Dieser Psalm war als Gebet vorgeschlagen für Sonntag, d. 19.03.2023

1 Dem Vorsänger. Nach der Kelterweise. Von den Söhnen Korahs. Ein Psalm.
2 Wie lieblich sind deine Wohnungen, EWIGER der Heerscharen! 3 Meine Seele verlangte und sehnte sich nach den Vorhöfen des EWIGEN; nun jubeln mein Herz und mein Leib dem lebendigen Gott zu! 4 Hat doch der Sperling ein Haus gefunden und die Schwalbe ein Nest für sich, wo sie ihre Jungen hinlegen kann: deine Altäre, EWIGER der Heerscharen, mein König und mein Gott! 5 Erfüllt die, die in deinem Haus wohnen; sie preisen dich allezeit! (Sela.) 6 Erfüllt der Mensch, dessen Stärke in dir liegt, in deren Herzen gebahnte Wege sind! 7 Wenn solche durch das Tal der Tränen gehen, machen sie es zu lauter Quellen, und der Frühregen bedeckt es mit Segen. 8 Sie schreiten von Kraft zu Kraft, erscheinen vor Gott in Zion. 9 EWIGER, Gott der Heerscharen, höre mein Gebet; du Gott Jakobs, achte darauf! (Sela.)10 Gott, unser Schild, sieh doch; blicke auf das Angesicht deines Gesalbten! 11 Denn ein Tag in deinen Vorhöfen ist besser als sonst tausend; ich will lieber an der Schwelle im Haus meines Gottes stehen, als wohnen in den Zelten der Gottlosen! 12 Denn Gott, der EWIGE, ist Sonne und Schild; der EWIGE gibt Gnade und Herrlichkeit, wer in Lauterkeit wandelt, dem versagt er nichts Gutes.13 EWIGER der Heerscharen, erfüllt der Mensch, der auf dich vertraut!

Nach der Übersetzung von Schlachter 2000

Nach Hause kommen, die Vertrautheit und Geborgenheit der eigenen vier Wände genießen und den Lärm der Welt draußen lassen, das kennen und lieben wir, beispielsweise nach einem arbeitsreichen Tag.

Dieser Psalm nimmt uns mit in die Geborgenheit des Hauses Gottes. Die Seele eines jeden Menschen sehnt sich nach dieser Nähe Gottes, der Mensch verlangt nach ihr mit ganzem Herzen. Die Wohnungen Gottes מִשְׁכְּנוֹת mischkenot sind Orte Seiner Schechina שְׁכִינָה, Seiner heiligen Präsenz oder Einwohnung, wie Buber sagt. Daher kommen die modernen Begriffe wie שָׁכֵן schachen = Nachbar oder שְׁכוּנָה sch‘chuna Nachbarschaft, Wohnviertel. Mit diesen modernen Worten werden noch heute Menschen mit einer gewissen Nähe zueinander bezeichnet.

Lieblich sind Gottes Wohnungen, voller Licht, Liebe und Freundlichkeit. יְּדִידוֹת jedidut bezeichnet eine innige Freundschaft, die tiefe Verbundenheit zweier Seelen. In diesem Wort finden wir auch den Namen David דָוִד, der Liebling und den Namen des Königs Salomo, den Gott ihm gab, weil ER ihn so sehr liebte: יְדִידְיָהּ Jedidja = Liebling Gottes (2.Sam. 12,25).

„Wohnungen“ erscheint in der Mehrzahl. Einmal werden die Beter sowohl das Stiftszelt als auch den Tempel in der Zukunft mit ihren inneren Augen gesehen haben. Zum anderen ist jedes irdische Heiligtum das Abbild des himmlischen Heiligtums. So fließt Segen vom oberen Heiligtum zu uns nach unten. Unsere Gebete im Heiligtum steigen auf in das obere Heiligtum, sodass eine Himmelsleiter entsteht wie bei Jakob. Daraus verstehen wir auch, warum es im Vater unser heißt: „Wie im Himmel so auch auf Erden.“ Unsere Handlungen haben Auswirkungen auf das obere Heiligtum und bewirken das, was als Antwort vom Himmel kommt.

