Schabbat 18. April 2020; 24. Nissan 5780 = 9. Tag Omer (Zählung bis Schawuot)
Die Bedeutung des 8. Tages
Diese Parascha beginnt mit den Worten: Am 8. Tag – בַּיּוֹם הַשְּׁמִינִי (b’jom haschmini). Es ist der 8. Tag nach der Einsetzung Aarons und seiner Söhne in ihr Priesteramt. Am Ende der vorhergehenden Parascha lasen wir, dass die neu Geweihten 7 Tage nicht von dem heiligen Ort weichen durften. Nun ist der 8. Tag, und Mose gibt genaue Anweisungen, welche Opfer zu bringen sind.
Jede Zahl hat eine Bedeutung im Judentum. Darum sollten wir aufmerken, dass für den weiteren Verlauf des Tempeldienstes mit dem 8. Tag begonnen wird. Warum ist es nicht der erste Tag nach der Weihe für Gott?
Für die Einteilung der Zeit in Wochen gab Gott den Zyklus der 7 Tage, wobei als einziger der 7. Tag einen Namen erhielt, weil Gott diesen Tag besonders segnete und heiligte, denn an diesem Tag, dem Schabbat, unterbrach Gott Sein Werk und feierte es. Die Zahl 7 ist damit zu einem Zeichen der Heiligkeit in unserer Welt geworden. Das Werk der 6-tägigen Arbeit wird vollendet und gesegnet in der 7.
Die 8 übersteigt unsere Endlichkeit der 7, mit der wir die Wochentage zählen, in die Unendlichkeit. Jeder kennt das Zeichen der liegenden 8, das sich durch die Form, die weder Anfang noch Ende kennt, zum Zeichen für die Unendlichkeit am besten eignet.
So kennen wir den 8. Tag als den Tag der Beschneidung, wie Gott es Abram gebot und innerhalb dieses Bundes auch dessen Namen in Abraham änderte.
1.Mo 17:12 BRU Mit acht Tagen soll alles Männliche unter euch beschnitten werden, in eure Geschlechter, Hausgeborner und von allirgend Fremdem um Geld Erworbner, der also nicht deines Samens ist,
Der 8. Tag ist somit ein Bundesschluss mit jedem neugeborenen jüdischen Jungen. Er trägt diese Erinnerung an seinem Körper, dass er nicht nur in dieser materiellen Welt lebt, die in Raum und Zeit begrenzt ist, sondern dass sein Leben auf das Ziel der Ewigkeit gerichtet ist. Mehr noch, dass sein Leben schon hier in der Begrenztheit verbunden ist mit dem Ewigen und mit dessen Unbegrenztheit. Dieses Leben sucht in seiner Tiefe die Spiritualität und die Nähe zu diesem Gott, der Grenzen überwindet, sodass eine 90-Jährige und ein 100-Jähriger Eltern eines strammen Stammhalters werden; dass ein Meer sich spaltet und ein Millionenvolk trockenen Fußes das andere Ufer erreicht; dass dieses Volk während einer 40jährigen Wüstenwanderung weder Hunger noch Durst noch sonstigen Mangel erleidet; dass dieser Gott sich in Feuer und Wolke offenbart und Sein heiliges Wort in die Hände von Menschen legt; dass Propheten wie Elia und Elischa tote Kinder erwecken können. Die Überschreitungen von Grenzen lassen sich fortsetzen.
Und so treten die neu geweihten Priester am 8. Tag ihren Dienst an. Sie bilden mit ihrem Dienst die Verbindung vom irdischen, endlichen Menschen zum transzendenten, unendlichen Gott.
Der Tod der Söhne Aarons
Während der Opferzeremonie lesen wir, wie die Söhne Aarons, Nadab (נָדָב Nadaw = der Geber, Spender, Gönner) und Abihu (אֲבִיהוּא = Awihu= Er ist mein Vater), ihren Vater Aaron als den Hohepriester durch Handreichungen unterstützen. Nach den dargebrachten Opfern treten Aaron und Mose vor das Volk und segnen es. Feuer vom Himmel verzehrt alles, was auf dem Opferaltar lag und zeigt Gottes Präsenz, die das Volk in Jubel versetzt und in Anbetung des Höchsten. Das Erleben muss grandios gewesen sein. Alles Volk hatte Anteil daran.
Mit Sicherheit sind Aarons Söhne so begeistert, dass sie vor Liebe zu Gott brennen und Ihm etwas bringen wollen. Sie nehmen ihre Pfannen, füllen sie mit Feuer – und werden von Gottes Feuer verbrannt.
Ist Gott wirklich so grausam? Zwei junge Menschen werden aus dem Leben gerissen. Rabbinische Erklärungen sagen: Sie starben, weil sie zu sehr liebten.[1] Geht das überhaupt?
