Samaria – Schomron
Schabbat Mezora 8. Nissan 5782, 9. April 2022
Die Situation in unserer dieswöchigen Haftara ist hoch aktuell, denn die dortigen Probleme scheinen auch uns in Europa zu bedrohen. Im damaligen Nordreich Israel gab es Krieg mit den Aramäern und es herrschte Hungersnot in Samarien, da es von Feinden belagert war.
Das Nordreich war dekadent. Es nahm Gott nicht mehr ernst, sodass der Feind leichtes Spiel hatte. Der König bedrohte den Mann Gottes Elischa und machte ihn verantwortlich für den anhaltenden, quälenden Zustand von Chaos und Hunger, anstatt sich und das Volk zur Umkehr zu Gott zu ermahnen. (2.Kön. 6,31+33)
Diese Hungersnot, wie sie in Kap. 6 beschrieben wird, war schrecklich. Sie dauerte an, sodass sogar das Fleisch von Kindern zur dürftigen Ernährung herhalten musste. Hinter jeder Hungersnot in der Bibel steckt in der Tiefe ein Hunger nach Gott. Jeder Krieg ist ein Zeichen des fehlenden Vertrauens auf Gott und mangelnder Gehorsam gegenüber der Tora. Gott wird zur Marginalie, nicht mehr als erster und ernsthafter Schutzschirm geachtet, obwohl sich die Seele nach Gott sehnt. Sie hungert!
Trotz dieses Zustands erbarmt sich Gott nach einer schweren, dem Volk unendlich lang erscheinenden, Zeit Seiner Kinder, nach einer Zeit, die erst nach göttlichem Plan zum Abschluss kommen muss. Elischa verkündet im Voraus im Namen Gottes, im Namen יְהוָה JHWH Adonais, des barmherzigen Gottes, dass die Hungersnot und die damit verbundene Teuerung am nächsten Tag beendet sein werden. Doch der Offizier des Königs glaubte ihm nicht – und damit dem höchsten König! –, was sein persönliches Schicksal besiegeln sollte.
Die eigentliche Haftara beginnt mit vier Aussätzigen am Einlass des Stadttores. Sie leben außerhalb der Stadt und sind Ausgestoßene der Gesellschaft. Vier als die Zahl der universellen Bedeutung stellt die Aussätzigen pars pro toto für das sündige Israel dar. Ihr Aussatz sagt uns, dass sie schlecht über andere Menschen redeten, denn gemäß der Tora war Aussatz die Konsequenz für לשון הרע laschaon ha’ra, die üble Nachrede. Aussatz war eine nicht ansteckende Hautkrankheit, die dem Priester durch die Art der Hautverfärbung das Ausmaß der Sünde zeigte. Der Aussatz wurde durch eine Zeit der Quarantäne behandelt, in der sich die Betroffenen Zeit zum Nachdenken und zur Umkehr nehmen konnten. Wenn dann der Aussatz verschwunden war, durften sie nach entsprechenden Sühneopfern und nach einem Freispruchsritual durch den Priester zurück in die Gemeinschaft. Das alles thematisiert die Parascha Mezora ( Lev. 14,1 – 15,33).
Diese vier Männer konnten keine Umkehr praktizieren, weil das Nordreich die Autorität des Südreichs und Jerusalems nicht akzeptierte. Das Nordreich baute sein eigenes Heiligtum in Dan und Beth-El ohne die von Gott erwählten Priester und ohne Rücksicht auf Jerusalem, den Ort, den Gott sich erwählt hatte.
1.Kön. 12,28 Der König wußte sich Rat, er ließ zwei goldene Stierkälber machen, dann sprach er zu jenen: Genug euch, hinan nach Jerusalem zu fahren. Da sind deine Götter, Jissrael, die dich hinanholten aus dem Land Ägypten.
Jerobeam, König Schlomos ehemaliger Militärstratege, erklärte sich zum König des Nordreiches und wiederholte die Sünde des Volkes Israels mit dem goldenen Kalb.
