Hebron mit der Grabstätte Machpela im Hintergrund

Schabbat Chanukka 26. Kislew 5781; 12. Dezember 2020

Die Auslegung zu dieser Parascha bezieht sich hauptsächlich auf die Mitschrift eines Seminars meines Mannes Yuval von 2008. Darum gehe ich nur auf Jossef und seine Brüder ein und lasse die Begebenheit mit Juda und Tamar außen vor. Erinnert sei nur an Gen. 38,26: Sie ist gerechter als ich! Gott steht auf der Seite der Rechtlosen, der Witwen und Waisen. Darum hilft Gott ihr durch diesen Trick.

Jossefs Brüder im Hass

Die Parascha heißt wajeschew, weil er – Jaakob – sich niederließ im Land seines Vaters.
Selbst wenn es um die Nachkommenschaft Jaakobs gehen soll, merken wir schnell, dass es um seinen 17jährigen Sohn Jossef geht. Die Zahl ist von großer Bedeutung, und wird uns nicht nur deshalb genannt, um zu erfahren, dass es sich um ein junges Bürschchen handelt. 1 bedeutet die Einheit Gottes; 7 bedeutet die Vollkommenheit, es ist ein abgeschlossener Zyklus. 8 bedeutet dann die Transzendenz, die Jenseitigkeit Gottes, die in unsere Immanenz eingreift. 17 heißt auch gut = tow = טוֹב = 9+6+2=17. Somit haben wir es auch mit einem „guten Jungen“ zu tun, der in der spirituellen Kraft der 17 steht.

Gen. 37,2 Dies sind die Zeugungen Jaakobs. Jossef, siebzehnjährig, war mit seinen Brüdern beim Weiden der Schafe, als Jungknecht mit den Söhnen Bilhas und den Söhnen Silpas, der Weiber seines Vaters. Jossef brachte ihren Ruf, einen bösen, vor ihren Vater.
Jossef war schon der Hirte seiner Brüder, wodurch er das Potential des geistigen Oberhaupts hatte.
Er wuchs mit den Söhnen der Nebenfrauen auf, die als solche weniger erbten. Mit diesen benachteiligten Söhnen verkehrte er, kümmerte sich um sie. Er sogar suchte das Gespräch mit dem Vater über die Zwietracht zwischen den Söhnen und appelliert an die Intervention des Vaters, die dieser unterließ. Es ist so, als interessiere er sich nicht für die Söhne und ihre Befindlichkeiten.
Dabei prägte Jossef das Leben Jaakobs am meisten. Ihre Lebensgeschichten sind fast identisch. Darum wird von den Nachkommen in V2 nur er genannt. Er wirkt wie ein Spiegel für Jaakob.
Jossef heißt der Hinzugekommene oder Wegnahme der Unfruchtbarkeit. Beides gehört zu seinem Lebensthema.
Zweimal lesen wir in V3+4, dass Jaakob seinen Sohn vor allen Brüdern liebte. Diese Bevorzugung schmerzt und zeitigt keine guten Folgen. Besonders da sein Vater das durch ein buntes Gewand dokumentierte. In Jossefs Leben wird es immer wieder um ein Gewand gehen. Dieses ist für den Knaben, der noch den Brüdern bei den Tieren helfen soll, unpassend, eine Nummer zu groß.
Gen. 37,4 Als seine Brüder sahn, daß ihn ihr Vater über all seine Brüder liebte, haßten sie ihn, und sie vermochten nicht, ihn zum Frieden anzureden.  יָכְלוּ דַּבְּרוֹ לְשָׁלֹם (jecholu dabru leschalom)
Schalom ist ein ganzheitlicher Friede. Die Brüder können in diesem Frieden nicht mit ihrem Bruder umgehen, ihn nicht ansprechen und motivieren, in seine eigene Ganzheit zu kommen.  Sie konnten Jossef nicht mehr ganz sehen, mit all seinen Fähigkeiten und Eigenschaften. Ihr Blickfeld war verengt.

