18 Er aber sprach: Lasse mich doch deine Erscheinung sehen! 19 Er sprach: Ich selber will vorüberführen all meine Güte an deinem Antlitz, ich will ausrufen den NAMEN vor deinem Antlitz: daß ich begünstige, wen ich begünstige, daß ich mich erbarme, wes ich mich erbarme. 20 Er sprach: Mein Antlitz kannst du nicht sehen, denn nicht sieht mich der Mensch und lebt. 21 ER sprach: Hier ist Raum bei mir, du stellst dich auf den Fels, 22 es wird geschehn: wann meine Erscheinung vorüberfährt, setze ich dich in die Kluft des Felsens und schirme meine Hand über dich, bis ich vorüberfuhr. 23 Hebe ich dann meine Hand weg, siehst du meinen Rücken, aber mein Antlitz wird nicht gesehn.

Die Schrift, Buber/ Rosenzweig

Leider wird der Predigttext nicht im Zusammenhang gelesen, sodass die Brisanz der Bitte Mosches nicht deutlich aus der zitierten Stelle hervorgeht. In der wichtigen Rahmenhandlung spielt sich Folgendes ab: Mosche erhielt auf dem Berg Sinai die Gebote Gottes, und als er zurückkam, tanzte das Volk um das goldene Kalb, das Aaron auf das Drängen des Volkes hin gegossen hatte.

Gott ist empört über diesen Ungehorsam und droht dem Volk, es zu verzehren. Aus Mosche will ER ein neues Volk erstehen lassen. In den Kapiteln 32 und 33 ringt Mosche deswegen mit Gott und rechnet mit dem Volk ab. Das Opfer Mosches, der sich aus dem Buch des Lebens streichen lassen will, nimmt Gott nicht an. Erst der Hinweis, das Volk Israel sei Sein, Gottes Volk, das Erinnern an die Patriarchen, lässt den Ewigen umdenken und einlenken.

In diesem Ringen geht es noch immer darum, wer das Volk Israel in die Heimat führt. Gott weigert sich, mitzugehen, da dann Sein Zorn entbrennen könnte. Wer begleitet also Mosche in seiner verantwortungsvollen Aufgabe, dem Volk Orientierung und Wegweisung zu geben? Nur einer kann das nach Mosches Ansicht, nämlich Gott. Mosche trotzt sich die feste Zusage Gottes ab, ihn zu begleiten, ansonsten gingen sie gar nicht weiter. Als Zeichen, dass er Gnade in Gottes Augen gefunden hat, will Mosche die Herrlichkeit des Höchsten sehen.

Kewodecha כְּבֹדֶךָ deine Ehre erbittet Mosche, Gottes Gewichtigkeit. Damit drückt er aus, dass Gott mit Seiner Ehre für das ganze Volk wichtig und unverzichtbar ist. Wenn Mosche in Gottes Augen Gnade חֵן chen gefunden hat, wenn Gott Mosche Seine Zuwendung und Hingabe schenkt von lachon לָחֹן begnaden, zuwenden, dann ist für Mosche der nächste, praktische Schritt, dass Gott ihm Seine Ehre und Seine Erscheinung als Garant dafür zeigt, dass ER das Volk begleiten wird.

Gott verspricht Mosche, ihm „meine Güte טוּבִי tuwi“ zu zeigen. Darin steckt tow טוֹב = gut, welches im Schöpfungsbericht 7-mal vorkommt, wodurch es die Vollkommenheit in der Schöpfung präsentiert. Mosche selbst war ein guter Knabe – כִּי טוֹב הוּא ki tow hu = denn er war gut. Somit sagt Gott Mosche zu, dass er Seine Güte, die für alles Gute in der Welt steht, sehen darf. Mit Gottes Güte geht Sein Name einher, der Name, der Ausdruck Seines Erbarmens ist:  בְשֵׁם יְהוָה be’schem JHWH – den Namen JHWH. Gott selbst wird Seinen eigenen Namen ausrufen, mit dem ER Mosche und das Volk begleiten wird. Mit diesem Namen begnadet ER חַנֹּתִי chanoti = ich begnade und erbarmt sich רִחַמְתִּי rachamti = ich erbarme mich. ER gibt Geborgenheit wie einem Fötus in der Gebärmutter רֶחֶם rechem nach der angespannten und ungewissen Lage.

