Predigttext, vorgeschlagen für Sonntag, d. 4.09.2022
1 Saulus aber, der noch Drohung und Mord schnaubte gegen die Jünger des Herrn, ging zum Hohenpriester 2 und erbat sich von ihm Briefe nach Damaskus an die Synagogen, in der Absicht, wenn er irgendwelche Anhänger des Weges fände, ob Männer oder Frauen, sie gebunden nach Jerusalem zu führen. 3 Als er aber hinzog, begab es sich, dass er sich Damaskus näherte; und plötzlich umstrahlte ihn ein Licht vom Himmel. 4 Und er fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die zu ihm sprach: Saul! Saul! Warum verfolgst du mich? 5 Er aber sagte: Wer bist du, Herr? Der Herr aber sprach: Ich bin Jesus, den du verfolgst. Es wird dir schwer werden, gegen den Stachel auszuschlagen! 6 Da sprach er mit Zittern und Schrecken: Herr, was willst du, dass ich tun soll? Und der Herr antwortete ihm: Steh auf und geh in die Stadt hinein, so wird man dir sagen, was du tun sollst! 7 Die Männer aber, die mit ihm reisten, standen sprachlos da, denn sie hörten zwar die Stimme, sahen aber niemand. 8 Da stand Saulus von der Erde auf; doch obgleich seine Augen geöffnet waren, sah er niemand. Sie leiteten ihn aber an der Hand und führten ihn nach Damaskus. 9 Und er konnte drei Tage lang nicht sehen und aß nicht und trank nicht. 10 Es war aber in Damaskus ein Jünger namens Ananias. Zu diesem sprach der Herr in einem Gesicht: Ananias! Er sprach: Hier bin ich, Herr! 11 Der Herr sprach zu ihm: Steh auf und geh in die Gasse, die man »die Gerade« nennt, und frage im Haus des Judas nach einem [Mann] namens Saulus von Tarsus. Denn siehe, er betet; 12 und er hat in einem Gesicht einen Mann namens Ananias gesehen, der hereinkam und ihm die Hand auflegte, damit er wieder sehend werde. 13 Da antwortete Ananias: Herr, ich habe von vielen über diesen Mann gehört, wie viel Böses er deinen Heiligen in Jerusalem zugefügt hat. 14 Und hier hat er Vollmacht von den obersten Priestern, alle, die deinen Namen anrufen, gefangen zu nehmen! 15 Aber der Herr sprach zu ihm: Geh hin, denn dieser ist mir ein auserwähltes Werkzeug, um meinen Namen vor Heiden und Könige und vor die Kinder Israels zu tragen! 16 Denn ich werde ihm zeigen, wie viel er leiden muss um meines Namens willen. 17 Da ging Ananias hin und trat in das Haus; und er legte ihm die Hände auf und sprach: Bruder Saul, der Herr hat mich gesandt, Jesus, der dir erschienen ist auf der Straße, die du herkamst, damit du wieder sehend wirst und erfüllt wirst mit dem Heiligen Geist! 18 Und sogleich fiel es wie Schuppen von seinen Augen, und er konnte augenblicklich wieder sehen und stand auf und ließ sich taufen; 19 und er nahm Speise zu sich und kam zu Kräften. Und Saulus war etliche Tage bei den Jüngern in Damaskus. 20 Und sogleich verkündigte er in den Synagogen Christus, dass dieser der Sohn Gottes ist.
Schlachter-Übersetzung
Ein eindrückliches und tief erschütterndes Erlebnis wird uns von dem Pharisäer Scha‘ul Paulus berichtet. Er war mit jüdischem Namen, mit dem er zur Lesung der Tora in der Synagoge aufgerufen wurde, nach dem ersten König Israels benannt: Scha’ul שָׁאוּל = der Erbetene. Als zweiten und weltlichen Beinamen trug er den griechischen Namen Paulus, der Kleine. So war es bei Diasporajuden, bei Juden, die außerhalb des Heiligen Landes Israel lebten, üblich.
Apg. 13,9 Saulus aber, der auch Paulus heißt, …
Das mag den frommen und toratreuen Juden, der immerhin bei keinem geringeren als Rabban Gamaliel gelernt hatte, zerrissen haben. Bei dem bekannten Gelehrten lernte er brillant rabbinisch zu denken, denn er war ein Mann des Intellekts, der sich schriftlich auszudrücken vermochte und an verschiedene Gemeinden auf Griechisch schrieb. Seine Briefe und Predigten sind literarisch gehoben und Zeugnisse seines rabbinischen Denkens, in dem er sein Leben lang ein Meister war.
