vorgeschlagen für Sonntag, d. 16. Mai 2021, Vorabend von Schawu’ot
Am letzten Tag des Festes, Hoschana Raba, stand Jeschua dann auf und rief: „Wenn jemand durstig ist, möge er zu mir kommen und trinken! Wer immer sein Vertrauen auf mich setzt, aus dessen innerstem Sein werden, wie der Tanach sagt, Flüsse lebendigen Wassers fließen!“ (Nun sagte er das über den Geist, den die, die ihm vertrauten, später empfangen sollten – der Geist war noch nicht gegeben worden, weil Jeschua noch nicht verherrlicht worden war.)
Joh. 7,37-39 aus: Jüdisches Neues Testament, David Stern, Hänssler-Verlag 1994
Wenn wir uns mit diesen Versen beschäftigen, müssen wir uns im Zusammenhang von Kapitel 7 mit dem jüdischen Leben Jesu befassen. Jesus hielt sich anlässlich von Sukkot, dem dritten Wallfahrtsfest, zu dem jeder gläubige Jude nach Jerusalem zum Tempel pilgerte, ebenfalls an diesem heiligen Ort auf.
Im ersten Viertel des Kapitels zeigte Jesus sich noch unschlüssig, nach Jerusalem zu pilgern, denn er wusste, dass er – wie jeder Prophet – keine guten Nachrichten für seine Zuhörer hatte.
Joh. 7,7 Die Welt kann euch nicht hassen; mich aber hasst sie, denn ich zeuge von ihr, daß ihre Werke böse sind.
Jesus wartet auf den richtigen Moment und erscheint in Jerusalem einige Tage später.
Dort macht er keinen Hehl daraus, dass er eine Botschaft von Gott zu verkündigen hat.
Joh. 7,16 Jesus antwortete ihnen und sprach: Meine Lehre ist nicht mein, sondern des, der mich gesandt hat. 17 So jemand will des Willen tun, der wird innewerden, ob diese Lehre von Gott sei, oder ob ich von mir selbst rede.
Es ist wichtig, dass wir diese Aussage Jesu im Ohr haben, bevor wir uns vorstellen, mit ihm das Laubhüttenfest und anschließend den letzten Tag Hoschana Raba zu feiern.
Dieses Fest ist im Gegensatz zu Pessach und Schawuot, dem jüdischen Pfingstfest, das an diesem Sonntagabend beginnt, ein Fest am Ende eines Bußzykluses. Es findet 14 Tage nach Rosch HaSchana, dem jüdischen Neujahrsfest, statt und 4 Tage nach Jom Kippur, dem großen Bußtag im jüdischen Kalender, an dem zurzeit Jesu nur der Hohepriester ins Allerheiligste gehen durfte. Dort sprengte er das Blut des Opfertieres symbolisch in das Allerheiligste, wo im 1. Tempel noch die Bundeslade gestanden hatte; er schickte auch den Sündenbock in die Wüste. Nach den ernsten Tagen der Bußzeit ist das Sukkot-Fest sehr fröhlich. Es wird gesungen und getanzt. Trotzdem ist auch jeder Tag dieses Feste geprägt von der Bitte um Erlösung.
„Diese Gebete um Erlösung heißen Hoschanot, weil das Wort Hoschana (Hosianna) jeden Vers begleitet. Es besteht aus hoscha und na und bedeutet ‚Bitte, bringe uns die Erlösung‘.“[1]
Dieses Fest fand zu Jesu Zeiten noch im Tempel statt, den Herodes hatte vergrößert und verschönert aufbauen lassen.
„An den ersten sechs Tagen des Festes gehen wir einmal um die Bima herum. An Hoschana Raba (das große Hoschana), dem letzten Festtag, sind es sieben Umkreisungen. Dieser Brauch erinnert an den G-ttesdienst im Beit Hamikdasch [Tempel]. Damals gingen die Kohanim [Priester] einmal am Tag um den Altar, an Hoschana Raba aber sieben Mal.[2]
An diesem letzten Tag geht es um den Abschluss des gesamten Zykluses mit der Bitte um Wasser. Israel ist auf Wasser angewiesen, sodass man zu Beginn der Regenzeit anfängt, um Regen zu beten. Dazu sammelte man zweige von Bachweiden für den letzten Tag und umrundete mit ihnen den Altar.
