Predigttext vorgeschlagen für den 2. Advent, d. 5. Dez. 2021
15 Blicke vom Himmel hernieder und sieh herab von dem Ort, wo deine Heiligkeit und Ehre wohnt! Wo ist nun dein Eifer und deine Macht? Das Aufwallen deiner Liebe und deiner Barmherzigkeit hält sich gegen mich zurück! 16 Und doch bist du unser Vater; denn Abraham weiß nichts von uns, und Israel kennt uns nicht; du aber, o EWIGER, bist unser Vater, und dein Name ist »Unser Erlöser גֹּאֲלֵנוּ go’alenu von Ewigkeit her«!
Bibelstelle aus Schlachter 2000 und Martin Buber mit eigenen Korrekturen
17 EWIGER, warum lässt du uns abirren von deinen Wegen und unser Herz verstocken, dass wir dich nicht fürchten? Kehre שׁוּב schuw zurück um deiner Knechte willen, wegen der Stämme deines Erbteils!
18 Nur kurze Zeit hat dein heiliges Volk es in Besitz gehabt; unsere Feinde haben dein Heiligtum zertreten. 19 Wir sind geworden wie solche, über die du niemals geherrscht hast, über die dein heiliger Name nicht ausgerufen wurde.
1 DU hast die Himmel zerrissen, zogst hernieder, dass die Berge wankten vor deinem Angesicht, wie Feuer Reisig entzündet, wie Feuer Wasser siedend macht, um deinen Namen deinen Feinden bekannt zu machen, damit die Heiden vor deinem Angesicht erzittern; 2 indem du ehrfurchtgebietende Taten vollbringst, die wir nicht erhofften; DU zogst hernieder, dass vor deinem Angesicht die Berge wankten!
3 Denn von Ewigkeit her hat man nie gehört, nie vernommen, hat kein Auge es gesehen von einem Gott außer dir, dass ein Gott tätig war für die, welche auf ihn harren.
Ein Text der Ungeduld steht vor uns. Gott rechnet am Ende des Jesajabuches und ebenso in diesem Kapitel scharf mit den Feinden Israels ab, hier mit Edom. Gott selbst trat die Kelter und kämpfte gegen Israels Feinde, niemand sonst war da. ER braucht keinen Helfer, um Seine Ahndung durchzuführen. יוֹם נָקָם jom nakam ist ein Tag der Wiederaufrichtung des Rechts, kein Tag billiger Rache. Das Unrecht wird sichtbar und spürbar beseitigt, sodass das Recht wieder getan werden kann.
Israel denkt zwar an Gottes Gnadenhandeln, doch es ist ungeduldig und verfällt in eine Vorwurfshaltung gegenüber seinem Erretter. Gott sah in Seinem Volk zu jeder Zeit Seine Kinder, von denen ER annahm, sie könnten IHM nicht abtrünnig werden.
Jes. 63,9 Bei all ihrer Bedrängnis war er auch bedrängt, und der Engel seines Angesichts rettete sie; in seiner Liebe und seinem Erbarmen hat er sie erlöst; er nahm sie auf und trug sie alle Tage der Vorzeit.
Jede Bedrängnis Seiner Kinder wurde zu Seiner eigenen Bedrängnis, denn Gott fühlt mit ihnen und geht mit ihnen in die tiefsten Tiefen.
Als das Volk Israel Gott aber enttäuschte, zeigte ER ihnen Seine andere, dunkle Seite und verhielt sich wie ein Feind Seiner Kinder. Dabei wollte Gott nichts anderes bewirken, als dass Sein Volk zu IHM umkehrt. ER wandte sich aus lauter Liebe gegen Seine Kinder, damit sie sich an Seine Wohltaten während des Auszugs aus Ägypten erinnerten. Sie dachten an die Spaltung des Meeres und die Vernichtung der Feinde, wofür sie keinen Finger krümmen mussten. Diesen gütigen Gott suchen sie nun voller Ungeduld.
In unserem Text nun wünschen sie sich, dass Gott wieder zu ihnen hinab schaut, sich für Seine Kinder mit Liebe und Barmherzigkeit einsetzt sowie mit all Seiner Macht, mit Seinem Eifer um Sein Volk. So kennen sie Gott, wenn sie an Seine Taten denken. Aber derzeit ist Gottes aufwallende Liebe kalt. ER hat sich enttäuscht und verletzt zurückgezogen.
Wenn Gott sich nur einen kleinen Augenblick zurückzieht, meinen wir, zu vergehen. Und darum schreien die Israeliten auch zu IHM. „DU bist doch unser Vater! Darf ein Vater sich abwenden? Kann ein Vater seine Kinder ihrem Schicksal überlassen? Wir haben doch keinen Vater außer dir!“
Bei diesem Schrei des jüdischen Volkes sehen Christen, wie Juden sehr wohl zu jeder Zeit ihren Gott „Vater“ nennen! Sie rufen selbst dann zu ihrem barmherzigen Vater, wenn ER sich in Seiner Verletztheit abgewandt hat. Nur so begreifen sie Seine überfließende Liebe. Sie erkennen, dass sie nur EINEN Vater haben. Die Patriarchen haben ihnen zwar durch ihre Taten den Weg gebahnt, aber sie leben nicht mehr. Abraham hat für alle Zeiten seinen Glauben an Gott demonstriert durch die Bindung Isaaks. Dort hat Abraham tief verstanden, dass Gott für alle Zeiten Menschenopfer verbietet, da für IHN jeder Mensch wertvoll und einzigartig ist. Alles andere, so war Gottes klare Botschaft, ist Götzendienst.