Jossefs Träume

Gen. 37,6 er sprach zu ihnen: Hört doch diesen Traum, den ich träumte: שִׁמְעוּ נָא  scham’u na
Hört bitte! Jossef hat geträumt und bittet die Brüder eindringlich, ihm zuzuhören, wie Gott spricht. Dieses Wort scham’u benutzt Gott oft, wenn ER den Menschen etwas zu sagen hat.
Jes. 28,14 Darum – höret SEINE Rede,  Männer des Witzes, Gleichwort-Prediger diesem Volk, dem in Jerusalem!  שִׁמְעוּ scham’u
Damit tritt Jossef unbewusst als Anwalt Gottes auf. Das ist die prophetische Dimension Jossefs. Er erzählt also seine Träume, aber die Brüder hören ihm nicht wirklich zu.
Gen. 37,8 Seine Brüder sprachen zu ihm: König sein möchtest gar, König über uns oder walten gern, walten du bei uns? Seitdem haßten sie ihn noch mehr, für seine Träume, für seine Reden.
Vielmehr ahnen sie, dass Königliches in Jossef steckt, aber sie ertragen es nicht. Jossef sucht das Gespräch mit den Brüdern mit der Bitte: Bitte hört mir zu! Sie verpassen die Chance des Gesprächs.
Gen. 37,10 Als ers seinem Vater und seinen Brüdern erzählte, schalt sein Vater ihn und sprach zu ihm: Was ist das für ein Traum, den du geträumt hast! kommen sollen wir, ich, deine Mutter und deine Brüder kommen,
Jossef zieht den Vater zu den hörenden Brüdern hinzu, erntet aber selbst von ihm nur Schelte. Jaakob weiß nicht, ob er Jossefs Träume ernst nehmen soll, obwohl er selbst seine Traumerfahrungen hatte. Er hatte zwei Träume, die seine Dualität zeigen, sein Leben in Spannung. (Gen. 28,10-15 Jakobs Traum von der Himmelsleiter; Gen. 31,11-13 Jakob bekommt im Traum den Befehl zu Aufbruch) Zwei Träume sprechen nun in die Spannung der Familie. Durch den frühen Tod Rachels ist sicherlich in Jaakob einiges abgestorben. Nun bewahrte sein Vater zumindest die Rede, das Wort = הַדָּבָר = hadawar.
Gen. 37,11 … Aber sein Vater bewahrte die Rede.  וְאָבִיו שָׁמַר אֶת הַדָּבָר weawiw schamar et hadawar
Gen. 37,7 da, wir binden Garbenbündel inmitten des Felds, und da, meine Garbe richtet sich auf und steht auch schon, und da, eure Garben umringen sie und neigen sich vor meiner Garbe.
Durch das Binden der Garben sollen die Brüder als Arbeiter auf Gottes Feld zu einer Einheit gelangen. Sie müssen sich diese Einheit erarbeiten. Zwölf Brüder, zwölf Individuen, sollen zur Brüderlichkeit finden. Die Einheit in der Vielfalt meint, wenn einer dem andern etwas antut, tut er sich selbst etwas an. Das Erlangen dieser Einheit ist Jossefs Traum.
Das Erheben und Stehen von Jossefs Garbe sagt, dass er sich emanzipieren muss. Er muss herauswachsen aus dem bisherigen, verwöhnten Leben, und dann auch bestehen. Weil er be-steht, kann auch sein Kollektiv bestehen, denn er wird sie in der Hungersnot retten.
Jossef hat seinen Traum bestimmt selbst nicht verstanden, weshalb er über ihn reden wollte. Das bewusste Aussprechen trägt zum Verstehen bei. Darum hören wir auch Pharaos Träume einmal auktorial und einmal von ihm selbst erzählt.
Jossef ist bereits berufen zu einem echten Führer. Solche echten Führer sind sich nicht zu schade zur Mitarbeit. Jossef bindet mit an den Garben, bewährt sich im Alltag und wird so zu einer Persönlichkeit. Die anderen Garben geben ihm auf natürliche Weise die Anerkennung für seine Persönlichkeit und seine Aufgaben.
Gen. 37,9 Er sprach: Da, noch einen Traum habe ich geträumt: da, die Sonne und der Mond und elf Sterne neigen sich vor mir.
Von der Erde geht es zum Kosmos, es entsteht eine Verbindung von Himmel und Erde. 11 Sterne bedeuten die Verstärkung der Einheit Gottes. Im zweiten Traum ist er Jossef; er muss sich seinen Posten nicht mehr erarbeiten. Der Aufstieg von den Niederungen der Garben in die Höhen ist sein Lebensthema.
Auch die Jakobsleiter verbindet Himmel und Erde. Mit zwei Beinen arbeiten wir an der Realität und unser Kopf beschäftigt sich mit dem Himmel. Es geht letztlich um die Verbindung von Realität und Spiritualität. Spirituelle Erkenntnisse müssen in die Realität umgesetzt werden. Darum sind die Engel auf der Leiter in Bewegung.

