Friedhof von Kirjat Tiwon
Predigt vorgeschlagen für Sonntag, d. 26.02.2023
Hiob 2,1 Eines Tags geschahs, die Gottessöhne kamen, vor IHN zu treten, auch der Hinderer kam mitten unter ihnen, vor IHN zu treten.
Übersetzung von Martin Buber und Franz Rosenzweig
2 ER sprach zum Hinderer: „Von wannen kommst du?“
Der Hinderer antwortete IHM, er sprach: „Vom Schweifen über die Erde, vom Mich-ergehen auf ihr.“
3 ER sprach zum Hinderer: „Hast du dein Herz auf meinen Knecht Ijob gerichtet: daß keiner auf Erden ihm gleich ist, ein Mann schlicht und gerade, Gott fürchtend und vom Bösen weichend? Und noch hält er an seiner Schlichtheit. Du aber hast mich gegen ihn gereizt, ihn umsonst zu verschlingen.“
4 Der Hinderer antwortete IHM, er sprach: „Haut um Haut, alles, was eines Mannes ist, gibt er um sein Leben. 5 Hingegen schicke doch deine Hand aus und rühre an sein Gebein und an sein Fleisch, – ob er nicht in dein Antlitz dir absegnet!“
6 ER sprach zum Hinderer: „Da, er ist in deiner Hand, bloß sein Leben wahre!“
7 Der Hinderer fuhr aus von SEINEM Antlitz und schlug Ijob mit einem bösen Geschwür von der Sohle seines Fußes bis zu seinem Scheitel. 8 Der nahm sich eine Scherbe, sich damit zu schaben, während er inmitten der Asche saß.
9 Sein Weib sprach zu ihm: „Noch hältst du an deiner Schlichtheit! Segne Gott ab und stirb!“
10 Er sprach zu ihr: „Gleich dem Reden einer der Nichtigen redest du. Auch das Gute empfangen wir von Gott – und wollen das Böse nicht empfangen?“ Bei alledem sündigte Ijob nicht mit seinen Lippen.
11 Ijobs drei Genossen hörten von all diesem Bösen, das über ihn gekommen war. Sie kamen, jedermann von seinem Ort, Elifas der Temaniter, Bildad der Schuachiter und Zofar der Naamaiter, sie vereinbarten miteinander, hinzukommen, ihm zuzunicken und ihn zu trösten. 12 Sie hoben ihre Augen von fern und erkannten ihn nicht. Sie erhoben ihre Stimme und weinten, sie zerrissen jedermann seinen Kittel und sprengten Staub über ihren Häuptern himmelwärts. 13 Sie saßen mit ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte. Keiner redete Rede zu ihm, denn sie sahen, daß der Schmerz sehr groß war.
In diesem Predigttext geht es um eine Hauptperson, die kaum zu Wort kommt. Meistens wird über sie gesprochen. Gott spricht mit Satan über Hiob איוב i‘ow = der (von außen) Angefeindete und seine Gottesfurcht! Dass ausgerechnet Satan Gesprächspartner Gottes ist, überrascht uns vielleicht, aber er ist ein Geschöpf Gottes, ein Sohn Gottes.
Die Gottessöhne treten zur Audienz vor Gott, anscheinend regelmäßig, denn diese Audienz wird in Kapitel 1 mit denselben Worten erzählt. Einer dieser Söhne ist Satan שָּׂטָן der Hinderer von לשטְן le‘saten = behindern. Dem Leser wird klar, dass dieser Geselle keine eigene Macht hat, sondern auf Gottes dezidierte Erlaubnis angewiesen ist. Es ist das zweite Mal, dass wir von seinem Erscheinen vor Gott hören. Er ist unruhig und unstet. Er weiß nicht, wohin er gehört. Er streicht über die Erde, mal hierhin, mal dorthin. Er hat kein Ziel und so treibt er absichtslos umher. Gott erst machte ihn auf Hiob aufmerksam, wie beim ersten Mal so auch jetzt. Satan scheint ein schlechter Beobachter zu sein.
Der Ewige dagegen kennt Seine Geschöpfe, hat sie alle im Blick und weiß um alles, wessen sie bedürfen, kennt ihre Stärken und Schwächen und ihr Wachstumspotential. So kennt ER genau die Treue Hiobs. Trotz aller „Hiobsbotschaften“, trotz der Zerstörung seiner Habe, trotz des Sterbens seiner Kinder hält Hiob an Gott fest. Ob im Erdbeben, im Sturm, in der Flut, er hat keine andere Hoffnung als Gott.
In der Türkei erlebten die Menschen ein schreckliches Erdbeben mit vielen Todesopfern, in Neuseeland und Brasilien rissen Wassermassen und Erdrutsche die Häuser der Bevölkerung mit sich, in der Ukraine herrscht Zerstörung und Tod durch die Hand eines Despoten. In Israel sterben Unschuldige durch Terror auf dem Weg zur Schule oder Arbeit. Auf wen wollen wir in dieser unheilen, chaotischen Welt unser Vertrauen und unsere Hoffnung setzen, wenn nicht auf Gott, unseren Schöpfer und Vater?! An wen sollten wir uns mit unserem Schmerz wenden, wenn nicht an DEN, DER uns liebt?!