Apg. 22,3 Ich bin ein jüdischer Mann, geboren in Tarsus in Cilicien, aber erzogen in dieser Stadt, zu den Füßen Gamaliels, unterwiesen in der gewissenhaften Einhaltung des Gesetzes der Väter, und ich war ein Eiferer für Gott, wie ihr alle es heute seid.
Dieser Scha’ul Paulus hatte mit etwa 30 Jahren ein Erlebnis, das sein Leben veränderte: Er begegnet dem auferstandenen und nicht mehr irdischen Jehoschua. Dabei war er ausdrücklich gegen diese neue Bewegung und ging hart gegen sie vor. Auch an der Ermordung des Stephanus war er mit voller Überzeugung beteiligt:
Apg 8,1 Saulus aber hatte seiner Ermordung zugestimmt.
Laut des Berichts von Lukas holte er sich Hilfe bei den Sadduzäern, um in Damaskus Nachfolger Jehoschuas festzunehmen. Mein Schwiegervater sprach bereits von einer lukanischen Ausschmückung und erkennt in Damaskus einen anderen Ort in der Wüste.
„Aus etlichen Textstellen geht klar hervor, daß der darin „Damaskus“ genannte Ort „in der Wüste“, wie es heißt, unmöglich die Hauptstadt von Syrien sein konnte. Während das essenische „Damaskus“ nur auf dem Weg durch die Wüste erreichbar war, wie sowohl die Damaskus-Schrift (CD 6,5 ) als auch die biblische Belegstelle in 1 Kön 19,5 betont, war das in weit entfernte syrische Damaskus zu Paulus‘ Lebzeiten eine blühende hellenistische Stadt, in der Bibliotheken, Gymnasien und Theater das Kulturleben bereicherten. Von dieser Stadt sagte Resch-Lakisch (ein Talmud-Meister): „Wegen der Schönheit ihrer Umgebung ist sie würdig, den Eingang zum Paradies zu bilden.“ (bER19,a) Mit welchem Recht hätte übrigens der Hohepriester in Jerusalem wohl „Männer und Frauen in Damaskus festnehmen und gefesselt nach Jerusalem führen lassen“ können (Apg 9, 12)? War doch Damaskus damals im Hoheitsgebiet Königs Aretas IV. Philodemos, der eifersüchtig auf seine Souveränität wachte und jeden Übergriff auf seinen politischen Kompetenzbereich mit Brachialgewalt zu vereiteln wusste. Dabei konnte er mit der militärischen Unterstützung des römischen Statthalters von Syrien, Flaccus, zu jeder Zeit rechnen.“
P. Lapide, Paulus zwischen Damaskus und Qumran, GTB 1993, S.120
Licht umgibt Scha’ul Paulus, aus dem Jehoschua zu ihm spricht. Später wird Paulus den Korinthern allerdings bekennen, dass er alles der Gnade des EINEN Gottes zu verdanken hat:
1. Kor. 15,8 Zuletzt aber von allen erschien er auch mir, der ich gleichsam eine unzeitige Geburt bin. 9 Denn ich bin der geringste von den Aposteln, der ich nicht wert bin, ein Apostel zu heißen, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe. 10 Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin; und seine Gnade, die er an mir erwiesen hat, ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe mehr gearbeitet als sie alle; jedoch nicht ich, sondern die Gnade Gottes, die mit mir ist.
Jehoschua spricht ihn auf seine Sünde an, denn er verfolgte Menschen und mordete sie. Das ist im Judentum unter keinen Umständen erlaubt. Scha’ul Paulus ist überführt. Er leidet unter Scham, Schmerz und Schuld über diesen Weg, den er vor seiner sog. „Bekehrung“ gegangen ist. Seine Widergutmachung liegt darin, dass er diesen Eifer nun nicht gegen, sondern für Jehoschua einsetzt. Entsprechend starb er wie sein Messias als Märtyrer. Er musste fortan etwas verkündigen, was er vorher so strikt abgelehnt hatte, nämlich die Botschaft der neuen messianischen Bewegung. Dazu muss er zu Heiden gehen, nicht mehr zu seinen Juden.
Er muss verkündigen, gegen diesen Stachel, gegen diesen Druck kommt er genauso wenig an wie Jeremia.
