Predigttext vorgeschlagen für Sonntag, d. 24.10.2021

Mt. 10,34 Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. 35 Denn ich bin gekommen, die Männer gegen ihre Väter aufzubringen, die Töchter gegen ihre Mütter und die Schwiegertöchter gegen ihre Schwiegermütter. 36 Feindlich sind einander die Menschen, die zusammen ein Haus bewohnen. 37 Die ihren Vater oder ihre Mutter mehr lieben als mich, passen nicht zu mir, und auch die, die ihre Söhne und Töchter mehr lieben als mich, passen nicht zu mir. 38 Wer das eigene Kreuz nicht aufnimmt und mir nachfolgt, passt nicht zu mir. 39 Wer das eigene Leben findet, wird es verlieren, und wer das eigene Leben meinetwegen verloren hat, wird es finden.

Bibel in gerechter Sprache

Ein Text, den Christen nicht gerne hören, liegt hier vor den Kirchenbesuchern. Ist Jesus nicht darum gestorben, um allen Menschen Liebe, Frieden und Heil zu geben? Dieser Text klingt so ganz anders. Er erinnert daran, wie Jesus harsch fragt:
Mt. 12,48 Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Brüder?

Jesus ist kein Friedensaktivist, kein kuscheliger, gemütlicher Rabbi, der Frieden um jeden Preis sucht, sondern ein kompromissloser Nachfolger seines Gottes und Königs, der seine Schüler ebenfalls zu diesem Weg anhält. Niemals würde er gegen die Tora und das Gebot, die Eltern zu ehren, aufrufen, aber er weiß ganz genau, dass Zeiten kommen werden, die eine schmerzliche Entscheidung fordern. Unter den Römern zu leben, heißt für ihn, keine Kompromisse zu schließen, wie es das 10. Kapitel in seiner Gesamtheit verdeutlicht.
In späteren Diktaturen haben uns Menschen ebenfalls vorgelebt, was es heißt, die Gebote Gottes an erste Stelle zu setzten gegen die Gesetze des Diktators. Unter solchen Umständen durfte man den engsten Vertrauten eben nicht vertrauen, sei es unter der Nazi-Herrschaft oder in der DDR-Diktatur.

Jesus greift zurück auf den Propheten Micha, der in vergleichbaren Umständen von Verfolgung lebte und bei dem es heißt:
Mi. 7,5 Nimmer dürft ihr dem Genossen vertrauen, nimmer euch auf den Gefährten verlassen! vor ihr, die dir im Schoß liegt, hüte die Pforten deines Munds! 6 denn der Sohn verunehrt den Vater, die Tochter steht wider ihre Mutter, die Schnur wider ihre Schwieger, des Mannes Feinde sind die Leute seines Hauses.

Solche Situationen, wo ein Riss durch Familien hindurchgeht, sind seit alters her bekannt. Leider sind sie auch heute aktuell, wenn die Fragen rund um Corona Familien spalten und man nicht mehr miteinander reden kann. Wo Verschwörungstheorien auf der einen Seite stehen und Fakten, vielleicht ebenso Glaube, auf der anderen.

Wenn Jesus von Frieden spricht, welchen meint er dann überhaupt? Natürlich kennen viele Leser die Begrüßung „Schalom – שלום“, doch sie ist nicht einfach Ausdruck eines Friedensgrußes. Schalom meint die Ganzheit eines Menschen, sein Einssein mit sich selbst und mit Gott. Bin ich in der Zerrissenheit oder im Schalom?
Es hat seine Wurzel in שָׁלֵם schalem = vollständig. So bedeutet die häufig gestellte Frage in Israel: „מה שלומך?“ „Ma schlomcha?“ oder an die Frau „Ma schlomech?“ in der Tiefe: „Wie ist es um deine Ganzheit bestellt? Bist du in Übereinstimmung mit dir, mit deinem Gott?“

Jesu Wort ist heute so aktuell wie zu jeder anderen Zeit, wenn die einen säkular sind, Glaube und Werte verwässern, die anderen auf Gott ausgerichtet bleiben wollen. Zerrissenheit zeigt sich in der Gesellschaft!
Jesus legt als gläubiger und observanter Jude sehr hohe Maßstäbe fest, die eigentlich nicht zu erreichen sind, wie in seiner Berglehre. Mit den Worten von Pinchas Lapide ist er damit ein „Maximalist“. So vertritt er die Lehre Rabbi Schammajs, der ein Verschärfer des Wortes war. Und an anderen Stellen vertritt er die Lehre Rabbi Hillels, der ein Erleichterer des Wortes war, ein sog. „Minimalist“. Ihm wird der Satz zugeschrieben:
Mt. 7,12 Alles nun, was ihr wollt, dass die Leute euch tun sollen, das tut auch ihr ihnen ebenso; denn dies ist das Gesetz und die Propheten.

