Predigttext vorgeschlagen für den 17.07.2022
1 ER sprach zu Abram: Geh vor dich hin aus deinem Land, aus deiner Verwandtschaft, aus dem Haus deines Vaters in das Land, das ich dich sehn lassen werde. 2 Ich will dich zu einem großen Stamme machen und will dich segnen und will deinen Namen großwachsen lassen. Werde ein Segen. 3 Segnen will ich, die dich segnen, die dich lästern, verfluche ich. Mit dir werden sich segnen alle Sippen des Bodens. 4 Abram ging, wie ER zu ihm geredet hatte, und Lot ging mit ihm.
Buber/ Rosenzweig, Die Schrift
Welch ein Ruf ereilt hier einen 75-Jährigen! Lech lecha לֶךְ לְךָ – Geh für Dich! Geh allein mit MIR im großen Vertrauen.
Abram markiert einen Wendepunkt, denn er ist in der jüdischen Tradition eine Art Neuschöpfung. Abram אַבְרָם = großer Vater ist der erste, der sich von dem EINEN Gott rufen lässt, der auf den EINEN Gott hört, der in Beziehung mit IHM tritt. In seinem Alter hört und gehorcht er der Stimme des für ihn noch fremden Gottes, hört Seinen Auftrag und folgt ihm.
Das Umfeld Abrams war heidnisch und auf viele Götter ausgerichtet. Abrams Vaterhaus war ebenfalls heidnisch. Jüdische Midraschim (Erzählungen) gibt es dazu zuhauf. Hier ist einer davon:
Terach war ein Götzendiener und trieb Handel mit Götzenbildern. Eines Tages ließ er, da ihn Geschäfte außer Landes gerufen hatten, dem Knaben Abram die Sorge für den Handel.
Midrasch Rabba S. 42 a.
Einmal tritt eine Frau mit einer Schüssel voll Mehl ein und sagt zu Abram: „Nimm all‘ dieses Mehl! Es ist für diese Götter bestimmt.“
Abram ließ sie weggehen, dann ergreift er schnell einen Stock, fällt über die Götzen her, zerschlägt sie in viele Stücke, läßt bloß den größten davon unberührt und diesem steckt er den Stock zwischen die Hände.
Endlich kehrt der Herr zurück. Er tritt ein, sieht jenes schmerzliche Schauspiel, schaudert; dann erglüht er vor Unwillen und Verdacht und ruft, sich zum Knaben wendend: „Was war? Was hat sich zugetragen? Wo ist der Schurke?“
„Mein Vater!“, antwortet Abram, „höre einen schauderhaften Zufall. Eine Frau brachte als Spende für diese Götter eine Schüssel voll Mehl; ich stellte die Spende zu ihren Füßen nieder; auf einmal eine schreckliche Verwirrung, ein Lärm, eine Prügelei. Jeder dieser Götzen will den Vorzug an der Spende. Mir, schreit der Eine; mir, donnert der Andere. Alle lärmen, zanken, drohen. Unterdessen ergreift der Größte von Allen einen Stock …, und siehe da, alle in Stücken.“
„Verruchter“, unterbrach Terach, „du hast mich zum Besten. Hören, sprechen denn diese Götzen?“
„Vater, Vater, welche Worte hast du ausgesprochen? Sie sind Götter und hören nicht? O, mache, daß dein Ohr die Worte nicht höre, die deine Lippen aussprechen.“
Dieses gottlose Umfeld, das Abram von Kindheit an prägte, muss er verlassen, um sich zu einem Abraham אַבְרָהָם, zu einem Vater vieler Völker, zu entwickeln. Nach der freudlosen und blutigen Geschichte der Erde wie Brudermord und Hybris im Turmbau, die Gott sogar durch eine Flut zu vernichten trachtete, beginnt mit dem gehorsamen Abram eine neue Geschichte der Schöpfung. Wie wir sehen, braucht es dazu nicht viel. Es braucht nur einen Menschen, der Vertrauen fasst, der die Seinen damit anstecken kann und der konsequent und zielgerichtet ist. Sein Ziel ist der Weg mit dem EINEN Gott!
