5. Sept. 2024 = 2. Elul 5784

Rosch Chodesch – der Kopf des Monats, ist uns bekannt von Rosch haSchana – der Kopf des Jahres. Jetzt aber hören wir, dass jeder Anfang eines neuen Monats gefeiert wird! Woher kommt dieser Brauch oder dieses Gebot und was ist der Inhalt dieser Feier? Jede Woche gibt es den Schabbat als wöchentlichen Ruhetag, weil Gott am 7. Tag Seine Arbeit niederlegte – לשבות  lischbot bedeutet heute im modernen Hebräisch streiken, die Arbeit niederlegen. Was aber ist die Bedeutung des neuen Monats?

Zuerst sei erklärt, dass Chodesch חֹדֶשׁ = der Monat nicht wie im Deutschen sprachlich auf den Mond verweist, sondern auf die Erneuerung des Mondes am Tag des Neumonds. Chodesch חֹדֶשׁ kommt von לְחַדֵשׁ lechadesch = erneuern bzw. חָדָשׁ chadasch = neu.

Gott schuf die Welt, und nachdem ER das Licht geschaffen und das Trockene vom Meer getrennt hatte, sodass verschiedenes Kraut wachsen konnte, schuf ER am 4. Tag die Leuchten am Himmel.
Gen. 1,14 Gott sprach: Leuchten werden am Gewölb des Himmels, zwischen dem Tag und der Nacht zu scheiden, daß sie werden zu Zeichen, so für Gezeiten so für Tage und Jahre, 15 und sein Leuchten am Gewölb des Himmels, über die Erde zu leuchten! Es ward so. 16 Gott machte die zwei großen Leuchten, die größere Leuchte zur Waltung des Tags und die kleinere Leuchte zur Waltung der Nacht, und die Sterne.

Die Gestirne sind „Geschöpfe“, Schöpfungswerke Gottes, die mit ihrer Entstehung einen Auftrag erhalten: Die Sonne wird den Tag lenken, der Mond die Nacht. Darüber hinaus schuf ER die Himmelskörper, um zu präzisen Zeichen der Zeit zu werden.
Die Sonne führt uns durch die Jahreszeiten, in denen z.B. unsere Wallfahrtsfeste stattfinden: Pessach im Frühjahr, Schawuot im Sommer, Sukkot im Herbst.
Der Mond dient zur Berechnung der Monate, sodass das Datum der Feste angegeben werden kann.
Die Sterne sagen uns, wann ein Tag zu Ende ist. So beginnt und endet der Schabbat, wenn drei Sterne am Himmel stehen.
Wir feiern ein neues Jahr, wenn die Erde einmal die Sonne umrundet hat und einen neuen Monat, wenn der Mond einmal die Erde umrundete und unsichtbar ist, bei Neumond.

Der Mond unterscheidet sich von der Sonne, da er nicht über eigenes Licht verfügt. Er ist auf das Licht der Sonne angewiesen. Darum wird er innerhalb von ca. 29 Tagen groß und wieder klein bis hin zu seinem vollständigen Verschwinden.

Juden werden mit dem Mond verglichen: Sie leben im Licht und Glanz Gottes, sie sind darauf angewiesen, denn nur durch das Licht des Schöpfers entsteht Leben und Orientierung! Und das Leben des jüdischen Volkes geht von den Höhen in die Tiefe, von der Tiefe in die Höhe, ganz nach dem Motto: ירידה לצורך אליה – jerida lezorech aliah – Abstieg im Dienste des Aufstiegs.
Wie der Mond scheint das jüdische Volk besonders in der Dunkelheit der Nacht.
Wie der Mond übersteht es alle Bedrängnisse und Nöte. Es leuchtet trotz Schwierigkeiten und Leid, trotz des Exils, Verfolgungen und Verleumdungen.
Wie der Mond behält es diese Leuchtkraft für die ganze Welt durch seinen grenzüberschreitenden (Hebräer עיברי Iwri = Grenzgänger, Grenzüberschreiter), tiefen Glauben – Emuna אֱמוּנָה, der Festigkeit in Gott – an den EINEN Gott.

