Das Beitragsbild stammt von Chabad Karlsruhe https://www.synagoge-karlsruhe.de/library/howto/wizard_cdo/aid/670707/jewish/Die-Zehn-Gebote.htm

Predigttext, vorgeschlagen für Sonntag, 8.10.2023

1 Gott redete all diese Rede, er sprach: 
2  (1)ICH bin dein Gott, der ich dich führte aus dem Land Ägypten, aus dem Haus der Dienstbarkeit. 3 Nicht sei dir andere Gottheit mir ins Angesicht. 
4  (2)Nicht mache dir Schnitzgebild, – und alle Gestalt, die im Himmel oben, die auf Erden unten, die im Wasser unter der Erde ist, 5 neige dich ihnen nicht, diene ihnen nicht, denn ICH dein Gott bin ein eifernder Gottherr, zuordnend Fehl von Vätern ihnen an Söhnen, am dritten und vierten Glied, denen die mich hassen, 6 aber Huld tuend ins tausendste denen die mich lieben, denen die meine Gebote wahren. 
7  (3)Trage nicht SEINEN deines Gottes Namen auf das Wahnhafte, denn nicht straffrei läßt ER ihn, der seinen Namen auf das Wahnhafte trägt. 
8  (4)Gedenke des Schabbattags, ihn zu heiligen. 9 Ein Tagsechst diene und mache all deine Arbeit, 10 aber der siebente Tag ist Schabbat IHM, deinem Gott: nicht mache allerart Arbeit, du, dein Sohn, deine Tochter, dein Dienstknecht, deine Magd, dein Tier, und dein Gastsasse in deinen Toren. 11 Denn ein Tagsechst machte ER den Himmel und die Erde, das Meer und alles, was in ihnen ist, am siebenten Tag aber ruhte er, darum segnete ER den Tag des Schabbats, er hat ihn geheiligt. 
12  (5)Ehre deinen Vater und deine Mutter, damit sich längern deine Tage auf dem Ackerboden, den ER dein Gott dir gibt. 
13  (6)Morde nicht. 
14  (7)Brich nicht die Ehe. 
15  (8)Stiehl nicht. 
16  (9)Aussage nicht gegen deinen Genossen als Lügenzeuge. 
17 (10)Begehre nicht das Haus deines Genossen, Begehre nicht das Weib deines Genossen, seinen Knecht, seine Magd, seinen Ochsen, seinen Esel, noch allirgend was deines Genossen ist.

Übersetzung nach Martin Buber

Wenn dieser Predigttext im Gottesdienst verlesen wird, so entsteht schnell das Bild vom gesetzlichen Gott des Alten Testaments mit all Seinen Forderungen und Geboten. Doch ich möchte zeigen, wie liebevoll dieser so bekannte Text ist, den wir damals im Konfirmandenunterricht noch auswendig lernen mussten.

Die uns von Luther in seinem Katechismus überlieferten „Zehn Gebote“ sind in Wirklichkeit einfach „zehn Worte„, wie es im hebräischen Urtext heißt. Dabei kann die hebräische Sprache vortrefflich zwischen Gebot = Mizwa מצווה, Gesetz = Chok  חוק und Weisung = Tora תּוֹרָה unterscheiden.

Wenn wir uns die jüdische Tradition der Zählung anschauen, so ist das 1. Gebot gar kein Gebot, sondern eine Feststellung, ein Vertrauensvorschuss: „Ich bin der Ewige, dein Gott, der ich dich aus dem Lande Ägypten, aus dem Sklavenhause, herausgeführt habe.“
Es ist das erste WORT, das Gott den übrigen Worten voranstellt, weil es eine Grundvoraussetzung für die Einsicht der Notwenigkeit der übrigen Worte sein wird. Dieser Gott fordert nicht, sondern zuerst gibt ER und schafft die Vertrauensbasis. „Wann immer du an das Zehnwort denkst, erinnere dich an deine Errettung aus der Not in Ägypten, die ICH hörte und aus der ICH dich herausführte. Darum bin ICH dein Gott, dein persönlicher Gott, Israel, MEIN Erstgeborener.“

