Hoffnung auf das himmlische Bankett in der Sukka aus der Haut des Leviathan

vorgeschlagen für Sonntag, d. 13.06.2021

15 Als er das hörte, sagte einer von den Leuten bei Jeschua am Tisch zu ihm: „Wie gesegnet sind die, die Brot essen im Reich Gottes!“
16 Doch er antwortete: „Einmal gab ein Mann ein Festmahl und lud viele Leute ein. 17 Als die Zeit zum Festmahl kam, sandte er seinen Sklaven, um denen, die eingeladen waren, zu sagen: Kommt! Alles ist bereit! 18 Doch sie entgegneten mit einem Chor von Entschuldigungen. Der erste sagte zu ihm: ‚Ich habe gerade einen Acker gekauft und muss nun hinausgehen und ihn ansehen. Bitte entschuldige mich.‘ 19 Und ein anderer sagte: ‚Ich habe gerade fünf Joch Ochsen gekauft und bin auf dem Weg, sie auszuprobieren. Bitte entschuldige mich.‘ 20 Noch ein anderer sagte: ‚Ich habe geheiratet, deshalb kann ich nicht kommen.‘
21 Der Sklave kam und berichtete diese Dinge seinem Herrn. Da forderte der Besitzer des Hauses voller Zorn seinen Knecht auf: ‚Rasch, geh hinaus in die Straßen und Gassen der Stadt; und hol die Armen, die Mißgestalteten, die Blinden und die Verkrüppelten herein!‘
22 Der Sklave entgegnete: ‚Lieber Herr, was du geheißen hast, ist getan, und es ist immer noch Platz.‘
23 Und der Herr sagte zu dem Sklaven: ‚Geh hinaus an die Landstraßen und an die Grenzmauern, und überrede die Leute, hereinzukommen, damit mein Haus voll werde.
24 Ich sage euch, daß keiner von denen, die eingeladen waren, mein Festmahl schmecken wird!

Das Jüdische Neue Testament, David Stern זל, Hänssler 1994

Der Kontext dieses Gleichnisses ist eine Einladung Jesu im „Haus eines Obersten der Pharisäer“ am Schabbat. Noch heute ist es üblich, nach dem Schabbatgottesdienst Gäste zum Essen einzuladen, denn niemand soll an diesem heiligen Tag alleine sein. Dieses Essen ist die zweite Mahlzeit am Schabbat. Die erste nimmt man am Freitagabend, an Kabbalat Schabbat zu sich, die zweite nach dem Gottesdienst und die dritte am Nachmittag vor Ausgang des Schabbat. Es gilt als gute Tat, Gäste nach dem Gottesdienst einzuladen, gemäß der Gastfreundschaft Abrahams.

An diesem Schabbat geschieht so einiges. Zuerst sieht Jesus einen wassersüchtigen Mann. Vielleicht kam er, weil er Jesus unter den Gästen wusste. Aus dem Zusammenhang ist erkennbar, dass er nicht einer der Gäste war. Rabbi Jesus nutzt – besonders unter seinen Pharisäer-Kollegen – die Gelegenheit zu einem Lehrgespräch. Auch heute noch ist es üblich, nach dem Essen eine „Drosche“ oder „Drascha“ (דְרָשָׁה), also eine Auslegung zur Tora, zu geben. In diesem Fall geht es um das Heilen am Schabbat, das damals noch kontrovers diskutiert wurde, als um die Verschriftlichung der Mischna (1. Teil des Talmuds) gerungen wurde. Heute gilt die Maxime:
(Joma 85b): „Siehe, der Schabbat ist euch übergeben, nicht ihr seid dem Schabbat übergeben.“
Und so, wie im Babylonischen Talmud (bSchab 128b) Nothilfe für Tiere am Schabbat erlaubt ist, so ist auch jede Hilfeleistung für Menschen am Schabbat erlaubt. Selbst wenn keine akute Lebensgefahr besteht, gilt es, ein Leiden so schnell wie möglich zu lindern, damit der Mensch schnell wieder einen Schabbat in Gesundheit feiern kann. Deshalb heilt Jesus unverzüglich den Kranken und entlässt ihn.

