und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Denken und mit deiner ganzen Kraft!« Dies ist das erste Gebot. 31 Und das zweite ist [ihm] vergleichbar, nämlich dies: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!«
Seine Lehre verweist immer wieder auf den Vater, der allein alle Macht hat, an den er sich immer wieder wendet?  
Joh. 5,19 Der Sohn kann nichts von sich selbst aus tun, sondern nur, was er den Vater tun sieht; denn was dieser tut, das tut gleicherweise auch der Sohn.
Und ist es wirklich möglich, dass er die Tora außer Kraft setzt, von der er sagt:
Matth. 5,18 Denn wahrlich, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergangen sind, wird nicht ein Buchstabe noch ein einziges Strichlein vom Gesetz vergehen, bis alles geschehen ist.

Wir müssen uns vielmehr in der Hebräischen Bibel genauer umschauen, um zu die Schlussbemerkung seiner Pharisäerkollegen zu verstehen.

In Jeremia 40f ist die Zeit zu Beginn des Babylonischen Exils gemeint. Nebukadnezer hatte das Land Juda eingenommen und die einflussreiche und wohlhabende Bevölkerung getötet oder gefangen nach Babel weggeführt. Die ärmere Bevölkerung ließ er in Juda, damit das Land weiterhin beackert werden konnte und nicht zur Öde würde. Über diese hatte Nebukadnezer Gedalja als Landesherrn gesetzt. Die Vorhersage Gottes des Exils hatte sich nunmehr bewahrheitet.
Der Prophet Jeremia wird vor die Wahl gestellt, in Juda bei Gedalja zu bleiben oder Gast bei den Reichen in Babel zu sein. Er entschied sich für Juda und ging nach Mizpa, wo er bei Gedalja unter dem Volk wohnte.

Jer. 40,9 Und Gedalja, der Sohn Achikams, des Sohnes Schaphans, schwor ihnen und ihren Leuten und sprach: Fürchtet euch nicht davor, den Chaldäern zu dienen; bleibt im Land und dient dem König von Babel, so wird es euch wohlergehen! 10 Seht, ich selber bleibe in Mizpa, um euch zu vertreten vor den Chaldäern, die zu uns kommen werden.

Gedalja גְּדַלְיָה = JHWH (Adonai) ist groß ist der Sohn von Achikam אֲחִיקָם = mein Bruder hat sich aufgerichtet; er hat etwas errichtet. Auch die dritte Generation wird genannt, nämlich Schafan שָׁפָן = Hase, Klippdachs. Die genaue zoologische Zuordnung ist uns heute nicht mehr möglich, aber die Eigenschaften der Tiere können wir zuordnen: Aufmerksamkeit, Vorsicht, das Erkennen von Gefahren. Diese Triade, mindestens aber Dyade, wird in den Kapiteln 40 & 41, die für unser Verständnis des Gleichnisses wichtig sind, 13-mal aufgelistet. Nie wird Gedalja alleine genannt. Er steht als der Bekenner der göttlichen Größe immer gemeinsam mit seinem Vater, der als Bruder für sich und andere etwas errichtete, während der Großvater, der ein aufmerksames und feines Gespür für die Zeichen der Zeit hatte, schon mal fehlen kann. Die 13-malige Erwähnung verweist auf die Liebe 13 =אַהֲבָה 1+5+2+5 ahawa und auf die Einheit Gottes אחד echad 13 = 1+8+4=13
Gott, der Weinbergsbesitzer, hält alles in der Hand und agiert in treuer Liebe, die in der Strenge der Erziehung für ein Kind meist unsichtbar ist. Aber vorher hätten die Kind die Liebe in all der Fürsorge und Pflege des Weinbergs erkennen können sowie im Schutz, der durch den Bau eines Zaunes geschaffen wurde. Doch sie hatten den Weinbergbesitzer über die Maßen verärgert durch ihre Untreue, ihren Ungehorsam, den die Propheten immer wieder beim Namen genannt hatten. Das Volk, die Kinder Gottes, wollten nicht hören. Wie viel Leid hatten sie in ihrer Selbstgerechtigkeit Jeremia erfahren lassen! Doch jetzt war es zu spät. Nun musste das Volk sich unter Gottes Beschluss beugen.

Gedalja erkannte das. Es ging der Bevölkerung in Juda unter seiner Leitung gut, denn er ermutigte sie zur Loyalität gegenüber der herrschenden Macht. Darin erkannte Gedalja den Weg und Auftrag Gottes. Und so kam es,
Jer.40,12 da kehrten alle diese Juden wieder zurück von den Orten, wohin sie vertrieben worden waren; und sie kamen in das Land Juda zu Gedalja nach Mizpa; und sie ernteten Wein und Obst in sehr großer Menge.