„Ursprünglich waren Sonne und Mond gleich stark. Der Midrasch berichtet von einem Gespräch zwischen G-tt und dem Mond, das dieses Gleichgewicht veränderte. „Herr des Universums“, sagte der Mond, „ist es möglich, dass zwei Könige [die Sonne und der Mond] eine Krone benutzen?“ G-tt antwortete: „Geh (lechi) und mach dich klein.“ So schrumpfte der Mond auf seine verkleinerte Form.
Das hebräische Wort lechi („gehen“) impliziert eine fortschreitende Reise des Wachstums. „Geh weiter und wachse“, sagte G-tt zu ihr. G-tt ergriff die Initiative des Mondes, um sie auf einen Weg zu treiben, der eine vorübergehende Verlangsamung erforderte, um zu einem höheren Plan voranzuschreiten, als sie zuvor fähig gewesen wäre.“[1]

„Der Midrasch (Mechilta) erklärt:
„G-tt zeigte Moses den Mond, wenn er sich erneuerte, und sagte zu ihm: ‚Wenn der Mond sich erneuert, werdet ihr einen neuen Monat haben.‘
Die allererste Mizwa war das Gebot, den neuen Monat zu heiligen, wenn das Licht des Mondes zu scheinen beginnt. Diese Anweisung musste die allererste von Hunderten von Anweisungen sein, die noch folgen sollten.
Ein Grund, warum der Heiligung des Neumondes Vorrang vor anderen Mitzwot (Geboten) eingeräumt wurde, lag darin, dass die Juden wie der Mond sind: Unsere Identität ist an seine Bewegung gebunden.“[2]
„In der ersten Mizwa (Gebot), die uns als Nation geboten wurde, verfügte G-tt, dass wir unser Leben mit dem Mond verbinden sollten. Er wies uns an, einen Kalender zu erstellen, der auf dem Mondmonat basiert – dem 29,5-tägigen Zyklus, in dem der Mond aus der Sicht eines irdischen Beobachters seine Umrundung der Erde vollendet.“[3]

Gott hat die Feier des Rosch Chodesch in der Tora am Tag des Neumonds geboten. Warum am Neumond, nicht am Vollmond?
Gott möchte NICHT, dass wir Sein Schöpfungswerk anbeten, sondern allein IHN. Damals gab es den Sonnenkult, in Ägypten vertreten durch den Sonnengott Re, und den Mondkult, vertreten durch die Mondgottheit Thot in Ägypten. Darum schickte Gott beispielsweise die Plage der totalen Finsternis. Die Anbetung von Sonne und Mond gab es natürlich in anderen heidnischen Kulturen in ähnlicher Weise.
Da der neue Monat jedoch beginnt, wenn der Mond unsichtbar ist, müssen wir uns allein auf Gott verlassen, dass er wieder sichtbar und eine Hilfe für uns wird. Der Auszug aus Ägypten fand in einer Vollmondnacht statt, was eine große Hilfe zur Orientierung war. Auch Sukkot beginnt mit dem Vollmond.

Num. 10,10 Und an einem Tag eurer Freude und an euren Gezeiten und an euren Mondneuungsbeginnen blaset in die Trompeten, bei euren Darhöhungen, bei euren Friedmahlschlachtungen, sie sind euch zum Gedächtnis vor eurem Gott. ICH bin euer Gott.

Die Mondneuung, die Erneuerung des Mondes am Monatsbeginn ist uns Anlass zur Freude, denn wir erleben die Beständigkeit, die Verlässlichkeit der Schöpfung Gottes.

