vorgeschlagen für Sonntag, d. 15.3.2020, Okuli: Lass die Toten ihre Toten begraben

 

57UND als sie wanderten, sagte einer auf dem Wege zu ihm: Ich will dir nachfolgen, wohin du auch gehst.
58Und Jesus sprach zu ihm: Die Füchse haben Gruben und die Vögel des Himmels (haben) Nester; der Sohn des Menschen dagegen hat nicht, wo er sein Haupt hinlegen kann.
59Er sprach aber zu einem andern: Folge mir nach! Der antwortete: Erlaube mir, zuvor hinzugehen und meinen Vater zu begraben.
60Da sprach er zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes! 
61Es sagte aber auch ein andrer: Ich will dir nachfolgen, Herr; zuvor jedoch erlaube mir, von denen, die in meinem Hause sind, Abschied zu nehmen. .
62Da sprach Jesus zu ihm: Niemand, der seine Hand an den Pflug legt und zurückblickt, ist tauglich für das Reich Gottes.

 

Zum Verständnis des Textes gehört das Verständnis des Auftrags und der Stellung Jesu innerhalb des pharisäischen Judentums sowie das Verständnis der bedrohlichen Situation durch die römische Besatzung.
Es geht weiter um die Frage nach Berufung und Antwort.
Wie gut schätzen wir Situationen ein oder lassen wir uns nur von Äußerlichkeiten entzünden wie ein Strohfeuer?
Es gilt zu verstehen, wann sogar religiös anmutende Gebote der Beziehung mit Gott im Wege stehen. Bei Gott geht es immer um das JETZT, um das HEUTE.

 

Jesus, der Wanderrabbi

 

Jesus ist ein Wanderrabbi seiner Zeit. Die damaligen Rabbis trugen diesen Titel als Ehrentitel, nicht als Berufsbezeichnung. Sie gehörten verschiedenen pharisäischen Schulen an, die miteinander um das Wort der Tora rangen, die sich mühten, mit ihrem Leben Gott zu ehren, indem sie die Worte der Tora umsetzten. Aber wie sollte das im Einzelfall geschehen? Die Tora ist in mancher Hinsicht sehr wortkarg. Wie soll man es also in der Praxis verstehen, wenn es heißt, der Schabbat werde gehütet; am Schabbat werde nicht gearbeitet. Was zählt alles zu der „Arbeit“, die unterlassen werden sollte? Die Tora bedurfte der Auslegung, wie es schon Mose angekündigt hatte: Ihr müsst immer die Weisen, die Priester und Richter, eurer Zeit befragen. (Dtn. 17,9)
Die gelehrten Pharisäer wanderten durch das Land, um ihre Erkenntnisse der Schrift mit anderen zu diskutieren, aber auch, um Schüler zu gewinnen. Sie hatten keinen eigenen Reichtum. Von diesen Talmidim = Schülern wurden die Rabbis versorgt durch verschiedene Gaben in Form von Speisen oder Dingen des täglichen Bedarfs. Diese Schüler sollten von ihrem Lehrer lernen, um dann selber einmal seine Lehre zu verbreiten. Schüler waren eine Ehre für den Lehrer, und ein Lehrer ist stolz darauf, wenn sein Schüler einmal über ihn hinaus an Einsicht und Bekanntheit gewinnt. Es geht ja um Gott und Sein Wort, nicht um die eigene Ehre.

 

Kennst du die Tragweite des Wanderlebens

 

In dieser Situation sehen wir Jesus mit seinen Schülern umherziehen. Zwölf gehören zu seinem engsten Kreis, aber schon Kap.10,1 weist darauf hin, dass er immer wieder von einer großen Anzahl von Menschen über einen kürzeren oder längeren Zeitraum begleitet wurde.
Auf diesem Weg wird Jesus angesprochen: Ich will dir nachfolgen, wohin du auch gehst.
Müsste Jesus sich nicht freuen, dass er einen weiteren Menschen so tief angesprochen hat, dass dieser nun mit ihm gehen möchte. „Wohin du auch gehst!“ Das klingt großspurig.
Die Moabiterin Ruth hatte diese Worte gut überlegt. Die Abweisung durch ihre Schwiegermutter Noomi und der Weggang ihrer Schwägerin Orpa konnten sie nicht davon abhalten, ihre alleinstehende Schwiegermutter in die Fremde und in einen neuen Glauben zu begleiten.
Jesus antwortet auf dieses hingebungsvoll scheinende Ansinnen entsprechend schroff oder realistisch, wie man es empfinden mag: Die Füchse haben Gruben und die Vögel des Himmels Nester; der Sohn des Menschen dagegen hat nicht, wo er sein Haupt hinlegen kann.
Das klingt nicht einladend. Und interessanterweise antwortet der Fragende nicht. Wir erfahren nicht, wie er sich nach dieser deutlichen Mitteilung entschied. Oder traf Jesus mit seiner Feststellung ins Schwarze: Mein Lieber, du weißt nicht, was du sagst. Du weißt nicht, worauf du dich einlässt. Wenn du trotzdem mitkommen willst, nur zu. Aber ich befürchte, du weißt nicht, was es heißt, für Gott unterwegs zu sein.

