vorgeschlagen für Sonntag 22. März 2020, Lätare

An diesem Sonntag werden keine Gottesdienste stattfinden, wie es in den Medien berichtet wurde. Trotzdem soll Gottes Wort gepredigt werden und gerade in dieser Zeit der Isolation und Entschleunigung Kraft, Mut und Perspektive geben. Genauso mögen wir die Ruhe zu kritischer und selbstkritischer Reflexion finden. Dieser Predigttext ist den Trostbotschaften des Propheten Jesaja entnommen, dem Lieblingspropheten Jesu, den er neben den Psalmen am häufigsten zitierte. Jesaja hatte sowohl die Warnung vor Zerstörung und Exil anzukündigen als auch die Hoffnung auf Gottes Erbarmen und die Wiederherstellung Seines Volkes.

Predigttext aus der Luther-Übersetzung von 1912 (www.obohu.cz) 7 Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen; aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln. 8 Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich dein erbarmen, spricht der HERR, dein Erlöser. 9 Denn solches soll mir sein wie das Wasser Noahs, da ich schwur, daß die Wasser Noahs sollten nicht mehr über den Erdboden gehen. Also habe ich geschworen, daß ich nicht über dich zürnen noch dich schelten will. 10 Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen; aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.

Zu wem spricht der Prophet?

Die Worte Jesajas, die an diesem Sonntag als Predigt in den evangelischen Kirchen vorgeschlagen ist, richtete sich ausnahmslos an das jüdische Volk. Wenn Gott zu seinem Volk spricht, so redet ER es mit unterschiedlichen Namen an. ER kann Zion als sein Volk oder als Stadt Jerusalem ansprechen, als Tochter oder als Sohn, als Braut und ebenso als Knecht. In unserem Kapitel spricht Gott zu Israel als Unfruchtbare und als verlassene Frau, deren Mann ER doch ist. In den vorangehenden Kapiteln ist immer wieder zu lesen, wie sich „Zerbrecher und Verstörer“ (Jes.49,17) um Israel gesammelt hatten, aber den „Schindern“ (Jes.51,23) will Gott nun den Taumelbecher zurückgeben. In Kap. 9 erlaubt Gott den Völkern wie Aramäern und Philistern, gegen Sein Volk zu wüten, weil es Seinen Gott vergaß sowie jede Form von Mitmenschlichkeit. Das kann Gott nicht mit ansehen. Gehen jedoch diese Völker maßlos gegen Israel vor, vergessen sie ihre Demut und wähnen sich übermächtig, dann wirft Gott auf sie zurück, was sie Seinem Volk angetan haben. Somit ist es wichtig, diesen Zusammenhang zu sehen: Gott gibt Sein geliebtes Volk der Züchtigung preis, der Zurechtweisung, damit es zurückfindet zu seinem Schöpfer und Gott. Jedoch beide Vorhaben lässt Gott Seinen Kindern durch Propheten, durch Künder, wie Martin Buber das hebräische Wort Nawi passender übersetzt, kundtun. ER spricht mit Seinem Volk allezeit, ob zur Ermahnung oder zum Trost. In unserem Text ist Trost und Hoffnung angesagt. Die verlassene, unfruchtbare und verwitwete Frau hat ihren Mann wiedergefunden: Gott. ER ist Israels Bräutigam, ER ist vermählt mit der Tochter Zion. Machen wir uns also bewusst: Das hier angesprochene Du ist das von Gott geliebte und erwählte Volk Israel. Der Vers 10 ist mein Konfirmationsvers und ich liebe ihn sehr. Mir ist es jedoch im Laufe der Jahre wichtig geworden, dass Gott diese Botschaft den Christen aus den Heiden schenkte, aber es niemals Seinem Volk entriss. Darum soll diese Bewusstheit die grundlegende Prämisse sein, wenn Texte der Hebräischen Bibel in christlichen Kreisen und Gottesdiensten gelesen werden.

Von Gott verlassen?

Geht das? Kann Gott den Menschen verlassen? Aus der gesamten Schrift wissen wir, dass Gott uns nicht verlassen kann und will, ebenso wenig wie wir IHN verlassen können. Gott schloss ja einst Seinen Bund mit Israel, den ersten über Abraham, den späteren über Mose am Berg Sinai. Gott hält sich an diesen Bundesschluss und verlässt Seine Kinder nicht. Würde ER uns preisgeben, bräche die Welt und die gesamte Schöpfung in sich zusammen, denn Gott erschuf sie nicht nur einmal, ER erschafft und erhält sie jeden Tag durch Seinen Lebensatem.