Jossef bei den Brüdern auf dem Feld

Gen. 37,13 Jissrael sprach zu Jossef: Weiden nicht deine Brüder in Sichem? auf, ich will dich zu ihnen schicken. Er sprach zu ihm: Da bin ich..הִנֵּנִי - hineni
Jissrael schickt mit diesem Satz seinen Sohn – unwissentlich – ins Exil. Er verabschiedet sich von ihm. Jossef antwortet mit der Berufungsformel „Hineni!“
„ich will dich zu ihnen schicken אֶשְׁלָחֲךָ (eschlecha) bedeutet eine Sendung, der die entsprechende Antwort folgt. Die Sendung spricht der Vater auch im nächsten Vers aus:
Gen. 37,14 Er aber sprach zu ihm: Geh doch, sieh nach dem Wohl Frieden שְׁלוֹם deiner Brüder und nach dem Wohl Frieden שְׁלוֹם der Schafe und erstatte mir Rede. So schickte er ihn aus dem Tal von Hebron, und er kam nach Sichem.
Jossef schaut nach dem Schalom der Brüder und der Tiere. Wie ist es um ihre Ganzheitlichkeit innerhalb der Schöpfung bestellt? Wie sieht die Harmonie zwischen Mensch und Tier aus? Der Vater wollte gerne ein Wort Jossef hören, eine gute Nachricht, aber diesmal kam der Sohn nicht zurück. Eine verpasste Chance! Vorher hörte er nicht, wenn Jossef etwas zu sagen hatte, weil er Jaakob ihn nicht verstand. Jetzt kam er nicht.
Hebron ist der Ort der Ankunft Abrahams im verheißenen Land. Hier befinden sich die Grabstätten der Patriarchen. Chewron kommt von der Wurzel Chawer = Verbundenheit, Angebundenheit. Er steht für eine Scheingeborgenheit. Es ist nicht der Ort realer Harmonie, da der Ort mit Tod, nicht mit Leben konnotiert ist.
Sichem (schchem) bedeutet etwas schultern, Härte, die zur Reife führt. Jossef wird ins Leben geschickt, da er etwas schultern muss. Jissrael sendet ihn ins Leben, um die nötige Reife zu erlangen.
Gen. 37,15 Ein Mann fand ihn, da er auf dem Feld umirrte, und der Mann fragte ihn, sprechend: 16 Was suchst du? Er sprach: Meine Brüder suche ich, melde mir doch, wo hier sie weiden.
Wir erfahren die Tiefe die Sehnsucht des Jossef nach Brüderlichkeit, nach Fürsorge für die Brüder. Jossef irrt umher. Da trifft ihn ein Mann. Wie in Gen. 32, wo ein Mann mit Jaakob rang, trifft Jossef nun der Mann bei Dotan. Dieser Mann kann wie bei Jaakob ein Engel sein. Engel haben keine Namen.
In Daniel 9,21 ist es der Mann Gabriel. … noch rede ich im Gebet, da, flugs, der Mann Gabriel, den ich in Anbeginn sah in der Schau, fliegt herzu und rührt mich an um die Zeit der Abendspende.
Jossef und Jaakob brauchen ein männliches Gegenüber, damit sie Mann werden.
Gen. 37,17 Der Mann sprach: Aufgebrochen sind sie von hinnen, denn ich hörte sie sprechen: Wir wollen nach Dotan gehn. Jossef ging seinen Brüdern nach und fand sie in Dotan.
Der Mann spricht umständlich, sie seien aufgebrochen von hier, und dass er sie habe sagen hören. Nur ein Engel konnte sie hören. Er sagt Jossef mit anderen Worten: „Sie sind aufgebrochen aus der Solidarität mit dir – der Bruch ist vollzogen, es gibt keine Brüderlichkeit. Sie gingen nach Dotan, das bedeutet, es wird etwas mit dir passieren.“ Es ist eine Warnung! Aber Jossef geht den ganzen Weg. Er geht den Brüdern nach, er erfüllt den väterlichen Auftrag. Er hat keine hinterhältigen Ambitionen, deshalb er nach Dotan, wo er konfrontiert wird mit diesem Bruch. Hier geschieht im Unrecht aus dem Hinterhalt. Dotan bedeutet List, Heimtücke, Hinterhalt. Die Brüder erblickten ihn von fern, das meint eine innere Ferne. Sie stempeln ihn ab und versagen im jegliche Nähe. Er hat keine Chance. Die Fronten sind verhärtet.
Sie verspotten ihn den „Meister der Träume“, was eigentlich ein verstecktes Kompliment ist.
Gen. 37,20 und nun, auf, bringen wir ihn um und werfen wir ihn in eins der Wasserlöcher und sprechen: Ein böses Tier hat ihn gefressen! Dann laßt uns sehn, was aus seinen Träumen wird!
„Wollen wir sehen, was aus seinen Träumen wird.“ Sie triumphieren schon, aber es ist ein falscher Triumph! Sie freuen sich zu früh! Indem sie tun, was sie tun, werden die Träume Jossefs Realität. Sie bewirken, was sie verhindern wollten.
Ruben will das Blutvergießen verhindern. Er ist halbherzig, ist bereit, ihn zu quälen. Er will ihn aus ihrer Hand retten, aber ist nicht konsequent. Ein wenig spürt er seine Verantwortung als Erstgeborener, als welcher er zwischen den Brüdern und dem Vater steht.

