vorgeschlagen für Sonntag, d. 25.07.2021
In diesem Abschnitt des Paulus-Briefes an die Gemeinde in Korinth liegt eine deutliche Sozialkritik vor. Die Korinther lebten noch zu sehr in der heidnischen Lebens- und Wertevorstellung dieser Stadt.
Korinth als Hafenstadt war ein Handelszentrum und darum ein Treffpunkt vieler Kulturen, Sprachen und Ethnien, ein Ort im Besonderen des Aphrodite-Kults. Götzendienst war weit verbreitet, doch der Aphrodite-Tempel war der größte und bekannteste. Die Bevölkerung lebte in allen gesellschaftlichen Schichten, vom Reichen bis zum einfachen Arbeiter im Hafen und bis zu Sklaven im Dienst der Angesehenen. Es ist eine Stadt, die ob ihrer sexuellen Ausschweifungen im säkularen wie im sakralen Bereich verrufen ist.
Zu Anfang geht Paulus Scha’ul[1] bereits auf die Rechtsprechung ein. Von seinem großen Lehrer Mose hatte er bereits gelernt, dass es vor Gericht keinen Unterschied der Person geben darf.
Lev. 19,15 Macht nicht Verfälschung im Gericht. Emporhebe nicht das Antlitz eines Geringen, verherrliche nicht das Antlitz eines Großen, nach Wahrheit richte deinen Volksgesellen.
Dtn. 1,17 Ihr sollt kein Ansehn betrachten im Gericht, so Kleinen so Großen sollt ihr anhören. Nicht sollt ihr bangen vor Mannes Ansehn, denn das Gericht ist Gottes.
Diese Gebote schließen nach ihrem Selbstverständnis aus, dass man ein Gericht der Ungläubigen aufsucht, die nach anderen Maßstäben richten und Gott als den obersten Richter nicht kennen. Die Nachfolger Jesu können darum nicht mehr zu ihren gewohnten Gerichtshöfen gehen, weil die nach heidnischer Manier eher korrumpierbar sind und ohne Gott richten.
Dass die Gläubigen die Ungläubigen und sogar Engel richten werden, hat Paulus vermutlich in Qumran gelernt, wo es diese Naherwartung gab, von der auch Paulus durchdrungen ist, und eine gewisse Überheblichkeit der Erleuchteten gegenüber den Unerleuchteten. Über Engel zu richten kann nur die negativen Engel meinen. Wir erfahren in
Hi. 1,6 Eines Tags geschahs, die Gottessöhne kamen, vor IHN zu treten, auch der Hinderer kam mitten unter ihnen.
Auch der Satan שָּׂטָן = Hinderer gehört zu den Gottessöhnen und erscheint vor Gott. Des Weiteren kennt das Judentum auch Engel des Bösen, die uns zum Bösen verführen wollen.
Im vorgeschlagenen Predigttext macht Paulus klar, wer das Reich Gottes nicht erben wird. Dieses Tora-widrige Verhalten wird sowohl im Zehnwort עֲשֶׂרֶת הַדְּבָרִים asseret haDewarim = 10 Gebote (Ex. 34,28) dargelegt als auch in den Büchern der Tora und der Propheten ausgelegt.
Lev. 18,17 Die Blöße einer Frau und ihrer Tochter mache nicht bar, die Tochter ihres Sohns und die Tochter ihrer Tochter nimm nicht, ihre Blöße barzumachen, Leibsverwandtschaft sind sie, Unzucht ists. …
21 Von denen deines Samens sollst du nicht hergeben, sie dem Molech darzuführen, den Namen deines Gottes sollst du nicht preisgeben. ICH bins. 22 Einem Männlichen sollst du nicht beiliegen in Weibs Beilager, Greuel ists. 23 In allerart Vieh sollst du nicht deine Ablagerung geben, an ihm maklig zu werden, ein Weib stehe nicht vor seinem Vieh, sich ihm zu paaren, Wirrung ists.
Die Propheten sahen all diese Verirrungen und riefen zu Umkehr auf oder verkündeten die Konsequenzen, die diesen Handlungen folgen würden:
Hes. 23,30 Deine Unzucht und deine Hurerei haben dir dies angetan, da du nachhurtest den Weltstämmen, weil du dich bemakeltest mit ihren Klötzen [Götzendienst].
