Predigt vorgeschlagen für das Erntedankfest So, d. 1. Okt. 2023
13 Es sprach aber einer aus der Volksmenge zu ihm: Meister, sage meinem Bruder, dass er das Erbe mit mir teilen soll! 14 Er aber sprach zu ihm: Mensch, wer hat mich zum Richter oder Erbteiler über euch gesetzt?
15 Er sagte aber zu ihnen: Habt acht und hütet euch vor der Habsucht! Denn niemandes Leben hängt von dem Überfluss ab, den er an Gütern hat. 16 Und er sagte ihnen ein Gleichnis und sprach: Das Feld eines reichen Mannes hatte viel Frucht getragen. 17 Und er überlegte bei sich selbst und sprach: Was soll ich tun, da ich keinen Platz habe, wo ich meine Früchte aufspeichern kann? 18 Und er sprach: Das will ich tun: Ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen und will darin alles, was mir gewachsen ist, und meine Güter aufspeichern 19 und will zu meiner Seele sagen: Seele, du hast einen großen Vorrat auf viele Jahre; habe nun Ruhe, iss, trink und sei guten Mutes! 20 Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr! In dieser Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem wird gehören, was du bereitet hast? 21 So geht es dem, der für sich selbst Schätze sammelt und nicht reich ist für Gott!
Zwei Brüder liegen im Streit miteinander. Einer will das Erbe nicht mit dem anderen teilen. Warum? Hat er Gründe dafür? Vielleicht sagt er, er habe sich in den Jahren, da die Eltern alt waren, mehr um sie gekümmert, mehr Ausgaben für sie gehabt. Vielleicht gab es aber auch zu Lebzeiten des letzten Elternteils schon Bevorzugungen, die der andere als Benachteiligung erfährt. Warum gibt es die? Lieben Eltern ein Kind mehr als das andere? Oder sehen sie einfach die unterschiedlichen Bedürfnisse, unterschiedliche Lebensstandards allein durch die Arbeit, die die Kinder bekamen? Streit wegen des Erbes, Schweigen, abgebrochene Kommunikation und Groll, haben die Eltern das gewollt? Eltern heute sollten eine Lehre daraus ziehen, dass sie zu ihren Lebzeiten das Erbe regeln und kommunizieren.
Auch das Volk Israel kennt seit jeher Erbstreitigkeiten. Schon Mosche hatte mit ihnen zu kämpfen, als die Töchter Zlofchads zu ihm kamen und ihr Erbe einforderten.
Num. 27,4 Warum soll der Name unsres Vaters gestrichen werden aus der Mitte seiner Sippe, weil er keinen Sohn hat? Gib uns Hufe inmitten der Brüder unsres Vaters!
Mosche ging mit ihrem Anliegen zu Gott und DER verschaffte ihnen Recht. Frauen sind in den Augen Gottes und der Bibel den Männern gleichwertig.
Im vorliegenden Evangeliumstext versucht nun einer aus dem Volk עָם am – womit mehrheitlich das jüdische Volk gemeint ist -, Jehoschua für sein Anliegen zu gewinnen. Doch der sieht es nicht als seine Aufgabe, den Richter zu spielen, zumal eine Rückübersetzung auch das Wort צַו zaw = gebiete (meinem Bruder) als Aufforderung des Mannes benutzt. Es gibt die von Gott gegebenen Gebote, nach denen sich jeder richten oder einen Richter beauftragen kann. Jehoschua sieht sich daher nicht berufen, Rechtsstreitigkeiten auszuräumen. Seine Aufgabe ist es, jeden einzelnen Juden zurückzuführen zum Vater und seinem spirituellen Leben aufzuhelfen.
Doch greift er als Lehrer רַבִּי Rabbi dieses Anliegen auf, um den Umstehenden eine Lebensweisheit zuteilwerden zu lassen. Er spricht den Fragesteller mit Mensch בֶּן-אָדָם Ben Adam, Sohn des Menschen, an. Immer ist der Jude in seine Tradition gestellt und an seine Herkunft erinnert. Adam erinnert an den ersten Menschen, den Gott liebte. ER liebt jeden Menschen, als wäre er einzig wie Adam. Jehoschua sagt ihm:
„Von Gott geliebter Mensch, ich bin nicht zum Richter und Schlichter eingesetzt. Mir geht es um mehr, um etwas Kostbares: um dein Leben! Pass auf, dass deine Güter dich nicht von Gott trennen! Denn bei IHM findest du wahres Leben. IHN beeindruckst du nicht mit Reichtum an Gütern, sondern mit Reichtum an Nächstenliebe und Glaube.“
Jehoschua erzählt nun von einem namenlosen reichen Mann אִישׁ עָשִׁיר isch aschir, dessen Felder guten Ertrag brachten. Dieser Mann war äußerlich reich, nicht innerlich erfüllt, was das Wort אַשְׁרֵי aschrei = erfüllt, glücklich von אֹשֶׁר oscher = Glück ausdrücken würde.
Ist nun Reichtum verwerflich? Muss sich der reiche Mann seines Reichtuns schämen?
Nein, die Tora kennt reiche Menschen. Abraham war reich. Er hatte große Herden und viel Geld, womit er den hohen Preis für das Grab Saras bezahlen konnte. Aber seinen Reichtum hatte er ganz bewusst von Gott empfangen, weshalb er dem König von Sodom antworten konnte:
Gen. 14,22 Ich hebe meine Hand zu IHM, dem Hohen Gott, dem Stifter von Himmel und Erde: 23 wenn von Faden bis Schuhriem, wenn ich nehme aus allem was dein ist, …! Daß du nicht sprechest: Ich habe Abram reichgemacht.