Ex. 12,2 Diese Mondneuung ist euch Anfang der Mondneuungen, die anfängliche unter den Mondneuungen des Jahres ist sie euch. 3 Redet zu aller Gemeinschaft Jissraels, sprechend: Am zehnten auf diese Neuung nehme sich jedermann ein Lamm, nach den Väterhäusern, ein Lamm auf das Haus. … 6 Und in Verwahr ist‘s euch bis zum vierzehnten Tag auf diese Neuung, dann metze es alles Gesamt der Gemeinschaft Jissraels, zwischen den Abendstunden.
Schon vor dem Auszug aus Ägypten gab es genaue Anweisungen bezüglich Tagen und Stunden.

Nach Jahr und Monat gibt Gott den genauen Tag an, an dem etwas zu geschehen hat. Die Zählung der Jahre bezieht sich hier auf den Exodus.
Num. 10,11 Es geschah im zweiten Jahr, in der zweiten Mondneuung, am zwanzigsten in der Neuung: die Wolke stieg von der Wohnung der Vergegenwärtigung auf.
Gott gab genau an diesem Tag den Befehl zum Aufbruch, zum Weiterzug zu einem anderen Ort.

Dass Rosch Chodesch zur Zeit des Tanach gefeiert wurde, nicht nur mit den Opfern, die für diesen Tag geboten waren (Num. 29,6), lesen wir im 1. Samuel 20. König Scha’ul gibt dort ein Fest zu Ehren des neuen Monats mit einem großen Bankett. David gehört eigentlich dazu, doch trachtet Scha’ul ihm nach dem Leben. Darum entscheidet er sich, der Festtafel fern zu bleiben und des Königs Reaktion abzuwarten.

1. Sam. 20,5 Dawid sprach zu Jonatan: Morgen ist doch Mondneuung, und ich, sitzen müßte ich mit dem König, beim Essen sitzen, entlasse mich also, daß ich mich im Feld bis an den drittnächsten Abend verberge!
Es folgt die bekannte Geschichte, in der Jonathan schließlich den Pfeil weit weg schießt, wie sie es verabredet hatten, um David zu warnen.

Damals wie heute es gab einen zweiten Tag Rosch Chodesch!
1. Sam. 20,34 Jonatan erhob sich vom Tisch im Entflammen des Zorns, er aß nicht am Zweittag der Neuung an der Tafel, weil er sich um Dawid grämte, weil sein Vater ihn beschimpft hatte.
Der zweite Tag wurde und wird gefeiert, wenn der Monat 30 statt 29 Tage hat. Die Mitteilung, wann der Mond völlig unsichtbar ist, wurde damals noch per Boten weitergegeben. Der zweite Tag gab Sicherheit, bis der Bote eintraf.

„Zur Zeit, als der Sanhedrin (höchster Gerichtshof des Tora-Rechts) existierte, wurde der Beginn eines neuen Monats jeden Monat auf der Grundlage der tatsächlichen Sichtung des Neumonds verkündet – eine Praxis, die mit der Ankunft des Messias und der Wiederherstellung einer zentralen Tora-Autorität für ganz Israel wieder aufgenommen wird. Heute ist unser voreingestellter Kalender nicht so genau, da der erste Tag des Monats innerhalb eines oder zwei Tagen nach der „Geburt“ des Neumonds liegt.“[4]

Heute, da der Tempel in Jerusalem nicht mehr existiert, können wir die erforderlichen Opfer nicht mehr darbringen. Deshalb werden sämtliche Opfer, auch die Zusatzopfer am Schabbat oder die Opfer zu den Feier- und Freudentagen, durch Gebete und Lesungen ersetzt.