„Warum war dieser Arawa-Ritus [Bachweiden-Ritus] an Hoschana Rabba vorgeschrieben?
Serer ha-Rokeach erklärt: Arawa [Bachweiden] wachsen am Wasser, und an Hoschana Rabba wird der Menschheit Wasser zugeteilt.
Um an die hakafot (das Umkreisen des Altars) zu erinnern, gehen wir um die Torarolle auf der Bima [Lesepult] herum, denn seit der Zerstörung des Beit Hamikdasch [Tempels] ist uns nur die Tora geblieben, und sie dient als Altar der Sühne. Der G-ttesdienst an Hoschana Raba schließt Gebete ein, mit denen wir G-tt um reichlich Regen und Tau bitten.“[3]
Jesus tritt nun auf und ruft aus: Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommet her zum Wasser! und die ihr nicht Geld habt, kommet her, kaufet und esset; kommt her und kauft ohne Geld und umsonst beides, Wein und Milch! (Jes 55,1 LUT)
Das hier vorkommende Wort Wasser Maijm מַיִם steht als Synonym für Gott, zu dem der Hungrige und Durstige seit etwa 700 Jahren eingeladen war zu kommen. Jesus knüpft an die Gebete um Wasser an sowie an den fröhlichen Gesang: Jes. 12,3 (LUT) Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen aus den Heilsbrunnen. Es stammt aus dem „Danklied der Erlösten“, wie Luther die Perikope übertitelte.
Jes. 12,1 Zu derselben Zeit wirst du sagen: Ich danke dir, Ewiger, daß du zornig bist gewesen über mich und dein Zorn sich gewendet hat und tröstest mich. 2 Siehe, Gott ist mein Heil, ich bin sicher und fürchte mich nicht; denn Gott der Ewige ist meine Stärke und mein Psalm und ist mein Heil. 3 Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen aus den Heilsbrunnen 4 und werdet sagen zu derselben Zeit: Danket dem Ewigen, prediget seinen Namen; machet kund unter den Völkern sein Tun; verkündiget, wie sein Name so hoch ist. 5 Lobsinget dem Ewigen, denn er hat sich herrlich bewiesen; solches sei kund in allen Landen. 6 Jauchze und rühme, du Einwohnerin zu Zion; denn der Heilige Israels ist groß bei dir.
Jesus liebt es, den Propheten Jesaja zu zitieren. Beide sind durch ihren Namen verbunden, der ihre feste Gewissheit der Erlösung durch Gott ausdrückt. Der Name stammt ab von dem Verb לְהוֹשִׁיעַ lehoschi’a und heißt im Futur יוֹשִׁיעַ joschia, er wird erlösen, retten, woraus sich die Namen Josia, Josua, Hosea, Jesaja und Jesus = Jehoschua bildeten. So drückt auch Jesus sein Vertrauen in den, der ihn gesandt hat, mit den Worten seines Lieblingspropheten aus. Er geht noch weiter und ruft im Namen Gottes:
Jes. 58,11 (LUT) und der Ewige wird dich immerdar führen und deine Seele sättigen in der Dürre und deine Gebeine stärken; und du wirst sein wie ein gewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, welcher es nimmer an Wasser fehlt.