Gott lobt Hiob ob seiner Treue auch in Krisenzeiten. ER gibt Satan das Gefühl, IHN verführt, verleitet וַתְּסִיתֵנִי wa’tessiteni und Hiob umsonst verschlungen לְבַלְּעוֹ leal‘o zu haben, nicht nur gereizt, wie Buber übersetzt. Doch in Wahrheit hält Gott die Fäden in der Hand, selbst wenn ER Satan zum zweiten Mal erlaubt, nun auch Hiobs Gesundheit anzugreifen. Gott weiß, dass ER zu jeder Zeit Seinen Knecht Hiob aus der vermeintlichen Hand des Hinderers retten kann. Außerdem gibt uns gerade dieser Satz einen Hinweis auf die wahren Machtverhältnisse, denn Gott ist der Handelnde, der Hinderer wirkt dagegen untätig und unfähig. Er kann nur in Gottes Grenzen und nach Gottes Vorgaben handeln. Genau deshalb wird die überzogene Darstellung gewählt, die Satan lächerlich macht. Wer kann Gott verführen?! Und wer fügte Hiob die Plagen zu?! „ICH, der ewige Gott, fordere meinen Knecht heraus, MIR zu vertrauen. Hiob ist in MEINER Hand, nicht in deiner, Satan, wie du es dir in deinem Größenwahn vorstellst.“
V4 Der Hinderer antwortete IHM, er sprach: »Haut um Haut, alles, was eines Mannes ist, gibt er um sein Leben.
Satan denkt zu kurz, weil er – Gott sei Dank -, nicht in die Tiefen menschlicher Herzen schauen kann. Die vielen Märtyrer sprechen eine andere Sprache. Viele Despoten gab es, die Juden das Lernen der Tora verbieten wollten, doch immer widersetzten sie sich. Chanukka liegt hinter uns, Purim und Pessach liegen vor uns. In allen Fällen versuchten die angeblich Mächtigen das jüdische Volk zu bezwingen, doch zuletzt lachten und feierten sie! Sie gaben sogar unter Androhung des Todes nicht nach, sondern blieben dem Ewigen gehorsam. Sie waren bereit, ihr Leben hinzugeben zur Heiligung des Namens Gottes קידוש השם = Kiddusch haSchem. Um ihn lächerlich zu machen, wird Satan als Verführer Gottes dargestellt, damit seine Dummheit und Beschränktheit, den Allmächtigen einwickeln zu wollen, offenbar wird. Gott ist der Hausherr bis ans Ende und Satan zieht den Kürzeren.
Gott schränkt seine Handlungsfreiheit ein, denn der Schöpfer des Lebens erlaubt Satan nicht, Hiob zu töten. Gott weiß, welche Lehre ER Hiob schenken will. Ohne Grund erteilt ER keine Erlaubnis. Hiob wird uns als עַבְדִּי awdi = mein Knecht, als אִישׁ תָּם וְיָשָׁר isch tam we’jaschar = schlicht und gerade vorgestellt, der Gott ehrfürchtet יְרֵא אֱלֹהִים je’re Elohim, also ehrfürchtig ist vor der richtenden, strengen Seite Gottes, und der das Böse meidet. Kennt Hiob auch die andere, barmherzige Seite Gottes, SEINE dialogische, ansprechbare Seite?
Was bedeutet diese Schlichtheit, nicht Tadellosigkeit? Hiob ist in seinem Glauben unreif, denn die Opfer für seine Kinder brachte er aus Angst, nicht aus Liebe; aus Furcht, nicht aus Ehrfurcht vor Gott. In seiner Naivität ist er der Meinung, als guter Knecht Gottes sein Leid klaglos hinnehmen zu müssen. In seiner Gradlinigkeit ist er engstirnig, sieht nicht nach rechts oder links, kennt nur den Buchstaben des Gesetzes. Aus dieser Enge will Gott ihn befreien, indem ER zulässt, dass Hiob gehindert wird, dass ihm Steine in den Weg gelegt werden, die ihn zum Innehalten zwingen.
Hiobs Leiden hat einen Sinn, doch ist das zu dieser Zeit noch nicht zu erkennen. Hiob leidet unter seinen Geschwüren. Seine Frau verspottet und verlässt ihn, denn sie versteht ihren Mann nicht. Wie kann er an so einem Gott festhalten? Soll er doch besser sterben! Doch Hiob bleibt fest in seiner Entscheidung und in seinem Glauben, in seiner Schlichtheit und Naivität. Er ist lobenswerter Weise bereit, nicht nur die Segnungen und das Gute von Gott zu empfangen, sondern auch Krankheit und Leid, denn er ist überzeugt, dass alles von Gott kommt, wie es heißt:
Jes. 45,7 der das Licht bildet und die Finsternis schafft, der den Frieden macht und das Übel schafft, ICH bins, der all dies macht.
Doch weiß er nicht, dass er mit Gott reden kann. Er schweigt, er leidet still und trotzig.