Gott weiß, wessen ER sich erbarmt und wen ER begnadet, denn in IHM ist alle Weisheit, alles Erkennen und Wissen um jeden einzelnen Menschen, denn ER kennt die Herzen. ER weiß, wer mit Seiner Gnade und Barmherzigkeit umzugehen weiß und wer ihrer nicht würdig ist. So erbarmt ER sich Seines Volkes Israel, aber diejenigen, die schuldig und uneinsichtig waren und blieben, mussten sterben. Nach der Sünde des goldenen Kalbs starben 3000 Menschen. Darum antwortete Gott Mosche:
Ex. 32,33 Wer mir gesündigt hat, den wische ich aus meinem Buch.
Jeder muss für sich selbst Verantwortung übernehmen.

Niemand kann Gott sehen und leben. Darum zeigt Gott Seine Güte und lässt Seinen Namen erschallen. Mosche darf sich an einem Raum, Ort מָקוֹם makom auf den Felsen הַצּוּר ha’zur stellen. Beide Ausdrücke sind im Hebräischen Synonyme für Gott. Im Raum steht Mosche in Gott und auf dem Felsen auf der Festigkeit Gottes, die Mosches Emuna אֱמוּנָה = Glaube begründet und festigt.

Gott schützt Mosche mit Seiner Hand, die es ihm nicht möglich macht, Gottes Erscheinung, Seine Ehre, Seine Wichtigkeit, Seine Wesenheit, Seine volle Bedeutsamkeit zu sehen. Erst, wenn Gott die Hand entfernen wird, darf Mosche IHM nachschauen.

Warum darf er nicht das Angesicht des Ewigen sehen? Das Angesicht sieht nach vorne und schaut die Zukunft. Mosche als einfacher Mensch ist nicht befugt, Zukünftiges zu wissen. Es würde ihn überfordern. Aber Gottes Rücken, die Vergangenheit, darf er schauen. Wenn wir auf die Vergangenheit schauen, so können wir Gottes wunderbares Wirken erkennen, Sein Bewahren, Seine Wegführung, Seinen Schutz, Seine Wunder erkennen. Dafür werden wir IHM danken und damit Gottes Ehre in dieser Welt vermehren, wie es dreimal täglich beim Beten des Schmone Esre (Amida), des 18-Bitten-Gebets geschieht:
„Wir danken dir, denn du bist der Ewige, unser Gott und der Gott unserer Väter, immer und ewig, der Fels unseres Lebens, der Schild unseres Heils bist du von Generation zu Generation. Wir wollen dir danken und deinen Ruhm erzählen für unser Leben, das in deine Hand gegeben, und unsere Seelen, die dir anvertraut, und deine Wunder, die uns täglich zuteilwerden, und deine Wundertaten und Wohltaten טוֹבוֹתֶֽיךָ towotecha (dein Gutes) zu jeder Zeit, abends, morgens und mittags. Allgütiger, dein Erbarmen ist nie zu Ende. Allbarmherziger, deine Gnade hört nie auf, von je hoffen wir auf dich.“

Wir können aus dem Text und der Rahmenhandlung sehen wir als erstes, dass es um Israel, seinen Werdegang und seine Zukunft als Volk Gottes geht. Wir können ebenso daraus lernen, dass ein Ringen mit Gott lohnend ist. Wünsche, die wir Gott vortragen und die andere Menschen mit im Blick haben, können mit Gott erstritten und zur Erfüllung gebracht werden. Dabei nehmen wir in den Blick, dass es auch um Vergebung geht. Gekränkte Eitelkeiten haben keinen Platz, wenn wir vor Gott treten.

Machen wir uns klar, wann Gott uns Seine Nähe, Seine Ehre schauen lässt:
1. Maßgeblich war Mosches Klarheit, mit der er die Sünde bekämpfte;
2. seine Bescheidenheit, denn er wollte nicht das neue Volk Gottes werden, sondern Gottes Treue zum Volk Israel sehen;
3. Mosches Vergebungsbereitschaft, mit der er dem Volk vergab und bereit war, diese halsstarrigen, schwierigen Menschen zum Ziel zu führen;
4. Mosches Hartnäckigkeit im Einsatz für das Volk Gottes, mit der er vor Gott stand und nicht locker ließ.

Wenn wir zu so einem ernsthaften Gebet bereit sind, stehen uns die Türen bei Gott offen.

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