An Rosch haSchana, das dieses Jahr vom 22.9. abends bis zum 24.9.2025 gefeiert wurde, hat die ganze Menschheit Geburtstag, denn Gott schuf den ersten Menschen, Adam. ER schuf ihn aus Erde, ganz anders, als Seine übrige Schöpfung, die durch Sein kraftvolles Wort entstand. Und Seinem Menschen gab ER etwas besonders: ER blies ihm selbst den Lebensatem ein נשימה neschima Atem und schenkte ihm somit eine Seele Neschama נשמה.
Gen. 2,7 Da bildete Gott der EWIGE den Menschen, Staub von der Erde, und blies den Odem des Lebens in seine Nase, und so wurde der Mensch eine lebendige Seele.
Adam wurde im Bilde Gottes geschaffen, als Sein Gegenüber. Darum war die weibliche Seite mit ihm geschaffen; sie musste nur von ihm getrennt werden, als Gott entschied:
Gen. 2,18 Und Gott der EWIGE sprach: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Gehilfin machen, die ihm entspricht.
Bis dahin zeigte Gott Adam Seine ganze Schöpfung, setze ihn in den Garte Eden und gebot ihm, vom Baum der Erkenntnis nicht zu essen. Adam lernte alle Tiere kennen und gab ihnen ihren Namen, aber eine Gehilfin für ihn wurde nicht gefunden. Also ließ der Schöpfer Adam einschlafen und trennte die weibliche Seite von ihm.
Gen. 2,23 Da sprach der Mensch: Das ist endlich Gebein von meinem Gebein und Fleisch von meinem Fleisch! Die soll »Männin = אִשָּׁה ischa« heißen; denn vom Mann = אִישׁ isch ist sie genommen.
Für einen Menschen schuf Gott die Welt! Welch ein Überfluss! Darum gilt bis heute: Nur für DICH schuf Gott die Welt, so wichtig bist du IHM, dem Ewigen!
Dieses alles geschah am Freitag, am ersten Rosch haSchana. Und Gott lud Adam und Eva ein, von allen Früchten des Gartens zu essen, nur von einem einzigen Baum nicht: vom Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen. Durch das Essen von diesem Baum erwacht das Bewusstsein im Menschen, nicht nur die Erkenntnis von Gut und Böse.
Gen. 3,7 Da wurden ihnen beiden die Augen geöffnet, und sie erkannten, dass sie nackt waren; und sie banden sich Feigenblätter um und machten sich Schurze.
Wir kennen die Geschichte, wie Eva von der Schlange verführt wird und zur Frucht greift. Wichtig zu wissen ist, dass Schlange נָחָשׁ nachasch im Hebräischen männlich ist. Dann wird deutlicher, warum der Schlangerich ausgerechnet Eva verführt. Er tut das durch Einflüsterung לְנַחֵשׁ lenachesch einflüstern durch okkultes Erraten, Deuten, Erahnen. Sie wird als listiger als alle anderen Tiere beschrieben.
Uns interessieren mehr die Fortsetzung der Geschichte und die Konversation Gottes mit Adam nach dem Ungehorsam. Dazu trage ich viel bei, was ich von Rabbi YY Jacobson gelernt habe. Es ist spannender als ein Krimi.
Gott ging im Garten spazieren, weil er sich mit Seinen Geschöpfen treffen wollte. Adam und Eva hörten das und versteckten sich, weil ihnen bewusst geworden war, dass sie nackt waren. Nackt עֵירוֹם ejrom und listig עָרוּם arum ist bis auf die Vokale dasselbe Wort. Durch ihren Ungehorsam hatten sie sich von ihrer geistigen Harmonie mit Gott getrennt und somit durch ihre rein fleischlichen Gelüste das rein animalische Sein angenommen. Aus der großen Gottverbundenheit im Fleisch entstand die Abgetrenntheit von Gott im Fleisch. Somit nahmen sie die fleischliche Nacktheit der Schlange an und schämten sich.
Gott rief nach Adam: Wo bist du – אַיֶּכָּה ajeka? Wir sind doch verabredet!
Wusste Gott nicht, wo Adam war? ER ist doch Gott!
Adam meldet sich und sagt, dass er erschrocken war, als er merkte, dass er und Eva nackt waren. So kann man sich doch nicht sehen lassen geschweige denn, sich zu einem Spaziergang aufmachen.
Wie reagiert Gott?
Gen. 3,11 Da sprach ER: Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du etwa von dem Baum gegessen, von dem ich dir geboten habe, nicht davon zu essen?
Adam fällt nichts Besseres ein, als die Schuld auf seine Frau abzuschieben. Dabei hat Gott nicht gesagt: Warum hast du das gemacht? Wie konntest du nur? Gib mir eine Erklärung!
Nichts von alledem, denn Gott weiß, warum der Mensch sündigt. Weil er ein schwaches Geschöpf ist, weil Gott ihn so geschaffen hat, mit den Herausforderungen des Lebens.
Gott ruft: Ajeka? Damit fragt ER: Wo bist du, wohin bist du verschwunden? Warum kannst du nicht mehr hier sein? Warum meinst du, MIR nicht mehr begegnen zu können, MIR nicht mehr ins Gesicht schauen zu können?
Adam, ICH verstehe dich, warum du vom Baum gegessen hast, aber bleib hier, zeige dich MIR, hab keine Angst, sodass wir reden können. ICH bin immer noch hier! ICH wende mich nicht von dir ab, wenn du herauskommst. In dem Moment, wo du dich versteckt hast, brach etwas entzwei, unsere Beziehung.
