vorgeschlagener Predigttext für Sonntag, d. 17.10.2021
Ein alter Mann teilt uns seine Lebenserfahrungen mit. Doch dieser Mann ist nicht irgendwer, sondern der dritte König Israels, Schlomo, der Friedenskönig und Sohn König Davids.
Salomo = שְׁלֹמֹה Schlomo heißt wörtlich sein Friede, seine Ganzheit שָׁלוֹם שלו Schalom schelo. Im hebräischen Originaltext wird er קֹהֶלֶת Kohelet = der Versammler genannt von Kehila קהילה die Versammlung.
Dieser König hatte alles, was ein Mensch sich wünschen kann. Gott hatte ihm viel Weisheit geschenkt, weil er IHM vertraute und nicht um Reichtum bat. In 1.Kö. 3 lesen wir von dem Traum, in dem Schlomo sich Gott gegenüber demütig zeigte und dankbar auf das Werk und Erbe seines Vaters David sah. Gott gab Schlomo, was er sich erbat, nämlich die Weisheit zur Regierung des Volkes Gottes.
1.Kö. 3,11 Gott sprach zu ihm: Darum daß du diese Sache gewünscht hast und wünschtest dir nicht Menge der Tage und wünschtest dir Reichtum nicht und wünschtest nicht deiner Feinde Lebensodem, wünschtest dir Unterscheiden, Recht herauszuhören: 12 da mache ich es deiner Rede gleich, da gebe ich dir ein weises und unterscheidendes Herz, daß deinesgleichen vor dir nicht war und deinesgleichen sich nach dir nicht erhebt.
Anschießend baute Schlomo für Gott den Tempel, den sein Vater David sehnlichst zu sehen und zu bauen begehrte und für dessen Gottesdienste er im Vorfeld schon so viele Psalmen verfasst hatte. In 1.Kö. 8 lesen wir von der spektakulären Einweihung des Hauses Gottes und von Schlomos großem Einweihungsgebet. Im Reich Schlomos gab es nun den Tempel in Jerusalem und es gab Frieden. Gott segnete den König darüber hinaus mit Reichtum und einer Weisheit, die beide sprichwörtlich waren. Doch wegen seiner diplomatischen Kontakte heiratete er viele Frauen, sogar heidnische, deren Götter er in seinem Reich, was eigentlich das Reich Gottes war, akzeptierte. Deshalb zerfiel es schlussendlich.
Dieser König, dem so vieles gelang und der so beschenkt war, schrieb mit dem Buch Kohelet ein sehr nachdenkliches bis düsteres Werk. Er denkt am Ende seines Lebens über alles nach und kommt zu dem Schluss, dass manches, dem er nachgejagt war, nur Nichtigkeit war, denn wir können beim Verlassen dieser Welt nichts mitnehmen.
Das Ende des Buches ist unser Predigttext, der das fortschreitende Alter mit all den Zipperlein beschreibt, den kleineren bis größeren Problemen und Einschränkungen, die das Alter mit sich bringt. Wer kennt sie nicht? Sie sind ein weltweit verbreitetes Menschheitsphänomen! Natürlich kennen wir Ausnahmen, wie z.B. Mosche, über den in der letzten Wochenlesung (Parascha) zu lesen war:
Dtn. 34,7 Mosche war hundertundzwanzig Jahre alt bei seinem Sterben, sein Auge war nicht erloschen, seine Frische war nicht entflohn.
Interessanter Weise führt Kohelet mit dem ersten Vers unseres Textes schon den jungen Leser auf eine wichtige Spur für sein Leben:
Koh. 12,1 Gedenke deines Schöpfers in den Tagen deiner Jugend, da noch die Tage des Übels nicht kamen und anlangten die Jahre, da du sprichst: »Ich habe kein Gefallen an ihnen«,
Gott gewinnt nicht erst am Ende unseres Leben Bedeutung, wenn uns die Gedanken des Todes beschäftigen und wir uns mit der Sinnfrage konfrontiert sehen. Gott will uns durch das ganze Leben begleiten. ER ist nicht nur für unsere Probleme zuständig, sondern auch für die Tage unserer Jugend. In den Tagen unserer Kraft können und dürfen wir ein Zeugnis für Gott sein, ein Licht für die Menschen in unserem Umfeld. Wir sollen im Lernen und Befolgen der biblischen Botschaft unseren Mitmenschen zeigen, wie wertvoll ein Leben mit Gott ist.