Im Folgenden beobachtet Jesus die Gäste und bringt ihnen ein Gleichnis. Mit diesem Gleichnis, das zur Bescheidenheit aufruft, bleibt er ganz im Tanach, wo es heißt.
Spr. 25,6 Maße dir nicht Ehre an vor dem König, und stelle dich nicht an den Platz der Großen; 7 denn besser, man sagt zu dir: «Komm hier herauf!» als dass man dich vor dem Fürsten herabsetzt, …

Außerdem nimmt er Bezug auf einen Spruch Hillels: „Meine Erniedrigung ist meine Erhöhung, meine Erhöhung ist meine Erniedrigung.“ „In bEr 13b heisst es: Jeder, der sich erniedrigt, den erhöht der Heilige, und wer sich erhöht, den erniedrigt der Heilige.“[1]
Den Spruch Hillels wird Jesus gekannt haben, da auch Flusser annimmt, dass Hillel Jesu Lehrer war.

Seinem Gastgeber gibt Jesus noch eine Weisung aus dem Tanach, aus seinem Lieblingspropheten Jesaja, der mit ihm namensverwandt ist. [לְהוֹשִׁיעַ lehoschi’a Futur יוֹשִׁיעַ joschia, er wird erlösen, retten – Josia, Josua, Hosea, Jesaja, Jesus = Jehoschua]
Jes. 58,6 Ist nicht das ein Fasten, wie ich es liebe: dass du ungerechte Fesseln öffnest, die Stricke des Joches lösest? dass du Misshandelte ledig lässest und jedes Joch zerbrichst? 7dass du dem Hungrigen dein Brot brichst und Arme, Obdachlose in dein Haus führst? wenn du einen Nackten siehst, dass du ihn kleidest und dich den Brüdern nicht entziehst? 
Für Jesus sind, wie in den Geboten der Tora, die Armen und Benachteiligten wichtig.
Lev. 19,13 Presse nicht deinen Genossen. Raube nicht. Nicht nachte das Erarbeitete eines Löhners bei dir bis an den Morgen. 14 Lästre nicht einen Tauben, vor einen Blinden lege nicht einen Anstoß: fürchte dich vor deinem Gott. ICH bins.
Sie sollen so zu dem Tisch des Gastgebers oder des im Gleichnis nicht näher bezeichneten Mannes kommen, wie Gott sie heimholt nach Israel.
Jer. 31,8 Siehe, ich führe sie heim aus dem Lande des Nordens und sammle sie von den Enden der Erde, auch die Blinden und Lahmen, die Schwangern und Gebärenden insgesamt; als große Gemeinde kehren sie hierher zurück.

Interessant ist, dass einer der Gäste, nicht Jesus selbst, den Hinweis auf das Essen im Reich Gottes gibt. So ist dem Judentum auch ein himmlisches Bankett nicht fremd, bei dem in messianischer Zeit der Leviatan, eine Art Seeungeheuer, verspeist wird.

In seinem Gleichnis lässt ein Mann zu einem Festmahl einladen, für das er wohl kein genaues Datum angegeben hatte. Er schickt seinen Knecht erst mit den Benachrichtigungen los, als das Mahl bereitet ist. Da ist es vielleicht nicht verwunderlich, dass die Geladenen gerade anderen Aufgaben nachgehen. Sicher hätten sich die Termine für den Kauf der Ochsen oder des Ackers verschieben lassen, wenn das Datum rechtzeitig bekannt gewesen wäre. Auch heute braucht eine Einladung eine lange Vorlaufzeit. Die ist hier scheinbar nicht gegeben. Aber es gibt eine wichtige Geschichte im Talmud, die über unsere Zeiteinteilung nachdenken lässt:

„Rabbi Eliezer lehrte: ‚Bereue einen Tag vor deinem Tod‘ und die Notwendigkeit, jederzeit bereit zu sein, vor Gott zu erscheinen, illustriert durch das Gleichnis von den Weisen und den Toren, die zum Fest des Königs eingeladen wurden. [In diesem Wunsch, in Harmonie mit Gott zu sein, der den Kern und das Wesen des Judentums ausmacht, fanden die Rabbiner die spirituelle Bedeutung der Heiligkeit des Sabbats.]“ (bSchabbat 153a)