Gen. 37,21 Ruben hörte es und wollte ihn aus ihrer Hand retten, er sprach: Wir wollen ihn nicht am Leben schlagen.
„Frage: Was hörte Reuben? Was bewog ihn, Jossef aus den Händen der Brüder zu retten?
Antwort: Im vorherigen Pasuk [Abschnitt] sagen die Brüder: “Töten wir ihn, und werfen wir ihn in eine Grube. Wir werden sagen, ein wildes Tier habe ihn gefressen. Dann werden wir sehen, was aus seinen Träumen wird (#…#). Raschi berichtet, nach Rabbi Jizchaks Deutung hätten diese Worte nicht die Brüder gesagt, sondern Ruach Hakodesch [der Geist Gottes]. Haschem [Gott] wollte damit sagen: “Ihr plant, Jossef zu töten. Wir werden sehen, was aus seinen Träumen wird. Wird eure Plan in Erfüllung gehen, oder werden meine Worte in Erfüllung gehen? Wird Jossef sterben, oder werden seine Träume erfüllt?”
Die Brüder hörten Haschems [Gottes] Stimme nicht, aber Reuben hörte sie. Darum hielt er es für seine Pflicht, Jossef zu retten und zu Jakob zurück zu bringen.“
https://www.synagoge-karlsruhe.de/parshah/article_cdo/aid/480182/jewish/Reuben-hrte-es-und-rettete-ihn-aus-ihren-Hnden.htm