Die Gegenwart Gottes in Seinen Wohnungen strahlt bis in die Vorhöfe des Heiligtums, sodass die Beter sich in diesem Außenbereich wohler fühlen als an jedem anderen Ort. Sie haben kein Verlangen nach Palästen, in denen der Ewige keine Aufnahme findet, wo es vor Äußerlichkeiten nur so strotzt. Hier in den Vorhöfen, wo es ihre Seelen, ihr Herz und ihren Leib hinzieht, dort ersehnen sie die Begegnung mit Gott. Hier können sie ihrem Gott nicht nur nahe sein, hier können sie IHN unmittelbar preisen, IHM danken, IHM zujubeln, ja ihre Herzen vor IHM ausschütten.

Dazu erwähnt der Psalmist selbst Sperling und Schwalbe, die im Haus Gottes einen Ruheplatz gefunden haben. Die Schwalbe, ein Zugvogel, den es überall nur für kurze Zeit hält, selbst der hat in Gottes Nähe Frieden gefunden. Der Sperling, der in allen Wohnvierteln der Menschen seine Krümel aufpickt, auch er sucht die Nähe Gottes in Seinem Heiligtum. Und damit ist nicht nur der Tempel in seiner Schönheit und Pracht gemeint. Raschi sagt, dass die Vögel selbst in den Ruinen des zerstörten Tempels die Geborgenheit Gottes fanden.

Sperling und Schwalbe stehen für den suchenden, unruhigen Menschen, was an das Wort erinnert:

„Du schufest uns, Gott, zu Dir, und unser Herz ist in Unruhe, bis es Ruhe findet in Dir.“ (Augustinus).
„Heimat, das ist dort, wo man sich nicht erklären muss und sich auch nichts erklären lassen muss, da man alles kennt.“[1]

Rainer Bucher zu Augustinus

Das Heiligtum Gottes, Seine Gegenwart ist der Ort, wo ein Mensch zur Ruhe kommt. Er muss nicht ständig nach einer Bleibe suchen, nicht nomadenhaft hin- und herwandern. Hier ist ein Ort für ihn und seine Kinder. Vögel wie Menschen lieben ihre Freiheit und Sicherheit, die sie im Haus Gottes finden.

Gott wird mit all Seinen Namen aufgeführt, denn Sein allumfassendes Wesen birgt den Suchenden. ER ist König, ER ist der Ewige JHWH יְהוָה, was den gnädigen Gott bezeichnet, und ebenso Elohim אֱלֹהִים, was die strenge Seite Gottes bezeichnet. ER ist אֵל חָי El chai, der lebende Gott, der ansprechbare, der dialogische Gott, der das Leben kennt und dem Leben zugewandt ist. Und ER ist יְהוָה צְבָאוֹת Adonai Zewa’ot, der oberste Befehlshaber der himmlischen Heere.

אַשְׁרֵי aschrej – erfüllt ist der Mensch, der in Gottes Haus wohnen darf. Glücklich reicht nicht aus, um das Gefühl eines Menschen zu bezeichnen, der die Nähe Gottes genießt. Er ist innerlich tief erfüllt, viel umfassender als glücklich, weiß er sich doch umgeben und getragen von dieser Göttlichkeit. Darum empfindet er nicht nur Glück, sondern gleichsam Frieden, Ruhe, eine innere Freude, was alles mit אֹשֶׁר oscher gemeint ist.

Aus dieser Geborgenheit gewinnt der Betende Kraft, Stärke, Festigkeit in seinem Gott. In seinem Herzen erkennt er den Weg, den Gott für ihn bereitet hat. Auf diesem kann er getrost und sicher gehen.

Ist dann etwa jede Schwierigkeit im Leben beseitigt? Geht ein solcher Mensch nur noch auf den Höhen des Lebens? Mitnichten! Auch auf diesen Wegen werden wir Schwierigkeiten und Herausforderungen begegnen, vielleicht sogar Situationen, die uns unerträglich erscheinen. Aber wir dürfen wissen: Diese Wege hat Gott vorbereitet. Was immer uns auch begegnet, Gott hat es eingeplant, Gott kennt Mühsal und Not, jede Anstrengung, doch weil ER alles bereitet hat, wird die Situation uns nicht überfordern, sondern stärken.