Diese Abtrünnigkeit des Nordreichs war König Schlomo wegen seiner den Götzen dienenden Frauen vorhergesagt. Die Dekadenz des Nordreichs verfestigt sich durch diesen eklatanten Ungehorsam gegen Gott und durch eine fehlende, spirituelle Autorität, die die Priester zu dieser Zeit im Südreich darstellten. Somit verkörpern die vier Aussätzigen das gesamte, gottlose Nordreich, zu dem Gott in Seiner großen Barmherzigkeit immer wieder einen נְּבִיאִ Nawi = Künder, Propheten bzw. einen אִישׁ הָאֱלֹהִים Isch Elohim, einen Mann Gottes, sendet, um sie an Gottes heiliges Wort zu erinnern. Elohim steht für die richtende, strenge Seite Gottes.
Doch gerade mit den sündigen Aussätzigen, die keinen Helfer in Gestalt eines Priesters haben, zeigt Gott Sein Erbarmen. Die vier Männer wollen in ihrer Not zu den Aramäern überlaufen. Überall erwartet sie der Tod, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Stadt. Welches Risiko gehen sie unter diesen Umständen ein, wenn sie zum Feind fliehen?
Doch sie erleben etwas völlig Unerwartetes. Der Feind ist vertrieben! Ein Wunder Gottes, als alle Hoffnung gestorben war! Die Aramäer hatten lautes Getöse von vielen Streitwagen und das Geschrei eines großen Heeres gehört, sodass sie in großer Angst flohen. Nichts von all ihrem Gut nahmen sie mit. Sie rannten um ihr nacktes Überleben, denn sie dachten an einen Zusammenschluss der Feinde zu einer Übermacht. Dabei hatte Gott allein sie durch eine, wie oben genannt, übernatürliche Sinnestäuschung n die Irre geführt und vertrieben!
In Kap. 6 bittet Elischa für seinen Knecht um geöffnete Augen, damit er sieht, was Elischa bereits wusste und was zu jeder Zeit wahr ist, was vielmehr für die Aramäer später zur Täuschung wurde:
1.Kön. 6,16 … Fürchte dich nimmer, mehr ja sind derer mit uns als derer mit ihnen.
Und er sah:
1.Kön. 6,17 … das Gebirg voll Feuerrosse und -fahrzeugs im Kreis um Elischa!
Die Aussätzigen können ihr Glück kaum fassen! Hier sind die vollen Teller, nach denen die Menschen lechzen! Sie bedienen sich sowohl an der Nahrung als an Silber, Gold und Kleidung. Sie kommen ein zweites Mal, nachdem sie ihre Beute in Sicherheit gebracht haben, plünderten ein zweites Zelt und verbargen die Beute. Doch nach diesem zweiten Mal fingen sie an, ihr Handeln anzu-zwei-feln.
„Was wir tun, ist nicht richtig. In unserer Stadt herrscht eine katastrophale Hungersnot, wir aber schwelgen in Genüssen und verschweigen diese gute Nachricht. Das ist falsch.“
In diesem Moment, in dem sie die Entscheidung treffen, Gutes weiterzutragen, passiert in ihnen die Veränderung und die Heilung.
2.Kön. 7,9 dieser Tag ist ein Tag der frohen Botschaft – יוֹם בְּשֹׂרָה jom bessora.
Dieser Ausdruck bessora kann ebenso mit Evangelium, frohe Botschaft, übersetzt werden. Es ist eine Botschaft, die verkündet werden muss. Darum gehen die Vier noch vor dem Morgengrauen zum König, um ihm die frohe Kunde der Errettung zu bringen. Sie wissen um die Dringlichkeit, um die Gunst der Stunde und wissen: Jetzt – ata עַתָּה – ist die Zeit zum Gehen, die Gelegenheit beim Schopf zu packen, jetzt und keinen Moment später! Sie wollen keine weitere Schuld auf sich laden. Und weil die Vier die frohe Botschaft nicht für sich behalten, praktizieren sie durch ihr entschlossenes Handeln Buße und Umkehr תְּשׁוּבָה teschuwa zu Gott, geben IHM die „verantwortende Antwort“ (M. Buber). Daraus können wir zwischen den Zeilen schließen, dass sie von ihrem Aussatz geheilt wurden.
Um die frohe Botschaft zu verkünden, rufen die Aussätzigen den Torhüter der Stadt, der wiederum ruft seine Kollegen und in einem dritten Schritt erfährt der König die Nachricht noch in der Nacht. Die Drei zeigt wieder einmal, dass eine Transformation der lebensgefährlichen Lage ansteht. Außerdem trägt die Nacht die Botschaft der Verwandlung in sich.