Neben dem Verlassen kennen wir jedoch das Aneinander-vorbei-leben. Und das können wir Menschen sehr gut. Wir ignorieren Gott, halten Seine Wegweisungen für Spielerei, vergessen unseren Nächsten und halten unser Leben mit Konsum, Lifestyle und fun, den unbegrenzten Möglichkeiten unserer Wunscherfüllungen für normal und verdient, denn wir sehen den Menschen im Regiment. Gott, der Urheber all dieser Möglichkeiten, der uns das gesamte Know-how schenkte, steht als Depp in der Ecke, als Alter, Vergreister mit weißem Bart. Wenn wir aber nicht an die Quelle des Lebens andocken, kommen wir auch nicht in den Genuss des lebendigen Wassers. Trinken wir lediglich aus dem verschmutzten Flusswasser, brauchen wir uns über Krankheiten nicht zu wundern. Und dann heißt es: „Siehst du, Gott gibt es nicht.“ Oder: „Gott interessiert sich nicht für uns. ER hat uns verlassen.“ Wenn ER nicht mit ansehen kann, was wir hier treiben, dann spüren wir plötzlich, wie nichts mehr so richtig funktioniert, wie das Selbstverständliche zur Kostbarkeit wird. Gott selber lässt diesen Zustand des Wegschauens, diesen Zustand, der sich wie Verlassenheit anfühlt, nicht lange währen. Denn es liegt IHM nur an der Umkehr Seiner Kinder, nicht an deren Leid oder gar Tod:

Sprich zu ihnen: So wahr ich lebe, spricht Gott der Herr, ich habe nicht Wohlgefallen am Tode des Gottlosen, sondern daran, dass sich der Gottlose von seinem Wandel bekehre und am Leben bleibe. Bekehrt euch, bekehrt euch von eurem bösen Wandel! Warum wollt ihr denn sterben, Haus Israel? Hesekiel.33,11
Gottes Zeitrechnung

Und so erbarmt sich Gott mit Liebe, mit ewiger Gnade. Gottes Erbarmen währt ewig, unser Gefühl der Verlassenheit nur einen kurzen Augenblick, einen Wimpernschlag. Das mag uns nicht so vorkommen, da wir in Raum und Zeit leben, ja sogar in einer schnelllebigen Zeit, in der alles in Sekundenschnelle erledig wird. Eine Nachricht ist nicht mehr viele Tage als Brief unterwegs, sondern erreicht uns sekundenschnell per Email oder WhatsApp. Und die Antwort erfolgt direkt, ohne Zeitverzögerung, was uns andererseits unter Druck setzt, auch ständig unsere Nachrichten zu checken, wie es auf Neudeutsch so schön heißt. Wenn dann ein Päckchen auf sich warten lässt oder eine Grippe uns mehrere Tage ins Bett verfrachtet, ist die Ungeduld nicht auszuhalten. Selbst Krankenhausaufenthalte wurden im Laufe der Jahre drastisch verkürzt. Nach einer OP bedarf es in den meisten Fällen keines Aufenthalts von drei Wochen, vielleicht von drei Tagen. Mit dem Flugzeug brauchen wir keine 80 Tage mehr um die Welt. Aber Gottes Zeitrechnung ist eine andere, sodass wir den Augenblick als eine nicht endende Prüfung erleben. Bei Gott aber sind 1000 Jahre wie ein Tag: Ps 90:4 Denn tausend Jahre sind vor deinen Augen / wie der gestrige Tag, wenn er vergangen, / wie eine Wache in der Nacht. Wenn das Leid uns also endlos dünkt, ist es wichtig, dass wir uns auf Gottes Zeitrechnung und auf Sein Versprechen besinnen, dass ER uns nicht über unsere Kräfte belastet.

Der noachidische Bund

Nun zieht Gott einen Vergleich mit der Sintflut und dem Bund mit der Menschheit, dem ER das Zeichen des Regenbogens gab. Diese Erde soll nie wieder vernichtet werden. Und wenn dieser Bund der Menschheit gilt, um wie viel mehr Seinem geliebten Volk. Trotzdem gibt es Zeiten, die uns wie „mächtige Wasser“ bedrohen. Jesaja nennt sie selbst im 28. Kapitel: 2Siehe, da kommt ein Starker und Gewaltiger des Herrn wie Hagelwetter, wie zerschmetternder Sturm, wie Wetterguss mächtiger, flutender Wasser; der wirft sie zu Boden mit Macht.  Von solchen bedrohlichen Fluten kann sicher jeder berichten. Aktuell überflutet der Corona-Virus den ganzen Erdball und mutet so jedem Menschen dieselbe Furcht, denselben Schmerz, dieselbe Last zu. Dabei wissen wir noch nicht, wann das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Derzeit sind in Deutschland lediglich Veranstaltungen und Reisen abgesagt sowie einige Orte geschlossen. Noch sitzt nicht jeder Deutsche in Zwangsquarantäne, wie es in anderen Ländern bereits angeordnet wurde. Wir befinden uns mitten in einem ungewissen Sturm, in einer bedrohlichen Flut. Diese ist nun schon seit Wochen unterwegs, aber wir haben sie nicht ernst genommen. Sie begann ja auch auf der anderen Seite der Erde. Aber nun ist sie hier, und es gibt wohl keinen Ort auf dieser Welt, vor dem diese winzige Mikrobe Halt macht.