 

Was ist so schlimm am Wanderleben?

 

Wie in Kap.10,3 zu lesen ist, weiß Jesus um Gefahren, die einem jeden von ihnen drohen. Er schickt sie 70 „wie Schafe unter die Wölfe“. Darum redet nicht unnötig. Haltet euch bedeckt, wenn ihr ein Haus betretet und prüft, ob dort ein „Kind des Friedens“ lebt. Wenn nicht, dann nichts wie weg. Es gab immerhin nicht nur die Römer, die die Juden im Visier hatten, nachdem es unter Herodes dem Großen schon einmal einen blutigen Aufstand gegeben hatte. Da konnten solche Wanderprediger, deren Botschaft man nicht einordnen konnte, schon mal bedrohlich erscheinen. Doch da gab es auch jüdische Kollaborateure. Die waren nicht auf den ersten Blick erkennbar. Vertrauen war nicht immer  und überall angebracht – außer auf den Höchsten, der auch ohne festen Schlafplatz seine Kinder behütet.
Jesus reiht sich ein in die Linie seines Ahnen David. Der war ebenfalls viel unterwegs und dabei häufig auf der Flucht, sei es vor seinem Vorgänger König Saul oder vor seinem eigenen Sohn Absalom, der ihm nach Thron und Leben trachtet. Die Momente, in denen er Saul begegnet, zeigen deutlich, dass er Höhlen als Schlafplatz aufsuchen muss. Als sein Freund Jonathan ihn vor der Gewaltbereitschaft seines Vaters warnt, sieht man, dass David nicht einmal nach Bethlehem zu seiner Familie fliehen kann, weil der König ihn dort als erstes fände. Darum floh er nach Nob. Zuvor musste er sich drei Tage im Feld verstecken. (1.Sam.20/21)

 

Anstelle der Mizwa der Totenbeisetzung gilt das Gebot der Stunde

 

Den einen weist Jesus ab, den anderen beruft er zur Nachfolge. Der Gerufene sagt nicht nein. Er bittet darum, zuvor seinen Vater begraben zu dürfen. Das war im Orient immer ein ehrwürdiges und wichtiges Anliegen. Bis heute ist es eine Mizwa (eine Segen verbreitende gute Tat), an einer Beisetzung teilzunehmen, die möglichst innerhalb von 24 Stunden nach Eintreten des Todes durchzuführen ist.
Trotzdem hat dieses Ansinnen des gerufenen Mannes etwas Ausweichendes. Wäre sein Vater schon gestorben und er mit den Vorbereitungen zur Bestattung beschäftigt, hätte er Jesus gar nicht treffen können. So bleibt allein die Annahme, dass er sein Zuhause nicht vor dem Ableben seines mit Sicherheit noch lebenden Vaters verlassen will. Er will nicht gehen, solange er sich vor dem Vater für diesen Schritt rechtfertigen muss und solange er nicht sein Erbe geklärt hat. Es ist somit sehr wahrscheinlich, dass die finanzielle Absicherung im Vordergrund steht.
Für Jesus aber zählt das Jetzt, das Heute:
2. Kor.6, 2 denn es heißt: «Zu willkommener Zeit habe ich dich erhört und am Tage des Heils dir geholfen.» Siehe, jetzt ist die hochwillkommene Zeit; siehe, jetzt ist der Tag des Heils. 
Lk.4,21 ZUR Er begann aber damit, ihnen zu sagen: Heute ist dieses Schriftwort erfüllt vor euren Ohren.
Und es gibt eindeutige Prioritäten:
Mt.6,33Suchet vielmehr zuerst sein Reich und seine Gerechtigkeit! dann werden euch alle diese Dinge hinzugefügt werden. 34Darum sorget euch nicht um den morgenden Tag; denn der morgende Tag wird seine eigne Sorge haben. Jeder Tag hat genug an seiner eignen Plage.
Was weißt du, was morgen sein wird? Geschweige denn, in Monaten und Jahren? Es gibt HEUTE eine Aufgabe für dich, die getan werden muss, denn die Arbeiter im Weinberg sind wenige. (Lk.10,2) Darum sagt Jesus zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben! Wenn du nicht den vor deinen Füßen liegenden Auftrag tust, dann verspielst du dein eigenes Leben, nämlich das Leben deiner Seele. Wenn du das Gebot der Stunde nicht erkennst, gehörst du wegen deiner Verhärtung und Verleugnung nicht mehr ins Reich der Lebenden. Vielmehr wirst du bald zu den geistlich und seelisch Toten gehören, wenn du dein Leben an Äußerlichkeiten hängst. Oder du begräbst diese Verhärtung und Verirrung deines Herzens!
Geh! Verkündige! – Jesus lässt nicht locker. Er ruft mit dem Ruf der Berufung, den schon Abram hörte: Geh! Lech!
Ps.51,17 ZUR  Herr, tue meine Lippen auf, / dass mein Mund dein Lob verkünde. /
Ps.71,17 Gott, du hast mich gelehrt von Jugend auf, / und bis jetzt verkünde ich deine Wunder. 18 Auch im Alter noch, wenn ich grau werde, / verlass mich nicht, o Gott, / dass ich deinen Arm der Nachwelt verkünde, / deine Kraft allen, die noch kommen werden, /