Die Aufforderung, einen Tag vor seinem Tod zu bereuen, macht deutlich, dass es sich in unserem Gleichnis wohl doch eher um Ausreden handelt. Gott ruft uns jeden Tag zur Umkehr. ER kann ungeachtet all unserer Pläne unserem Leben ein Ende bereiten. Jesus prangerte schon vorher Ausreden an. Er konfrontierte seine möglichen Nachfolger auf dem Weg Gottes mit ihren Ausreden, mit denen sie diese Entscheidung auf einen späteren Zeitpunkt verschieben wollten. Er antwortete ihnen scharf:
Lk. 9,60 Da sprach er zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes! 
Wir sehen, wenn Gott ruft, müssen wir bereit sein, um unsere Chance hier für ein erfülltes Leben und für ein Leben mit Gott in der kommenden Welt nicht zu verpassen.

Und so geht das Gleichnis weiter, indem der Mann nun seinen Knecht an die „Hecken und Zäune“, „an die Landstraßen und an die Grenzmauern“ schickt, um die Benachteiligten und Ausgestoßenen an seinen Tisch zu laden. Es stellt sich heraus, dass so viel Speise vorbereitet war, dass es für die Geladenen zu viel gewesen wäre. Das Haus soll voll werden und es wird voll!

Das obige Gleichnis passt genau, da dass diese endlich gerufenen Menschen das Angebot zur Umkehr gerne annehmen. Von den Reichen missachtet, hatten sie in der jüdischen Gemeinschaft wenig Gelegenheit dazu. Sozialkritiken hören wir besonders vom Propheten Amos.
Amos 2,6 So hat ER gesprochen: Ob dreier Frevel Jissraels, ob vierer kehre ichs nicht ab, drob daß den Bewährten sie verkaufen um Silber, den Dürftigen um eines Paars Schuhe willen, 7 die nach der Armen Haupt treten auch noch im Erdenstaub und die Gebeugten abdrängen vom Weg, der Mann und sein Vater gehn zu der Dirne, den Namen meiner Heiligung preiszugeben, 8 uf gepfändeten Gewandtüchern drängen sie sich neben alljede Schlachtstatt, und den Wein der Gebüßten saufen sie im Haus ihres Gottes.

Flusser schreibt zu V24 Ich sage euch, daß keiner von denen, die eingeladen waren, mein Festmahl schmecken wird!: „In einem rabbinischen Gleichnis mit demselben Hauptthema sagt der Gastgeber am Ende: ‚Diese mögen essen und trinken, doch jene sollen stehen, zusehen, geschlagen werden und bereuen!‘“[2]
„Die rabbinische Parallele lehrt uns, dass es Jesus ursprünglich um die abschliessenden Worte des Gastgebers ging.“[3]

So geht es auch in Jesu Gleichnis um die Chance der Benachteiligten, eingegliedert zu werden in die Gemeinschaft. Wenn wir ehrlich sind, finden sich auch in christlichen Gemeinden und Gruppen eher wohlsituierte Menschen. Von ihnen kann finanzielle Beteiligung an den Kosten für die Gemeinde erwartet werden oder die Kirchensteuer. Ich kenne nur wenige Beispiele, wo die Ausgegrenzten von den „Hecken und Zäunen“, von den „Landstraßen und Grenzmauern“ geholt werden.

Zum andern ist es eine Warnung, dass jeder Tag ein Tag der Umkehr sein muss, um Gottes Einladung nicht zu verpassen, denn der Mann, oder der König im Parallelgleichnis bei Matthäus, ist natürlich Gott! Jesus geht es immer um den Vater und dessen liebevolle Einladung an uns.


[1] David Flusser, Die rabbinischen Gleichnisse und der Gleichniserzähler Jesus, Frankfurt 1981, S.114 Anm. 94
[2] Ebd. S. 125
[3] Ebd. S. 138 Anm. 15

Kommentar verfassen