Gen. 37,23 Es geschah, als Jossef zu seinen Brüdern kam: sie streiften Jossef seinen Leibrock ab, den knöchellangen Leibrock, den er anhatte, 24 und nahmen ihn und warfen ihn ins Loch; das Loch aber war leer, kein Wasser drin.
Jossef sucht noch immer die Begegnung – aber die Brüder sind entschlossen zur „Vergegnung“ (nach Martin Buber), zu einer „Zergegnung“, wie Yuval es sagt, denn ihr Handel ist zerstörerisch. Es ist kein Wasser in der Zisterne, es besteht Gefahr durch Verdursten, durch Schlangen und Skorpione. Dieser Aufenthaltsort ist ein klares Todesurteil für Jossef. Und dabei können die Brüder noch genüsslich essen und Brot brechen! Sie haben kein Mitleid mit den Hilferufen ihres Bruders.
Ismaeliten, die Nachkommen Ismaels, sind auf dem Weg hinab nach Ägypten. Ihr Name bedeutet: Gott erhört. (vgl. Gen. 16)
Gen. 37,26 Jehuda sprach zu seinen Brüdern: Was ists für ein Gewinn, wenn wir unsern Bruder umbringen und sein Blut verhüllen? 27 Auf, verkaufen wir ihn den Jischmaelitern, aber unsre Hand sei nicht an ihm, denn unser Bruder ist er, unser Fleisch! Und seine Brüder hörten zu.
Juda zeigt einen Funken Menschlichkeit, da er den Bruder in Jossef erkennt. Er hat eine gewisse Beißhemmung, will lieber Geschäfte machen. Oder ist es ein Argument gegenüber den Brüdern, das er wegen seiner Feigheit benutzt? Wenn die Brüder Juda schon zuhören, hätte er noch weitergehen können und um Verschonung für seinen Bruder bitten können. Im Gegensatz zu V6 fangen die Brüder hier an zuzuhören.
Ismael kommt als Freund und Helfer in der dritten Generation. Auch Ismael wäre fast verdurstet. Ein Engel brachte Rettung. Der Gerettete wird zum Retter. Es gibt Brüderlichkeit getrennten Brüdern! Schreibe niemals einen Menschen ab!
20 Silberlinge bedeuten die Polarität im Leben des Jossef: es geht um Leben und Tod. 30 Silberlinge wurden bei Jesus bezahlt. Es soll etwas Neues entstehen. Sein Tod ist Leben, weil Gott ihm in der Polarität des Lebens beisteht. 30 Silberlinge waren üblich für einen Sklaven von 20 Jahren. Jossef war erst 17 Jahre alt und wurde auf dem Sklavenmarkt verkauft. Sie verkauften ihn unter Wert.
Gen. 37,31 Sie nahmen den Leibrock Jossefs, sie metzten einen Ziegenbock und tauchten den Leibrock ins Blut.
Ein Ziegenbock wird geschlachtet, wie einst Jaakob und Rebekka mit einem Ziegenbock Esau und Jizchak austricksen. Alles kommt auf dich zurück! Mit ihrem Handeln fügte sie ihrem Sohn Esau Schmerz zu! Wenn Gott auch den Betrug nicht verurteilt, ist dieses eine Lektion in Empathie für Jaakob. Gott ist ebenfalls empathisch.
Gen. 37,32 Sie schickten den knöchellangen Leibrock fort, daß man damit zu ihrem Vater komme und spreche: Dies haben wir gefunden, betrachte doch, ob es deines Sohns Leibrock ist oder nicht. 33 Er betrachtete ihn und sprach: Meines Sohns Leibrock! ein böses Tier hat ihn gefressen, zerfleischt, zerfleischt ist Jossef! 34 Jaakob zerriß seine Gewänder, er legte das Sackleinen um seine Hüften und trauerte um seinen Sohn viele Tage.
Das Zerreißen der Gewänder drückt Jaakobs bittere Trauer aus. Die Söhne sagen ihm durch die Blume noch mehr, denn sie benutzen nicht das einfache Wort für „sehen“, sondern לְהַכִּיר (lehakir), הַכֶּר נָא haker na! „Erkenne! Durchschaue im Innersten! Wach auf, was du dir eingebrockt hast mit dem Rock! Erkenne doch!“
Die Söhne sind hierin Jaakobs beste Erzieher. In allem Bösen ist ein Keim des Guten!
Es ist möglich, dass Midianiter Jossef aus der Grube zogen und an die Ismaeliter verkauften. Ruben kam als einer der Brüder deckte stellvertretend für sie die leere Grube.