Verständlicherweise hegt der König Zweifel. Es könnte doch eine Falle sein, die die Aramäer den Hungernden stellen. Doch ist er bereit, eine Vorhut auszuschicken, um die Lage zu sondieren. Mit fünf übriggebliebenen Pferden, mit einem mageren Rest wollen sie das Lager der Aramäer erkunden. Mit der Fünf stellen sie sich auf die Kraft der Tora, die so lange mit Füßen getreten wurde. Die Fünf ist das Eingreifen Gottes, die Zahl des Übernatürlichen, die die Materialität der Vier übersteigt.
Zwei Gespanne sendet der König aus, denn er zweifelt noch. Immerhin gibt es einen schwachen Schimmer der Hoffnung, den ausgerechnet Aussätzige dem König vermitteln! „Geht und seht – lechu u ra‘uלְכוּ וּרְאוּ !“ ist der Auftrag des Königs.
Mit denselben Worten sandte Jehoschua Ben Nun Kundschafter nach Jericho, um das Land zu erkunden. Seine Kundschafter fanden Unterstützung bei Rachaw רָחָב = die Weite.
Rabbi Jehoschua sandte seine Schüler mit diesen Worten, um zu erkunden, wie viele Brote sie hatten, um 5000 Männer zu speisen. Auch sie hatten Fünf!
Die Boten bestätigen dem König das Wunder Gottes. Nun kann das ganze Volk aus der Stadt hervorkommen und sich mit allem versorgen. Das Wort Elischas wird an diesem Tag wahr: die Teuerung und die Hungersnot sind vorbei!
Jedoch der ungläubige Offizier des Königs wird von den Menschenmassen überrannt und stirbt. Sich auf ihn, einen Ungläubigen, zu stützen, war die falsche Entscheidung. Trotz Zweifel hörte der König auf die Kunde der Aussätzigen und durfte Gottes Sieg erfahren.
Hoffen wir in der aktuellen Lage nicht auch auf solch ein Wunder Gottes?! Wir sollten es! Wir sollten Gott vertrauen, dass ER allein die Stärke hat, die Macht der Despoten zu brechen. Es ist nicht ratsam, ängstlich wie ein Kaninchen auf die Drohgebärden der Schlange zu starren. Wir haben einen machtvollen Gott, der unseren Kampf kämpft, wenn wir IHM vertrauen.
In der Amida, dem 18-Bitten-Gebet beten wir:
„Schaue auf unser Elend, führe unseren Streit und erlöse uns rasch um deines Namens willen, denn du bist ein starker Erlöser.“
„Den Verleumdern sei keine Hoffnung, und alle Ruchlosen mögen im Augenblick untergehen, alle mögen sie rasch ausgerottet werden, und die Trotzigen schnell entwurzle, zerschmettre, wirf nieder und demütige sie schnell in unseren Tagen. Gelobt seist du, Ewiger, der du die Macht der Feinde zerbrichst und die Trotzigen demütigst!“
Und im Schlussgebet heißt es:
„Darum hoffen wir auf dich, Ewiger, unser Gott, bald die Herrlichkeit deiner Macht zu schauen, dass die Gräuel von der Erde schwinden und die Götzen vertilgt werden, die Welt gegründet wird auf das Reich des Allversorgers und alle Menschenkinder deinen Namen anrufen, dass sich dir zuwenden alle Frevler der Erde, erkennen und einsehen alle Bewohner der Welt, dass sich vor dir jedes Knie beugen, jede Zunge schwören soll. Vor dir, Ewiger, unser Gott, werden sie knien und sich niederwerfen und der Majestät deines Namens Ehre darbringen, alle nehmen sie die Anerkennung deines Reiches auf sich, und du regierst bald über sie immer und ewig, denn das Reich ist dein, und in allen Ewigkeiten regierst du in Ehre.“
Kein Mensch dieser Erde kann Gott entrinnen! Auch die, deren Allmachtsfantasien die Menschen in Atem halten – sie sind Mücken vor dem allmächtigen Gott, vor dem auch sie am Ende der Tage ihre Knie werden beugen müssen!
Hören wir also nicht auf zu beten und tief zu vertrauen, dass den Leidenden Rettung zuteil werden wird, besonders da der angegriffene und bekämpfte Präsident dem Volk der ersten Liebe Gottes (Buchtitel von Friedrich Heer) angehört! Beten, vertrauen, danken steht auf der täglichen Agenda auch dann, wenn die Not vorüber sein wird.