Karte aus Wikipedia
vorgeschlagen für Sonntag, d. 22.08.2021
Mk. 731 Und als er wieder fortging aus dem Gebiet von Tyrus, kam er durch Sidon an das Galiläische Meer, mitten in das Gebiet der Zehn Städte. 32Und sie brachten zu ihm einen, der taub war und stammelte, und baten ihn, dass er ihm die Hand auflege. 33Und er nahm ihn aus der Menge beiseite und legte ihm die Finger in die Ohren und spuckte aus und berührte seine Zunge.
Lutherübersetzung 2017
34und sah auf zum Himmel und seufzte und sprach zu ihm: Hefata!, das heißt: Tu dich auf! 35Und sogleich taten sich seine Ohren auf, und die Fessel seiner Zunge wurde gelöst, und er redete richtig.
36Und er gebot ihnen, sie sollten’s niemandem sagen. Je mehr er’s ihnen aber verbot, desto mehr breiteten sie es aus. 37Und sie wunderten sich über die Maßen und sprachen: Er hat alles wohl gemacht; die Tauben macht er hören und die Sprachlosen reden.
Jesus reist durch das heidnische Land. Eigentlich ist er „nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt.“ (Mt. 15,24) Vermutlich wollte er als Wanderrabbi auf seinem Weg hier jüdische Seelen aufsuchen oder wie es in der Terminologie des Chassidismus heißt: „Die verbannten Funken auslösen aus ihrer Verbannung“.
Jesus hat keine Berührungsängste, wie an der vorherigen Geschichte mit der Frau aus Syrophönizien deutlich wird. Im Sinne Jesajas, der dem Volk aufträgt (Jes. 51,4) und selber den Auftrag empfängt (Jes. 49,6), ein „Licht für die Völker“ zu sein, nimmt Jesus diese Berufung an, wenn es die Situation erfordert.
So kommt er in das ebenfalls heidnische Gebiet der Dekapolis. Diese Städte entstanden im 1. vorchristlichen Jahrhundert bei der Invasion der Römer. Hierhin zogen sich Heiden zurück, lebten dort in Loyalität zu Rom und selbstverständlich steuerpflichtig, aber als eigenständige Verwaltungen. Mit diesem Zusammenschluss lebten sie unabhängig und ohne ständige Kontrolle von Rom.
Nicht näher bezeichnete Menschen, vermutlich die Einwohner dieser Städte, bringen einen Tauben und Stammelnden zu Jesus und baten darum, dass er ihm die Hände auflegen möge. Sie bitten nicht direkt um die Heilung des Mannes, hatten aber sicher von der guten Wirkung einer solchen Praxis gehört. Sie zeigen damit einen Hunger nach jüdischen Ritualen, denn ihre heidnischen Praktiken blieben offensichtlich wirkungslos.
Jesus sieht den Mann an und erkennt, dass er geheilt werden möchte, dass die Heilung bei ihm fruchten wird. Ohne diesen Willen zur Heilung ist sie nämlich unmöglich. Jesus nimmt ihn beiseite, er will mit ihm allein sein, abseits von einer Menge, die sensationshungrig darauf wartet, wie Jesus ihrer Bitte willfährig ist. Er nimmt diesen Mann heraus aus der Unruhe und Schaulust der Menschenmenge in die Zweisamkeit.
Die Frage ist, was der Taube nicht mehr hören kann und will, dass seine Seele in die Taubheit und Stammelei floh. Vermutlich gab es dort wie so oft üble Nachrede – laschon ha’ra לשון הרע. Die war leider auch in Israel und unter Juden üblich. Miriam wurde deshalb aussätzig (Num. 12,1+10).
Im Umfeld des Kranken gab es zudem die Anrufung der Götzen, die der Kranke vielleicht nicht mehr hören wollte. Nicht zu hören, war jedoch gleichermaßen gefährlich für den Tauben, denn Warnungen entgingen ihm. Bitten konnte er ebenfalls nicht nachkommen. Andererseits fehlten ihm die Worte, um an diesen oberflächlichen Gesprächen teilzunehmen.
Als Jesus ihm die Finger in die Ohren legte, gab er dem Tauben Recht, dass solch nichtssagendes Geplapper tatsächlich nicht auszuhalten war.