Der Tanach zeigt dem aufmerksamen Leser, wie Leben gelingen kann und Frieden, wie Menschen füreinander da sind, wie dem Schwachen und Wehrlosen Schutz und Hilfe gewährt wird, wie Vergebung unter Menschen und von Gott Befreiung schenkt. Der amerikanischer Rabbi Michael Skobac erzählte, wie er als Jugendlicher ein fanatischer Friedensaktivist war und für seine Überzeugung sogar in den Hungerstreik ging. Erst dann lernte er sein Judentum und die Tora kennen und entdeckte, dass sie für all das standen, was ihm ein Herzensanliegen war. Die Botschaft der Bibel hat seine Gültigkeit bereits in jungen Jahren, weshalb wir unsere Kinder schon altersgerecht an Gottes Wort heranführen sollten. Es ist ein Geschenk!
In den Sprüchen der Väter „Pirke Avot“ heißt es darum im 3. Kapitel, Vers 1:
Beherzige, woher du kommst, wohin du gehst und wem du Rechenschaft geben mußt!
https://de.wikisource.org/wiki/Spr%C3%BCche_der_V%C3%A4ter#2._Kapitel
Woher kamst du? – Von einer übelriechenden Flüssigkeit.
Wohin gehst du? – An den Ort des Staubes und Gewürmes.
Wem mußt du Rechenschaft ablegen? – Dem König, dem König der Könige. Gelobt sei er!
Beherzigen wir doch den Rat Schlomos und die Fragen der Väter, dann finden wir zu einer gesunden Demut, wenn uns bewusst wird, was wir wirklich sind:
Wir entstanden aus der Samenflüssigkeit unseres irdischen Vaters und der Eizelle unserer Mutter. Wir gehen zurück zur Erde, zum Staub.
Gen. 3,19 Im Schweiß deines Antlitzes magst du Brot essen, bis du zum Acker kehrst, denn aus ihm bist du genommen. Denn Staub bist du und zum Staub wirst du kehren.
Für das Leben dazwischen haben wir nur einem Rechenschaft abzugeben: Gott, dem König der Könige. Also, wie haben wir die Jahre unseres Lebens seit unserer Jugend gelebt? Welche Werte waren uns im jungen Alter wichtig und für welche Ziele haben wir gearbeitet und gekämpft? Haben wir Acht gegeben auf die Menschen, die uns nahe stehen?
In der Auslegung dieses Textes allegorisiert Raschi die Beschreibungen Kohelets mit unseren Organen, so z.B. die Sonne mit der Stirn:
„Dies ist die Stirn, die einem jungen Mann Licht spendet und leuchtet, aber wenn er alt wird, wird sie runzlig und glänzt nicht.“
Den Mond mit der Seele: „Dies ist die Seele, die einem Menschen Licht gibt, denn wenn sie ihm einmal genommen wird, hört er auf, Licht in seinen Augen zu haben.“[1]
Die Hüter des Hauses sind bei ihm Rippen und Knochen, die den Körper schützen und stützen. Die Müllerin sind die Zähne und die Fenster die Augen, welche im Alter schwächer werden.
Die silberne Schnur kennen auch heutige Thanatologen, Sterbeforscher, die uns im Reißen das hiesige Leben nimmt. Daran wird uns deutlich, dass unser Leben im wahrsten Sinne des Wortes am seidenen oder silbernen Faden hängt.
Aber trotz allem bleibt Schlomo nicht hoffnungslos am sichtbaren Ende des Lebens stecken.
Koh. 12,7 und rückkehrte der Staub an die Erde, gleichwie er war, und der Geisthauch rückkehrte zu Gott, der ihn gab.
Unser Tod bedeutet zwar ein Ende des Lebens auf Erden, doch geht unser Geist zurück zu Gott, der ihn uns gab. Gott blies Seinen Atem in uns, sodass wir ein lebendiges Wesen wurden. Am Ende der Tage geht unsere Seele nach Hause zum Vater zurück. Dann lässt sie alles Schwere, alle Schmerzen und Krankheiten, alles scheinbar Sinnlose hinter sich und öffnet sich ganz ihrem Gott und Schöpfer. Sie darf Den sehen, an Den sie glaubte!
In diesem Wissen beten und danken Juden jeden Morgen:
„Mein Gott! Die Seele, die du mir rein gegeben, du hast sie geschaffen, du hast sie gebildet, du hast sie mir eingehaucht, und du hütest sie in mir, du wirst sie einst von mir nehmen und sie mir wiedergeben in der zukünftigen Welt. So lange die Seele in nur ist, danke ich dir, Ewiger, mein Gott und Gott meiner Väter, Meister aller Werke, Herr aller Seelen. Gelobt seist du, Ewiger, der die Seelen zurückgibt den toten Leibern.“
https://www.talmud.de/tlmd/das-morgengebet-fuer-werktage/
[1] https://www.chabad.org/library/bible_cdo/aid/16473/showrashi/true