Jer. 20,7 Betört hast du mich, DU, ich ließ mich betören, gepackt hast du mich, du hast übermocht. Ich bin zum Gelächter worden alletag, alles spottet mein. 8 Ja, sowie ich reden will, muß ich schreien, Unbill! rufen und: Gewalt! zu Hohn ja und zu Posse ist SEINE Rede mir worden alletag. 9 Spreche ich: Ich will ihn nicht gedenken, nicht mehr reden mit seinem Namen, bleibts mir im Herzen wie ein sengendes Feuer, eingehegt mir im Gebein, ich erschöpfe mich es zu verhalten, ich vermags nicht..
Keiner seiner Begleiter verstand, was hier geschah. Sie hörten, aber verstanden und sahen nichts. Es war Paulus‘ eigenes, persönliches Erleben. Aber sie verstanden, dass er blind war und geführt werden musste.
Er verbrachte die drei Tage seiner Blindheit in der Stadt bei einem Mann namens Jehuda יְהוּדָה = der Dankende, bevor Hananias Chananja חֲנַנְיָה = Gott begnadet oder Ananias Ananja עָנָניה = die Wolke Gottes zu ihm geschickt wurde. Die Drei steht für die Verwandlung des Scha’ul Paulus, sein Fasten zeigt seine tiefe Reue und der Name des von Gott gesandten Boten für dessen Barmherzigkeit, denn er will dem Umkehrenden Gnade und Schutz, Umhüllung in der göttlichen Gegenwart vom Berg Sinai schenken.
Scha’ul Paulus ist genauso in einer Bußhaltung über die drei Tage wie König David, nachdem der Prophet Nathan ihn der Sünde des Mordes überführt hatte. Auch er fastete und betete:
2.Sam. 12,16 Dawid suchte Gott um den Knaben, Dawid fastete ein Fasten, sooft er heimkam, nächtigte er auf der Erde liegend.
Chananja erhält nicht umsonst den Auftrag, in die Gerade יָּשָׁר jaschar Straße zu gehen, denn auch Scha’ul Paulus ist angehalten, in Zukunft nach dem Gebot zu handeln:
Dtn. 6,18 tun wirst du das in SEINEN Augen Gerade [הַיָּשָׁר ha’jaschar] und Gute, damit dirs gut ergehe und du kommest und ererbest das gute Land, das ER deinen Vätern zuschwor, …
All diese Zusammenhänge kannte der ehemals bei Rabban Gamaliel gelernt habende Pharisäer nur zu gut. Er wusste auch, dass er nun durch das Licht berufen war, seinerseits ein „Licht für die Völker“ לְאוֹר גּוֹיִם le’or goijim zu werden. Die ungläubigen Heiden durften nicht länger in der Finsternis ihrer vielen Götter gefangen bleiben. Als Chananja ihm diese Botschaft und Beauftragung bringt und ihm liebevoll die Hände auflegt, fällt es Scha’ul Paulus wie Schuppen von den Augen, er kann wieder sehen. Er spürt die Beauftragung Gottes auf sich, wie einst Jehoschua von Mosche beauftragt und in sein Amt eingesetzt wurde:
Num. 27,23 er stützte seine Hände auf ihn, er entbot ihn, wie ER in Mosches Hand geredet hatte.
(Diese Beauftragung, welche Smicha סמיכה = Stütze, Autorisierung heißt, bekommt heute noch jeder Rabbiner bei seiner Amtseinführung sowie Pfarrer bei ihrer Ordination.)
Scha’ul Paulus sieht nun seinen drängenden Auftrag, er sieht die Menschen, die alle Geschöpfe und Kinder Gottes sind, deren Leben wertvoll ist, zu wertvoll für ein Leben mit den unnützen Götzen. Weiterhin sieht er, dass die Zeit nach seinem Empfinden drängt, weshalb er den Auftrag, besonders die Heiden zu gewinnen, sehr ernst zu nehmen bereit ist.
