Von Flüchtlingslagern kennt man es, aber auch vom Camping. Ganz unterschiedliche Assoziationen verbinden wir damit: Elend und Enge, mangelhafte hygienische Verhältnisse oder eine wilde Romantik von Freiheit und Abenteuer. Wie ist es um das Fest mit den einfachen Hütten bei uns Juden bestellt?
Wir kommen von Jom Kippur her, die Sünden sind bedeckt und vergeben, und ein neues Fest steht an. Mit all seiner Gegensätzlichkeit der unbändigen Freude schließt es sich direkt an Jom Kippur an, denn am Abend des Fastentages beginnt man noch mit dem Aufbau der Laubhütte.
Nun gedenken wir an die Zeit in der Wüste, durch die die Israeliten nach der Zeit in Ägypten wanderten und Gottes Schutz erfuhren. Sie lebten in einfachen Zelten, schutzlos gegen Wetterkapriolen, aber doch unter dem Schutz des Allmächtigen.
Warum feiern wir so viele Jahrhunderte, ja Jahrtausende später noch das Gedenken an die Wüste?
Was war so spektakulär in der Wüste, dass wir uns daran erinnern wollen? Pessach war immerhin das Fest der Befreiung aus der Sklaverei, Schawuot die Übergabe der Tora am Sinai. Was aber war mit der Wüstenwanderung selbst. Wir lesen einen Satz in der Bibel, der mich schon immer hat staunen lassen und der uns bei der Einordnung zwischen Flüchtlingslager und Campingurlaub hilft.
5. Mo.29,5 „und ich habe euch doch vierzig Jahre lang in der Wüste geführt: eure Kleider sind an euch nicht zerfallen, und dein Schuh ist an deinem Fuße nicht zerfallen.“
Der hatte die Schuhmacher nichts zu tun und auch die Schneider waren arbeitslos, und das 40 Jahre lang. Wenn das kein Wunder ist!
Der Leib war immer von Kleidern beschützt. Und der Mensch? Er findet den Schutz in der Laubhütte, denn sie ist ein Symbol dafür, wie Gott den ganzen Menschen umgibt. Es ist nicht nur ein Gebetsmantel, der den Beter einhüllt und ihm Konzentration zum Gebet schenkt. Nein, mit der Laubhütte umgibt Gott den ganzen Menschen mit seinem Schutz, mit seiner Liebe, mit seiner Barmherzigkeit.
Wir beten es immer wieder, besonders abends beim Abendgebet, dass Gott die Hütte seines Friedens über uns ausbreiten möge. So ist die Laubhütte, die Sukkat schlomecha סוכת שלומך, die Hütte deines Friedens, noch immer präsent.
Wir bauen sie mit einem Dach, durch das man die Sterne sehen kann. So sind wir einerseits verbunden mit dem Himmelszelt, von dem herab uns die Sterne den Weg weisen und Abraham die Botschaft empfingen, dass seine Nachkommen so zahlreich sein sollten wie die Sterne des Himmels. Zum anderen ist diese Hütte sehr fragil und verlangt von uns das unbedingte Vertrauen in den Ewigen. In dieser einen Woche leben wir so viel wie möglich in diesem Provisorium, in Israel, wo das Wetter ist zulässt, schläft man dort sogar. So können wir während dieser einen Woche erleben, wie es unseren Vorvätern 40 Jahre lang erging. Und sie geben uns Zeugnis davon, dass ihre Kleider und ihre Schuhe nicht Schaden nahmen in dieser Zeit.
So ist zu sehen, dass die Laubhütte kein wildes Wagnis Camping ermöglicht und auch keine enge Flüchtlingsunterkunft, denn in dieser Hütte soll das Vertrauen in den Ewigen geübt werden. Die Sukka hat, wie ich aus jüdischen Quellen lernen durfte, den Zahlenwert 91: סוכה = 60+6+20+5, und damit hat es denselben Wert Amen: אמן = 1+40+50. Es zeigt das Wesen dieser Hütte an, die auf Glauben gegründet ist, nicht auf Abenteuerlust und nicht auf Flucht. Sie soll ein Glaubenshaus sein auf dem Weg von Ägypten ins Gelobte Land. Das kann aus unserem persönlichen Ägypten, aus unserer persönlichen Enge auf dem Weg in unser Kanaan sein. Glaube, vertraue! Mache dich fest in Gott! Dazu brauchst du nicht an einem stabilen Haus zu hängen, denn der Ewige ist eine größere Sicherheit als jeder Palast.
Ein wichtiges Zeichen für Sukkot ist der Feststrauß = Lulav aus den vier Arten. Wir haben darin einen Zweig der Bachweide, einen Myrtenzweig, einen Palmzweig und dazu die Etrogfrucht. Diese vier Zweige sollen symbolisch darstellen, dass jeder aus dem Volk ein Teil von Israel ist. Jeder gehört dazu, egal wie seine Fähigkeiten und seine Glaubenseinstellung aussieht. Die Bachweide zeigt uns Menschen, die weder Taten noch Glauben haben, denn sie selbst hat weder Geruch noch Früchte. Die Myrte hat nur einen guten Geruch, das heißt sie steht für Menschen, die Glauben haben, dafür aber keine Taten. Der Palmzweig erinnert uns an Menschen mit guten Taten, denn er bringt leckere Früchte hervor, hat aber keinen Geruch. Das heißt, dass diesen Menschen der Glaube fehlt. Die Etrogfrucht steht für Glaube und gute Taten, denn sie verbreitet einen hervorragenden Duft und ist zudem noch eine wohlschmeckende Frucht. Alle sind also eingeladen zu diesem Fest, so wie es auch heißt, dass es ein Fest für die Völker sein soll, die nach Zion kommen. Es ist also nicht nur für die Juden, sondern auch für den Fremden, der Gott erfahren möchte.
Sach.14, 16Und alle, die übrigbleiben aus all den Völkern, die wider Jerusalem gezogen, die werden Jahr um Jahr heraufkommen, um den König, den Herrn der Heerscharen, anzubeten und das Laubhüttenfest zu feiern.
Gemäß talmudische Tradition laden wir jeden Abend einen Gast ein, selbst in Corona Zeiten. Es sind Abraham, Isaak und Jakob, Josef, Mose, Aaron und David. Es handelt sich bei ihnen um die drei Stammväter des Judentums; um Josef, der sein Volk von der Hungersnot befreite; um Mose, den Anführer des Volkes und seinen Bruder Aaron, den ersten Hohepriester. Mit Mose redete Gott von Angesicht zu Angesicht wie mit einem Freund. David ist der zweite König und in besonderer Weise der Liebling Gottes und Herausgeber der wunderbaren Psalmen. Er zeigt uns, wie die aufrichtige Liebe zu Gott und seine innige Buße von Gott angenommen werden.
In erster Linie sollen uns diese Gäste aber an reale, heutige Gäste erinnern. Es ist unsere Aufgabe, unsere Tür offen zu halten, sie sogar weit zu öffnen, damit auch Bedürftige eintreten können und mit feiern dürfen. In unseren heutigen Zeiten kann das heißen, dass wir Bedürftigen etwas bringen oder Einsame anrufen.
Gäste zu empfangen heißt, Gott selber zu empfangen.