Wir gehen zwar durch das Tal des Weinens עֵמֶק הַבָּכָא emek ha’bacha, doch wird dieses zur Segensquelle für mich und für andere. Mancher Weg mag wirklich schwer sein, wie wir während Erholungstagen mit Eltern und ihren behinderten Kindern erlebten. Mit all dem Leid, das diese Eltern täglich liebevoll bewältigen, werden sie zu einer Quelle des Segens, zuerst für sich, aber auch für ihr Umfeld, das ihre Hingabe und Liebe sieht. Für diesen Weg wird der Ewige, der himmlische Vater, ihnen unendliche Kraft geben, um nicht aufzugeben, um zu Gottes Ziel zu gelangen. Sie werden sich erfrischt fühlen wie durch einen Frühregen. Sie werden in Zion die Herrlichkeit Gottes sehen, die Geborgenheit in Seinem Heiligtum erfahren.

Die Söhne Korachs, die als Verfasser des Psalms angegeben werden, gehörten zum Stamm Lewi und wurden für ihr Priesteramt gesalbt. Es handelt sich um die Söhne Korachs, die umkehrten, nachdem Gott die nicht Umkehrwilligen in Num. 16 vernichtet hatte. Der Psalm, den sie verfassten, weist über ihre Zeit hinaus, wenn der feste Tempel an dem von Gott bestimmten Ort gebaut würde. Und sie waren durchdrungen von der Freude auf den Gesalbten Gottes, den מְשִׁיחַ Meschi’ach, den gesalbten König David. In der Zukunft sahen sie Davids Vorbereitungen für den Tempel, die er seinem Sohn Salomo hinterließ. So schreibt Raschi zu diesem Vers:
„Schau auf das Angesicht von David, deinem Gesalbten, und denke über seine gütigen Taten und seine Mühe nach, durch die er sich bei seinem Bau abmühte und ermüdete.“
Gott, unser Schutz und Schild מָגִנֵּנוּ maginenu möge gnädig und liebevoll auf Seinen Gesalbten und Knecht David schauen, damit auch er in dieser Kraft Gottes gehen kann und seinem Auftrag als König und Hirte gerecht wird.

Noch einmal wird betont, dass selbst die Türschwelle zum Haus Gottes ein besserer Ort ist als jeder andere. Nur einen Tag hier zu verbringen, ist ein größerer Gewinn, als viele Tage in der Ferne verbringen zu müssen oder gar in den Zelten der Gottlosen. Die Beter halten sich fern von denen, die lediglich Gott spotten oder gegen Gott sündigen. (Ps.1) So haben es später auch die Exilierten empfunden, die sich unter Fremden zurechtfinden mussten, die in der Fremde nicht singen konnten. Wie sehnten sie sich nach Zion! (Ps.137)

Deshalb rühmt dieser Psalm die Vorhöfe des Hauses Gottes. In ihnen erfahren die Beter Gott als ihren Schutz und erleben die Gnade und Herrlichkeit Gottes. Sie wissen, dass Gott ihnen nichts verwehrt, so sie mit einem ungeteilten Herzen zu IHM rufen. תָמִים tamim = ganz ist das uns bekannte Wort, das schon Abraham kennzeichnete. Wenn wir das Vorrecht haben, in Gottes Haus zu wohnen, so müssen wir ganz dort sein, und nicht in Gedanken an anderen Orten schweifend.

Wer Gott so vertraut, dem Menschen gibt sein Vertrauen innere Fülle und Stabilität. Dieses Haus Gottes, der Tempel, war das Heiligtum des jüdischen Volkes. Gott beauftragte es, IHM diesen Wohnort auf Erden zu bauen. Doch der Psalm endet mit der Ausweitung auf alle Menschen אָדָם adam, auf jeden Nachkommen Adams. So wie es im Tempel einen Vorhof für die Heidenvölker gab, so sind alle Menschen eingeladen, Gott zu vertrauen und Sicherheit in Gott zu finden.

Der Tempel in Jerusalem wurde zerstört, und er wird erst wieder erscheinen in den Tagen des Maschiach. Bis dahin sind wir aufgefordert, unser inneres Heiligtum zu bauen, und zwar mit derselben Präzision und Hingabe, mit der das Stiftszelt und dann der Tempel gebaut wurden.


[1] Rainer Bucher ist Professor für Pastoraltheologie in Graz; https://www.feinschwarz.net/glaube-und-heimat/

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