Darum fordert Gott, dass es keine Götter neben IHM gibt, denn kein anderer Gott führte das Volk siegreich aus dem Sklavenhaus! Die Götter Ägyptens versagten allesamt! Sich anderen Göttern zuwenden, das hieße, sich unter dem Schutzschirm Gottes heraus zu begeben und somit schutzlos zu sein aufgrund eigener Entscheidung. Das zeigt Gott Seinem Volk durch das 1. Wort.

An allen Übersetzungen der 10 Worte – sowie an anderen Stellen in der Hebräischen Bibel – müssen wir eine Korrektur vornehmen: Es gibt das Modalverb „sollen“ im Bibelhebräischen nicht. Das Verb steht im Futur, sodass das Zweite der zehn Worte heißt:
Du WIRST dir keine Schnitzgebilde von mir machen.

Was bringt nun diese Wortklauberei? Mal ganz ehrlich: Nur durch unseren strengen Befehl: „Du sollst“ oder „du sollst nicht“ wurden die Gebote auch in unserem Sprachbereich nicht besser eingehalten. Die christliche Kirchengeschichte zeigt eine Menge von Verfehlungen, denn es wurde ohne Not gemordet, nur aus religiöser Überheblichkeit.

Vielleicht ist es eine wichtige Herausforderung, wenn wir uns auf das neue Gottesbild einlassen, das uns die Formulierung „du wirst“ vermitteln möchte. Gott erscheint dem jüdischen Volk nicht als strenger, fordernder Despot, als welcher er von Christen im Ersten Testament verstanden und fälschlich zum Neuen Testament kontrastiert wurde – leider nach meiner Erfahrung noch heute.

Gott erscheint seinem geliebten Volk als Retter und Erlöser, als derjenige, der für ein gelingendes Leben Angebote unterbreitet. Diese werde ich annehmen und tatkräftig in mein Leben integrieren, wenn ich mich daran erinnere, dass dieser Gott es gut mit mir meint, dass ER mich zum Leben führen möchte und mir die Lebenshilfen, die Weisungen in Seinem Wort zeigt, die ich brauche, um mir nicht meine eigene Hölle zu schaffen, um nicht des erfüllten und reichen Lebens verlustig zu gehen.

Wenn Gott später im Buch Deuteronomium sagen wird, dass ER dem Volk Segen und Fluch vorlegt, so muss man verstehen, dass Segen die Nähe zu Gott darstellt inmitten der weltlichen Härten. Fluch entsteht nicht durch ein aktives Verfluchen Gottes, sondern meint lediglich das Fehlen des Segens.
Wenn es regnet und ich nass werde, dann ist das weder Fluch noch Strafe, sondern ein mir mangelnder Regenschirm. Wähle ich aber, den mir angebotenen Regenschirm zu benutzen und zu öffnen, und mich darunter zu stellen, dann bin ich geschützt und bleibe trocken.

Einen so liebevollen Vatergott kennen die Juden von Anbeginn, einen Gott, der sie rettet, beschützt, auf dem Weg führt, den sie wählen, denn es gibt die Freiheit der Wahl. Die Weisungen in den zehn Worten und dem gesamten Bundesbuch wollen getan, gehört und verstanden werden. In dieser Reihenfolge stimmt das Volk dem Ruf Gottes zu.

Die Grundvoraussetzung, nur an einen Gott zu glauben und die Götzen im Leben auszutreiben, ist die Einsicht in das Wesen Gottes und in sein vertrauen-stiftendes Tun.
Die Grundvoraussetzung, um nicht zu MORDEN לֹא תִּרְצָח lo tirzach (nicht: töten לַהֲרֹג leharog), liegt in der Anerkennung des gemeinsamen Schöpfergottes, der jeden einzelnen Menschen zu seinem Ebenbild schuf und uns als Geschwister miteinander verband. Es ist sehr wohl die Aufgabe des Menschen, Hüter seines Bruders zu sein.