Jesus fordert seine Zuhörer auf, in alltäglichen wie in bedrohlichen Situationen Gott an die erste Stelle zu setzten, wie es im täglich zwei Mal gesprochenen Schma-Gebet heißt:
Dtn. 6,4 Höre Jissrael: ER unser Gott, ER Einer! 5 Liebe denn IHN deinen Gott mit all deinem Herzen, mit all deiner Seele, mit all deiner Macht. 6 Es seien diese Reden, die ich heuttags dir gebiete, auf deinem Herzen, 7 einschärfe sie deinen Söhnen, rede davon, wann du sitzest in deinem Haus und wann du gehst auf den Weg, wann du dich legst und wann du dich erhebst, 8 knote sie zu einem Zeichen an deine Hand, sie seien zu Gebind zwischen deinen Augen, 9 schreibe sie an die Pfosten deines Hauses und in deine Tore!
Jesu Maxime heißt: Gehe ganz mit deinem Gott! Oder wie Gott den 99jährigen Abraham aufrief:
Gen. 17,1 … Ich bin der Gewaltige Gott. Geh einher vor meinem Antlitz! sei ganz! תָמִים tamim
Mach mit Gott keine halben Sachen, denn ER ist heilig! Sei mit ungeteiltem Herzen bei Gott!

Sogar die Talmudväter hatte Jesus im Blick, wie mein Mann Yuval für mich herausfand. Sie überlegten und diskutierten zu seiner Zeit, welches der Gebote Gottes die Einhaltung eines anderen verdrängen könne. Sie kamen jedoch zu dem Schluss, dass es niemals das Gebot der Elternehrung sein könne, denn sie gaben den Eltern nicht denselben Stellenwert wie Gott. Deshalb musste jeder seine Eltern „verunehren“, der von ihnen angehalten wurde, beispielsweise den Schabbat zu brechen (Jewamoth 5b), eine Straftat zu begehen wie die Veruntreuung eines gefundenen Tieres oder sich durch einen Toten rituell zu verunreinigen (Bawa Metzia 32a). Die Ehrung von Vater und Mutter kennt also Grenzen.

Es wird nämlich gelehrt: Man könnte glauben, die Ehrung von Vater und Mutter verdränge das Šabbathgesetz, so heißt es:102 [Lev. 19,3] Lev. 19,3.ihr sollt jeder Mutter und Vater fürchten, und meine Šabbathe sollt ihr beobachten; ihr alle seid zu meiner Ehrung verpflichtet. Wohl in dem Falle, wenn [sein Vater] zu ihm sagt: schlachte103 [Am Šabbath, worauf die Ausrottung gesetzt ist] für mich, koche für mich, und nur aus dem Grunde, weil der Allbarmherzige geschrieben hat: meine Šabbathe sollt ihr beobachten, sonst aber würde es104 [Das Gebot, Vater u. Mutter zu ehren; man könnte folgern: ebenso auch hierbei] verdrängt haben. — Nein

Jewomoth 5b:[1]

BEFINDET ES SICH AUF EINEM BEGRÄBNISPLATZE, SO DARF ER SICH DIESERHALB NICHT VERUNREINIGEN. Die Rabbanan lehrten: Woher, daß, wenn sein Vater zu ihm sagt, daß er sich verunreinige, oder daß er es nicht zurückbringe, er ihm nicht gehorche? Es heißt:362 [Lev. 19,3] ihr sollt ein jeglicher seine Mutter und seinen Vater fürchten, und meine Ruhetage sollt ihr beobachten; ich bin der Herr; meine Ehrung363  [Die in der Befolgung der Gebote besteht] ist euch allen geboten.