Ergibt es einen Sinn, anzunehmen, Jesus würde nach allem, was er vorher deutlich und unumwunden erklärt hatte, nun in seinem eigenen Namen rufen? Sollen jetzt plötzlich alle an ihn glauben, wo er sich doch auf die Aussagen des Tanach (Hebräische Bibel bestehend aus Tora, Newiim = Propheten, Chetuwim = Schriften) beruft? Das passt nicht zu dem Gesamtzusammenhang. Wenn Jesus mit jedem Wort den Vater in den Mittelpunkt stellte, kann der Satz: „Wer an mich glaubt, …“ nur die Fortsetzung des begonnen Schriftzitats sein. Jesus spricht, wie alle Propheten, vom Vater, und auch sie tragen es in der wörtlichen Rede vor: „ICH sage euch…“
Vor allem gab es zu Jesu Zeit nur eine Schrift, den Tanach, die Hebräische Bibel. „Wie die Schrift sagt …“ kann nur Gott meinen. Ich kenne all die Stellen, die Christen gerne auf Jesus deuten, aber damit sind diese Bibelstellen vereinnahmt und nicht letztgültig ausgelegt. Außerdem steht an keiner Stelle der Name Jesus, obwohl Gott ihn doch offenbaren konnte, wenn ER ihn gemeint hätte. In Jesaja 7 ist von einem „Immanuel“ = עמנו אל „Gott ist mit uns“, die Rede, aber das ist nicht der Name Jesu. Beide Namen haben eine unterschiedliche Bedeutung. Gott betreibt mit uns jedoch keine Versteck- und Ratespiele. Wenn wir an jemanden glauben sollen, „wie die Schrift sagt“, kann damit nur Gott gemeint sein, denn den EINEN Gott bezeugt die Schrift überall. Von Gott hören wir, dass ER uns sättigen und zu einem gewässerten Garten macht, dem es nie an Wasser fehlt.
Der Erlöser Israels (Jes. 49,7) schläft noch schlummert nicht. ER sorgt für Israel wie ein guter Hirte:
Jes. 49,10 (LUT) Sie werden weder hungern noch dürsten, sie wird keine Hitze noch Sonne stechen, denn ihr Erbarmer wird sie führen und wird sie an die Wasserquellen leiten.
Voraussetzung ist, dass Israel Gottes Tora befolgt.
Dtn. 5,1 (LUT) Und Mose rief das ganze Israel und sprach zu ihnen: Höre, Israel, die Gebote und Rechte, die ich heute vor euren Ohren rede, und lernt sie und behaltet sie, daß ihr darnach tut!
Gott selber erweist sich als gut.
Dtn. 32,4 (BRU) Der Fels, ein Ganzes sein Wirken, denn all seine Wege sind Recht, Gottheit der Treue, ohn Falsch, wahrhaft und gerade ist er.
Das bestätigt Jesus in Mt 19,17 Er aber sprach zu ihm: Was heißest du mich gut? Niemand ist gut denn der einige Gott. Willst du aber zum Leben eingehen, so halte die Gebote.
Das alles schwingt mit, wenn die Gläubigen in Jerusalem aufgerufen werden, an den Ewigen zu glauben, wie die Schrift sagt. Wer lässt sich das schon gerne sagen, wenn er doch meint, alles richtig zu machen und die Tora genau zu befolgen? Wenn er doch Zäune über Zäune um die Tora baut, um ja kein Gebot zu verletzten? Von dieser Diskussion um die Anwendung der Tora und um die Schutzzäune um die Gebote berichtet der Talmud resp. die Mischna, die als erster Teil des Talmuds rund um Jesu Lebenszeit entstand.
Nun heißt es am Ende unseres Textes: „der Geist war noch nicht gegeben worden“. In anderen Übersetzungen heißt es missverständlich: „denn der Heilige Geist war noch nicht da, …“(Lut) oder „denn (den heiligen) Geist gab es noch nicht,“ (Zür).
Dass es den Geist Gottes schon seit der Erschaffung der Welt gab, ist allgemein bekannt.
Gen. 1,2 Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes רוּחַ אֱלֹהִים schwebte auf dem Wasser.
Dieser Geist Gottes, der רוּחַ אֱלֹהִים ruach Elohim, wurde immer wieder ausgegossen auf Gottes Kinder. Und er wurde in einfachen Situationen gebraucht, wie das Anfertigen von Kleidung:
Ex. 28,3 (BRU) Rede also du zu allen Herzens Weisen, wen ich mit Geist der Weisheit füllte, daß sie die Gewänder Aharons machen, ihn zu heiligen, daß er mir priestere.
Josua, der die Israeliten über den Jordan in ihr Heimatland brachte, brauchte den Geist Gottes.
