Predigttext vorgeschlagen für So, d. 17.09.2023

Gen. 15,1 Nach diesem Beredeten ward SEINE Rede an Abram in der Schau, ein Sprechen: Fürchte dich nimmer, Abram, ich bin dir Schild, deines Lohns ist sehr viel. 2 Abram sprach: Mein Herr, DU, was magst du mir geben, ich gehe ja kinderbloß dahin, und Wirtschaftssohn meinem Haus ist der damaskische Elieser. 3 Abram sprach: Da, mir hast Samen du nicht gegeben, da muß mein Haussohn denn mein Erbe sein. 4 Da aber: SEINE Rede an ihn, ein Sprechen: Nicht wird dich dieser beerben, sondern der von deinem Leibe ausfährt, der wird dich beerben. 5 Er führte ihn hinaus ins Freie und sprach: Blicke doch himmelan und zähle die Sterne, kannst du sie wohl zählen? Und sprach zu ihm: So wird dein Same sein. 6 Er aber vertraute IHM; das achtete er ihm als Zedaka צְדָקָה Bewährung Gerechtigkeit.

Ich habe mich oft gefragt, warum Gott Abrams Glauben ausgerechnet an dieser Stelle ihm als Zedaka צְדָקָה = Gerechtigkeit anrechnet.

Abram, Sohn eines Götzendieners, hatte der Stimme des Einen Gottes gehorcht und war auf Gottes lech lecha לֶךְ לְךָ – Geh für Dich – aufgebrochen aus dem Haus seiner Geburt und aus seinem Vaterland in ein unbekanntes Land, das Gott ihm zeigen wollte. Abram אַבְרָם, der großer Vater,  hatte dem Wort Gottes vertraut, als Dieser ihm sagte: ICH werde dich segnen אֲבָרֶכְךָ awarechecha.

So zog er mit seiner Frau Sarai – beide in fortgeschrittenem Alter – und mit seinem Neffen Lot fort aus der Heimat. Dass der sein Erbe würde, von dieser Idee musste Abram sich verabschieden, als es zum Streit zwischen ihren Hirten kam und sich daraufhin ihre Wege trennten. Der friedliebende Onkel überließ dem Neffen die Wahl, in welche Richtung er ziehen wollte.

Was ist nun in Kapitel 15 so eklatant anders, dass dieser Glaube Abram als Gerechtigkeit angerechnet wird?

Im Hebräischen steht für „kinderlos“ das Wort ariri עֲרִירִי. Damit kann einerseits ein fehlender Erbe wie: „ein Sohn (עֵר er) und ein Enkel (we’ene וְעֹנֶה)“ (Mal. 2:12) gemeint sein,  dann würde עֲרִירִי ariri „ohne Erben“ bedeuten. Damit geht die Bedeutung einher, dass der Erblasser entwurzelt ist. Ebenso ist das Wort ein Ausdruck der Zerstörung wie in (Ps. 137:7): „Macht es dem Erdboden gleich (עָרוּ עָרוּ)“ und wie in (Hab. 3:13): „zerstört (עָרוֹת) das Fundament“ und wie in (Jer. 51:58): „wird sein völlig zerstört (עַרְעֵר תִּתְעַרְעַר)“, und wie in (Zeph. 2:14): „denn das Zedernwerk wird zerstört (עֵרָה).“

Raschi

Abram fühlt sich nicht nur kinderlos, sondern ohne Wurzeln, zerstört. Er selbst hatte im vorhergehenden Kapitel „Zerstörung“ angerichtet, als er seinen Neffen aus der Hand feindlicher Könige befreite. Zwar hatte er mit dem Hinweis auf Gott, den Höchsten, den Schöpfer Himmels und der Erden, jeglichen Reichtum aus Menschenhand abgelehnt, und Melchizedek hatte ihn im Namen dieses Allerhöchsten gesegnet, doch sind ihm sicher die Menschen, die er töten musste, noch nachgegangen.

Deshalb antwortet er auf Gottes Großzügigkeit: Was soll ich mit einer Belohnung anfangen, wenn ich sie doch nicht an meine Nachfahren vererben kann?

Abram hat nicht richtig verstanden, was Gott ihm sagte. Zuerst ist der Allmächtige sein Schild, sein Schutz, seine Hilfe. Im Judentum heißt es, Abraham bestand 10 Prüfungen in seinem Leben.
1. Die Auseinandersetzung mit seinem Vater Terach, der Götzen herstellte und verkaufe
2. Gottes Stimme schickt ihn fort aus der Heimat
3. Hungersnot treibt ihn nach Ägypten
4. Pharao vergreift sich an Sara
5. Abram befreit seinen Neffen Lot im Kampf gegen 5 Könige
6. Der Bund zwischen den Fleischstücken
7. Beschneidungsbund im Alter von 99 Jahren
8. Abimelech holt Sara zu sich
9. Vertreibung Jischmaels auf Saras Wunsch
10. Bindung Jitzchaks

Gott sieht Abrams Treue und verspricht ihm auf der Hälfte der Prüfungen Seinen Schutz, indem ER sein Schild magén מָגֵן ist und in Zukunft sein wird.  אָנֹכִי anochi = ich – das innere Ich, Gottes Wesenhaftigkeit in sich – versprich ihm diesen immerwährenden Beistand, diesen Schutz und diese Hilfe. Darauf kann er sich verlassen, komme, was da kommen mag.