Bawa Metzia 32a:[2]

Jesus ruft als Bevollmächtigter Gottes in dessen Namen auf: „Wer Vater oder Mutter mehr liebt als MICH, den Heiligen Israels!“, denn er stellt immer Gott Vater in den Mittelpunkt seiner Lehre. Wenn man den Talmud liest, ist diese Art der Zitierung den damaligen Juden sehr vertraut.
Falls er doch von sich sprechen sollte, sieht er sich als gehorsamen Nachfolger Gottes wie einst Mose, an den die Kinder Israel glauben sollten (Ex. 19,9). Wie seine großen Vorbilder und Vorväter Abraham, Mose, David, die bis auf Mose in Jesu Stammbaum vorkommen, weiß er sich mit Gott verbunden, weiß sich in Übereinstimmung mit IHM und Seinem Willen.

Er fordert nicht, Vater und Mutter nicht oder weniger zu lieben, sondern ihnen nicht den mit Gott gleichrangigen Stellenwert zu gewähren. Das Einhalten der Gebote Gottes hat Vorrang, denn der Schabbat ist nicht nur ein Gebot, er ist ein Bundeszeichen! Dessen ungeachtet sollten Eltern ihre Kinder dazu anhalten, Gott mehr zu gehorchen als Menschen (Apg. 5,29). Nur so lernen sie, auch in schweren und bedrohlichen Zeiten, die unweigerlich kommen werden, die Prüfungen zu bestehen. Wer diese Maßstäbe nicht an sich  anlegen lässt und sie nicht lebt, „passt nicht“ zu Jesus, genügt seinen hohen Ansprüchen nicht.  

Die Grundlage für die korrekte Übersetzung der BigS findet sich in der Rückübersetzung und führt uns in die Lebenswelt Jesu. Dort heißt es: אֵינוֹ כְדַי לִי ejno kedaj li – ist mir nicht genug, so wie es in dem Pessach-Lied im positiven Sinn heißt: דיינו Dajenu = es ist für uns genug. Wenn wir den Gottesnamen שַׁדָּי אל El Schaddaj ansehen, so wohnt ihm die Bedeutung inne: Gott, der genügt von שׁדָּי sche daj – der genügt.

Jesus möchte mit echten Gleichgesinnten Beziehung leben, andere kann er darum schroff zurückweisen. Zu den Gleichgesinnten gehören eben diejenigen, die nicht den leichten Weg auf Kosten ihres Glaubens wählen, sondern die für ihre Überzeugungen einstehen und bereit sind, bildlich gesprochen oder real, Lasten zu tragen. Die größte Last war zu Jesu Zeit das Römerkreuz. Nicht jeder musste wie er den Weg des grausamen Todes gehen, doch mit Gottes Hilfe sich in gewaltigen Schwierigkeiten bewähren. Und wenn die Situation es erforderte, so galt: Dein irdisches Leben ist nicht so wichtig, denn es ist nur das äußere, vergängliche Leben. Das wirkliche, ewige Leben deiner Seele kann niemand nehmen!
Im gesamten Kapitel 10 bereitete Jesus seine Nachfolger auf Bedrängnis und Lebensgefahr vor, wie bereits oben erwähnt:
Mt. 10,28 Ängstigt euch nicht vor denen, die den Körper töten. Das Leben [die Seele] aber können sie nicht vernichten. 29 Werden nicht zwei Spatzen für Kleingeld verkauft? Und doch fällt keiner von ihnen ohne Gott zur Erde. 30 Nun sind aber sogar eure Haare auf dem Kopf alle gezählt! 31 Habt nun keine Angst, wie verschieden seid ihr und die Spatzen.

Seien es Zeiten der Verfolgung durch Diktatoren oder Zeiten, da der Glaube verweichlicht wird, unser Blick bleibt auf Gott gerichtet, der uns das Leben gab und es um Seines Namens Willen erhält. Wir könnten alles verlieren, aber wir können in der kommenden Welt für ewig mit Jesus und allen Gerechten leben, wenn wir das Leben nach Gottes Weisungen und Geboten, die in der Tora stehen, wählen.


[1] https://www.sefaria.org/Yevamot.5b.13?ven=Talmud_Bavli._German_trans._by_Lazarus_Goldschmidt,_1929_[de]&lang=bi

[2] https://www.sefaria.org/Bava_Metzia.32a.15?ven=Talmud_Bavli._German_trans._by_Lazarus_Goldschmidt,_1929_[de]&lang=bi

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