Oase Ajin Akev
Predigttext vorgeschlagen für Sonntag, 14.04.2024
1 Ssarai, Abrams Weib, hatte ihm nicht geboren. Sie hatte aber eine ägyptische Magd, ihr Name war Hagar. 2 Ssarai sprach zu Abram: Da ER mich doch versperrte fürs Gebären, geh doch ein zu meiner Magd, vielleicht, daß ich aus ihr bekindet werde. Abram hörte auf die Stimme Ssarais. 3 Ssarai, Abrams Weib, nahm Hagar die Ägypterin, ihre Magd, nach Ablauf von zehn Jahren, die Abram im Lande Kanaan siedelte, und gab sie Abram, ihrem Mann, ihm zum Weib. 4 Er ging ein zu Hagar, und sie wurde schwanger. Als sie aber sah, daß sie schwanger war, wurde ihre Herrin gering in ihren Augen. 5 Ssarai sprach zu Abram: Über dich meine Unbill! Selber gab ich meine Magd in deinen Schoß, nun sie sieht, daß sie schwanger ist, bin ich in ihren Augen gering geworden. Richte ER zwischen mir und dir! 6 Abram sprach zu Ssarai: Da, deine Magd ist in deiner Hand, tu mit ihr was deinen Augen gutdünkt. Ssarai drückte sie. Sie aber entfloh ihr. 7 SEIN Bote fand sie am Wasserquell in der Wüste, am Quell auf dem Wege nach Schur. 8 Er sprach: Hagar, Ssarais Magd, woher bist du gekommen, wo ziehst du hin? Sie sprach: Vor meiner Herrin Ssarai bin ich flüchtig. 9 SEIN Bote sprach zu ihr: Kehre zu deiner Herrin und drücke dich unter ihre Hände! 10 SEIN Bote sprach zu ihr: Mehren will ich, mehren deinen Samen, er werde nicht gezählt vor Menge. 11 SEIN Bote sprach zu ihr: Da, schwanger bist du, gebären wirst du einen Sohn, seinen Namen rufe: Jischmael, Gott erhört, denn erhört hat ER deinen Druck. 12 Ein Wildeselmensch wird der, seine Hand wider alle, aller Hand wider ihn, all seinen Brüdern ins Gesicht macht er Wohnung. 13 Sie aber rief SEINEN Namen, des zu ihr Redenden: Du Gott der Sicht! Denn sie sprach: Sah auch wirklich ich hier dem Michsehenden nach? 14 Darum rief man den Brunnen Brunn des Lebenden Michsehenden. Da ist er, zwischen Kadesch und Bared. 15 Hagar gebar dem Abram einen Sohn. Abram rief den Namen seines Sohns, den Hagar gebar: Jischmael. 16 Abram war sechsundachtzig Jahre, als Hagar Abram den Jischmael gebar.
Drei Personen interagieren in diesem Text miteinander: Abram אַבְרָם – mein Vater ist erhaben – und Sarai שָׂרַי – meine Stammesfürstin – als Ehepaar und Hagar הָגָר – die Heimatlose, die Orientierungslose, Heimatvertriebene -, Sarais Magd. Das Ehepaar ist kongenial, denn es vertritt mit ganzem Herzen den neuen monotheistischen Glauben und gibt ihn an andere durch ihr vorbildliches Leben weiter. Von Anbeginn genießt die Frau Ansehen im Judentum, was die Bedeutung des Namens Sarai ausdrückt.
Hagar hingegen hat keine Heimat und der Verlust der Heimat ist immer problematisch. Laut Midrasch kam sie mit Abram und Sarai aus Ägypten, wohin sie wegen einer Hungersnot geflohen waren. Abram hatte dort unter anderem Knechte und Mägde bekommen, und es ist anzunehmen, dass Hagar eine von ihnen war.
Gen. 12,16: Dem Abram tat er Gutes um ihretwillen, ihm wurden Schafe und Rinder und Eselhengste, Knechte und Mägde, Graustuten und Kamele.
Gemäß diesem Midrasch war Hagar die angesehene adelige Tochter des in Kapitel 12 genannten ägyptischen Pharao, die sich im Zelt Abrams und Sarais eine „adelige Karriere“ und keinesfalls eine untergeordnete Tätigkeit als „einfache Dienstmagd“ erhoffte. Laut Raschi bat sie ihren strengen Vater dringend, sich freiwillig Abram anschließen zu dürfen. Da dieser brennende Wunsch im Zelt Abrams und Sarais, die ihrerseits adelige Hebräer und strenge Monotheisten waren, nicht in Erfüllung ging, verwandelte sich ihre anfängliche Bereitschaft zu dienen und zu lieben in enttäuschte Überheblichkeit und nicht eingestandene Besserwisserei. Dieser tief sitzende unverrückbare „systemische“ Mentalitätskonflikt zwischen den wahren Gott verbundenen Hebräern und den ethiklosen ägyptischen Atheisten, belastete beide Parteien durchgängig und musste spätestens bei der Frage der Nachkommenschaft und der Regelung des Erbtitels mittels scharfer Konfrontation eskalieren.
