Schabbat 18. Adar 5780 / 14. März 2020

Nicht nur Gott ist heilig

Das Thema des Wochenabschnitts ist die Heiligkeit Gottes. Sie steht im Mittelpunkt der gesamten Lesung. Und so soll jeder Gemusterte der Söhne Israels, also wer älter als 20 Jahre alt ist, einen halben Schekel für den Tempel spenden, um so sein Leben zu reinigen, denn nun gehört er zu den Gemusterten Gottes. Er steht im Dienst für Gott, wofür die Voraussetzung die Sühne und Heiligung sind. Das Zelt, die Geräte für den Priesterdienst, die Priester selbst, sie alle sollen mit einer besonderen Ölmischung gesalbt werden. Für nichts anderes darf diese Mischung benutzt werden als für die angeordneten Salbungen. Das Öl ist kostbar und soll damit den Gesalbten hervorheben aus dem Volk. Die Salbung versetzt ihn in den Stand, Dienst für Gott zu tun. ER ist heilig, und die zu IHM gehören, sollen heilig sein; die IHM dienen erst recht. Die heiligen Gewänder, Kultgegenstände, Öle und Kräutermischungen für den Gewürzopferaltar, alles soll von berufenen Männern hergestellt werden. Gott verteilt die Aufgaben an die, welche ER berufen will. Vielleicht besitzen diese Menschen eine besondere Fähigkeit, vielleicht brauchen sie eine besondere Herausforderung. Gott kennt sie und setzt sie ein.

Namen als Programm

Sie haben sprechende Namen: Als erster wird Bezaleel genannt, nach dem heute noch eine große Kunstschule in Israel benannt ist. Er sollte unter der Hilfe des Geistes Gottes alle Arbeiten mit Gold, Silber, Erz, mit Stein und Holz verrichten. Sein Name bedeutet „unter dem Schatten Gottes“. Die Berufung dieses Mannes ist es, zu wissen, wer sein Schutz ist, sein Schatten gerade in der Hitze der Wüste. Sein Vater Uri war der „Erwachende“, jemand, der erwacht ist für Gott. Vielleicht erwachte er aus einem von Gott getrennten Leben. Nun kann Bezaleel aus dem Schatten und Schutz heraus das Licht Gottes sehen, den Geist Gottes für die Arbeit aufnehmen. Sein Großvater war Chur = weißes Linnen, ein Mann von Reinheit aus dem Stamm der Dankbarkeit = Juda. Dankbarkeit, Reinheit, Wachheit und das Bewusstsein von Gottes Schutz sind also Voraussetzungen für den Mann, der die Arbeit an den heiligen Geräten leiten soll. Sein Gehilfe ist Oholiab = mein Zelt ist Gott, den Sohn Achisamaks = mein Bruder ist Unterstützung, vom Stamme Dan, dem Stamm des Richters, welcher Gott ist. Auch sein Name und die Kraft der Namen seiner Vorfahren ist Programm. Als Mitarbeiter am Stiftszelt weiß er, dass dieses Zelt nicht nur ein Zelt für Gott ist, sondern dass Gott selbst sein Zelt ist, eine Hütte des Friedens, die Gott über die Seinen ausbreitet. Eine solche Hütte ist nicht sichtbar wie das Stiftszelt, aber es umgibt den Glaubenden wirkungsvoll. Außerdem ist ihm bewusst, dass er für Bezaleel ein Bruder sein soll, der den Anleiter der heiligen Arbeiten unterstützt. Er ist nicht selber der Chef, aber als Bruder und Unterstützer braucht ihn Bezaleel. Wir sollen füreinander da sein wie Brüder, die sich nichts neiden. Nicht wie Kain, der ungerührt fragt: Soll ich meines Bruders Hüter sein? Ja, das sollst du, Mensch! Über all dem wacht der oberste Richter. Vergesst das nie.

