Hebron in der Nähe der Höhle Machpela

Predigttext vorgeschlagen für den 29.10.2023: Teil der dieswöchigen Wochenlesung Lech lecha in der Synagoge am Schabbat 28.10.2023

1 Abram reiste von Ägypten hinauf, er und sein Weib und alles was sein war, auch Lot mit ihm nach dem Südstrich. 2 Schwerreich war Abram an Vieh, an Silber und an Gold. 3 Vom Südstrich ging er seinen Zughalten nach bis Bet-El, bis an den Ort, wo sein Zelt zu Beginn gewesen war, zwischen Bet-El und Ai, 4 an den Ort der Schlachtstatt, die er dort früher gemacht hatte. Dort rief Abram den NAMEN aus. 5 Auch Lot, der mit Abram gegangen war, hatte Schafe und Rinder und Zelte. 6 Und nicht trug sie das Land, beisammen zu siedeln, denn ihres Zuchtgewinns war viel, beisammen konnten sie nicht siedeln. 7 Streit ward zwischen den Hirten von Abrams Vieh und den Hirten von Lots Vieh. Der Kanaaniter aber saß und der Prisiter damals im Land. 8 Abram sprach zu Lot: Nicht sei doch Streitigkeit zwischen mir und dir, zwischen meinen Hirten und deinen Hirten, wir sind ja verbrüderte Männer! 9 Alles Land, liegt es nicht vor dir? trenne dich doch von mir ab! ists zur Linken, will ich zur Rechten, ists zur Rechten, will ich zur Linken. 10 Lot hob seine Augen und sah allen Gau des Jordan, – dies alles ja war eine Aue, ehe ER Sodom und Gomorra verdarb, wie SEIN Garten, wie das Land Ägypten, bis wo du nach Zoar kommst. 11 Lot wählte sich allen Gau des Jordan. Lot zog nach Osten hin, und sie trennten sich voneinander. 12 Im Lande Kanaan siedelte Abram, in den Städten des Gaus siedelte Lot und zeltete bis nach Sodom. 13 Die Männer von Sodom aber waren sehr böse und sündig vor IHM. 14 ER sprach zu Abram, nachdem Lot sich von ihm getrennt hatte: Hebe doch deine Augen und sieh von dem Ort wo du bist nordwärts, südwärts, ostwärts, westwärts: 15 denn alles Land das du siehst, dir gebe ich es und deinem Samen auf Weltzeit. 16 Ich will deinen Samen machen wie den Staub der Erde, – daß, vermöchte jemand den Staub der Erde zu zählen, auch dein Same würde gezählt. 17 Auf, ergeh dich im Land, die Länge und Breite, denn ich gebe es dir. 18 Abram zeltete und kam und setzte sich an den Steineichen des Mamre die bei Hebron sind. Dort baute er IHM eine Schlachtstatt.

Übersetzung Buber/ Rosenzweig

Abram kommt zurück aus Ägypten, wo er die Zeit der Hungersnot verbracht hatte. Er kommt zurück in das Land, in dem er dem Ewigen schon einmal eine Schlachtstatt, einen Altar, gebaut hatte. Diesen baute er zum Dank dafür, dass Gott ihm das Land versprach sowie seinen Nachfahren, die das Land erben würden. Zurückkehren in dieses Land ist ein Aufstieg, weshalb Abram hinaufreiste. Übrigens heißt bis heute die Einwanderung nach Israel עֲלִיָּה Alija, Aufstieg. Es bedeutet nicht nur eine Einwanderung in ein beliebiges Land, sondern bedeutet im Besonderen eine Begegnung mit Gott, dem die ganze Erde gehört und der dieses Stückchen Land Abram  und seinen Nachfahren gab. Das gefällt manch einem nicht, doch geht es da weniger um die wenigen Quadratmeter Land als vielmehr um den Neid gegenüber dem Ersterwählten.