Der Gott der hebräischen Bibel traut dem Menschen zu, die richtige Wahl zu treffen. ER bietet sich nicht als dunkle Folie für einen angeblich anderen Gott als im Neuen Testament an. Hier können wir also mit einer hilfreichen und bereichernden Korrektur des Bibelverständnisses beginnen, falls wir es noch nicht getan haben.

Auf zwei Tafeln gab Gott Mosche diese 10 Worte. Zwei bedeutet in der Numerologie immer die Polarität des Lebens, die Zweiheit, die wieder zur Einheit zusammengeführt wird durch das Halten der Gebote auf beiden Tafeln. Denn dann werden aus den 2×5 Worten die 10 Worte, welche die Einheit Gottes symbolisieren. Durch die Fünf auf jeder Tafel hat Gott uns Seine Worte „begreifbar“ gemacht. Wir können sie an den fünf Fingern einer Hand abzählen und lernen.

Die 1. Tafel enthält die Worte, die Gott betreffen, die Einmaligkeit Seiner selbst, die Einmaligkeit Seines Namens und die Vollkommenheit Seiner Schöpfung durch den Schabbat, an dem ER Gemeinschaft mit Seinen Kindern haben möchte. Schon hier gibt ER sich als der Barmherzige und Vergebende zu erkennen. Jeder, der seinen Fehler einsieht und zu IHM zurückkommt, wird ohne viel Umschweife von seinem Vater wieder unter die schützenden Fittiche genommen. Gott ist ein eifernder Gott, der für Seine Kinder in Liebe brennt, aber ER ist nicht eifersüchtig wie betrogene Ehepartner, die dann nicht mehr miteinander reden. Im Gegenteil haben wir in der Geschichte von Kain und Abel gelesen, wie Gott in Seinem Eifer darum bemüht ist, den Gesprächsfaden mit Kain nicht abreißen zu lassen, selbst nach der schrecklichen Tat an seinem Bruder.

Die 2. Tafel gilt dem Zusammenleben der Menschen. Es kann nur dann im Frieden gelingen, wenn einer sich auf den anderen verlassen kann. Darum ist es wichtig, die Wahrheit zu sagen, meinen Nächsten nicht zu bestehlen oder gar zu töten. Die Ehe zweier Menschen ist geschützt, wenn unter den Ehepartnern dasselbe gilt wie für die Menschheit: Ehrlichkeit und Vertrauen. Dann strahlt diese Gemeinschaft aus: unsere Ehe ist tabu für andere.

Kann man sich durch das Halten der Worte das ewige Leben verdienen (Mk. 10,17; Evangeliumslesung)? Nein, denn es ist ein Geschenk, kein Geschäft. Die Worte und Gebote Mizwot מִצְּוות sind kein Selbstzweck, sondern es wird ein ethisches, werteorientiertes Leben ermöglicht. Erst wenn die Mizwa מִצְּוָה verstanden wird als das, was sie sein will, nämlich Verbindung = צוה z-w-a = zawa zu Gott, dann ermöglicht sie ein Leben mit Gott, ein Leben im Glauben an Gott und ein Halten der Gebote aus Liebe zu und Ehrfurcht gegenüber Gott. Liebe zu Gott und tätige Nächstenliebe zum Menschen, sie bringen uns das Leben in der kommenden Welt Olam haBa עולם הבא, die auf uns zukommende Welt. Nichts anderes hat in der Ewigkeit Bestand.

Gerne dürfen Sie an die Chabad-Gemeinde Karlsruhe spenden unter https://www.synagoge-karlsruhe.de/templates/donate_cdo/aid/4970020/jewish/Donate.htm

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