Eine Magd hatte im damaligen Judentum neben Pflichten auch Rechte in der Familie, in die sie aufgenommen wurde. Der Beischlaf der Magd mit dem Hausherrn war zur Zeit Abrams ein Recht des Hausherrn, wenn die Hauptfrau keine Kinder bekommen konnte. Dieses Recht wiederum musste die Hauptfrau – hier also Sarai – dem Hausherrn einräumen. Damit wird die Hochachtung der Frau in der Tora zum Ausdruck gebracht. Und Abram hörte auf die Stimme Sarais, er gehorchte ihrer Stimme, womit ausgedrückt wird, dass dahinter Gottes Stimme steht.
Nach langen Jahren des Wartens auf ein Kind – 10 Jahre lebten sie in Kanaan! -, gab Sarai ihrem Mann Abram ihre Magd Hagar, um mit ihr ein Kind zu zeugen. In dem Versprechen Gottes an den Stammvater war nicht die Rede davon, von welcher Frau dieses Kind sein würde. Somit war es Abram nicht untersagt, selber aktiv zu werden und das Angebot seiner Frau anzunehmen. Sarai selbst hatte keine Verheißung bezüglich eines Kindes bekommen, weshalb sie ihrem Mann helfen wollte, auf dem Weg durch ihre Magd Vater zu werden. Sarai spürte als liebende Ehefrau, dass ihrem Mann Kinder fehlten, vielleicht sogar mehr als ihr. Sie scheint mit ihren Aufgaben als Repräsentantin des neuen Glaubens und als Herrin über den großen Haushalt zufrieden gewesen zu sein. In ihrem Alter hatte sie sich mit der Kinderlosigkeit abgefunden, die sie aus Gottes Hand annahm.
Schnell wurde Hagar schwanger und konnte sich nicht enthalten, hochmütig zu werden und zu vergessen, welche Hierarchie zwischen ihr und Sarai herrschte. Sie sah verächtlich statt dankbar auf ihre Herrin herab. Abram mochte sich in den Streit der Frauen nicht einmischen. Vermutlich war er damit überfordert. Was sollte er sagen, wo doch Sarai schon Gott als Rechtssprecher ins Spiel gebracht hatte. So gibt Abram den Ball an seine Frau zurück. Sie würde wissen, was zu tun war.
Aber weiß sie es wirklich? Eine Frau, die wegen ihrer Kinderlosigkeit von der eigenen Magd herabgewürdigt wird, ist verletzt. Ist sich Hagar nicht bewusst, dass sie das Vorrecht hat, als „Leihmutter“ für eine Stammmutter zu fungieren und dass das Kind nach der Geburt Sarais Kind sein würde? Sollten sie dann nicht beide an einem Strang ziehen – zum Wohl des Kindes?
Hier zeigt sich Hagars Herkunft, die sie in Überheblichkeit aufbegehren lässt, anstatt an andere zu denken, an das Ungeborene und seine rechtlichen Eltern. Sarai behandelt sie in ihrem Schmerz mit so großer Strenge, dass Hagar schließlich flieht.
Nun wird es wichtig und wir sollten aufmerken! Gott, der Vater aller Menschen, sieht diese ägyptische, murrende Magd an einem Brunnen und lehrt sie, die bestehende Hierarchie zu respektieren. ER spricht sie mit Namen an, denn jeder Mensch ist bei seinem Namen gerufen, und bei ihrem Dienstgrad.
Gen. 16,8 Hagar, Ssarais Magd, woher bist du gekommen, wo ziehst du hin?
Der dialogische Gott nimmt selbst eine Magd ernst, denn bei IHM gibt es kein Ansehen der Person. IHM ist nicht wichtig, welch hohen Posten wir bekleiden, sondern dass wir die Aufgabe, in die wir gestellt sind, in Liebe und zu Seiner Ehre ausführen. Hagar muss sich klar werden, was sie getan hat, woher sie kommt. Sie kommt aus einem Dienstverhältnis, das sie akzeptieren muss. In diesem Dienstverhältnis kann es ihr gut gehen, wenn sie ihren Platz einnimmt, nicht den ihrer Herrin. Und wo will sie hin? Auf die Frage hat sie keine Antwort. Sie kann nirgends hin, denn als Flüchtige vor der Herrin hätte sie auch in ihrer ehemaligen Heimat kein Ansehen.
