Schabbat 13. Juni 2020; 21. Siwan 5780
- Gottes Licht sind wir
- Die berühmte zweite Chance
- Gottes Präsenz in Wolke, Feuer und Zelt
- Der erste Aufbruch in Richtung verheißenes Land
- Ungehorsam auf dem Weg
Gottes Licht sind wir
Berechnete ich meinen Geburtstag nach dem jüdischen Kalender, so wäre diese Parascha am Schabbat nach meiner Geburt gelesen worden. Jungen und im liberalen Judentum auch Mädchen lesen am 13. bzw. 12. Geburtstag den letzten Teil „ihrer“ Parascha zur Bar bzw. Bat Mizwa.
So habe ich mich gefragt, welche Verse „meiner“ Parascha mich besonders ansprechen. Interessant ist bereits Vers 2, durch welchen die Parascha ihren Namen erhält:
Wenn du die Lichte höhst בְּהַעֲלֹתְךָ אֶת הַנֵּרֹת beha’alotecha et haNerot.
Es heißt nicht einfach: Wenn du die Lichter aufsetzt, sondern: wenn du sie höhst, von להעַלּות leha’alot = erhöhen. Zur Bedeutung des erhöhten Lichts gibt es eine tiefgründige Ergänzung zur Erklärung Raschis:
Wörtlich übersetzt lautet die Aufforderung Gottes zum Anzünden der Menora: „Wenn du die Lampen emporhebst.“ Raschi erklärt in seinem Kommentar, dass dies eine Anweisung an den Priester ist, die Flamme so lange an den Docht zu halten, „bis die Flamme von selbst aufsteigt“ und ohne fremde Hilfe brennt.
https://www.synagoge-karlsruhe.de/parshah/article_cdo/aid/533681/jewish/Sieben-Arme-ein-Leuchter.htm
Allegorisch interpretiert steht die Aussage Raschis für mehrere grundlegende Konzepte:
„Die Flamme“ – jeder Mensch ist potenziell „eine Lampe“. Doch das ist nicht genug; er muss diese latente Fähigkeit zur Anwendung bringen und zu einer „Flamme“ werden, um Licht zu verbreiten.
„Von selbst“ – ein Mensch hat den Einfluss seiner Lehrer so zu verinnerlichen, dass deren Licht zu seinem eigenen wird. Das Wissen, das er erwirbt, sollte ihm die Möglichkeit geben, unabhängig zu „leuchten“.
„Aufsteigt“ – der Mensch darf sich nicht mit seiner derzeitigen geistigen Ebene zufrieden geben, egal wie hoch er steht.
Das Licht des siebenarmigen Leuchters ist an dieser Stelle von großer Bedeutung. Der Leuchter wurde aus einem einzigen Stück Metall getrieben und verzweigt sich in sieben Lampen. Die Zahl 7 versinnbildlicht die weltliche Vollkommenheit.
Der Leuchter steht für das Licht Gottes, das unser Leben erhellt. Er stand gegenüber dem Schaubrottisch mit den 12 Broten, welche auf die 12 Stämme Israels deuten. Auf sie fällt das Licht Gottes, und zwar ständig. Jeden Tag mussten die Lichter gereinigt und neu entzündet werden, damit das Licht Gottes ewige scheinen kann. Heute brennt das „Ner tamid“, das ewige Licht, in der Synagoge über dem Toraschrein in Erinnerung an das ständig brennende Licht der Menora im Tempel.
Weil „Die Seele des Menschen Gottes Kerze” ist (Sprüche 20:27), gibt uns der Leuchter im Tempel ein wichtiges Vorbild. Damit Gottes Licht in uns brennen kann, braucht es die tägliche Reinigung und Befüllung mit Öl. Unsere Seelen benötigen, um Gottes Licht in die Welt tragen zu können, jeden Tag das Licht der Tora und die Leitung durch Gottes Wort und Geist.
Die berühmte zweite Chance
Nochmals wird die Herausrufung der Leviten und deren Reinigung beschrieben. Die Leviten sind von Gott Gegebene für den Dienst im Heiligtum, sie sindנְתֻנִים netunim von natan נָתַן = er gab, was wir in den Namen Nathan oder Jonathan kennen oder in Matthias von Matitjahu und dem Nomen Matan מַתָּן = Gabe, Geschenk. Schawuot als Fest der Toragabe trägt diesen Namen: Matan Tora.
Wie ich bereits erklärte, werden die Leviten abgesondert vom übrigen Volk, um so das Vergehen Levis wieder gutzumachen, das dieser mit Simeon an den Hewitern begangen hatte.
Levi bekommt eine zweite Chance, ebenso wie Menschen, die unverschuldet das Pessachfest nicht feiern konnten.