Gehen und verkünden, das ist eine Aufgabe bis ins Alter. Sie wird nicht eingeschränkt und sie ist dringend in einer Zeit, in der Jesus um alle Verwirrung und Verirrung und Bedrohung weiß. Eine Zeit, die an unsere erinnert mit allen Despoten, Hass, Unmenschlichkeit, Terror und Bedrohung. Darum müssen wir auch heute gehen und verkünden, wer der Gott ist, dem wir vertrauen und der die Rettung der Welt und die Umkehr der Verirrten will.

 

Abschied oder Nostalgie

 

Jesus kommt mit einem Dritten ins Gespräch. Er will ebenfalls dem großen Lehrer nachfolgen, und er nimmt den Mund schon einmal nicht so voll wie der erste Aufnahmesuchende. Er will sich nur zu Hause verabschieden. Das dürfte ja kein Ding sein: Sag Schalom, nimm alle in den Arm und sprich ihnen einen Segen zu, dann geht’s los.
Dazu gibt es eine Parallelgeschichte in 1. Kö.19. Elija beruft seinen Nachfolger, indem er ihm seinen Mantel über die Schultern wirft, einfach so im Vorbeigehen. Elischa versteht die Bedeutung. Er ist berufen und er muss gehorchen. Doch auch er antwortet Elija:
20Da verließ er die Rinder, lief Elia nach und sprach: Lass mich nur noch Vater und Mutter küssen, dann will ich dir nachfolgen. Er sprach zu ihm: Gehe hin und komme wieder, denn was habe ich dir getan! 21Da wandte er sich von ihm, nahm das Joch Rinder und schlachtete sie. Mit dem Geschirr der Rinder kochte er das Fleisch und gab es den Leuten zu essen. Dann machte er sich auf, folgte Elia nach und diente ihm.
Elija reagiert ebenfalls schroff, distanziert, aber er weiß, dass diese Berufung im Herzen angekommen ist. Elischa tätigt ein Ritual, indem er aus den Rindern, mit denen er zuvor noch auf dem Feld arbeitete, ein Essen für alle macht, für seine Familie und die weiteren Bediensteten. Das Verbrennen des Geschirrs und das Schlachten seiner Rinder demonstriert überdeutlich, dass er die Zelte hinter sich abbricht und seinen Dienst für Gott antritt. Es gibt kein Zurück.
Jesus wird diesem Mann gegenüber ebenfalls deutlich: Niemand, der seine Hand an den Pflug legt und zurückblickt, ist tauglich für das Reich Gottes.
Warum lässt er den Fragenden nicht Abschied nehmen wie Elischa es tat? Weil Jesus durchschaut, dass es für den vor ihm stehenden Mann um eine Ausrede geht. Auch er ist sich nicht der Dimension bewusst, die die Nachfolge des Meisters bedeutet. Er wird nicht so konsequent Abschied nehmen wie Elischa. Er muss noch unsicher und unentschlossen wirken. Darauf macht Jesus ihn aufmerksam, und auch von ihm erfahren wir nicht, wie er sich schlussendlich entscheidet.

 

Die Berufung ergeht auch an uns heute

 

In unserer Zeit gibt es viel Bedrohliches und Verunsicherndes, was den Blick von Gott wegzieht. Katastrophen verführen zu der Annahme, es gebe keinen Gott. Geschäftigkeit, Genuss und Wohlstand lassen Gott vergessen. Beides gibt es heute genug.
Elija, Elischa, Jesus – sie wussten, dass die politische Zeit und gesellschaftliche Abwendung von Gott ihren Dienst erforderte, ihr mahnendes Rufen und ihre dienende Liebe.
Wir sind ebenfalls dazu gerufen, Gottes Liebe und Seine wunderbaren Taten zu verkündigen. Stellen wir uns das nicht zu leicht vor. Aber lassen wir uns nicht davon abhalten. Denn jeder Berufene geht auch an der Hand des Berufenden.

 

Gott segne Ihren Weg, den Sonntag und die Woche über.

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