Zuerst wird der neue Monat am Schabbat vor seinem Beginn angekündigt und gesegnet. An Rosch Chodesch fügt man den täglichen Gebeten einige Feiertagsabschnitte hinzu. So gibt es zu diesem Anlass ein eigenes Mussafgebet, eine zusätzliche Gebetszeit nach dem Morgengebet Schacharit, die sonst dem Schabbat oder Vollfeiertagen vorbehalten ist. Laut des Gebetstextes dient dieser Halbfeiertag der Bedeckung der Sünden – לְכַפֵּר lechaper – wie Jom Kippur יום כיפור – Tag der Bedeckung. Gott gibt uns außerdem das Versprechen, uns aus der Hand unserer Hasser zu befreien. Wir bringen deshalb Jubel und Danksagung u.a. mit Psalmen Davids vor Gott, wie die Psalmen des Hallel 113-118, die sonst an Feiertagen gebetet werden, um IHN zu verherrlichen. Wir bitten Gott um all das Gute, um Segen, Leben, Hilfe, Verzeihung, Freude und Friede durch IHN. Dazu beziehen wir uns auf unsere Vorväter, die durch ihren Glauben Verdienste erwirkt haben, von denen jede nachfolgende Generation profitieren darf. Gott möge an sie denken sowie an den Gesalbten, den Maschiach Davids, an Jerusalem, Seine heilige Stadt, und an Sein Volk Israel.

An diesem Tag bitten wir um Gottes Gedenken, denn wir bitten IHN, dass das Gute weitergeht und sich zu voller Schönheit entwickelt wie der neue Mond, den wir im Moment nicht sehen. Wir vertrauen auf Gott, denn nichts ist selbstverständlich.

Heute wird betont, dass Rosch Chodesch ein Halbfeiertag ist, zu dem sich Frauen in besonderer Weise hingezogen fühlen. Ihr Leben verläuft durch den monatlichen Zyklus nach dem Mond. Sie verzichten darum auf Arbeiten, die verschoben werden können. Ihrer Berufstätigkeit gehen sie wie gewohnt nach, aber sie organisieren beispielsweise Frauentreffen am Vorabend von Rosch Chodesch und sorgen schon im Vorraus für ein festliches Essen.

Je nachdem welcher Monat beginnt, erhält Rosch Chodesch eine besondere Bedeutung. So steht Rosch Chodesch Adar, welcher durch die Entscheidung der Rabbiner zum 6. Monat wurde, im Zeichen der Freude von Purim; Rosch Chodesch Nissan, heute der 7. Monat, biblisch der erste Monat des Jahres, steht ganz im Zeichen des Wunders der Erlösung aus der Sklaverei. Rosch Chodesch Siwan (9. Monat) steht im Zeichen des Empfangs der Tora und der Offenbarung Gottes. Rosch Chodesch Kislew  (3. Monat) steht im Zeichen des Lichts von Chanukka.

Gestern, als ich den Text verfasste, war der zweite Tag von Rosch Chodesch Elul. Da der gesamte Monat eine Vorbereitungszeit auf das neue Jahr ist, haben diese Tage selbst eine besondere Bedeutung und Freude. Der vorige Monat Aw (11. Monat) stand im Zeichen der Trauer über die Zerstörung der beiden Tempel und anderer Katastrophen. Da jedoch der Name des Monats selbst als „Vater“ gedeutet und verstanden werden kann, trägt er viel Trost in sich. Auch die 7 Wochen des Trostes nach 3 Wochen der Trauer beginnen im Monat Aw.

Durch diese Zeiteinteilung hat das jüdische Jahr viele Höhepunkte, durch die das Leben zwischen Gott und dem Menschen eng verwoben ist und mit denen Gott geehrt wird. Wir bedenken Seine Schöpfung und Seine wunderbaren Taten. Ebenso wird der Mensch zur Umkehr aufgerufen. Wir können immer gewiss sein, dass Gott, unser Vater, unsere Sünden und Verfehlungen bedeckt und sich auf unser nach-Hause-Kommen freut.


Chabad Karlsruhe hat eine reiche Webseite zu den jüdischen Feiertagen. Dort können Sie einen Kalender für das neue jüdische Jahr bestellen – gegen eine Spende, versteht sich.


[1] https://www.synagoge-karlsruhe.de/library/article_cdo/aid/2105937/jewish/The-Moons-Humility.htm
[2] https://www.synagoge-karlsruhe.de/library/article_cdo/aid/2105937/jewish/The-Moons-Humility.htm
[3] https://www.synagoge-karlsruhe.de/library/article_cdo/aid/2100177/jewish/The-29th-Day.htm
[4] Ebd.

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