Bundeszeichen

Einige Sätze verwendet Gott auf die Einhaltung des Schabbat. Es soll nicht nur um einen freien Tag gehen, sondern um einen Tag, den Gott ebenso geheiligt hat wie Stiftszelt, Priesterdienst und sein Volk. Dieser Tag ist mehr als alle anderen Tage der Woche, denn er ist ein Zeichen des Bundes zwischen Gott und den Kindern Israel, Seinen erwählten Kindern. Sie sollen ihn, den Schöpfer, nachahmen in der Ruhe und Bewunderung der Schöpfung. Dieser Tag ist ein Tag der Nachahmung Gottes, von dem es heißt: wajinafasch (וינפש). Das bedeutet, an diesem Tag herauszukommen aus der Zerstreutheit des materiellen Alltags und die eigene Seelenmitte wiederzufinden. Wie ER diesen Tag nach Beendigung Seines Schöpfungswerkes „feierte“ – im passenderen Sinn des Wortes als „ruhte“, so bekommen Seine Bundeskinder die einzigartige Möglichkeit, eine „Insel in der Zeit“ zu genießen. (Schabbat Schalom. Schabbat – Eine Insel in unserer Zeit Gebundenes Buch – 1993, von Pinchas H. Peli) Der Tempel oder die Stiftshütte sind besondere „Inseln“ im Raum, aber der Schabbat ist eine Insel in der Zeitdimension. Ein Tag, an dem der Mensch nicht in die Schöpfung eingreift, ausruht vom kreativen Alltag, seine Seele einfach nur danken und staunen lässt an dem Werk der vergangenen Woche. Ein Tag, an dem der Mensch im Vertrauen auf Gott loslässt, selbst wenn eine Arbeit noch nicht vollendet ist. Wer weiß, was sich in der Zeit der Stille an ungeahnten und bisher ungedachten Möglichkeiten eröffnet, wenn der Mensch diesen Tag mit seinem Schöpfer und der Tora verbringt. Gottes Wort und Geist erfrischen und erneuern. Ein Neubeginn der Schöpfung am eigenen Werk ist da gar nicht ausgeschlossen. Haltet den Bund mit mir, indem ihr den Schabbat haltet und keine Arbeit verrichtet. Die Rabbiner entschieden, dass unter Arbeit das zu verstehen sein sollte, was mit Kreativität und Neuerschaffung zu tun hat, weshalb sogar das Schreiben unter die zu unterlassende Arbeit fällt. Richte deine Gedanken auf das Lesen und Lernen der Tora, auf das Gespräch und die Diskussion mit den Geschwistern über Gottes Wort, aber meine nicht, dazu müsstest du schreiben. Das wird an deinem Herzen vorbei in den Intellekt gehen. Darum bleib allein beim Hören und Lernen.

Das goldene Kalb

Eine weitere Geschichte ereignet sich in dieser Parascha, der Bau des goldenen Kalbs. Mose ist auf dem Berg bei Gott und erhält dort all die Vorschriften, über die wir schon gesprochen haben, und die Zeit wird den Kindern Israel lang. Nicht unverständlich, wenn sie nicht wissen, was da auf dem Gipfel des Berges passiert. Wer garantiert, ob der alte Mann Mose überhaupt noch lebt. Er hat alles initiiert, und nun ist er verschwunden. 40 Tage sind keine Kleinigkeit, immerhin länger als ein Monat. Wie soll es weitergehen? Soll das Volk jetzt dort in der Wüste sitzen bleiben? Worauf warten? Ist es nicht besser, diesen unwirtlichen Ort zu verlassen? Aber wer geht jetzt voran? Aaron gerät in die Zwickmühle, denn er soll dem Volk einen Gott bauen, der vorangeht. Er muss handeln, um das Volk bei Laune zu halten. Vielleicht denkt er, dass die Menschen ablassen von ihrem Wunsch, wenn er ihnen ihren Reichtum abverlangt, um ihn einzuschmelzen. Aber sie machen mit. Aus goldenem Schmuck wird der Götze! Kann das Bild deutlicher sein? Ob wir aus unserem Reichtum nun ein Bildnis bauen oder nicht, dieser Reichtum wird schneller zum Götzen als wir denken.

Gottes enttäuschte Liebe

Die Zweifel und Ungewissheit am Ausbleiben des Mose wären für Gott sicher kein Problem, aber deswegen den EINEN Gott zu verlassen und zu verraten, der die Befreiung aus der Knechtschaft ermöglichte, das ist hart. Das enttäuscht die Liebe, die Gott für sein Volk hat. Nun spricht Gott nicht mehr von Seinem Volk, sondern von dem Volk, das Mose herausführte. ER will es nicht mehr! „Aus dir, Mose, mache ich ein großes Volk. Gegen die anderen lasse ich meinen Zorn brennen.“ Doch dagegen steht Mose auf wie einst Abraham für Sodom und Gomorra. „Nein, das wirst du nicht tun! Das macht deinem Namen keine Ehre, wenn du dich so erzürnen lässt. Dann bist du wie all die erdachten Götter, die keine Treue und keine Erbarmen kennen. Dann könnten die Ägypter zurecht meinen, sie hätten die besseren Götter.“ Und Gott lässt sich erbarmen, dafür entbrennt Moses Zorn, als er vor Augen sieht, was er zuvor lediglich aus Gottes Worten erfahren hatte. Josua, der auf Mose gewartet hatte, wusste nicht, was sich dort unten abspielte. Er wähnte das Volk in Gefahr. Als Mose jedoch sah, wie sie mit Wechselgesängen um ihren Götzen tanzten, schmetterte er die Tafeln Gottes zu Boden, sodass sie zerbrachen. Aaron folgt der uralten Sitte, die Schuld beim andern zu suchen: „Das Volk ist böse; du kennst es doch. Ich nahm lediglich ihr Gold, warf es ins Feuer und heraus kam dieses Kalb.“ (32,24) Das las sich in V4 noch ganz anders, wo Aaron es mit seinen Händen schuf. Allerdings nannte er es nicht einen Gott, sondern das Volk. Mose bittet bei Gott um Bedeckung der Schuld und fordert: Wenn du ihnen nicht vergibst, dann streiche auch mich aus dem Buch des Lebens.“ Er ist bereit, sich für sein Volk hinzugeben! Doch Gott nimmt ein solches Opfer nicht an. Jeder muss für seine Sünde einstehen. Darum musste es zuvor 3000 Tote geben, die diese Sünde sühnen mussten. Aber Gott geht noch weiter, ER schickt Seinen Boten mit dem Volk, damit ER nicht doch noch im Zorn dieses Volk vernichtet. Gott nimmt sich selbst zurück!

