Purim 2025
Purim naht, an welchem alle 10 Kapitel des Buches Ester gelesen werden. Es ist eine Pflicht, der Lesung zuzuhören. Dabei wurde es zu einem beliebten Brauch, bei der Lesung des Namens Haman Lärm zu machen, um so den Bösen nachträglich auszulöschen.
Es werden jedoch Fragen laut, warum das 1. Kapitel gelesen werden muss. Darin geht es doch weder um Ester noch um die Auslöschung und anschließende Rettung der Juden. Doch wenden wir uns diesem ersten Kapitel zu und lernen u.a. von dem, was ich bei Rabbi YY Jacobson gehört habe.
Wir lernen den König eines riesigen Reiches kennen, das von Indien bis Äthiopien reichte und 127 Provinzen umfasste. Bereits nach dreijähriger Herrschaft fühlt er sich bemüßigt, ein schwelgendes Fest für all seine Bediensteten und Oberen zu geben, das 180 Tage dauerte. Ihm liegt nichts anderes am Herzen, als mit seinem Reichtum zu protzen, seine vermeintliche Größe vorzuführen. Dabei gab es doch kein besonderes Dienstjubiläum, das eine so üppige Feier rechtfertigte. Es darf vielmehr gefragt werden, wer die Regierungsgeschäfte fortführte.
Den krönenden Abschluss bot ein siebentägiges Fest auf der Burg Susan für das Volk. Das Volk sah all den Prunk und Reichtum der Burg, ihm wurden Getränke in goldenen Pokalen gereicht und jeder durfte tun und lassen, was er wollte.
Genauso erfahren wir, dass Königin Waschti ein Festmahl für die Frauen veranstaltete, das nicht weiter Erwähnung findet.
Der König ist am 7. Tag durch den Wein besonders guter Laune und hat das Verlangen, seine Frau zu sehen und der Öffentlichkeit zu zeigen. Doch wie bringt er seinen Wunsch vor? Er schickt seine Bediensteten zu seiner Frau und will, dass sie leicht bekleidet vor ihm erscheint und sein Ansehen steigert. Ist das standesgemäß?
Dazu müssen wir wissen, wer Waschti und wer Achaschwerosch sind. Königin Waschti ist von königlichem Geblüt, denn dem Midrasch zufolge ist sie die Enkelin – oder die Tochter einem anderen Midrasch gemäß -, von König Nebukadnezer. Achaschwerosch wurde erst durch sie zum König. Er ist also ein Emporkömmling, der sich in seinem neu gewonnenen Glanz sonnen möchte.
Königin Waschti reagiert auf den Befehl der Bediensteten des Königs entsprechend scharf: „Hält Achaschwerosch es etwa nicht für nötig, selber zu mir zu kommen und mich zu bitten, das Fest für meine Frauen zu verlassen? Darf ich ihn daran erinnern, wer er ist und wer ich bin? Was er ist, das ist er nur durch mich! So benimmt man sich nicht der gebürtigen Königin gegenüber!“
Gerade im hebräischen Text ist genau zu erkennen, wie Waschti gesehen wird. Lässt Achaschwerosch Waschti, die Königin rufen, so macht er deutlich, dass er in erster Linie Waschti meint. Redet er aber von Königin Waschti, ist er sich bewusst, dass sie in erster Linie Königin ist.
Nach dieser öffentlichen Abfuhr entbrannte der ganze Zorn des Königs. Da hatte jemand die Rollen zurechtgerückt und ihm den Spiegel vorgehalten! Er ist nicht Manns genug, sich mit seiner Frau auseinanderzusetzen, sondern muss seine Weisen befragen, was nun zu tun ist. Dabei macht er diese Richter darauf aufmerksam, dass es sich um Königin Waschti handelt, deren königliches Blut Beachtung finden sollte.
Aber Memuchan, der später unter dem Namen Haman bekannt wird, lässt sich nicht einlullen. Für ihn ist Waschtis Verhalten ein Staatsverbrechen, das die Todesstrafe fordert. Ansonsten müsste ja jeder Mann zu Hause mit einer rebellischen Ehefrau rechnen! Wo wäre dann die Ruhe der Männer hin! Der Erlass dieses Betrunkenen, der zu allem nickte, wurde in allen 127 Provinzen verkündet.
Somit lernen wir, welches protzige, aber dekadente Regime hier an der Macht ist. Die Frau mit Würde und Anstand ist Waschti, die aber in dieser Männerdomäne keine Chance hat. Der ach so strahlende König ist ein Spielball seiner Fürsten und Oberen, die alle miteinander gierig nach der Macht lechzen.
Dieses morbide System braucht eine neue Königin. Nach seinem Rausch wird das dem König schmerzlich bewusst. Und hier hinein kommt Ester, die wegen ihrer Schönheit in den Palast geführt wird. Achaschwerosch erwählt sie, nicht ahnend, dass sie Jüdin ist. Was interessiert ihn schon an der neuen Frau, außer ihr repräsentatives Auftreten.
Als Haman alle Juden im Reich töten lassen will, weil Mordechai seine Ehre gekränkt hat, macht ihr Onkel Mordechai ihr deutlich:
Est. 4,14 „Und wer weiß, ob du nicht für eine Zeit wie diese zur Königschaft gelangt bist!“
Ester muss zum König, obwohl sie schon dreißig Tage nicht zu ihm gerufen wurde. Wenn er einen schlechten Tag hat, lässt er sie umbringen. Und dass das keine leeren Drohungen sind, hat er an Königin Waschti exemplifiziert. Sie weiß nur einen Weg: Sie und das jüdische Volk müssen fasten. Bevor es zu einer äußeren Errettung kommen kann, muss eine innere Umkehr stattfinden, muss das Volk seine Assimilation bekennen, mit der es sich von dem Höchsten und Seinen Geboten entfernt hat.