Dieser Ersterwählte kommt mit seiner Familie, zu der sein Neffe Lot gehört, zurück. Darüber hinaus ist er schwerreich geworden. Er besitzt Gold, Silber und Vieh. Abram ist nicht einfach reich, denn das Hebräische benutzt hier den Ausdruck כָּבֵד kawed, der schwer bedeutet und uns sagt, dass Abram „durch Schwere, Umfang und Intensität einen tiefen (schweren) Eindruck[1] machte.

Das gefällt den Kanaanitern und Prisitern weniger gut. Sie kannten Abram von früher, doch während seiner Zeit in Ägypten kam er zu Reichtum. Da kommen missgünstige Blicke auf. Sogar Lot ist nicht arm. Auch er besitzt Herden von Schafen und Rindern, dazu Zelte für seine Bediensteten und seine Familie. Die beiden sind Gesegnete. Und sie verhalten sich merkwürdig, denn Abram baut Altäre und dankt Gott, nur EINEM unsichtbaren Gott, nicht ihren Göttern.

Wir erfahren vom Streit der Hirten Abrams und Lots und gleichzeitig von den Kanaanitern und Prisitern in der Gegend. Die Frage ist berechtigt, warum das Land nicht zwei zusätzliche Familien tragen kann. Es gibt enger besiedelte Gebiete, und natürlich kann das Land sogar unzählige Menschen tragen. „Ein Land ‚trägt‘ alle, die auf seinem Boden stehen, seien es auch noch so viele und das Gedränge noch so groß.“[2]

Welche Antwort hat Rabbiner Benno Jacob auf unsere Frage? Er arbeitet über grammatische Konstruktionen und Vergleichsstellen heraus, dass hier das Wort הָאָרֶץ ha’aretz = Land die Bewohner des Landes meint und nicht das Land selbst. Außerdem kann נָשָׂא nasa nicht nur tragen bedeuten, sondern auch dulden, ertragen von Beschimpfungen, Vorwürfen, Missetaten u.ä. „Die Bevölkerung ‚ertrug‘ sie nicht mehr, ‚denn ihre Habe wer viel‘. … Die Eingesessenen haben sicherlich schon Abrahams Reichtum mit scheelen Blicken angesehen, aber als sie jetzt beide noch reicher geworden zurückkehrten, da fingen sie an, über die Fremden zu murren und glaubten, sie beide zusammen [] nicht tragen zu können.“

Nun ändert sich der Fokus und uns wird klar, warum beide, Abram und Lot, fortziehen mussten. Denn ansonsten, wenn nur die Erde sie nicht alle hätte tragen können, hätte nur einer von beiden fortziehen müssen. So aber solidarisiert sich Abram mit seinem Neffen, den er auch ‚Bruder‘ nennt. Darf der nicht bleiben, will auch Abram nicht in dieser Gesellschaft des Neides leben. Seinen Neffen will er ebenfalls nicht unter boshaften Menschen wissen.

Um dieses Thema nicht weiter zu vertiefen, nimmt Abram gegenüber seinem Neffen den Streit der Hirten zum Anlass für ihr Weiterziehen. Damit, dass Abram Lot seinen eigenen Weg gehen lässt, ermutigt er ihn zur Eigenverantwortung und vermeidet, dass es auch zwischen ihnen zum Streit kommt, wenn sie den Streit ihrer Hirten würden schlichten müssen.

Abram nennt sich und Lot אֲנָשִׁים אַחִים anaschim achim, Brudermenschen. „Demnach sagt Abraham: unsere ‚Nationalität‘, in der wir gegen andere zusammenzustehen haben, ist das Bruderverhältnis.“[3] Als Brüder stehen sie vereint heidnischen und düsteren Menschen gegenüber, denn als Brüder sind sie stark. Als Bruder wird Abram sogar in den Krieg ziehen, um Lot aus den Händen feindlicher Könige zu befreien. Die Situation der Menschheit hat sich leider nicht verändert. Abram war in seinem tiefsten Innern ein Mann des Friedens, der das Land, das Gott ihm anvertraute, sich wandernd zu eigen machte, es auf dem Weg des Gehens kennen und lieben lernte. Doch kann niemand in Frieden leben, wenn es neidischen Nachbarn nicht gefällt.