1.Thess. 4,15 Denn das sagen wir euch in einem Wort des Herrn: Wir, die wir leben und bis zur Wiederkunft des Herrn übrig bleiben, werden den Entschlafenen nicht zuvorkommen; …
Des Weiteren weiß Scha’ul Paulus, dass er wie Mosche und die Propheten, die allesamt von Gott erwählt wurden, um Gottes Botschaft zu verkünden, viel wird leiden müssen. Heiden von einem neuen Weg zu überzeugen, ist kein Kinderspiel. Dazu wird er sich um des gewichtigen Berufungsauftrags willen mitunter mit den Juden anlegen müssen. Mit seiner eigenen Auslegung der Schrift, die allein der Überzeugung der Heiden dienen soll, werden die gläubigen Juden nicht immer einverstanden sein. So wird er zwischen die Stühle geraten, obwohl er selber sein Judentum nie aufgeben wird.
Scha’ul Paulus machte das, was jeder Jude macht, wenn er sich am Ende einer Phase der Läuterung befindet: Er stand auf und tauchte sich unter. Die Eintauchung טבילה tewila in der Mikwe מִקְוֶה dient dem Abwaschen der Sünden und dem Abwaschen des alten Lebens. Sie befähigt somit den Eingetauchten zu einem Neuanfang. Zudem erneuert der Untertauchende seine Beziehung mit Gott, denn im Wort Mikwe steckt die Wurzel קו kaw = Linie, Richtung, die hier die Richtung und Ausrichtung auf Gott bezeichnet.
Und genau das wollte Scha’ul Paulus. Er stärkte und erholte sich. Daraufhin begann er sofort mit seiner Verkündigung, dass Jehoschua der von den Juden so sehnlich erwartete Maschiach מָשִׁיחַ = Messias, der Gesalbte sei. Die Sohnschaft Jehoschuas verstand er noch im jüdischen Sinn, dass nämlich jeder Mensch Sohn und Tochter Gottes ist. Liest man die echten Briefe des Paulus aufmerksam, so wird deutlich, dass für ihn Jehoschua kein Gott ist, denn er differenziert deutlich zwischen Gott und Jehoschua.
Was bedeutet nun dieses Erlebnis? Es bedeutete für den Erlebenden gewiss eine einschneidende Erfahrung und eine Änderung seines Lebenskonzepts. Aber war dieses Erlebnis eine Hinwendung zu „Christentum“? (Das gab es ja erst ab dem 4. Jh.)
Darauf lasse ich zum Schluss gerne meinen Schwiegervater Pinchas Lapide antworten, der einen fiktiven Brief an Scha’ul Paulus schrieb:
„Ich aber frage Dich: Von wo und wohin soll diese Bekehrung eigentlich stattgefunden haben? Wo doch das Wort „Bekehrung “ im Zusammenhang mit deinem Erlebnis überhaupt nicht vorkommt? Mehr noch: Du verwendest diesen Ausdruck in keinem deiner Briefe, was für mich Bände spricht! Was also geschah dort auf der Straße nach Damaskus? Du sagst ja selbst, Gott habe dich „durch seine Gnade berufen und dir eine Mission an die Heiden gegeben“ (Gal 1,15-16)
P. Lapide, Paulus zwischen Damaskus und Qumran, GTB 1993, S. 8+9
An Deinem gläubigen Judesein hat also diese Berufung nicht das geringste geändert, auch wenn Du Jesus von Nazareth für den Messias Israels gehalten hast! Schließlich glaubte ja auch der große Rabbi Akiba um das Jahr 133, dass ein gewisser Bar-Kochba der Messias Israels sei. Bar-Kochba ist leider auch gescheitert, und Rabbi Akiba, der sich also geirrt hatte, wurde genau wie Du von den Römern zu Tode gefoltert. Als großer Jude und Lehrer gilt er bis auf den heutigen Tag. … So hast du z. B. deinen Messias auch als „Sohn Gottes” verkündigt, was Akiba mit Bar-Kochba nie getan hat. Es stimmt doch, daß du den „Sohn Gottes“ in der hebräischen Bedeutung im Sinne hattest, wie du es bei deinem Lehrer Rabban Gamaliel gelernt hast? Damit hast Du keinen Verstoß gegen das Judentum begangen, da ihr dieser Begriff jemanden bezeichnet, der makellos in den Wegen der Torah wandelt. Genauso hat es auch Rabbi Jesus in seiner Bergpredigt ausgedrückt (Mt 5,45). Erst als dieser Begriff ins Griechische übertragen wurde, bekam er den im heutigen Christentum geläufigen, ganz anderen Sinn. Wie du merkst, habe ich mich ganz intensiv mit Dir und Deinem Werk befasst.“
Du schreibst hier mir aus dem Herzen. Sehr respektvoll und klar. Der Berufene Shaul. Toda raba