An diese Zusage erinnern wir uns in der 1. Bitte des Schmone Esre, der 18-Bitten-Gebets:

Gelobt seist du, Ewiger, unser Gott und Gott unserer Väter, Gott Abrahams, Gott Isaaks und Gott Jakobs, großer, starker und furchtbarer Gott, höchster Gott, der du beglückende Wohltaten erweisest und Eigner des Alls bist, der du der Frömmigkeit der Väter gedenkst und einen Erlöser bringst ihren Kindeskindern um deines Namens willen in Liebe. König, Helfer, Retter und Schild!
Gelobt seist du, Ewiger, Schild Abrahams! בָּרוּךְ אַתָּה יְיָ מָגֵן אַבְרָהָם Baruch ata Adonai magén Awraham.

Siddur Schma Kolenu

Dann verspricht ER ihm: deines Lohns ist sehr viel. Gott sieht neben der Treue auch die Mühe Abrams. Was immer wir tun, es wird seine Früchte tragen, zum Guten oder zum Bösen. Unser Tun hat Konsequenzen. Das ist ein Naturgesetz, und es gilt somit nicht nur für Pflanzen, sondern erst recht für den Menschen. Alles hat Ursache und Wirkung. Für Abram wird die Wirkung, werden die Früchte sehr viel הַרְבֵּה מְאֹד harbé me’od sein. Diese Früchte, diesen Lohn kann er mitnehmen in die andere Welt, in olam ha’ba עולם הבא, die auf uns zukommende Welt.

Sofort in der Berglehre spricht sogar Jehoschua vom Lohn:
Matth. 5,12 Freut euch und jubelt, denn euer Lohn ist groß im Himmel;
Matth. 10,42 und wer einem dieser Geringen auch nur einen Becher mit kaltem Wasser zu trinken gibt, weil er ein Talmid (Schüler) ist, wahrlich, ich sage euch, der wird seinen Lohn nicht verlieren!
Lk. 10,7 In demselben Haus aber bleibt und esst und trinkt das, was man euch vorsetzt; denn der Arbeiter ist seines Lohnes wert.
Joh. 4,36 Und wer erntet, der empfängt Lohn und sammelt Frucht zum ewigen Leben, damit sich der Sämann und der Schnitter miteinander freuen.

Die Aussicht auf Lohn zieht sich durch alle vier Evangelien, denn der Arbeiter verdient seinen Lohn und wer Notleidenden gibt, kann wissen, dass er bekommen wird. Es geht hier wie dort also nicht um Werkgerechtigkeit, sondern um ein sich fortsetzendes Lebensgesetz.

Trotz des Lohns in der Ewigkeit geht Gott in dieser Vision auf Abrams Frage nach dem Erben ein. „Ich will dich zu einem großen Stamme machen“, hatte Gott bei der Berufung versprochen. Damals war Abram schon 75 Jahre alt und er weiß, dass aus biologischer Sicht seine Chancen, mit Sarai ein Kind zu zeugen, mit jedem Jahr schwinden. Er macht Gott nicht einmal Vorwürfe, wenn er feststellt, dass Der ihm keinen Samen, keine Nachfolger gab. Abram benennt damit gleich die richtige Adresse, denn es ist nur Einer, der Nachfahren geben kann oder nicht, der fruchtbar oder unfruchtbar macht. Er wird vielmehr gespürt haben, wie viel ihm Gott gab durch den Auszug aus seiner alten, heidnischen Heimat, denn nun hat er einen Freund, einen Vertrauten an seiner Seite.

Mit dem Beantworten seiner drängendsten Frage zeigt Gott ihm, dass Abram von dem Krieg, der vor dieser Schau stattfand, keine Last mehr zu tragen hat, dass er dankbar den Segen Melchizedeks מַלְכִּי צֶדֶק = mein König der Gerechtigkeit annehmen darf. Abram wird so selbst zum Gerechten, denn er vertraute und vertraut in allem Gott und wollte nicht, dass ein anderer außer dem Ewigen die Ehre bekommt, ihn reich zu machen. Er wird sich nicht fürchten mit Gott als seinem Schutz und mit dem Lohn, der auf ihn wartet. Dadurch wird er reich, innerlich und äußerlich, denn das Innere zieht das Äußere an.

Gott führt Abram aus seinem Zelt ins Freie, zeigt ihm die Sterne, deren Ordnung der Schöpfer selber bestimmte. ER führt ihn raus in die Freiheit, raus aus seinem alten Denken. Wie Abram die Sterne nicht zählen kann, so unzählbar werden seine Nachkommen sein. Noch sieht er es nicht, aber er ist sich sicher, dass wenn der Schöpfer seine vielzähligen Geschöpfe am Himmel zeigt, sich die Botschaft erfüllen wird.

Einer Midrasch-Interpretation zufolge sagte der Ewige zu ihm: „Geh aus deiner Astrologie“, denn du hast in den Tierkreiszeichen gesehen, dass du nicht dazu bestimmt bist, einen Sohn zu bekommen. Tatsächlich wird Abram keinen Sohn haben, aber Abraham wird einen Sohn haben. Ebenso wird Sarai nicht gebären, aber Sarah wird gebären. Ich werde dir einen anderen Namen geben, und dein Schicksal wird sich ändern (Ned. 32a, Gen. Rabbah 44:10).
Eine andere Erklärung: Er holte ihn aus der Erdsphäre und hob ihn über die Sterne. Dies erklärt den Ausdruck von הַבָּטָה habita [Blicke doch himmelan], der von oben herabschaut (Gen. Rabbah 44:12).

Raschi

All das zusammengenommen lässt uns erkennen, warum Gott diesen Glauben als Gerechtigkeit anrechnete: Abram hatte sich nicht nur schon fünfmal bewährt, er war zu weiteren, großen Veränderungen bereit, weil er mit Gott ging, dem er nicht nur in dieser Welt vertraute. Gott wusste zudem, dass der weitere Weg von Abram zum Abraham nicht leichter werden würde.

One thought on “Gen. 15,1-6 Die Sterne am Himmel

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