Gen. 16,9 Kehre zu deiner Herrin und drücke dich unter ihre Hände!
Das ist deine Aufgabe, Hagar. An ihr wirst du wachsen und reifen, wenn du es zulässt.
Alle Situationen in unserem Leben hat Gott uns geschickt, weil ER uns liebt und unsere Zunahme an Weisheit sehen möchte. Wir sollen nicht auf einem Niveau stehen bleiben, sondern lernen und weitergehen. So wird auch eine schmerzhafte Situation in Gewinn und Segen verändert.
Hagar bekommt sogar einen Segen für ihren ungeborenen Sohn, der sich in dem wunderschönen Namen ausdrückt: Jischmael יִשְׁמָעֵאל Gott wird hören. Gott hörte ihr Leiden und half ihr durch „Gesprächstherapie“, ihren Weg zu finden und zu gehen. Sie darf zudem wissen, dass Gott ihr noch viele Nachkommen geben wird, und ihr Sohn wird Stammvater der Araber werden – nicht der Muslime.
Gott hört, aber Gott sieht auch, und das erlebt Hagar, weshalb sie den Ort der Begegnung mit Gott nannte: Brunnen des Lebenden der mich sieht בְּאֵר לַחַי רֹאִי Be’er la’chai ro‘i. Gott gibt ihr das Ansehen, das Sarai ihr nicht geben konnte. Gott sieht selbst eine Fremde, eine Flüchtende, eine Magd.
Und warum sieht Gott Hagar gerade hier? Der Engel Gottes fand sie an der Wasserquelle עֵין הַמַּיִם Ajin hamajim. Ajin עֵין ist dasselbe Wort wie Auge, denn auch das Auge wird zu einer Quelle, wenn es weint. In der Quelle kann ein Mensch sein Auge sehen. Gott sieht an einer sehenden Quelle! Diese Quelle soll der leidenden Magd die nötige Lebenskraft geben.
Hagar wird schließlich Mutter eines Sohnes. Jischmael ist ein von Gott Gesegneter, ein Sohn Abrams und er trägt einen Namen, in dem das Schma zu hören ist, das wichtigste Gebet der Juden. Er wächst nun in der Familie mit Abram, Sarai und Hagar auf. Doch wer erzieht den Jungen? Wer hat den meisten Einfluss auf ihn? Gott hat sich ihm und seiner Mutter zugewandt, doch kann er das in Dankbarkeit aufnehmen?
In Gen. 21 werden wir lesen, dass Jischmael über seine kleinen Bruder spottet. Er hat demnach keine Achtung, keine Liebe von seinen Müttern gelernt. Vielleicht litt ihr Verhältnis immer unter einer gewissen Anspannung, für die ein Kind besonders sensibel ist. Er ist 13 Jahre alt, also ein בר מצווה Bar Mizwa, ein Sohn der Pflicht im späteren Judentum. Außerdem ist 13 der Zahlenwert von Liebe אהבה Ahawa, die aber nicht von ihm Besitz ergriffen hat. 13 ist gleichzeitig der Zahlenwert von אחד echad eins und bekennt die Einheit und Einzigkeit Gottes.
Folgerichtig sagt Gott zu Abraham:
Gen. 21,12 Nicht sei es arg in deinen Augen um den Knaben und um deine Sklavin, in allem, was Ssara zu dir spricht, höre auf ihre Stimme, denn in Jizchak wird dir Same berufen.
Gott selbst hat beschlossen, dass die Segenslinie aus dem Samen Abrahams und Saras weitergehen wird. So hatte ER es von Anfang an geplant, was Hagar weiter verunsichert haben mag. Sie konnte Gottes Entscheidung nicht akzeptieren.
Für den heutigen Konflikt zwischen den Brüdervölkern Ismaeliten (Arabern) und Juden mag der Konflikt, der Neid und die Eifersucht der Mütter Hagar und Sarai verantwortlich sein, nicht die Tatsache, dass Jischmael überhaupt geboren wurde. Doch als dem Erstgeborenen Hagars und Abrams sollte auch er mit seinem Auftrag, mit seiner Lebenssituation umgehen lernen, sollte erwachsen werden und reifen, denn das will Gott von jedem Menschen. Und zu diesem Wachsen und Reifen gehört Achtung vor Gott und Respekt vor jedem Leben.
Mein Dank gilt meinem Mann Yuval, bei dem ich über die Jahre viel lernen durfte und der mir immer wieder mit Rat und Tat zur Seite steht.
… und diese Geschichte geht weiter in drei Linien. Daraus entstehen weitere Konflikte … bis heute … Wie immer, wenn wir die ‚Weisung‘ verlassen. Wir sind Menschen. Dazu ist uns Teschuwa als Weg geschenkt. Toda raba liebe Debora