Liebe ist dann echte Liebe, wenn sie sich nicht nur ihren eigenen Willen erfüllt, sondern bemüht ist darauf zu achten, was der andere braucht. Vielleicht ist aus Liebe Schweigen an der Reihe, auch wenn der andere das Bedürfnis nach Gespräch hat. Vielleicht muss der Partner mal etwas alleine unternehmen, und der andere gönnt es ihm neidlos. Liebe hat mit Freiheit und mit Respekt zu tun. Gibt man dem Partner oder Freund nicht die Freiheit, die ihm gut tut und die er oder sie für die eigene Entwicklung benötigt, wird Liebe schnell übergriffig. Freunde oder Eheleute bleiben trotz aller Nähe zwei Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Bedürfnissen. Das zu akzeptieren, übt die Liebe.
Nadaw und Awihu tragen in ihren Namen ein großartiges Programm. Nadaw ist großzügig, er will geben und Freude bereiten. Awihu sieht in Gott seinen Vater, den er von Herzen liebt. Beide aber haben noch nicht erkannt, dass Liebe Grenzen akzeptiert.
Zum einen gibt es eine Hierarchie, die Gott eingesetzt hatte, nämlich Priester und Hohepriester. Der Hohepriester hat Rechte und Aufgaben, die die Söhne eines Tages erben können, aber auf die sie in Geduld bis zu dem Tag zu warten haben. Ihre Liebe könnten sie durch Geduld und Abwarten zeigen, bis sie in die Aufgaben hineingewachsen sind. Damit gäben sie auch ihrem Vater Aaron den Respekt, der ihm in der Funktion als Vater und als Hohepriester gebührt.
Hierarchien gibt es häufig im Leben, über die wir uns nicht hinwegsetzten können. Es gibt Vorgesetzte und Bedienstete. Es gibt Lehrer und Schüler. Die in der Hierarchie höher Stehenden sind keine besseren Menschen, aber sie mussten verschiedene Stadien des Lernens durchlaufen und tragen nun die größere Verantwortung.
Zum anderen geht es hier in der Beziehung zu Gott darum, Seinen Anweisungen zu folgen. Aaron hatte Gottes Opferanweisungen genau eingehalten, sodass er das Volk segnen konnte. Für ein weiteres Opfer gab es keine Anweisung. Die Söhne nahmen es eigenmächtig vor, womit sie Gottes Größe und Autorität herabsetzten. Sie waren dadurch keine guten Vorbilder für das Volk.
Die Söhne wahrten nicht die respektvolle Distanz, denn Gottes Feuer war noch so präsent, dass es durch seine Größe allein gebot, ihm nicht nahe zu kommen. Niemand kann Gott sehen und leben und ebenso kann sich niemand Gottes Feuer nähern und leben. Dann wird es zu einem verzehrenden, fressenden Feuer. Nähe braucht Distanz!
Seit der Toravergabe am Sinai war die Macht Gottes bekannt:
Ex. 20,5 … denn ICH dein Gott bin ein eifernder Gottherr …
Ex. 24,17 Das Ansehn SEINER Erscheinung war wie eines fressenden Feuers am Haupte des Bergs den Augen der Söhne Jissraels.
Feuer ist eine Eigenschaft Gottes, und es ist ein gefährliches Element. Darum muss mit diesem Feuer äußerst kontrolliert umgegangen werden. Man denke nur an Paulinchen allein zu Haus! Oder auch das schon erwähnte Feuer der Liebe, das übergriffig den Respekt verweigert und den anderen erdrückt. Um diese Verantwortung zu lehren, ließ Gott diese tragische Situation zu, aus der die folgenden Generationen für immer ihre Lehren ziehen sollten.Die Lektion war hart. Aaron in seinem Dienst konnte diesen Platz und Auftrag nun nicht verlassen. Die anderen Söhne Aarons, Elasar (אֶלְעָזָר = Gott ist meine Hilfe) und Itamar (אִיתָמָר = Datteloase; Dattel steht für die Palme, diese für den Gerechten), mussten die Nachfolge der verstorbenen Brüder antreten. Die Heiligkeit des Dienstes erlaubte diesen Männern keine Trauer. Als Gesalbte dürfen sie wiederum den heiligen Ort nicht verlassen. Nur das Volk soll über Nadaw und Awihu trauern. Aaron drückte seine Trauer lediglich dadurch aus, dass er das Sühneopfer nicht aß und somit derer gedachte, die es dargebracht hatten.
Gott, der jegliche Grenze überwinden kann, setzt Grenzen. Schmerzliche Erfahrungen können uns das deutlich machen. Dann ist es gut, darum zu wissen, dass alles aus Gottes Hand kommt; dass jeglicher Schmerz und jegliche Krise unsere Wachstumschance ist und wir Ihm durch Beachtung des Ihm gebührenden Respekts besonders nahe kommen können. Dann wird Er auch unsere Grenzen weiten und Unmögliches für uns möglich machen.
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https://www.synagoge-karlsruhe.de/templates/articlecco_cdo/aid/445141/jewish/ber-uns.htm
[1] https://www.synagoge-karlsruhe.de/parshah/article_cdo/aid/669662/jewish/Lieben-wir-zu-viel.htm