Nach Gottes Geheiß können Opfer nur dargebracht werden, wenn sich der Opfernde in dem dazugehörigen Zustand der Reinheit befindet. Die Berührung eines Toten verunreinigt und macht das Pessachopfer unmöglich. Es ist aber auch eine Verpflichtung, Verstorbene zu bestatten und Angehörige zu trösten, sodass sich der Kontakt mit einem Toten nicht immer vermeiden lässt. Die betroffenen Männer taten das einzig Richtige: Sie sprachen mit Mose offen über ihr Anliegen und ihr Gefühl, zurückgesetzt zu werden, wenn sie ein so wichtiges Fest nicht gebührend feiern und Gott nicht mit dem entsprechenden Opfer begegnen können. Es entstand ein Zwiespalt, für den Mose Gott befragte.
9,8 Mosche sprach zu ihnen: Bleibt stehn, ich will hören, was ER für euch gebietet.
Und Gott bietet einen Monat später ein zweites Pessach an, eine zweite Chance für all jene, die unverschuldet am ersten Pessach nicht zum Tempel wallfahrten konnten. Für dieses zweite Pessach gelten die Vorschriften wie beim ersten Pessach.
Aber mach es dir nicht zu leicht!, ermahnt Gott in V13. Wenn du einfach nur zu bequem bist und durch eigene Unterlassung das Pessachopfer im ersten Monat versäumst, so bist du schuldig und musst deine Schuld tragen.
Hat jeder eine zweite Chance verdient? In diesem Fall nicht, denn zuerst trägt der Mensch Eigenverantwortung für sein Tun. Die zweite Chance ist ein Zeichen von Gottes Großzügigkeit und Liebe, aber diese dürfen nicht ausgenutzt werden.
Gottes Präsenz in Wolke, Feuer und Zelt
Ein Bild, das ich aus der Tora sehr liebe, ist die Wolke, die das Volk sicher leitet, die sich über dem Heiligtum niederlässt und Mose auf dem Berg aufnimmt.
Gott zeigt Seine Gegenwart in der Wolke עָנָן anan. Das Wort hat einen sprachlich engen Bezug zu עָנָה ana = er antwortete. Die Wolke präsentiert dem Menschen den ewig Antwortenden, Gott, der auf das Flehen Seiner Kinder hört. Eine Antwort mag der Regen aus der Wolke sein oder der Tau, der in den frühen Morgenstunden auf dem Manna lag. Die Wolke mit dem Wasser ist der Garant für unsere Lebenserhaltung.
Nachts zeigt sich Gottes Präsenz im Feuer, in einem dem Wasser gegensätzlichen Element. Wir erkennen, wie Gott die Gegensätze in sich vereinigt. Und wir sehen, dass Gott uns so begleitet, wie wir es benötigen. Nachts braucht es das Leuchten und die Wärme des Feuers, die verzehrende Kraft, welche wilde, unerwünschte Tiere abhält, ins Lager einzudringen. Tagsüber braucht es in der Wüste die Wolke, die die Hitze der Sonne bricht.
Das Zelt, welches die Kinder Israel Gott bauten, ist der Mischkan הַמִּשְׁכָּןvon שָׁכַן schachan = er wohnte. Es ist der Ort der Einwohnung Gottes, Seiner Schechina. Bei diesem Zelt handelt es sich um ein Provisorium, das erst zu einem Heiligtum, einem Beit haMikdasch בֵּית-הַמִּקְדָּשׁ wird, als es seinen festen Platz in Jerusalem bekommt. Dort vergaß König Salomo jedoch, dass Gott nicht in Prunk wohnen will, sondern ein Heiligtum, wie Gott es in Ex.25,8 forderte: מִקְדָּשׁ וְשָׁכַנְתִּי בְּתוֹכָם Mikdasch we schachanti betocham = ein Heiligtum, dass ich in ihnen wohne. Gott nimmt Wohnung in unseren Herzen, nicht in unseren Palästen.
In Num.9,15 wird diese Wohnung Gottes auch „Zelt des Zeugnisses“ אֹהֶל הָעֵדֻת ohel haEdut genannt. Gott legt Zeugnis ab von seiner greifbaren und be-greifbaren Präsenz in der Wüste. Ebenso ist der Mensch aufgerufen, durch seine Opfer und Gebete Zeugnis von der Gegenwart und alleinigen Führung Gottes abzulegen.
Der erste Aufbruch in Richtung verheißenes Land
In Num. 10 gibt Gott Anweisungen, welcher Trompetenschall welche Gruppen zum Aufbruch mahnt. Wenn die Wolke sich erhebt, ist die Zeit zum Aufbruch gekommen. Dieser aber erfolgt in einer bestimmten Ordnung, denn Gott schuf die Ordnung, nicht das Chaos. Und so bricht das Volk Israel erstmals vom Berg Sinai auf, nachdem alle Anweisungen gegeben und im Bau des Zeltes sowie im Dienst der Priester und Leviten umgesetzt wurden.
