Das Foto habe ich 2014 in Yad Vaschem aufgenommen
Predigt zu 1. Brief des Johannes, Kapitel 2
Schlachter-Bibel 2000
7 Brüder, ich schreibe euch nicht ein neues Gebot, sondern ein altes Gebot, das ihr von Anfang an hattet; das alte Gebot ist das Wort, das ihr von Anfang an gehört habt. 8 Und doch schreibe ich euch ein neues Gebot, was wahr ist in Ihm und in euch; denn die Finsternis vergeht, und das wahre Licht scheint schon. 9 Wer sagt, dass er im Licht ist, und doch seinen Bruder hasst, der ist noch immer in der Finsternis. 10 Wer seinen Bruder liebt, der bleibt im Licht, und nichts Anstößiges ist in ihm; 11 wer aber seinen Bruder hasst, der ist in der Finsternis und wandelt in der Finsternis und weiß nicht, wohin er geht, weil die Finsternis seine Augen verblendet hat.
Der TAG DES GEDENKENS AN DIE OPFER DES NATIONALSOZIALISMUS ist ein wichtiger Tag des Innehaltens gerade für das Land, von dem so viel Schuld und Leid ausging, auch wenn die eigentlichen Täter zum Großteil nicht mehr leben. Doch auch die Nachfolgegenerationen, die mit diesem schweren Erbe leben müssen, brauchen die Erinnerung an diese dunkle Zeit und die Erkenntnis, wieviel Unwissenheit über die Heilige Schrift die maßgebliche Ursache dieses Menschheitsverbrechens war.
Wir befinden uns in einem zusätzlichen Gedenkjahr, denn am 20. Januar jährte sich die Wannseekonferenz zum 80. Mal. Zu einer „Besprechung mit anschließendem Frühstück“ wurde eingeladen und 15 Männer perfektionierten in kaltem Beamtendeutsch den Völkermord. Es war die „absolute Mitleidlosigkeit“, die so etwas möglich machte, sagte Niklas Frank, der Sohn von Hans Frank im Morgenmagazin vom 24.01.2022. Und er führte aus, dass diese Männer genau wussten, dass sie einen Massenmord planten, obwohl alle die Zehn Gebote kannten. Sie hatten jedoch kein Gewissen.
Erschreckend ist die Tatsache, dass „die Besprechung“ „einmal Gegenwart war“ (Matti Geschonneck, Regisseur) und wir alle dort sitzen könnten. Alle kannten die Zehn Gebote, doch welche Wirkung hatten sie auf den Alltag?
(Spielfilm „Die Wannseekonferenz“ mit anschließender Dokumentation im ZDF)
Das „Dritte Reich“ und die Judenverfolgung war nicht eine Erfindung Adolf Hitlers, sondern sie waberte seit den Kirchenvätern durch die Jahrhunderte. Die Bibel wurde mit ihren Aussagen verdreht und „entjudet“, die Verkündigung allein an Christen gerichtet. Man schnitt sich als Kirche bewusst und willentlich von den jüdischen Wurzeln ab, sah in den Juden lediglich die Verstockten und zu Missionierenden und hörte nicht mehr auf ihr Wissen, auf die Auslegung des altüberlieferten Wortes. Stattdessen wurde eklektisch aus ihm zitiert und die Schrift wurde tendenziös übersetzt.
Wieviel Leid wäre allen Beteiligten erspart geblieben, hätte man sich das 1. Jahrhundert, in dem Jesus lebte und wirkte, von Juden erklären lassen! Stattdessen verhinderte und verhindert zum Teil noch heute die Hybris der Kirche diesen reichhaltigen Wissensschatz.
So verstand man sogar das „alte und doch neue“ Gebot der Nächstenliebe nicht mehr, weil man im Nächsten nur den Gleichgesinnten sah, nicht aber den „Mitweidenden“, wie Buber das Wort re’echa רֵעֲךָ = deinen Nächsten, deinen Weidegenossen erklärte, also den, mit dem sich ein Hirte die Weide für seine Herde teilen musste. רועה ro’e ist auch heute noch der Hirte. Dieser Weidegenosse konnte ein Verwandter sein wie bei Abraham und Lot; er konnte aber durchaus einer anderen Ethnie und einem anderen Glauben angehören wie bei Mosche, der Zippora und ihren midianitischen Schwestern beim Tränken der Tiere half gegenüber den „einheimischen“ Hirten (Ex. 2,17). Sie haben durchaus konkurrierende Interessen, da sie das spärliche Weidegras für ihre Herden nutzen wollen. Trotzdem gebietet Gott, diesen Weidegenossen zu lieben.