So günstig kann es für beide Seiten in einem Land aussehen, wenn sie trotz veränderter Machtverhältnisse am Frieden, am gegenseitigen Wohlstand und Respekt interessiert sind. Ist aber eine Seite an Unterdrückung der eigenen Bevölkerung interessiert und kämpft ohne Rücksicht um Macht und Boden, so haben alle Beteiligten darunter zu leiden.

Dann aber kam Jochanan יוֹחָנָן = Gott ist Gnade, der Sohn Kareachs קָרֵחַ = des Kahlköpfigen, des eher Kühlen und Berechnenden, zu Gedalja. Er war Heerführer und erschien vor Gedalja mit seinen Kollegen, um ihn vor dem Juden Jischmael יִשְׁמָעֵאל = Ismael = Gott wird hören zu warnen. Der hatte sich mit den Ammonitern verbündet, weil er sich Hilfe nicht von Gott, sondern von dieser Macht erhoffte. Ammon עַמּוֹן = ein Völkchen war ein Sohn Lots, den seine jüngere Tochter von ihm empfangen hatte, nachdem Sodom und Gomorra untergegangen waren. Gott war auf die Ammoniter nicht gut zu sprechen, denn sie hätten Israel nach ihren eigenen Plänen in der Wüste kaltblütig sterben lassen.
Dtn. 23,4 Kein Ammoniter oder Moabiter soll in die Gemeinde des EWIGEN kommen; auch die zehnte Generation ihrer Nachkommen soll nicht in die Gemeinde des EWIGEN kommen auf ewig, 5 weil sie euch nicht mit Brot und Wasser entgegenkamen auf dem Weg, als ihr aus Ägypten gezogen seid, und dazu Bileam, den Sohn Beors, aus Petor in Aram-Naharajim gegen euch in Lohn genommen haben, damit er dich verfluche.

Jochanan sprach zu Gedalja:
Jer.40,14 Weißt du auch, dass Baalis, der König der Ammoniter, Ismael, den Sohn Netanjas, gesandt hat, um dich zu ermorden? Aber Gedalja, der Sohn Achikams, glaubte ihnen nicht. 15 warum soll er dich am Leben schlagen, daß alle von Jehuda, die sich um dich gesammelt haben, sich zerstreuen, daß der Überrest Jehudas schwindet! 16 Da sprach Gedalja, der Sohn Achikams, zu Jochanan, dem Sohn Kareachs: Du sollst diesen Anschlag nicht ausführen; denn du redest Lügen über Ismael!

Gedalja glaubte Jochanan nicht. Er traute einem anderen Juden eine solch hinterhältige Tat nicht zu. Und er wollte kein Blutvergießen, das bei den Machthabern unter Umständen für Misstrauen gesorgt hätte. Doch das Unvorstellbare geschieht:

Jer. 41,2  Aber Ismael, der Sohn Netanjas, und die zehn Männer, die bei ihm waren, standen auf und erschlugen Gedalja, den Sohn Achikams, des Sohnes Schaphans, mit dem Schwert; und so tötete er den, welchen der König von Babel über das Land gesetzt hatte. 3  Auch alle Juden, die in Mizpa bei Gedalja waren, und die Chaldäer, die Kriegsleute, die sich dort befanden, erschlug Ismael.

Der blutrünstige Mörder war mit seiner grausamen Tat unter Juden und Babyloniern noch nicht zu Ende, denn:
Jer. 41,5 da kamen Männer aus Sichem, aus Silo und Samaria, 80 Mann, die ihre Bärte geschoren, die Kleider zerrissen und sich Einschnitte gemacht hatten; die hatten Speisopfer und Weihrauch bei sich, um es zum Haus des EWIGEN zu bringen.
Sie trauerten laut Raschi um den Tempel, von dessen Zerstörung sie erst kurz zuvor erfahren hatten.
Jer. 41,8 Unter jenen aber waren zehn Männer, die sprachen zu Ismael: Töte uns nicht, denn wir haben noch verborgene Vorräte im Acker, Weizen, Gerste, Öl und Honig! So verschonte er sie und tötete sie nicht mit ihren Brüdern. 9 Die Zisterne aber, in die Ismael alle Leichname der Männer werfen ließ, die er wegen Gedalja erschlagen hatte, ist die, welche der König Asa wegen Baesas, des Königs von Israel, hatte machen lassen; die füllte Ismael, der Sohn Netanjas, mit den Erschlagenen.

Die 10 Männer konnten so durch Bestechung ihr Leben retten, denn Ismael war korrupt und gierig. Nach jüdischer Auffassung waren sie verpflichtet, ihr Leben zu retten, denn jedes einzelnes Leben zählt so viel wie eine ganze Welt. (Mischna, Sanhedrin 4:5)
10 ist ein Hinweis auf den Einen Gott, auf den sie vermutlich gehorchten und nach Seinen Geboten (10) lebten. Die Ermordeten aber füllten einen Graben, den König Asa von Juda als Schutzgraben hatte ausheben lassen gegen die israelischen Angriffe des Nordreiches. Ein anderer innerjüdischer Konflikt! Kann man sich das Blutbad vorstellen, das ebenfalls einen innerjüdischen Konflikt darstellt?!