Er gab dem Kranken von seinem Speichel auf die Zunge, was an das Spielen Säuglinge mit ihrer Spucke erinnert, wenn sie spielend Bläschen machen. Jesus veranschaulicht mit seinem Handeln, dass der Mann in die Freiheit der Kinder kommen darf. Ps. 8,3 „aus der Kinder, der Säuglinge Mund hast du eine Macht gegründet, …“ wie schon der Psalmist sagte. Der Mund wird ihm geöffnet werden, um Gott zu loben, nicht die Götzen.
Jesus schaut zum Himmel, was ein Synonym für Gott, seinen Vater, ist. Er braucht seinen Gott.
Joh. 5,30 Ich kann nichts von mir aus tun. Wie ich höre, so richte ich, und mein Gericht ist gerecht; denn ich suche nicht meinen Willen, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat.
Nur Gott heilt, wenn er auch auf Erden Seine Boten damit beauftragt, Sein Handeln sichtbar und anschaulich zu machen.
Jes. 34,4 sprecht zu den Herzverscheuchten: Seid stark, fürchtet euch nimmer, da: euer Gott, Ahndung kommt, das von Gott Gereifte, er selber kommt und befreit euch! 5 Dann werden Augen von Blinden erhellt, eröffnet Ohren von Tauben, …
Jesus schaut voller Mitgefühl für den Kranken zu Gott empor, er zeigt mit seinem Seufzen sein echtes Mit-Leiden mit dem Tauben, möglicherweise auch eine Erleichterung, dass es beim Vater zuverlässige Hilfe gibt.
Als Jesus zum Tauben sprach: Hephata!, da sagte er: הִתְפַּתֵּחַ hitpatcha – öffne dich! Durch seine Verbindung mit dem Vater konnte er nun den Ohren direkt befehlen. Und mit den Ohren wurde auch die Zunge geheilt! Die Fesseln seiner Zunge wurden gelöst – וּמוֺסְרֵי לְשׁוֺנוֺ נִתָּקוּ umossrej leschono nitaku! Er war ein Gebundener, der Befreiung erlebte! Jemand, der nun ohne die Hilfe anderer leben konnte; dem es nun möglich war, seine eigenen Anliegen mit seinen persönlichen Worten zu formulieren! Er war nicht mehr abhängig von Menschen, die ihn nicht verstanden und nur unzureichend widergaben! Welche Freiheit!
Ps. 116,16 Ach doch, DU [JHWH], ich bin ja dein Knecht, bin dein Knecht, der Sohn deiner Magd, – gelöst [geöffnet] hast du meine Fesseln. פִּתַּחְתָּ לְמוֹסֵרָי pitachta lemossechai
Im jüdischen Morgengebet wird gebetet:
Gepriesen seist Du Ewiger unser G-tt und König der Welt, der die Gefesselten befreit.
Nun redete er verständlich in einer klaren Sprache – בְּשָׂפָה בְרוּרָה besafa brura. Eine klare Sprache meint im Deutschen wie im Hebräischen eine unmissverständliche Sprache. Nun muss der Geheilte mit seiner Rede nicht an der Oberfläche bleiben, sondern kann kontra geben, wenn es nötig ist.
Wie in manchen Fällen möchte Jesus nicht, dass die Heilung die Runde macht. Er sieht sich nicht selbst als die Hauptperson und den Vollbringer der Heilung, sondern seinen Vater.
Der Text bleibt in der Beschreibung, was sich an die Heilung anschließt, dürftig. Kein Lob Gottes wird dem Leser überliefert, nur dass die Menge das Wunder entgegen dem Verbot Jesu natürlich doch weitererzählt und feststellt, was Jesaja sagte: „Die Tauben macht er hören und die Stummen reden.“ (Jes. 35,5)
Zudem sagten sie: „Alles, was er machte, war sehr gut!“ כָּל-אֲשֶׁר עָשָׂה טוֺב מְאֹד kol ascher assa tow me’od.
Diese Aussage lässt einen Anklang hören an Gottes Lob der Schöpfung am 6. Tag. Daraus verstehen wir, dass die Heilung eine Neuschöpfung war. So heißt Gesundheit בְּרִיאוּת bri’ut und hat denselben Wortstamm wie בְּרִיאָה bri’a Schöpfung.
Krank heißt dagegen חוֹלֶה cholé, was die Sprachwurzel wie חוֹל chol = Wochentage, Sand hat. Die Krankheit hat ihre Ursache spirituell in der bereits oben festgestellten Oberflächlichkeit des Alltags, die verwehend und vergehend wie der Sand ist.
Die Menschenmenge um den Geheilten sprach durch das Bekenntnis der Neuschöpfung dem Schöpfer doch ein Lob aus.