Jaakob verließ Laban mit großer Habe, denn Gott hatte ihm den Segen Abrahams gegeben. Unter diesem Segen stand genauso Jossef, der durch dunkle Tiefen gegangen war, um seinem höchsten Herrn gehorsam zu sein. Er hatte seinen Glauben weder verloren, als seine Brüder ihn verkauften noch als Potifars Frau ihn begehrte und er zu Unrecht im Gefängnis landete.
Salomo beeindruckte die Königin von Saba mit seiner Weisheit und seinem Reichtum. Doch ist er ein Beispiel dafür, wie sein Reichtum zum Hochmut führte und ihn trotz aller Weisheit zu Fall brachte. Dieser Fall führte zur Tragödie der Teilung des Reiches.
Gott hat nichts gegen Reichtum, doch muss der Mensch wissen, woher dieser kommt und welche Aufgabe darin enthalten ist.
Natürlich fragt der reiche Bauer zurecht, wo er seine Ernte unterbringen soll. Auch Jossefs Rat lautete, dass man Scheunen in den reichen Jahren bauen sollte, um Vorrat für die dürren Jahre zu haben.
Gen. 41,35 Häufen sollen sie allerart Eßvorrat dieser kommenden guten Jahre, Korn speichern unter Pharaos Hand in den Städten als Eßvorrat und verwahren.
Jedoch hat dieser Mann keine Botschaft von Gott bekommen, Vorsorge für schlechte Zeiten zu treffen. Er kann also für jedes Jahr neu vertrauen, dass er sein Auskommen haben wird.
Außer von seinem Bauvorhaben hören wir nichts davon, dass Bedürftige auf seinem Acker Nachlese halten dürfen wie Rut auf den Feldern des reichen Boas. Oder dass er für die Armen eine Ecke des Feldes פְּאַת שָׂדְה pe’at ßadé stehen ließe, auf denen sie Nachlese halten könnten, denn das hat Gott geboten:
Lev. 23,22 Und wann ihr den Schnitt eures Landes schneidet, vollende nicht den Rand deines Feldes bei deinem Schneiden und die Lese deines Schnitts lese nicht, dem Armen und dem Gastenden lasse es. ICH bin euer Gott.
Gott wusste, dass es allezeit Arme und Bedürftige im Land geben würde. Und ER wusste, warum. Wenn jemand den Armen sähe, so sollte er sein Herz öffnen und seinen Bruder in ihm erkennen. Er sollte sich bewusst machen, dass ihn die Armut genauso treffen könnte. So würde er aufgefordert, ständig aufs Neue tätige Nächstenliebe zu praktizieren:
Dtn. 15,11 Denn nicht werden Dürftige aufhören im Innern des Landes, darum gebiete ich dir, sprechend: Öffnen sollst, öffnen deine Hand du deinem Bruder, deinem Gebeugten, deinem Dürftigen, in deinem Land!
Obwohl der reiche Mann als Jude mit Sicherheit die Tora kennt, denkt er nur an sich. Jeder Synagogenbesucher oder Kirchgänger kann heute seinen Gottesdienst besuchen, eine wichtige Predigt hören und trotzdem Gottes Wort nicht zu Herzen nehmen.
Der Reiche spricht mit sich, nicht mit Gott, und meint, seine Seele wäre mit seinem egoistischen Denken und Handeln einverstanden. Will seine Seele wirklich nur Reichtum anhäufen, Speicher bauen, essen und trinken? Verwechselt der Mann nicht seine Seele mit seinem Ego? Wir wissen heute, dass die Seele andere Bedürfnisse hat. Die Seele sucht Beziehung mit Gott, möchte Seinen Willen tun und so Sinn im Leben spüren. Wie viele reiche Menschen gibt es heute, die ihr Leben als sinnlos und leer bezeichnen würden, die bei allem Konsum und luxuriösem Zeitvertreib unter Depressionen leiden! Andererseits fördern Reiche, die nicht nur an sich denken, Forschung in der Medizin oder anderen wichtigen Bereichen, damit möglichst vielen Menschen geholfen werden kann. Oder sie investieren in Krankenhäuser oder Erholungstage für Eltern behinderter Kinder. Es geht also auch anders und erfreut Herz und Seele.
Zu dem reichen Bauern lässt Jehoschua nun sogar Gott selbst sprechen:
„Du hast nichts verstanden! Du hast nicht verstanden, dass aller Reichtum von MIR kommt. MIR gehört die ganze Erde, und ICH wollte dich zum Verwalter über mein Eigentum einsetzen. MIR gebühren als erstem der Dank und die Bitte um Weisheit, mit dem Vermögen umzugehen.
Du hast nicht verstanden, dass du MIR von deinem Reichtum, der MEIN Reichtum ist, abgeben sollst. Einmal durch den Zehnten und dann durch gerechtes Handeln, indem du Sorge für deinen Nächsten trägst!
Du hast nicht verstanden, dass deine Seele verhungert bei all deinem Sammeln und Anhäufen. Darum befreie ICH sie. ICH nehme deine Seele zu MIR! Wer wird dann deinen Reichtum erben? Dann werde ICH dafür sorgen, dass die Armen und Bedürftigen ihn unter sich aufteilen. Du und dein Name werdet vergehen und keine Erinnerung hinterlassen.“
Der Mensch darf reich sein – aschir עָשִׁיר -, aber nur durch das Teilen dieses Reichtums wird er auch reich bei Gott, und seine Seele wird gesund bleiben, wird Glück und Erfüllung oscher אֹשֶׁר spüren, sich erfüllt fühlen אַשְׁרֵי aschrei, Dankbarkeit הודיה Hoda‘ja und Vertrauen, Glaube אמונה Emuna werden sich mehren. So sieht ein lohnendes, sinnerfülltes Leben aus.