Juden wurde unterstellt, die Nächsten- und Feindesliebe nicht zu kennen, was mit Lev. 19,18 bald widerlegt war. Nicht so bekannt sind allerdings solche Stellen, die ausdrücklich den Fremden benennen oder den Feind. Der Fremde, der somit kein Jude ist, darf nicht bedrückt werden.
Lev. 19,34 Der Fremdling, der sich bei euch aufhält, soll euch gelten, als wäre er bei euch geboren, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen im Land Ägypten. Ich, der EWIGE, bin euer Gott.
Die Feindesliebe findet sich in
Dtn. 23,8 Den Edomiter sollst du nicht verabscheuen, denn er ist dein Bruder; den Ägypter sollst du auch nicht verabscheuen, denn du bist in seinem Land ein Fremdling gewesen.
Gen. 50,20 Habt ihr, ihr Böses wider mich geplant, Gott hats umgeplant zum Guten, um zu tun, wies heut am Tag ist: ein großes Volk (= die Ägypter) am Leben zu halten.
Spr. 24,17 Fällt dein Feind, freue dich nimmer, strauchelt er, juble nimmer dein Herz
Hi. 31,29 Freute ich mich je übers Scheitern meines Hassers und ließ michs erregen, daß das Böse ihn fand?
Pinchas Lapide schrieb zur Feindesliebe:
Pinchas Lapide, Die Bergpredigt – Utopie oder Programm?, Grünewald Verlag 1983³, S. 90-91
„Das Gegenteil des Feindeshasses liegt dem Judentum viel näher. Hillel der Weise, den einige Forscher zu den Lehrern des jungen Jesus zählen, lehrte seine Jünger: „Sei von den Schülern Aarons, Frieden liebend und nach Frieden strebend, die Menschen liebend und sie zur Tora führend“ (Abot I,12), – wobei eindeutig sowohl Freund als auch Feind mitgemeint sind. …
Aus diesem Spruch [Spr. 24,17] folgern die Rabbinen: „Beim Laubhüttenfest heißt es dreimal in der Schrift, man möge sich freuen (Dtn. 16,14 und 15; Lev. 23,40). Jedoch beim Pessachfest, obwohl es doch um die Volksbefreiung geht, wird Freude nirgends in der Schrift erwähnt. Warum? Weil die (feindlichen) Ägypter dabei umkamen“ (Pesikta K. 189a).
Zudem bringt mein Schwiegervater noch viele Beispiele der Bibel, wo die Protagonisten für ihre Feinde beteten.
Dieses Gebot, von dem Johannes spricht, ist folgerichtig ein Gebot, das von Anbeginn seine Gültigkeit hatte. Ein Gebot, das im Licht des ewigen Gottes seine immer gültige Wahrheit trägt, das uns ein Licht in der Finsternis ist. Und doch war die Finsternis durch die Unkenntnis der Bibel so groß, dass dieses Licht verlöschte! Die Liebe wurde pervertiert, denn sie galt nur den germanischen Götterkulten, dem Personenkult um den Ver-Führer und seiner Vasallen, einem neuheidnischen Retterbild. So wie das Unrecht zum Recht wurde, so wurde die Lieblosigkeit zur Liebe erklärt.
Gen. 4,9 „ej hewel achicha אֵי הֶבֶל אָחִיךָ Wo ist Abel, dein Bruder?“ –
so mag Gott gerufen haben. Aber was, wenn ich in Abel gar nicht meinen Bruder sehe? Wenn ich ihn gar nicht angeschaut habe, so wie Kain seinen Bruder Abel nicht ansah, sondern der NEID seinen Kopf senkte und damit den Blick. Christen sahen in den Juden nicht ihre älteren Brüder und Schwestern, von denen sie alle guten Gaben ihres Glaubens haben:
Röm. 9,4 … die Israeliten sind, denen die Sohnschaft und die Herrlichkeit und die Bündnisse gehören und die Tora und der Gottesdienst und die Verheißungen; 5 ihnen gehören auch die Väter an, und von ihnen stammt dem Fleisch nach der Messias, über alle ist der hochgelobte Gott in Ewigkeit. Amen!
Es kommt lediglich die undankbare Antwort: Bin ich meines Bruders Hüter? (Gen. 4,9)
Doch die Bibel lehrt uns, dass Brüder sehr wohl aufeinander aufpassen müssen. Bei den Brüdern Josefs war der Groschen gefallen, als sie in Ägypten vor dem noch unbekannten Bruder standen (Gen. 44,14-34).
Mosche und Aaron waren ein vorbildliches Brüderpaar, die sich unterstützen und in Einmütigkeit handelten, als sie das Volk Israel durch die Wüste führten.