Die 13 Eigenschaften Gottes

Mose aber will nicht ohne Gottes Gegenwart gehen. So schenkt Gott ihm eine Begegnung mit sich, aber Mose kann nur Gottes Rückseite sehen, sonst müsste er sterben. Bei dieser Gelegenheit offenbart Gott seine 13 Eigenschaften: Ex.34,6 BRU   Vorüber fuhr ER an seinem Antlitz und rief: ER ER Gottheit, erbarmend, gönnend, langmütig, reich an Huld und Treue, 7 bewahrend Huld ins tausendste, tragend Fehl Abtrünnigkeit Versündigung, straffrei nur freiläßt er nicht, zuordnend Fehl von Vätern ihnen an Söhnen und an Sohnessöhnen, am dritten und vierten Glied.

Der Schleier vor dem Gesicht

Nochmals verbringt Mose 40 Tage bei Gott auf dem Berg ohne jegliche Nahrung. Als er zurückkehrt, strahlt sein Gesicht so sehr, dass die Menschen Angst bekommen. Diese Furcht müssen sie aushalten, denn Mose berichtet von allem, was Gott ihm auf dem Berg aufgetragen hatte. Erst danach legt Mose einen Schleier vor sein Gesicht, den er nur in der Begegnung mit Gott ablegt. Dieser Schleier ist eine Rücksichtnahme auf die Schwachheit des sündigen Volkes, das zu einer Gottesbegegnung nicht in der Lage ist, weil es zu halsstarrig ist. Die Offenbarung vom Sinai bekommt es trotzdem. Die Botschaft Gottes kommt zu ihm. Diese Botschaft wird damit nicht verhüllt. Verhüllten Geistes sind diejenigen, welche diesen Schleier nicht selber tragen, sondern dem Verkünder der Botschaft den Schleier auflegen.

Die Botschaft für uns

Eine Warnung an uns sollte es sein, dass wir uns nicht eine Binde vor das Gesicht legen, die unsere Sicht eintrübt. Ein Zeichen unserer Zeit scheint mir zu sein, dass wir Gott nicht mehr an erste Stelle stellen, IHN nicht mehr „ehrfürchten“, wie wir es aus dem Hebräischen übersetzen müssten. Wir haben unsere Götzen, denen wir unbekümmert in einem am Außen orientierten Leben nachfolgen. Wir shoppen und genießen gedankenlos und sehen nur noch uns selbst. Der andere ist uns gleichgültig statt gleich-gültig. Wir zählen Freunde auf Facebook, aber echte Beziehungen, Wahrnehmung des Nächsten und Rücksichtnahme verschwinden. Bei Hamsterkäufen kaufen derzeit Menschen Babymilch oder Babyreinigunstücher, die gar keine Babys haben, sondern nur sich selbst eindecken wollen „für den Fall, dass …“ Die gesamte Schöpfung leidet an unserer Abgetrenntheit von Gott und vom Nächsten, der unser Bruder und unsere Schwester ist. Und so verbreitet sich ein klitzekleiner Virus und zeigt uns, dass wir alle zusammenhängen, im Guten wie im Bösen. Die aktuelle Pandemie ist keine Strafe Gottes, sondern ein Wink der leidenden Schöpfung mit dem Zaunpfahl, dass wir zurückkehren müssen zu Gott, der die besten Spielregeln für ein mitmenschliches Zusammenleben gegeben hat. Auch nach der Sünde mit dem goldenen Kalb gab Konsequenzen, die ein ganzes Volk dann doch sehr demütig machte. Denken wir doch mal über unsere Götzen nach. Gottes Eigenschaften der Barmherzigkeit machen uns die Rückkehr leicht. Ich nenne das eine „Rückrufaktion“, der Ruf zurück zu Gott.

Wenn dir mein Beitrag gefällt oder du einfach jüdisches Leben in Deutschland unterstützen möchtest, lege ich dir die Chabad-Gemeinde in Karlsruhe ans Herz. Bitte spende für sie, damit immer mehr Juden zurückfinden in ihr Judentum und eine Heimat in dieser Gemeinde finden. https://www.synagoge-karlsruhe.de/templates/articlecco_cdo/aid/445141/jewish/ber-uns.htm

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