Nach drei Tagen, die Zahl der Verwandlung, geht Ester zu König Achaschwerosch und erfährt Gnade. Sie darf bis zur Hälfte seines Königreichs alles erbitten. Warum erbittet sie nicht hier und jetzt Freiheit für ihr Volk? Sie weiß, dass er ein Säufer und ein Spielball seiner Minister ist. Darum muss sie ihn aufwecken, muss ihn wütend machen auf seine Vertrauten.
Sie lädt den König ein – und Haman. Und in dieser Einladung steckt verborgen als Akronym der Name des Ewigen:
Est. 5,4 יָבוֹא הַמֶּלֶךְ וְהָמָן הַיּוֹם jawo ha’melech we’haman hajom es kommt der König und Haman heute.
Des Königs Neugier ist geweckt. Warum lädt sie ihn mit Haman zusammen ein? Hecken die beiden etwas aus? Warum ist er nicht allein bei einem tête-a-tête mit seiner Frau?
Königin Ester verwöhnt die Männer, lässt sie über dem reichen Gelage alle Sorgen vergessen, sodass der König erneut fragt, was sie von ihm wünsche. Bis zur Hälfte des Königreichs könne sie bitten. Noch einmal tut sie ihren eigentlichen Wunsch nicht kund. Sie merkt, wie verunsichert er ist, was sie auf die Spitze treiben möchte. Er muss an seinem Minister zweifeln, er muss genauso zornig werden wie bei Waschti, damit ihr Anliegen Gehör findet. Darum noch einmal eine Einladung gemeinsam mit Haman. Diesmal sagt sie:
Est. 5,8 יָבוֹא הַמֶּלֶךְ וְהָמָן אֶל הַמִּשְׁתֶּה jawo ha’melech we’haman el ha’mischte es kommt der König und Haman zum Gelage.
Vor das letzte Hej ה des Gottesnamens schiebt sich verräterisch ein kleines Wort dazwischen, das auf einen komplett anderen Verlauf des Abends hinweist.
Das Volk, das das Tun ihrer Königin und Volksgenossin beobachtet, ist entsetzt. Macht sie sich etwa mit den Mächtigen gemein? Vergisst sie ihr Volk? Wir sehen oft nur einen Teil des großen Puzzles, aus denen wir unsere Schlüsse ziehen. Aber auch in der großen Weltpolitik können wir dem Gott, der alles geschaffen hat, vertrauen, dass Dinge sich anders in Seiner Hand entwickeln, als es zuerst den Anschein hat.
In dieser Nacht konnte Achaschwerosch nicht schlafen. Zweifel waren gesät, warum Haman wieder mit ihm zusammen eingeladen war. Konnte er ihm noch trauen? Er ließ sich vorlesen, dass er auch Bigtana und Teresch nicht hatte trauen können und Mordechai ihn gewarnt hatte. Laut Midrasch wollte Haman mit ihnen gemeinsame Sache machen, doch als es Mordechai bekannt wurde, zog er sich geschickt zurück.
Des Königs Meinung von Haman bröselte und er erwählte ausgerechnet ihn, um seinen Lebensretter zu ehren. Ein schwerer Schlag für Haman! Trotzdem muss er zur Königin, denn eine Königin versetzt man nicht.
Zweites Festmahl, zweite Chance. Ester spürt, dass der König misstraut, aber er genießt das Gelage, lässt es sich gut gehen. Als er dann nach Esters Bitte fragt, kann sie frei antworten:
Est. 7,3f „Habe ich Gunst in deinen Augen, König, gefunden und dünkt es den König gut, werde mir meine Seele um meinen Wunsch gegeben und mein Volk um mein Verlangen. Denn verkauft sind wir, ich und mein Volk, zu tilgen, zu erschlagen, zu schwenden. Und noch wenn wir verkauft wären zu Knechten und zu Mägden, ich hätte geschwiegen, denn die Bedrängnis wäre die Belästigung des Königs nicht wert.“
Der König ist entsetzt:
Est. 7,5 Der König Achaschwerosch sprach, er sprach zur Königin Ester: „Wer ist dieser und wo ist dieser, den sein Herz geschwellt hat, solches zu tun?“
Da sie dieses Misstrauen vorbereitet hatte, kann sie nun den Bösen benennen:
Est. 7,6 „Der Mann, der Bedränger und Feind, Haman, dieser Bösewicht, ists.“
Der Zorn des Königs ist entfacht wie bei Königin Waschti. Er muss in den Garten gehen, um sich etwas abzukühlen. Doch als er wieder hineinkommt, liegt Haman halb auf dem Bett der Königin, was den Grimm des Königs erneut entfacht. Haman wird an das Holz gehängt, das dieser für Mordechai hatte errichten lassen.
Für Achaschwerosch bricht eine neue Ära an, denn er muss neu sortieren, wem er vertrauen kann: Ester und Mordechai. Gleichzeitig muss er feststellen, dass ihm die Hände wegen seines Erlasses gebunden sind. Darum erlässt er die Erlaubnis, dass die Juden sich bewaffnen und kämpfen dürften. Viele verloren damit die Lust am Kampf und traten gar nicht erst gegen Juden an.
So wurde das jüdische Volk durch den verborgenen Gott und Seine gottesfürchtige Tochter, Königin Ester, gerettet.