Dtn. 34,9 Josua aber, der Sohn Nuns, ward erfüllt mit dem Geist der Weisheit; denn Mose hatte seine Hände auf ihn gelegt. Und die Kinder Israel gehorchten ihm und taten, wie der Ewige dem Mose geboten hatte.
Der Geist Gottes erquickte und leitete die Richter Israels. Er kam selbst zu Scha’ul, aber er nutzte diese Gabe nicht und baute seine Beziehung zu Gott nicht aus. Dagegen weiß König David in seinen Psalmen immer wieder vom Geist Gottes zu singen. Nach seiner Sünde mit Batseba bat er:
Ps. 51,12 Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz und gib mir einen neuen, gewissen Geist. 13 Verwirf mich nicht von deinem Angesicht und nimm deinen heiligen Geist (רוּחַ קָדְשְׁךָ ruach kodschecha) nicht von mir.
Genauso kam Gottes Geist auch über eine Schar von Propheten:
1.Sam. 19,20 Da sandte Saul Boten, daß sie David holten; und sie sahen den Chor der Propheten weissagen, und Samuel war ihr Vorsteher. Da kam der Geist Gottes auf die Boten Sauls, daß auch sie weissagten
Gott kann mit Seinem Geist Menschen leiten, anweisen, Worte eingeben, den Sinn von Worten erschließen und begeisten (wie mein Mann Yuval Lapide zu sagen pflegt). Der Geist Gottes ist ein Teil vom Ewigen, der Geist der Heiligkeit. Er ist nicht losgelöst von Gott, keine eigene Instanz oder Größe.
Hier ist der Geist Gottes noch nicht ausgegossen über die Schar der Anhänger Jesu, wie es an Pfingsten geschehen sollte, aber der Geist Gottes war natürlich in Gott schon existent und anwesend. In der Rückübersetzung ins Hebräische steht hier auch לֹא-נִשְׁפַּךְ lo nischpach = nicht ausgeschüttet. Das trifft den Sachverhalt, denn wir sehen ja, dass Gott je nach Bedarf und Situation Seinen Geist gibt.
Mit diesem Ausdruck (nischpach) schafft der Evangelist die Verbindung zwischen dem Ritual des Wasserausgießens durch den Hohepriester „in ein Becken am Fuß des Altars. Das Wasser symbolisierte das Gebet um Regen, das am folgenden Tag, Schemini Atzeret, begann und verwies zugleich auf die Ausgießung des Ruach HaKodesch über das Volk Israel.“[4]
Jesus greift also den Sinn dieses Festes auf und bietet allen den schützenden und versorgenden Gott an. Mit den gläubigen Juden feiert er diesen Gott voller Freude und Dankbarkeit, aber auch in der Sorge, dass Menschen in ihrem Alltag und in der Last der Unterdrückung die Erlösung Gottes nicht ernst nehmen.
Ps. 118
Teil des Hallel-Gebetes
25 Ach doch, DU, befreie doch! – Ach doch, DU, laß doch gelingen!
אָנָּא יְהוָה הוֹשִׁיעָה נָּא אָנָּא יְהוָה הַצְלִיחָה נָּא
Ana Adonai hoschia na, ana Adonai hazli’ach na
26 Mit SEINEM Namen gesegnet, der kommt! – Aus SEINEM Hause segnen wir euch!
27 Gottherr ist ER und er leuchtete uns! – Haltet den Festreihn mit Seilen gebunden bis an die Hörner der Schlachtstatt!
[1] https://www.synagoge-karlsruhe.de/library/article_cdo/aid/4495/jewish/Hoshana-Rabbah.htm
[2] Ebd.
[3] Ebd.
[4] Stern, Kommentar zum JNT, S. 292
Liebe Debora, danke für diesen interessanten und lehrreichen Kommentar! Genau so muss das Neue Testament verstanden werden: Von seiner jüdischen Wurzel her. Und nichts anderes!
Darin gebe ich dir Recht. Und wie reich werden Christen durch ihre jüdische Wurzel beschenkt!