„Geh aus deinem Land, Abram, dem Land des Zorns, das dich geprägt hat und dich in den Götzendienst deines Vaters führte! Geh weg aus deiner Verwandtschaft, die diesem Götzendienst anhängt und deine Entscheidung nicht versteht! Geh weg aus deinem Vaterhaus, in dem du erzogen und geformt wurdest durch allerlei Glaubenssätze, die mit MIR nichts zu tun haben. Geh aus dem Haus deiner Mutter, denn in ihm erlerntest du eine lieblose Sprache, die einsam macht. Von allem löse dich und gehe im Hören auf MEINE Stimme in ein Land, dass ICH dir zur richtigen Zeit zeigen werde. Geh für dich und finde zu dir selbst. Dann wirst du erkennen, wie wunderbar ICH dich gemacht habe. Du wirst erkennen, wie einfach du mit MIR reden und in Beziehung treten kannst. Geh für dich auf dem Weg, auch wenn ICH dir das Ziel noch nicht sage. Bleib neugierig! Vertraue mir! Bleib auf dem Weg!“
Abram fragt nicht, diskutiert nicht, zögert nicht. Er hört die Zusage, dass er zu einem großen Volk werden wird. Wie wird das geschehen? In seinem Alter? Das alles ist nicht wichtig, um loszugehen, um auf Gott zu hören. Gott macht keine Fehler. Zuerst braucht es den ersten Schritt Abrams, dann wird sich alles Weitere zeigen.
Abram wird ein Segen werden für alle, die sich mit ihm segnen. Alle, die ihn segnen und unterstützen auf seinem ungewohnten Weg.
1. Mo.12,3 Mit dir werden sich segnen alle Sippen des Bodens.
So sind all jene bis heute Kinder Abrahams, die sich auf ihn berufen, die seinen Glauben an den Einen Gott teilen. Sie alle sind Gesegnete, wenn sie ohne Neid und Missgunst den Segen, der auf Abraham liegt, akzeptieren.
ICH werde dich segnen אֲבָרֶכְךָ awarechecha meint, dass Gott Abrams Weg bereitet, ihn versorgt mit Nahrung und freundlichen Menschen, dass ER ihm beisteht in Gefahren. Das alles wartet genauso auf die, die sich mit Abram segnen.
Das ist eine zeitlose Verheißung!
1. Mos. 12,4 Abram ging, wie ER zu ihm geredet hatte, …
Das war die Voraussetzung, die zum Erfolg Abrams führte. Es zeigt uns, dass das Gehen mit Gott das Wesentliche auch in unserem Leben ist. Bei uns geht es nicht um einen neuen Glauben, denn wir wissen um Gott. Aber kennen wir Seine Stimme? Sind wir bereit zum Aufbruch aus dem Vertrauten, dem Bekannten? Vielleicht auf einen Weg der Umkehr? Sind wir zu solch neuen und erneuernden Wegen bereit oder halten Angst und Bequemlichkeit uns zurück? Zu welcher Person sollen wir uns weiterentwickeln?
Abram „erging“ sich das Land, das einmal ihm und seinen Nachkommen gehören sollte. Im spirituellen Sinn nahm er das Land für seine Nachkommen – viele Jahrhunderte später – ein. Währenddessen wurde ihm einiges klar, sogar über den Werdegang seiner Sippe in ein schwieriges Exil. Doch das beeinträchtigte sein Vertrauen in den Gott, der ihn berufen hatte, nicht. Er ging weiter, sein Leben lang. Damit ist Abram ein Vorbild für uns, denn wir dürfen weitergehen, nicht stehenbleiben in belastenden Erinnerungen, denn dann leben wir rückwärtsgewandt.
Auch für Juden ist dieses Gehen ein Vorbild, denn ihre Regeln für den Alltag heißen Halacha הֲלָכָה das zu Gehende. Das Leben muss „gegangen“ werden.
Wenn ich an die Flüchtlinge aus der Ukraine denke, sehe ich sie, wie Abram, auf einen neuen, ungewissen und teils bedrohlichen Weg gestellt.
Diejenigen, die während der Pandemie ihre Arbeitsstelle verloren, mussten sich aufmachen zu Unbekanntem, in neue Herausforderungen und vielleicht an einen neuen Wohnort.
Die Opfer der Flutkatastrophe im Ahrtal wurden durch die Naturgewalten gezwungen, ihr vertrautes Umfeld, ihr Zuhause zu verlassen, und sie sind mutig unterwegs durch all die beängstigenden und bedrückenden Wege der Bürokratie. Trotzdem haben viele die Hoffnung auf einen Neuanfang nicht verloren. Ich kann für all jene Menschen, auch die Menschen ohne Hoffnung, nur vertrauen und beten, dass ihr Weg zu Gott führt.
In Gott sind wir in einer unberechenbaren, gefahrvollen Welt sicher. Wohin sollten wir sonst gehen, als unter die bergenden Fittich Gottes? Dieser Weg wird an ein gutes, nicht erwartetes und jetzt noch unbekanntes Ziel führen.