Ebenso ahndet Gott Erpressung, Raub, Lüge und falsches Schwören sowie jede Form von Veruntreuung. Der Mensch, der solches tut, versündigt sich an Gott und Menschen und muss für jedweden Schaden aufkommen und ihn ersetzten.
Lev. 5,21 Wenn ein Wesen sündigt und Trug trügt an IHM, indem er seinem Volksgesellen verhehlt ein Verwahrnis oder eine Handeinlage oder einen Raub, oder er preßt seinem Gesellen etwas ab, 22 oder er fand einen Verlust und verhehlt ihn, und schwört über einer Lüge, über eins von all dem, was der Mensch tun mag, sich damit zu versündigen, 23solls sein, wenn er sündigte und schuldig ward: er erstatte den Raub, den er geraubt, oder die Erpressung, die er erpreßt hat, oder das Verwahrnis, das bei ihm verwahrt wurde, oder den Verlust, den er fand, 24 oder worüber von allem er zum Lug geschworen habe, er bezahle es in seinem Hauptbetrag und sein Fünftel lege er drauf, dem, wessen es ist, gebe er es am Tag seiner Abschuldung.
Paulus Scha’ul weiß, dass jede Sünde nicht nur dem Nächsten Schaden zufügt, sondern gleichzeitig ein Schaden für die eigene Seele bedeutet. Die hebräischen Ausdrücke חֵטְא Chet, unabsichtliche Sünde und עָווֹן Awon, vorsätzliche Sünde, haben beide die tiefere Bedeutung der Zielverfehlung. Der Sünder hat Gott als sein Ziel verfehlt und so die Beziehung zu IHM ruiniert.
פֶּשַׁע Pescha bedeutet Frevel, Verbrechen, Rebellion gegen Gott. Doch selbst hier ist die Beziehung zu Gott wieder zu heilen durch Teschuwa תְּשׁוּבָה = Reue, Umkehr. Damals brachte insbesondere ein solcher Sünder Opfer vor dem Priester dar und sprach ein ausführliches Sündenbekenntnis וודוי Widui. Durch Reue und die tätige Umkehr war Vergebung möglich.
So wie die Juden ihre heidnische Vergangenheit über einen langen und schmerzhaften Prozess ablegen mussten, ebenso die heidnischen Praktiken, die sie in Ägypten gelernt hatten, so fordert Paulus jetzt die Gemeinde in Korinth auf, diese Sündenpraxis von ihrem Leben abzustreifen, um Gemeinschaft mit Gott und um Zugang zu Gottes Königsherrschaft haben zu können.
Paulus und vor ihm Johannes der Täufer hatten zum Untertauchen aufgerufen und damit die Sündenvergebung verbunden. Von beiden Männern wird angenommen, dass sie einige Zeit bei den Essenern in Qumran lebten. Dort gab es in der Naherwartung des Maschiach mehrmals tägliche Waschorgien, um so auch rein zu werden von Sünden. Ansonsten legt das Judentum Wert auf praktizierte Umkehr.
Das Untertauchen der Korinther fand an einem Wendepunkt ihres Lebens statt, als sie nämlich den Einen Gott fanden und sich vom Götzendienst abwandten. Noch heute ist das Bad in der Mikwe erforderlich bei der Konversion zum Judentum.
„Es gab jedoch zu Paulus‘ Lebzeiten eine Schule unter Rabbi Jehoschua ben Chanania, der bereit war, auf die Konversions-Beschneidung zu verzichten, und sich mit dem Taufbad der Proselyten begnügte (Jebamot 46a).“[2]
Vor allem ist den Korinthern wie jedem Gläubigen Gott durch Seinen Leben schaffenden Geist nahe. Wo dieser Ruach רוח = Geist weht, ist kein Raum für Sünde.
1.Kor. 6,12 Alles ist mir erlaubt; aber nicht alles ist heilsam. Alles ist mir erlaubt; aber ich darf mich von nichts beherrschen lassen.
Eine jüdische Maxime, denn nicht alles, was erlaubt ist, fördert das Heil und die Nähe zu Gott, dem Vater. Das kann individuell sehr unterschiedlich sein. Wir kennen solche Phänomene auch heute. Handynutzung ist erlaubt, auch Computerspiele oder sonstige Freizeitaktivitäten, aber sie können einen einzelnen auch zu die Sucht verleiten und so der Beziehung zu Gott und zu sich selbst im Wege stehen.