Mose bittet seinen Schwiegervater, den er sehr schätzte, sie zu begleiten (10,29). Wir kennen ihn unter dem Namen Jitro aus der gleichnamigen Parascha. Er war Mose eine große Hilfe, als es darum ging, das große Volk zu führen. Nun möchte Mose seinen Schwiegervater, der nun mit Namen Chowaw oder Chobab genannt wird, bewegen, das Volk Gottes zu begleiten. Der Name bedeutet: der Gemochte, der ins Herz Geschlossene oder ins Herz Schließende, der sich Zuwendende von לְחַבֵּב lechabew = liebhaben, mögen. Der Name drückt die Ehrerbietung Mose gegenüber seinem Schwiegervater aus sowie die innige Beziehung zwischen beiden. Zuerst lehnt der ab, doch Mose insistiert:
Num.10,31 Er aber sprach: Verlaß uns doch nicht, wozu sonst kenntest du Lagerplätze für uns in der Wüste! du sollst uns zu Augen sein.
Mose weiß, dass sein Schwiegervater viel Kenntnis von der Umgebung hat, durch die sie gehen werden. Und so, wie er ihm schon einmal eine große Hilfe war, kann er es wieder sein, wenn er mit seinen Augen den Weg und das Land begutachtet. Bei aller Führung durch Gott dürfen wir uns menschlicher Hilfe bedienen, denn dazu hat Gott Seine Kinder mit den unterschiedlichen Fähigkeiten ausgestattet. Chowaw wird unter demselben Segen stehen, den Gott Seinem Volk versprochen hat. In der jüdischen Tradition ist Jitro resp. Chowaw der erste Konvertit nach Abraham.
Num.10,32 So seis, wenn du mit uns gehst, so seis: dasselbe Gute, mit dem ER uns guttut, damit wollen wir dir guttun.
Die folgenden Verse werden rund um die Toralesung in der Synagoge gesungen. Beim Ausheben der Tora aus dem Toraschrein wird gesungen:
Num.10,35 (Es geschah: Wann der Schrein auszog, sprach Mosche:) Steh auf, DU, daß zerstieben deine Feinde, daß entfliehen deine Hasser vor deinem Antlitz!
Beim Einheben der Tora der folgende Vers:
Num.10,36 (Und wann er ruhte, sprach er:) Kehr ein, DU, in die Mengen der Tausende Jissraels!
Ungehorsam auf dem Weg
In Num. 11 lesen wir die bekannte Begebenheit von Gottes Versorgung mit Wachteln. Das Manna wird dem Volk langweilig, obwohl es gemäß V8 sehr vielfältig war. Der Midrasch erzählt sogar, dass es jedem so schmeckte, wie er es sich gerade vorstellte. Aber das Volk murrt und ist unzufrieden, weil es angeblich in Ägypten so reichhaltige Speise gab, nach denen sie in der Wüste gelüsten. Ob das der Realität entspricht oder ihrer Fantasie entsprang? Es ist nicht vorstellbar, dass die so unterdrückten Sklaven Pharaos den besten Fisch, das beste Fleisch und das vielfältigste Gemüse aßen. Die Unsicherheit der Wüste macht ihnen zu schaffen und lässt sie immer wieder vergessen, was sie mit Gott erlebten. Ob wir Heutigen um so viel besser gehandelt hätten? Ich wage es zu bezweifeln. Unser Gottesglaube kommt mir oft viel kleiner vor als ein Senfkorn. Es gibt zwar nicht selten große Worte, aber steckt dahinter wirklich der entsprechende Glaube?
Gott und Mose sind empört. Gott beschließt, das Volk für einen Monat dermaßen mit Wachteln zu versorgen, dass es ihnen zu den Nasen wieder herauskommen soll. (Num.11,20)
Die Wachteln kommen mit einem Windbraus – und das Volk sammelt und isst.
11,33 Noch war das Fleisch zwischen ihren Zähnen, bevor es verzehrt war, SEIN Zorn flammte auf das Volk ein, ER schlug auf das Volk ein, einen sehr großen Schlag. 34 Man rief den Namen jenes Orts: Gräber des Gelüsts, denn dort hatte man das Volk der Lüsternen begraben.
Gott gab dem Volk doch die Wachteln. Warum entbrennt wiederum Sein Zorn, sodass viele Menschen sterben? Antwort gibt der Name der Gräber: Gräber des Gelüsts. Das Volk gierte nach dem Fleisch. Es nahm nicht mit Danksagung die Speise an und verzehrte sie würdevoll vor Gott, dem Schöpfer und Geber aller guten Gaben. Es fraß wie die Tiere. Die Kinder Israel blieben in ihrer Verblendung von Ägypten stecken und verhielten sich wie die ausgehungerten Sklaven, die nicht genug bekommen aus Angst, nichts mehr zu bekommen. Vergessen die Freiheit. Vergessen die tägliche Versorgung mit Manna.
