vorgeschlagener Predigttext für Sonntag, d. 30. Okt. 2022
8,6 Setze mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel an deinen Arm! Denn die Liebe ist stark wie der Tod, und ihr Eifer hart wie das Totenreich; ihre Glut ist Feuerglut, eine Flamme des Ewigen. 7 Viele Wasser können die Liebe nicht auslöschen, und Ströme sie nicht überfluten. Wenn einer allen Reichtum seines Hauses um die Liebe gäbe, so würde man ihn nur verachten!
Das Hohelied Salomos oder hebräisch Schir haSchirim שִׁיר הַשִּׁירִים = Das Lied der Lieder ist insgesamt ein sehr erotisch wirkender Text, um den es lange Diskussionen unter Rabbinern gab, inwiefern er zum Kanon des Tanach gehören sollte. Als eine Schriftrolle des Friedenskönigs Schlomo fand er aber doch Eingang in den Kanon, was auch Rabbi Hillel unterstützte. Die Rabbiner deuteten ihn allegorisch auf die Liebe Gottes zu Seinem Volk Israel.
Die Rabbiner verstanden weiterhin dieses Buch als einen Vorgriff des großen, weisen Königs auf die Zeit des Exils Israels. Er war nach ihrer Meinung so voller Einsicht und von Gottes Geist erfüllt, dass er in der Lage war, weit über seine Zeit hinauszublicken. Dasselbe konnte auch David, der Psalm 137 ebenfalls etwa 400 Jahre vor dem Babylonischen Exil verfasste.
Ps. 137,1 An den Strömen Babels saßen wir und weinten, wenn wir an Zion gedachten.
Gottesmännern wie Mosche war es möglich, sich die Zeit vor Augen zu führen, wenn es zum Ungehorsam gegen Gott und den dann zu erwartenden Folgen kommen würde. Sogar Abraham sah in Gen. 15 die Knechtschaft in Ägypten voraus, aber genauso die Heimführung der Kinder Israels.
Selbst den Tempel, für den David Wallfahrtslieder verfasste, durfte er nicht sehen, sondern musste den Bau und die würdevolle Einweihung seinem Sohn Schlomo überlassen.
Deshalb gilt der vorliegende Text als Trostbotschaft für das exilierte Volk Israel. Wie die Liebenden nicht zueinander finden können, so wenig kann Israel mit seinem Heimatland resp. mit Gott zusammenkommen, denn es fühlt sich von Gott durch dessen Zorn getrennt, sogar verlassen.
Ps. 30,6 Denn sein Zorn währt einen Augenblick, seine Gnade aber lebenslang; am Abend kehrt das Weinen ein und am Morgen der Jubel.
Gott verspricht hingegen Seinen geliebten Kindern, dass ER Seine umfassende Liebe אַהֲבָה ahawa niemals von ihnen nimmt. Diese Liebe ist versiegelt auf ihren Herzen. Dieses Siegel hat bindende Bedeutung; es besiegelt nochmals den Bund Gottes mit Seinen Kindern. Diese ewige, unverbrüchliche Liebe bleibt Israel ganz nahe, auf und in den Herzen des Volkes, auch wenn sie scheinbar weit weg ist, fern wie der zerstörte Tempel und in Vergessenheit geraten scheint.
Diese Liebe Gottes zu Seinem Volk, die mit Seinem leidenschaftlichen Feuer verglichen wird, wird durch nichts jemals ausgelöscht werden können. Selbst der Scheol ist kein Ort, der die Liebe Gottes zu Israel beenden könnte. Vielmehr ist es so, dass Juden eher bereit waren, ihr Leben zur Heiligung des Namens Gottes zu geben als sich zwangstaufen zu lassen oder als durch das Schwert oder die Gaskammern ihrer Feinde zu sterben. Durch ihren freiwilligen Tod wollten sie Gott dienen und Seinen Namen verherrlichen, auch wenn das Judentum ansonsten keine Selbstmorde gestattet.
Alle Naturelemente sind nicht in der Lage, Israel und Gott zu entzweien. Manche Verleumdung gegen Juden hat das in der Geschichte des Christentums versucht, aber es ist nicht gelungen. Gott gab Seinem Volk die Tora, welche Heine als „portatives Vaterland“ bezeichnete. Sie begleitete Israel in jedes Exil. Selbst wenn sie durch Feuer zerstört wurde, so konnte sie doch immer durch fachgerechtes und peinlich genaues Abschreiben wiederhergestellt werden.
Gott gab Seinem Volk den Schabbat als Anker in unsicherer Zeit. Dieses ewige Bundeszeichen versicherte die Juden der unverbrüchlichen Liebe ihres Gottes. Über die Tora, das Halten der Gebote und Festzeiten fühlten sich Juden weltweit miteinander verbunden. So konnten sie sich gegenseitig der Liebe Gottes versichern.
Gottes Liebe kann man nicht erkaufen. Sie ist reine Gnade, die Gott dem Volk, das ER zum Licht der Völker erwählte, schenkte. Wenn auch Sein Zorn über die ungehorsamen Kinder entflammen konnte, sodass die Propheten harte Konsequenzen zu verkünden hatten, so stand diese unverdiente Liebe immer fest. Ja, selbst die harten Worte sind Worte der Liebe, mit denen Gott Seine Kinder zurückruft! Wer versucht, die Liebe Gottes mit Geld oder Gut zu erwerben, der hat verloren. Sein einziger „Gewinn“ ist Verachtung!
Jehoschua wusste um diese beständige Liebe Gottes, weshalb er sie immer wieder verkündete und seine Zuhörer mit dieser immer gültigen Botschaft in seinen Bann zog. Er konnte sein Leben in Gottes Hand legen und wusste, dass er selbst im Tod die ewige Liebe des Vaters nicht verlieren würde.
Lk. 23,6 Und Jesus rief mit lauter Stimme und sprach: Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist! Und als er das gesagt hatte, verschied er.
Seine Worte entsprechen dem jüdischen Gebet Adon Olam אֲדוֹן עוֹלָם Herr der Welt, das am Schabbat in der Synagoge gesungen und an den Wochentagen von jedem einzelnen gebetet wird. Wann das gesamte Gebet in seiner heutigen Form verfasst wurde, ist unbekannt, doch lagen die Gedanken schon zur Zeit Jehoschuas vor.