Israel, der in der Nacht mit dem Engel rang und den Segen gewann, hat ihnen als Erbe diesen kraftvollen Namen hinterlassen. Aber auch er ist nun in der anderen Welt und kann sich nicht um seine Söhne kümmern. Also wenden sich die Kinder Abrahams, Isaaks und Israels an Gott, der schon der Vater ihrer Väter war und der ihr Erlöser ist! גָּאַל ga’al heißt er erlöste; גּוֹאֵל go’el der Erlöser und mit der Schlusssilbe גֹּאֲלֵנוּ go’alenu heißt es unser Erlöser. Dieser Name ist der Vatername seit aller Zeit und bis in alle Zeit. Das ist unumstößlich, auf Gottes Erlösung können sich Seine Kinder verlassen.
Haben die Kinder Israels bisher gejammert, so schieben sie jetzt alle Verantwortung für ihre augenblickliche Lage Gott in die Schuhe. „DU verstockst doch unser Herz! DU lässt uns doch von deinem Weg abirren!“
Dabei hatte Mose schon ganz ähnlich zu ihnen geredet und sie gewarnt. Er hatte sie ebenfalls an Gottes Wundertaten am Schilfmeer und in der Wüste erinnert. Dann gab er ihnen Gottes Botschaft weiter:
Dtn. 31,16 ER sprach zu Mosche: Nun da du dich bei deinen Vätern hinlegst, wird dieses Volk sich erheben, wird nachhuren den Fremdtumsgöttern des Landes, in das mittinnen es hinkommt, es wird mich verlassen, wird meinen Bund zersprengen, den ich mit ihm schloß, 17 mein Zorn entflammt wider es, an jenem Tag, ich verlasse sie, ich berge mein Antlitz vor ihnen, es wird zum Fraß, Übel viel und Drangsale treffen es, es spricht, an jenem Tag: Ists nicht darum, weil mein Gott nicht drinnen bei mir ist, daß mich diese Übel trafen?
Gott wusste zu jeder Zeit, dass Seine Kinder IHM abtrünnig würden und von Anfang an ließ ER sie spüren, dass Seine Abwesenheit sie in allerlei Drangsale bringen würde. Nun ist ihre Geduld und Buße angesagt, denn wenn Israel sich wünscht, dass Gott zu ihm zurückkehrt, muss es selber umkehren zu Gott! Es muss תְּשׁוּבָה teschuwa Umkehr praktizieren, indem es seine Schuld eingesteht, Gott die Antwort auf Sein Schweigen gibt, denn Teschuwa bedeutet sowohl Umkehr als auch Antwort. Es muss seine eigene Verantwortung zugeben und bereit sein auf Gott zu warten, bis ER sich Seinen Kindern wieder zuwendet. Sie sehen ja, wie kurze Zeit nur ihr Heiligtum Bestand hatte. Aber haben sie ihr Versagen, ihren Ungehorsam, der in diese Lage brachte, eingesehen und eingestanden?
Im hebräischen Original steht für den ersten Vers in Kapitel 64 kein flehentlicher Ruf, sondern eine Feststellung in der Vergangenheit. Gott hat bereits die Himmel zerrissen und ist niedergefahren mit Feuer und mit Rauch, sodass die Berge wankten. Das war am Berg Sinai, als Gott Seinen Kindern Seine Weisung gab, nach der sie sich zu richten haben. Dieses riesige Naturspektakel war so ehrfurchtgebietend, dass das Volk mit „Wir wollen tun und hören. נַעֲשֶׂה וְנִשְׁמָע nasse we’nischma“ (Ex. 24,7) antwortete.
Zudem war es ein Zeugnis für die Heiden, die von diesem außerordentlichen Ereignis hörten. Auch die Feinde Gottes wissen nun, mit wem sie es zu tun haben. Alle Menschen erfahren somit von der Größe und Macht Gottes. Die Kinder Israel hatten nicht zu hoffen gewagt, dass Gott sich derartig zeigt. Die Feinde und die heidnischen Völker bekommen die Möglichkeit, durch das Erkennen der Größe Gottes eine tiefe, innere Beziehung zu diesem Gott aufzubauen, denn Gottes Wille ist es, durch Sein Handeln an Israel, durch die Demonstration Seiner Macht und Hoheit, die Völkerwelt zu erreichen.
Jes. 64,3 Denn von Ewigkeit her hat man nie gehört, nie vernommen, hat kein Auge es gesehen von einem Gott außer dir, dass ein Gott tätig war für die, welche auf ihn harren.
Hat ein Gott der Heiden sich je um Seine Menschen gekümmert? Wir erleben es doch auch bei menschlichen Despoten, dass sie ohne Rücksicht auf die Bewohner ihres Landes morden und Hungersnot über das Land bringen. Ein Götze ist da keinen Deut besser. Hat jemals ein heidnischer Gott für das Recht der ihm Vertrauenden gekämpft? Nein! Aber der Gott Israels kämpft gegen Israels Feinde, ER kämpft für das Recht der Schwachen und Unterdrückten, ER sorgt für ihren Lebensunterhalt, für frisches Wasser und für reiche Ernte. ER sorgt dafür, dass Sein Volk in Frieden und Freiheit leben kann, das Volk mit seinen Nachfahren. Das alles konnten die Kinder Israel mit eigenen Augen sehen, die Zusage durften sie immer wieder hören.
Auf den Gott Israels, den barmherzigen und gütigen Vater darf man vertrauen, man darf auf Sein Tun warten, denn ER hält Sein Wort. Das ist die gute und ewig gültige Botschaft.