Jossef kommt zu Potifar

Gen. 39,1 Als Jossef nach Ägypten hinabgebracht wurde, erwarb ihn Potifar, ein Höfling Pharaos, der Oberste der Palastwache, ein ägyptischer Mann, aus der Hand der Jischmaeliter, die ihn dorthin gebracht hatten
Mit „hinabgebracht“ oder „heruntergekommen“ ist ein Abstieg gemeint, und zwar nicht nur ein geographischer. Jossef muss absteigen im Dienst eines späteren Aufstiegs. ירידה צורך אליה – jerida zorech aliah – Abstieg im Dienste des Aufstiegs. Er wurde hinab gebracht (Passiv) durch Gott, und Gott bediente sich der Ismailiten. Sie hatten ihn hinuntergebracht, eine aktive Satzkonstruktion.
Glaube an Gott ist Weite. Mizraim = Ägypten dagegen ist Enge, auch ein enges Denken. In V1-5 kommt viermal Ägypten vor, weil es um das Programm Ägypten ging, um die Enge, die Jossef korrigieren darf.
Gen. 39,6 So überließ er alles, was sein war, in Jossefs Hand und machte sich neben ihm um gar nichts mehr zu wissen als um das Brot, das er aß. Jossef aber wurde schön von Gestalt und schön von Angesicht.. 7 Es geschah nach diesen Begebnissen, das Weib seines Herrn schlug ihre Augen zu Jossef auf und sprach: Liege bei mir!
Ob Jaakob noch kokettierte mit seiner Schönheit? Vielleicht musste deshalb noch ein wenig gestutzt werden.
Letztlich hat Gott ein Wort geredet, ER hat die Situation sogar „zwischen den Zeilen“ eingefädelt. Jossef wird Opfer einer Lüge, eines Rufmords. Zweimal geschieht ihm das, nämlich einmal durch die Brüder und zum zweiten Mal durch die Frau des Potifar. Warum muss dieser Gerechte so viel Unrecht erleiden? Damit wird er besonders sensibilisiert für die Gerechtigkeit. Jossef ist ohne Makel.
Gen. 39,16 Und sie legte sein Gewand neben sich, bis sein Herr nach Hause käme.
Wieder geht es um das Gewand, das das Weib festhielt. Jetzt spürt er die Bedeutung des Gewandes. Es wird ihm zum Fallstrick. Das bunte Kleid des Vaters hätte er ausziehen müssen oder er hätte sich dafür einsetzen müssen, dass die Brüder auch eines bekämen. Nun zieht die Frau es ihm aus.
Potifar hätte den „unzuverlässigen“ Diener töten lassen können, aber er warf ihn „nur“ ins Gefängnis. Vielleicht misstraute er seiner Frau oder kannte sie zu genau.
Gott lässt ihm alles gelingen, in Potifars Haus und im Kerker.