Das jedoch heißt nicht, dass Hiob nicht im Laufe der Zeit zweifelt, denn er leidet Qualen. Die folgenden 38 Kapitel befassen sich mit seiner Rede zu dem von ihm als ungerecht empfunden Leid, mit der Verteidigung seiner Unschuld, die zur Selbstgerechtigkeit wird. Daraus können wir lernen, dass Zweifel, Klagen und Streitgespräche mit Gott möglich, ja erlaubt sind. Denn in allem versündigte Hiob sich nicht gegenüber Gott. Solange wir Gott grundsätzlich vertrauen, können wir uns mit allem an IHN wenden. So wie Abraham, der für Sodom und Gomorra eintrat, für die Menschen bat und sogar ohne Scham mit dem Allmächtigen verhandelte. Oder wie Mosche am brennenden Dornbusch, der sich Gottes Berufung mit zahllosen Argumenten zu entziehen suchte. Sogar die Propheten haderten mit Gott, doch fanden sie immer wieder zu ihrer Berufung.
Nun ist Hiob allein mit seinem Leid. Allein drei Freunde Hiobs hörten von seinem Unglück und kamen, um ihm beizustehen. Woher wussten sie es, wer hatte es ihnen erzählt?וַיִּשְׁמְעוּ wa’jischme’u = sie hörten ist ein Hinweis, dass sie Gottes Stimme hörten, dass Gott die Freunde zu Hiob schickte.
Es waren Elifas אֱלִיפַז = mein Gott gibt mir goldene Worte oder „Goldmund“, der Temaniter הַתֵּימָנִי = der Naive, Schlichte aus Jemen. Bildad בִלְדַּד = der Lieblose, der Schuachiter הַשּׁוּחִי = der Düstere, und Zofar צוֹפַר = der Lautstärke, der Naamaiter הַנַּעֲמָתִי = der Liebliche, aber Nichtssagende.
Die Männer haben keine oder nur scheinbar positiv klingende Namen. Sie spiegeln Hiobs Verfassung, denn auch aus Hiobs Mund flossen bisher lauthals goldene Worte zu Gott, aber in unreifer Weise. Er gehorchte Gottes Wort wie ein „Buchstabilist“ (Begriff von Martin Luther), aber letztlich in der Düsternis seiner Angst. Alle Freunde sollen mit Hiob lernen, wie unermesslich groß Gott ist, dass ER ein dialogischer Gott voller Barmherzigkeit ist, eben kein „Buchstabilist“ und kein Buchhaltergott! Sie wollen mit Hiob klagen und ihn trösten, doch sind sie sich ihrer Oberflächlichkeit und ihrer Gesetzlichkeit nicht bewusst. Sie wissen nicht, wie falsch ihr Gottesbild ist und dass darum ihre späteren Zurechtweisungen arrogant und lieblos sind. Sie sind gekommen, um Hiobs Ringen mitzuerleben, was sie noch nicht ahnen.
Aus diesem Besuch der Freunde entstand im Judentum der Brauch des Schiwa-Sitzens. Der oder die um einen nahen Angehörigen Trauernde sitzt während der ersten sieben Tage (שֶׁבַע schewa = sieben) mit einem Riss im Gewand auf einem niedrigen Schemel. Die Trauergäste bringen anlässlich ihres Besuches Speisen mit, da die Trauernden während dieser Woche nicht kochen oder Gäste bewirten, sondern sich ganz ihrem eigenen Jammer hingeben dürfen. Die Gäste schweigen mit den Weinenden oder reden nur so viel, wie es die Trauernden wünschen. Bei ihnen liegt die Entscheidung, ob und wann sie reden möchten. Von dieser Woche gibt es Berichte, dass Trauernde die Möglichkeit hatten, immer wieder und wieder zu erzählen und immer wieder verschiedene Facetten zu auszusprechen, sodass sie sich am Ende freigesprochen und ein umfassendes Bild des Verstorbenen und der Situation seines Todes gewonnen hatten.
Das Sitzen der Freunde unter dem verstörenden Eindruck des bis zur Entstellung leidenden Hiob ist für alle Anwesenden eine gute Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen, aber es ist gleichsam die Ruhe vor dem Sturm. Denn Hiobs Leid wirft die Theodizee-Frage auf: „Wie kann Gott das Leid und das Böse zulassen?“
Alle zusammen werden sich darüber in einer leidenschaftlichen Diskussion wiederfinden, auf die nur Gott eine zufriedenstellende Antwort hat. ER ist der Hausherr; ER hat alles in der Hand und alles wird uns zum Besten dienen, auch wenn wir es jetzt nicht sehen und nicht verstehen. Wenn wir jetzt schon alles verstehen könnten, dann wären wir Gott.
Esra 8,22 Die Hand unsres Gottes ist zum Besten über alle, die ihn suchen, und seine Stärke und Zorn über alle, die ihn verlassen.
Da ist eine große Tiefe erschlossen. Der Hinderer wird in seiner Ohnmacht entlarvt. Wenn wir es denn begreifen und fassen. Die Namens-Aufschlüsselung ist kaum in die Deutsche Sprache übersetzbar. Großartige Auslegung.