Lehren von Noah

Aber Gott hat versprochen, dass ER seine Menschenkinder nicht mehr auslöscht. SEIN Ziel ist nicht unser Tod, sondern unsere Rückkehr zu IHM, dem Schöpfer und Erhalter der Welt. In der Geschichte von Noah gibt es zwei interessante Aspekte, die uns auch heute zur Umkehr rufen sollten:

Der eine bezieht sich auf die Söhne Noahs nach der Sintflut. Mit seinen Söhnen hatte er einen Weinberg angebaut, trank den ersten Wein und wurde davon betrunken. Sein Sohn Cham sah seinen Vater nackt und berichtete es seinen Brüdern. Die aber nahmen ein Tuch und bedeckten den Vater, ohne seine Nacktheit anzuschauen. Warum wird das so betont, fragen die Rabbiner. Und sie verweisen darauf, dass die Brüder das taten, was notwendig war, ohne sich für irgendeine Sensation oder einen damit einhergehenden Skandal zu interessieren.

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Wie verhalten wir uns? Werden wir tätig, wenn Hilfe benötigt wird oder ein Mensch in einer bedrängten oder peinlichen Lage ist oder lüstern wir nach Sensationen, wie es nach Unfällen von der Polizei sowie Ersthelfern immer wieder beklagt wird: Sensationslüsterne Autofahrer greifen zum Smartphone nicht zum Zweck des Notrufs, sondern zum Zweck eines „sensationellen“ Fotos für die Social Media. Umkehr tut Not zur Mitmenschlichkeit, die ein Grundgebot der jüdisch-christlichen Schriften ist. In den Prophetenbüchern sehen wir, dass Gott es nicht erträgt, wenn Seine Menschen Götzen verehren oder ihre Mitmenschen vernachlässigen. Und das geschieht in unserer Zeit recht häufig.

Der zweite Gedanke dreht sich darum, wie wir die Fluten überleben, die Gott uns zumutet, weil wir sie provozieren. Damals war es „der Menschen Bosheit [die] groß war auf Erden, und […] alles Dichten und Trachten ihres Herzens[, das] die ganze Zeit nur böse war“, (Gen.6,5), die Gottes Zorn so groß werden ließen, dass ER die Menschheit auslöschen wollte. Aber eben doch nicht die gesamte Menschheit, denn Noah fand Gnade in Seinen Augen, sodass Gott ihm den Auftrag erteilte, eine Arche zu bauen für eine begrenzte Anzahl an Menschen und Tiere. Das hebräische Wort für Arche heißt: Tejwa. Das bedeutet gleichzeitig jedoch auch „Wort“. Daraus verstehen die jüdischen Gelehrten, dass Gottes Wort für uns eine Arche ist, mit der wir die Stürme und Fluten unseres Lebens überstehen.

https://www.synagoge-karlsruhe.de/parshah/article_cdo/aid/1015556/jewish/Leben-in-einer-chaotischen-Welt.htm#utm_medium=page_tools&utm_source=em_share&utm_content=dialog

Wir sind also aufgerufen, Zuflucht zu nehmen hinein in Gottes Wort und damit auch hinein in das Gespräch mit IHM.

Gottes Bund

Gott verlässt Seinen Bund des Friedens mit Seinem Volk nicht. Nach den Erfahrungen von Bedrückung, von Krankheit, von Naturkatastrophen wendet sich Gott Seinem Volk neu zu. Es kehrte zu IHM zurück und erfährt, dass geschehen kann was will: Gott hält an Seinem Bund fest. Wenn Christen sich demütig bewusst sind, dass sie in diesen Bund lediglich eingepfropfte Zweige (Rö.11) sind, dann gilt der Bund auch ihnen und sie dürfen sich ebenso sicher und geborgen wissen im Wort Gottes. Aber auch für christliche Leser gilt: Gott ruft zur Umkehr. Bei keinem Volk lässt Er es zu, dass Mitmenschen unterdrückt oder gleichgültig behandelt werden; keinem Volk erlaubt ER, sich überheblich gegen Sein erwähltes Volk, gegen Seinen Knecht Israel zu stellen, der schon so viel Leid in dieser Welt durch Verunglimpfung und Verfolgung trug. Kehren wir um zu Gott, dem Schöpfer und Vater Seiner Kinder, so ist uns Sein heiliges Wort eine Arche, ob in Zeiten wirtschaftlicher Not oder einer Pandemie, die mit der Überwindung des Virus sicher noch ungeahnte Folgen nach sich ziehen wird. Berge und Hügel mögen wanken und weichen, Fluten mögen uns entgegen prallen, aber sie werden uns nicht übermögen, weil Gott an Seinem Bund festhält, am Bund mit den Kindern Israel ebenso wie an dem Bund des Regenbogens mit der gesamten Menschheit. Nutzen wir Sein Wort als unsere Arche.

Mein Dank gilt Rabbiner Mendelsohn und Chabad Karlsruhe für das Beitragsbild: https://www.synagoge-karlsruhe.de/parshah/article_cdo/aid/464708/jewish/Wahre-Fhrung.htm

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