Darum ist es eine richtige und wichtige Angewohnheit, jedes Mahl mit Danksagung zu beginnen und zu beenden. Jedes jüdische Tischgebet nach dem Essen enthält den Satz:
Dtn.8,10 Und wenn du dich satt gegessen hast, so wirst du den Herrn, deinen Gott, loben für das schöne Land, das er dir gegeben hat.
Das Gebet nach dem Essen Birkat haMason = die Danksagung für die Speisen, dankt sehr ausführlich für Brot und Speise, für Versorgung, Einkommen und Auskommen, für das Land und die Stadt Jerusalem, für die Wiedererrichtung der Stadt und des Heiligtums sowie für das Kommen des Messias.
Von einem weiteren Ungehorsam lesen wir in Num.12. Aaron und Miriam sprechen schlecht über die Frau des Mose, weil sie dunkelhäutig ist. Zudem sprechen sie voller Neid über Mose, denn sie sind der Meinung, dass er doch nichts Besseres sei, immerhin spräche Gott doch auch zu ihnen.
Mose unternimmt nichts wegen dieser Verleumdungen. Er wird als sehr bescheidener und demütiger Mann dargestellt. Aber Gott hört diese Rede und ruft die drei Geschwister zu sich, an den Eingang der Stiftshütte. Ein gutes Beispiel, dass interne Belange auch intern besprochen werden.
Gott stellt etwas klar: ER mag mit anderen Menschen ebenfalls sprechen, durch Träume oder Visionen. In Kap. 11,16ff hatte Gott den Geist des Mose auf 70 Männer gelegt, die ihn unterstützen sollten. Aber Mose ist und bleibt ein besonderer Vertrauter und Freund Gottes.
Num.12,8 Mund zu Mund rede ich in ihn, ansichtig, nicht in Rätseln, MEINE Abgestaltung erblickt er. Weshalb scheutet ihr nicht, wider meinen Knecht, wider Mosche zu reden!
Neid ist nicht angebracht. Gott hat uns unterschiedlich geschaffen und begabt. Wir sind gerufen, in unseren eigenen Gaben zu wirken, denn das gibt unserem Leben Sinn und unserer Seele Frieden.
Wegen der üblen Nachrede musste Miriam den Aussatz tragen. Sieben Tage lang musste sie außerhalb des Lagers bleiben. Dadurch wurde für alle sichtbar, dass ihre Verleumdung sie nicht gemeinschaftsfähig machte. Der Aussatz der Bibel hat nichts mit Lepra zu tun. Es handelt sich um einen Hautausschlag, der in der Bibel immer wieder als Folge von übler Nachrede auftritt.
Aussatz = Zara’at צָרָעַת, aussätzig = mezora’at מְצֹרַעַת hat dieselbe Wurzel wie das Wort Ägypten מִצְרַיִם Mizrajim, nämlich zar צר = Enge und ra רע = böse. Es bedeutet, dass der Aussätzige eine innere Beengung erfährt, ein inneres Gefangensein durch seine verleumderischen Äußerungen.
In diesem Zusammenhang finden wir das kürzeste Heilungsgebet, das Mose für seine Schwester spricht:
12,13 אֵל נָא רְפָא נָא לָהּ El na refa na la Gott, bitte heile sie.
Sieben Tage wartet das gesamte Volk auf Miriams Genesung. Sie hat lieblos gehandelt, aber auch sie verdient eine zweite Chance, denn ohne sie wäre Mose nicht am Leben. Sie hat sich im Leben schon manches Mal bewährt, sodass ohne sie die Wanderung nicht weitergeht.
Zur Weiterführung empfehle ich folgende Geschichte:
https://www.synagoge-karlsruhe.de/parshah/article_cdo/aid/697655/jewish/Miriams-Wagemut.htm
Wenn Ihnen meine Auslegung zur Parascha gefallen hat, unterstützen Sie doch bitte Chabad, eine Organisation, die jüdisches Leben in Deutschland und in der Welt aufbaut und stärkt.
https://www.synagoge-karlsruhe.de/templates/articlecco_cdo/aid/445141/jewish/ber-uns.htm
Dankeschön für diese wunderbar einfache Gelegenheit Jüdische Kultur und Geschichte kennen und verstehen zu lernen. Ganz besonders die für die Erläuterungen, was die wichtigsten Wörter und Namen übersetzt bedeuteten.
Vielen Dank. Es ist mir besonders wichtig, das Wissen, das vielmehr in der hebräischen Sprache steckt und vordergründig oft durch Übersetzungsfehler verloren geht, zu vermitteln. Viel Freude beim Stöbern durch meine Seiten.