Jossef im Kerker

Gen. 40,1 Nach diesen Begebnissen geschah, der Schenk des Königs von Ägypten und der Bäcker versündigten sich gegen ihren Herrn, den König von Ägypten,
Gott fädelt wieder etwas ein, spricht ein Machtwort, fügt etwas, das für Jossef zum Guten dienen muss. Das Timing liegt in der Fügung Gottes. In der „Enge“ gewinnt Jossef die Fähigkeit, die Träume anderer zu deuten. Er weiß, dass nur Gott Träume deuten kann.
Jossef nähert sich der Drei an. Er beginnt, das göttliche Reden wahrzunehmen. Es ist der Beginn seiner „Auferstehung“. Drei lässt etwas Neues entstehen, Leben aus den Gegensätzen des Lebens, Leben aus dem Tod.
Gen. 40,10 und am Weinstock drei Ranken, und wie er ausschlägt, stieg schon die Blüte, schon reiften seine Trauben Beeren, - 11 und in meiner Hand Pharaos Becher, da nehme ich die Beeren und presse sie in Pharaos Becher und gebe den Becher in Pharaos Faust.
Der Weinstock steht für die Kinder Israels, für Gottes Liebe und Fürsorge. Vgl. auch Jes. 5, das Lied vom Weinberg. Drei steht für die drei Erzväter. Der Becher das überfließende Heil.
Ps. 116,13 Den Becher der Befreiungen heb ich und rufe SEINEN Namen an,
Ps. 80,9-16: 9 Einen Weinstock hast du aus Ägypten herausgebracht; du hast die Heidenvölker vertrieben und ihn gepflanzt. 10 Du machtest Raum vor ihm, dass er Wurzeln schlug und das Land erfüllte; … 15 O Gott der Heerscharen, kehre doch zurück! Blicke vom Himmel herab und sieh, und nimm dich dieses Weinstocks an 16 und des Setzlings, den deine Rechte gepflanzt, des Sohnes, den du dir großgezogen hast!
Ps. 23,5 Du bereitest vor mir einen Tisch angesichts meiner Feinde; du hast mein Haupt mit Öl gesalbt, mein Becher fließt über.

Pharao nimmt den Becher in die Hand. Er ist der gute Pharao für die Kinder Israels. Der Traum ist mit dem Leben konnotiert.
Gen. 40,16 … Auch ich in meinem Traum - da, drei Körbe Weißbrots auf meinem Kopf, 17 und im obersten Korb allerhand Eßware für Pharao, Backwerk, und das Vogelvolk frißts aus dem Korb von meinem Kopf hinweg.
Aus Gen. 15,1 – 14 kennen wir den Raubvogel, der bei Abraham stehlen wollte. Der Raubvogel ist immer ein Feind und steht mit dem Tod in Verbindung. Brot steht für das Leben, für Gottes Wort, das es für die Kinder Israels ist. Die vier Körbe stehen für die Exilserfahrungen Israels: Ägypten, Babylon, Persien, Rom.
Die Träume haben somit eine Bedeutung für die Kinder Israel, die Jossef auf diese Weise erfährt. Sie sind eine Vorbereitung für seine spätere Regierungsverantwortung. In der Stellung als Vizekönig hat er auch Verantwortung für sein Volk.
Gen. 40,22 und den Obersten der Bäcker hängte er, wie Jossef ihnen gedeutet hatte.
Hier könnte sich die kommende Macht Jossefs ankündigen. Der Pharao könnte so gehandelt haben, weil Jossef es im Auftrag Gottes so angeordnet hat.

Gen. 40,23 Doch der Oberschenk gedachte nicht des Jossef und vergaß ihn.
„Dieser Satz ist nicht “doppelt gemoppelt!” Jossef hatte den Mundschenk gebeten, ihn als Lohn für die Deutung seines Traums dem Pharao zu empfehlen; aber der Mundschenk belohnte Jossef nicht für seinen Dienst. Da wurde Jossef klar, daß er sich nicht auf die Hilfe eines Menschen verlassen konnte, und darum vergaß er den Mundschenk und setzte sein ganzes Vertrauen auf G–tt.“ (Jalkut Meam Loes)
https://www.synagoge-karlsruhe.de/parshah/article_cdo/aid/480180/jewish/Doch-der-Oberschenk-gedachte-nicht-des-Jossef-und-verga-ihn.htm

Jossefs Leben ist manches Mal ein Bild unseres Lebens. Wir spüren unsere Gegner, fühlen uns nicht verstanden. Vielleicht sehen wir auch verpasste Gelegenheiten.
Zum einen lernen wir aus dieser Familiengeschichte, dass offene Kommunikation hilfreich ist. Selbst wenn Jaakob den Sohn der verstorbenen Frau besonders liebt, hilft ein ehrliches Wort. Aber auch in dem unguten Weg Gottes Hand erkennen, Gottes Fügung, hilft uns, den Weg weiterzugehen. Denken wir an den Aufstieg, der dem Abstieg folgt, wenn wir Gott vertrauen. Jossef hielt sich immer an Gottes Gebote.

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