Auch hier hatte der Weinbergsbesitzer Gott, dessen Weinberg Israel ist, Seine Knechte in Gestalt Seiner Propheten zu Seinem Volk geschickt – Knecht oder Sklave = עֶבֶד ewed. ER suchte die Frucht der Tora im Leben Seiner Kinder, aber – sie brachten keine hervor. Im Gegenteil, durch Götzendienst war das Volk ungehorsam geworden, hatte gesündigt und sich von Gott entfernt. Infolgedessen schickte Gott seinen geliebten und vertrauenswürdigen Sohn, in unserem Fall Gedalja, der Gottes Wort befolgte und friedfertig das Volk aufrief, ebenfalls auf Gott zu hören und das Land zu bebauen. Schließlich wurde er von einem anderen Sohn seines eigenen Volkes hinterhältig ermordet.

Gottes Söhne und Töchter sind wir alle, doch wer auf Gott vertraut, IHM gehorcht und in den Wegen Seiner Tora wandelt, kommt Gott besonders nahe. Jehoschua spricht zu seiner Zeit wiederum von einem innerjüdischen Konflikt in einer konfliktreichen Zeit. Auch heute ist wieder zu sehen, dass die Juden Israels untereinander uneinig sind. Da wird zurecht Sorge laut. Im Angesicht von Feinden, die Israel damals wie heute vernichten wollten und wollen, ist eine solche Situation äußerst prekär.

Dagegen verstanden die Pharisäer den Wink mit dem Zaunpfahl. Sie wussten um die Querelen unter ihren verschiedenen Strömungen. Sie gingen nicht gerade zimperlich miteinander um.

Mit dem „Stein, den die Bauleute verwarfen“ meinte David sich selbst, da er von seinen Brüdern und der Gesellschaft in Bethlehem (1.Sam. 16) abgelehnt und verleugnet wurde. Entgegen ihrer Unkenrufe baute Gott aus ihm das bedeutendste Königreich. Sein Sohn durfte den Tempel in Jerusalem erbauen und aus seinem Geschlecht wird am Ende der Tage der gesalbte König, der Maschiach מָשִׁיחַ = Messias, der Gesalbte, erstehen. Dementsprechend sagt Jehoschua, dass selbst, wenn die Weingärtner den Sohn des Besitzers getötet haben werden, sie dadurch das Problem nicht aus der Welt geschafft haben werden. Er bezieht das Psalmenwort auf sich, sowie er die Zerstörung und den Wiederaufbau des Tempels auf sich bezog, was die anwesenden Juden (innerjüdisches Problem!) nicht verstanden.
Joh. 2,20 Da sprachen die Juden: In 46 Jahren ist dieser Tempel erbaut worden, und du willst ihn in drei Tagen aufrichten? 21 Er aber redete von dem Tempel seines Leibes.

Ebenso löste die Ermordung Gedaljas das Problem des Exils und der Fremdherrschaft nicht. Einige aus Juda, die Ismael weggeführt hatte, flohen mit Jochanan nach Ägypten, obwohl Gott es untersagt hatte. In Babylonien sollte gemäß Gottes Willen ein neues und lebendiges Judentum erstehen. Und so erstand hier die größte jüdische Gelehrsamkeit, die den Babylonischen Talmud, die größte Autorität des rabbinischen Judentums, hervorbrachte.
Gott kommt zu Seinem Ziel, sogar gegen menschliche Pläne und ihre frevelhaften Taten. Als das Exil in Babylonien endete, blieben etliche Juden dort, weil sie sich heimisch fühlten. Im Gedenken an den grausamen Tod Gedaljas und seiner Untergebenen wurde von den Rabbinern ein Fasttag eingeführt.[1]

Auch das Römische Exil ließ sich durch die Ermordung Jehoschuas nicht vermeiden. Es endete erst 1948 mit der Staatsgründung Israels. Trotzdem leben weiterhin viele Juden im Ausland, weshalb das Exil nach jüdischer Auffassung noch anhält. Die Meinungsverschiedenheiten unter der Bevölkerung sind ein Zeichen, dass der Maschiach bald kommen muss. Zwischenzeitlich beten wir um Verständigung und Einigung unter dieser multi-ethnischen Bevölkerung, weil Einheit die Stärkung der Nation bedeutet und die Beziehung zu Wortes Gottes besser ermöglicht.


[1] https://de.chabad.org/library/article_cdo/aid/5040/jewish/Gedalia.htm

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