Das Wort ajeka אַיֶּכָּה wird im Hebräischen genauso geschrieben wie der Anfang der Klagelieder: aicha אֵיכָה = wie konnte das geschehen? Wie konnte es geschehen, dass du Angst vor MIR hast, nachdem ICH dir alles gegeben habe, dir Meine Schöpfung anvertraute?
Die große Tragödie des Baumes war die Scham, die nach dem Genuss kam und Adam ins Versteck trieb. Dass ich meinen Schöpfer betrogen habe, führt zu einer Trennung, die sehr tief geht. Sie führt mich zum Verschweigen, zur Verschleierung. Wenn ich mich verstecke, ist die Beziehung vorbei. Ich kann nicht mehr Entschuldigung sagen. Ich kann mir selber nicht ins Gesicht schauen. Im Garten Eden können wir in uns selbst schauen, können wir anderen ins Gesicht schauen. Das ist durch die Sünde hinfällig. Die Sünde trennt mich von mir selbst. Trennt mich von Gott. Eine tiefe Einsamkeit und Scham, wenn wir sagen: Aicha – wie konnte das geschehen?
Der Mensch ist allein לְבַד lewad wegen seiner Scham, einer inneren tiefen Scham. Er kann sich selbst nicht lieben und er ist überzeugt, so kann ein anderer oder Gott ihn erst recht nicht lieben. Gefühlsmäßig hält der Mensch, halten wir uns in Gefangenschaft. Das wahre Ich bleibt versteckt, immer tiefer im Versteck. Aber wir nehmen nicht wahr, dass wir uns verstecken, haben unsere Mechanismen, wie normal am Leben teilzunehmen.
Heilung geschieht, wenn wir kapitulieren. Dann finden wir Gott in unserem tiefen Inneren, in unserer Seele, wir können aufatmen. Gott möchte einen Spaziergang mit Adam, möchte Freude mit ihm erleben; es geht IHM um Beziehung, um Verbindung zwischen Schöpfer und Geschöpf, um echte Verbindung mit unserem wahren Selbst, nicht mit unseren Masken und Ausreden.
Ajeka: Warum meinst du, du müsstest dich verstecken, nur weil du einen Fehler gemacht hast? Fehler kann man reparieren, aber die Scham kann man nicht reparieren. Kannst du zu dir selbst zurückkehren? Glaubst du, dass dir vergeben ist?
Rosch haSchana hat das Konzept der Teschuwa = Umkehr תְּשׁוּבָה zu dir selbst, zu deiner inneren göttlichen Seele und zu Gott, das größte Geschenk an uns. Ajeka – erzähl mir nichts über deine Sünde, ICH will dich. Der Baum brachte die Scham, die Trennung. Gott wendet sich aber nicht ab. Mit unserer Teschuwa können wir von der Scham heilen und heilen wir das erste Rosch haSchana.
An Rosch haSchana krönen wir Gott als unseren König. Ohne Menschen kann Gott kein König sein. Darum wünscht ER sich das von uns allen, der ganzen von HM geschaffenen Menschheit. Gott möchte jedes Jahr zum König über uns gekrönt werden. Auch uns ruft ER: Wo bist du? Wir sind doch EINS. ER möchte unsere Scham heilen, weil ER unser König ist, weil wir EINS sind. ER kann sich nicht allein zum König machen. Und wir können ohne IHN nicht frei werden von unsren Gefühlen, von unseren Verwirrungen, von unsren inneren Stimmen.
Gott, unser König, spricht: Du bist gesund, du bist geliebt, du bist gut, für dich habe ich die Welt geschaffen, MEIN Herz schlägt für dich – die Stimme argumentiert nicht. Wenn ich IHM meine Präsenz, meine Menschlichkeit, meine Verletzlichkeit gebe, mache ich IHN zum König. Ich antworte IHM mit Hineni הִנְנִי – ich bin präsent, ich bin hier: bereit zum Gespräch. Das Gegenteil ist das Gegenteil von ajeka, denn ich bin da und freue mich an meinem Gott, meinem Schöpfer, meinem König und Vater.
Rosch haSchana wurde auch zum Tag des Gerichts, obwohl das nicht geschrieben ist:
Lev. 23,24 Im siebten Monat, am ersten des Monats, soll ein Ruhetag für euch sein, ein Gedenken unter Hörnerschall, eine heilige Versammlung.
Aber über Adam musste Gott ein Urteil fällen. ER gewährte dem Paar noch den Schabbat im Garten Eden, und am Ausgang des Schabbats trieb ER sie heraus. Dabei blieb ER selbst da noch ihr Gott und Vater, der sich um Seine Kinder liebevoll kümmert. ER machte ihnen Kleider und bedeckte lekaper לְכַפֵּר ihre Scham und Schuld, wie ER es an Jom Kippur יום כיפור – Tag der Bedeckung tut.
Mit der Sünde schuf Gott schon die Heilung, die Vergebung.
Jer. 33,8 Und ich werde sie reinigen von all ihrer Ungerechtigkeit, mit der sie gegen mich gesündigt haben, und ich werde ihnen alle ihre Missetaten vergeben, mit denen sie gegen mich gesündigt und an mir gefrevelt haben.
Darum können wir Gott unsere Sünden bekennen, dazu stehen, denn bei unserem Vater und unserem König gibt es die Möglichkeit der Reparatur und der Umkehr zu IHM und zu unserem eigentlichen, göttlichen Selbst.
Das Orginal von Rabbi YY Jacobson in Englisch