Das gilt ebenso für die Nahrungsaufnahme. Gott erlaubt uns nicht nur das Essen zum Zwecke der Sättigung, sondern auch feierliche und üppige Mahlzeiten. Aber schieben wir sie nur tiergleich in uns hinein oder danken wir Gott dafür? Laut einer alten, chassidischen Legende isst der Chassid nicht, um satt zu werden, sondern um eine Gelegenheit zu finden, um Gott danken zu können.
Alles im Leben eines Juden ist ausgerichtet auf seine Beziehung zu Höchsten, zum Schöpfer aller guten Gaben.
Paulus-Scha‘ul erklärt sehr deutlich, wem unser Körper gehört und wozu der Schöpfer uns diesen Körper gab respektive nicht gab. Das Bild von den Gliedern an einem Leib stammt ebenfalls aus Qumran. Gott sagt vielmehr:
Ex. 25,8 Ein Heiligtum sollen sie mir machen, daß ich einwohne in ihrer Mitte.
מִקְדָּשׁ וְשָׁכַנְתִּי בְּתוֹכָם Mikdasch we schachanti betocham = ein Heiligtum, dass ich in ihnen wohne.
Aus der Grammatik der hebräischen Sprache lässt sich ableiten, dass Gott in jedem einzelnen wohnen will. Daraus leitet Paulus sehr richtig her:
1.Kor. 6,19 Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des heiligen Geistes in euch ist, den ihr von Gott habt, und dass ihr nicht euch selbst angehört?
Ein solcher Leib darf nicht für Unzucht herhalten. Gott verabscheut Hurerei, denn ER selbst ist der betrogene Ehemann, wenn Israel Götzendienst treibt. Der Aphrodite-Kult sowie andere griechisch-römische Kulte waren auch in Korinth mit Tempelprostitution verbunden, sodass beide Vergehen zusammenfielen.
Hos. 4,12 Es pflegt sein Holz zu befragen, sein Stecken solls ihm vermelden, denn der Hurgeist führt irre, daß sie hinweg sich verhuren von der Untertanschaft ihres Gottes.
Hos. 5,4 Was sie verübt haben, gibt nun nicht zu, daß sie umkehren zu ihrem Gott, denn ein Hurgeist ist ihnen im Innern, und IHN erkennen sie nicht.
In Hurerei ist Israel zur Zeit des Hosea so verstrickt, dass zu dem Moment eine Umkehr unmöglich ist. Paulus kennt den Ernst der Lage, ist doch Korinth so verrufen, dass es sogar das Verb „korinthiazein“ gab, das „(herum)huren, zur Dirne gehen“ bedeutete. Darum ruft Paulus seine Korinther auf:
1.Kor. 6,18 Fliehet die Unzucht! Meidet den Weg zur Dirne!
Er beruft sich dabei auf die Tora, wenn er ausführt:
1.Kor. 6,16 Oder wisst ihr nicht, dass, wer einer Dirne anhängt, ein Leib mit ihr ist? «Denn es werden», heißt es, «die zwei ein Leib sein.»
Gen. 2,24 Darum läßt ein Mann seinen Vater und seine Mutter und haftet seinem Weibe an, und sie werden zu Einem Fleisch.
Das Leben der Korinther ist wertvoll durch Gottes Geist, der in ihnen wie in einem heiligen Tempel Wohnung genommen hat. Darum sollen sie die Beziehung zu Gott pflegen und nicht leichtfertig aufs Spiel setzten.
Für Paulus-Scha‘ul gilt gleichwohl, dass Jesus für die Korinther starb und sie darum teuer mit dem Leben Jehoschuas erkauft wurden. Wenn sie das wertschätzen und den Wert ihres eigenen Lebens erkennen, dann werden sie weder Götzen nachlaufen noch achtlos mit diesem von Gott geschenkten Leben umgehen. Dann werden sie vielmehr Gott, den Vater und Schöpfer allen Lebens verherrlichen, denn darum geht es Paulus in erster Linie. Jehoschua, der Maschiach, ist im Rahmen seiner Heidenmission ein Mittler, denn Heiden sind nicht in der Lage, an einen unsichtbaren Gott zu glauben.
[1] Apg. 13,9 Scha’ul, der auch Paulus heißt
[2] P. Lapide, Paulus zwischen Damaskus und Qumran, GTB 1993², S.42