Den Bruder darf man nicht in seinem Herzen hassen (Lev. 19,17) und nicht missgünstig ansehen (Dtn. 15,9). Vielmehr gilt:
Dtn. 15,11 Tue deine Hand weit auf für deinen Bruder, für den Elenden und den Armen bei dir in deinem Land!
Dtn. 25, 3 … und dass dein Bruder nicht verächtlich gemacht wird in deinen Augen.
All das stand schon seit Jahrhunderten in der Heiligen Schrift der Christen, in ihrem Neuen Testament wie auch in dem von den Juden angeeigneten Tanach. Aber die Worte Gottes(!) fanden keine Beachtung! Das Wort Gottes wurde den eigenen Bedürfnissen angepasst und somit Götzendienst betrieben! Die Menschen verstanden nicht, dass die Menschheit eine große Einheit bildet, denn wir stammen alle von einem Elternpaar ab. Vielleicht wird uns deshalb sofort zu Anfang der Bibel diese Geschichte erzählt, damit wir begreifen, dass wir alle rund 8 Milliarden Menschen auf der Welt Brüder und Schwestern sind.
Darum muss unsere Antwort auch heute gegenüber dem modernen Antisemitismus, der sich oft hinter Israelkritik versteckt, lauten:
ICH BIN DER HÜTER MEINES BRUDERS
wie es ein Plakat in Yad Vaschem 2014 eindrücklich zeigte und damit die „Gerechten unter den Völkern“ ehrte, welche sich zu ihren jüdischen Brüdern und Schwestern in gefahrvoller Zeit bekannten.
Wenn der 126. Psalm im Gottesdienst gelesen wird, sollten sich die Betenden bewusst machen, dass es Juden sind, die aus schrecklichen Erlebnissen aufwachen und die ihren Gott ob der Größe Seines Befreiungshandelns preisen. Sie haben mit reichlich Tränen gesät, bevor sie dankbar nach Zion zurückkehren konnten. Sie sind verwundet, tragen das Trauma bis heute, aber sie haben überlebt! Sie haben einen erfolgreichen, demokratischen Staat errichtet, zum Zeugnis für die Völker! Dieser Staat blüht trotz des ihn umgebenden Antisemitismus, weil Gott sein Schutz ist!
AT-Lesung 1. Mose 4,1-10
Buber/ Rosenzweig, Die Schrift
1 Der Mensch erkannte Chawwa sein Weib, sie wurde schwanger, und sie gebar den Kajin. Da sprach sie: Kaniti – Erworben habe ich mit IHM einen Mann. 2 Sie fuhr fort zu gebären, seinen Bruder, den Habel. Habel wurde ein Schafhirt, Kajin wurde ein Diener des Ackers. 3 Nach Verlauf der Tage wars, Kajin brachte von der Frucht des Ackers IHM eine Spende, 4 und auch Habel brachte von den Erstlingen seiner Schafe, von ihrem Fett. ER achtete auf Habel und seine Spende, 5 auf Kajin und seine Spende achtete er nicht. Das entflammte Kajin sehr, und sein Antlitz fiel. 6 ER sprach zu Kajin: Warum entflammt es dich? warum ist dein Antlitz gefallen? 7 Ists nicht so: meinst du Gutes, trags hoch, meinst du nicht Gutes aber: vorm Einlaß Sünde, ein Lagerer, nach dir seine Begier – du aber walte ihm ob. 8 Kajin sprach zu Habel, seinem Bruder. Aber dann wars, als sie auf dem Felde waren: Kaijn stand auf wider Habel seinen Bruder und tötete ihn. 9 ER sprach zu Kajin: Wo ist Habel dein Bruder? Er sprach: Ich weiß nicht. Bin ich meines Bruders Hüter? 10 ER aber sprach: Was hast du getan! die Stimme des Geblüts deines Bruders schreit zu mir aus dem Acker.
Eingangspsalm Psalm 126
Buber/ Rosenzweig, Die Schrift
1 Ein Aufstiegsgesang. Wann ER kehren läßt die Heimkehrerschaft Zions, werden wie Träumende wir. 2 Lachens voll ist dann unser Mund, unsere Zunge Jubels. Man spricht in der Stämmewelt dann: »Großes hat ER an diesen getan!« – 3 Großes hatte an uns ER getan, Frohe waren wir worden. 4 Lasse, DU, uns Wiederkehr kehren wie den Bachbetten im Südgau! 5 Die nun säen in Tränen, im Jubel werden sie ernten. 6 Er geht und weint im Gehn, der austrägt den Samenwurf, im Jubel kommt einst, kommt, der einträgt seine Garben.
Auf den Punkt. Abgrenzen ist Ausgrenzen. Ausgrenzen ist wertend. Minderwertend führt zu Verachtung. Verachtung führt über Missachtung zu …
Danke Debora