Zuerst bietet Abram die Wahl des Landes Lot an. Er kann das tun, weil er weiß, dass Gott der Hausherr ist.
„Und zwar stellt er jenem, damit einem Mißverständnis vorgebeugt sei, vorerst das ganze Land zur Verfügung und zur Wahl, insoweit es nach der von Lot anzuerkennenden Belehnung durch Gott ihm, Abraham, gehörte.“ Auch für Lot galt also die Erkenntnis, dass zuerst Gott, der alles geschaffen hatte, der Eigentümer dieser Erde ist. Der Eigentümer kann von seinem Eigentum abgeben, wem er möchte. Welchen Landstrich Lot sich auch aussuchte, hatte der Eigentümer als Eigentum Abrams bestimmt. Unter der Bedingung, dass Lot diese Prämisse anerkannte, konnte er zur Wahl schreiten.

Und Lot wählte den besonders grünen Teil aus, den Teil, der an den Garten Eden erinnerte. Da niemand das Paradies aus eigener Anschauung kennt, wird es im zweiten Schritt mit Ägypten verglichen. Der Bibelleser erinnert sich an die Israeliten, die aus der Sklaverei Ägyptens ausgezogen waren und sich nach dessen Fleischtöpfen zurücksehnten. Worauf Lot nicht achtete, war die Bevölkerung dieses Landstriches. Ob Abram jemals dorthin gezogen wäre, selbst wenn Lot anders gewählt hätte? Das ist höchst unwahrscheinlich, denn Abram hörte auf Gott.

Gott zeigt ihm dann auch das gesamte Land vom Norden bis zum Süden, vom Osten bis zum Westen. Das alles werden seine Nachkommen erben. Sein Rundblick erinnert uns an Mosche auf dem Berg Nebo. „Abraham steht am Anfang, Mose dicht vor der Erfüllung der Verheißung.“  
 „… alle göttlichen Offenbarungen [an Abram] erfolgen nach einer Trennung, einem Verzicht oder Opfer (…) als Trost und Lohn.“[4] Abrams Auftrag bleibt das Ergehen des Landes. Danach lässt er sich bei חֶבְרוֹן Chewron = Hebron nieder, was so viel heißt wie Freundschaft, Bündnis. Das entspricht dem Wesen Abrams weit mehr. Die Terebinthen von Mamre מַמְרֵא weisen auf Abrams Stärke des Glaubens und seiner Persönlichkeit hin sowie auf den Segen, der ihm Fettigkeit des Bodens schenkt. Dort baut er Gott darum nochmals einen Altar, um seinem Gott zu danken, der ihn bis hierher geführt und gesegnet hat.

Unsere Wege mögen nicht gradlinig verlaufen. Wir können viele Pläne machen, die allesamt unterlaufen werden. Wenn wir darin trotz unserer zunichte gemachten Wünsche Gottes Führung erkennen können und unserem Vater und Schöpfer danken können, sind wir auf dem Weg Abrams. Manchmal ist es schwer, Gott zu danken im Angesicht unerträglichen menschlichen Leids. Doch dieses Leid erfuhren Menschen nicht von Gott, dem Bewahrer ihrer Seelen, sondern von unmenschlichen Menschen. Darum ist es gut, sich unter Gottes Fittichen zu bergen und IHM, dem Gott Israels, zu vertrauen.


[1] Benno Jacob, Das Buch Genesis, Stuttgart 2000, S.356
[2] Ebd. S.358
[3] Ebd. S. 360
[4] Ebd. S. 364

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