Predigttext vorgeschlagen für Sonntag, d. 25.08.2024

1 Der EWIGE redete zu Mosche, sprechend: 2 Rede zu aller Gemeinschaft der Söhne Jissraels, sprich zu ihnen: Ihr werdet heilig werden, denn heilig bin ICH, der EWIGE euer Gott. 3 Jedermann seine Mutter und seinen Vater werdet ihr fürchten. Meine Schabbatot werdet ihr wahren. ICH, der EWIGE, bin euer Gott. 4 Wendet euch nimmer zu den Gottnichtsen, Gußgötter macht euch nicht. ICH, der EWIGE, bin euer Gott. 
13 Presse nicht deinen Genossen. Raube nicht. Nicht nachte das Erarbeitete eines Taglöhners bei dir bis an den Morgen. 14 Lästre nicht einen Tauben, vor einen Blinden lege nicht einen Anstoß: fürchte dich vor deinem Gott. ICH bin der EWIGE. 15 Macht nicht Verfälschung im Gericht. Emporhebe nicht das Antlitz eines Geringen, verherrliche nicht das Antlitz eines Großen, nach Wahrheit richte deinen Volksgesellen. 16 Trage nicht Verleumdung unter deinen Volkleuten feil, steh nicht still bei dem Blut deines Genossen. ICH bin der EWIGE. 17 Hasse nicht deinen Bruder in deinem Herzen, mahne, ermahne deinen Volksgesellen, daß du nicht Sünde seinethalb tragest. 18 Heimzahle nicht und grolle nicht den Söhnen deines Volkes. Halte lieb deinen Genossen, dir gleich. ICH bin der EWIGE.
33 Wenn ein Gastsasse bei dir in eurem Lande gastet, bedrückt ihn nicht, 34 wie ein Sproß von euch sei euch der Gastsasse, der bei euch gastet, halte lieb ihn, dir gleich, denn Gastsassen wart ihr im Land Ägypten. ICH bin der EWIGE, euer Gott. 
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Der vorgeschlagene Predigttext beginnt mit Gottes Ansage an die Kinder Israel:
 V2: Ihr werdet heilig werden, denn heilig bin ICH, der EWIGE, euer Gott.
קְדֹשִׁים תִּהְיוּ כִּי קָדוֹשׁ אֲנִי יְהוָה אֱלֹהֵיכֶם  kedoschim tihiju ki kadosch ani JHWH elohejchem.

Doch was bedeutet heilig, und wie können wir Menschen heilig sein?
Heilig קָדוֹשׁ kadosch bedeutet: abgesondert, etwas Gott weihen. Das Leben der Kinder Israel wird ein abgesondertes, geweihtes Leben für Gott sein. Es wird Ausdruck der Verbundenheit Seiner Kinder mit IHM in einer Welt sein, in der es damals ansonsten nur Götzenkult gab.

„Sondert euch ab von diesem falschen Kult! Sondert euch ab von unmenschlichem oder menschenunwürdigem Verhalten! Vergleicht euch nicht mit anderen Völkern und akzeptiert, dass ihr anders seid als die Völker.“

Im Buch Numeri wird Bileam das Volk segnen und sagen: 
Num. 23,9 Da, ein Volk, einsam wohnt es, unter die Erdstämme rechnet sichs nicht.

Jeder Mensch hat aufgrund des Zuspruchs Gottes diese Heiligkeit, denn auf jedem Menschen liegt Seine Hand. Damit hat der EWIGE ihn für sich in Anspruch genommen, ihn beiseite gesetzt.
Da der Mensch jedoch die Freiheit der Wahl hat, kann er sich diesem Anspruch entziehen. Er kann den Sinn seines Lebens verspielen – oder er kann die Nähe Gottes suchen.

Dabei zeigt uns der Vers im Futur, dass der Mensch heilig wird, sich also im Prozess der Heiligung befindet. Er wächst in die Ebenbildlichkeit Gottes hinein. Wie das geschieht?
Zum einen, indem wir Gott zeigen, dass wir IHM allein vertrauen, IHM für alles danken, auch für das Schwere und Unverständliche in unserem Leben.

Dann dadurch, dass uns Seine Gebote immer wichtiger werden und wir die Einsicht bekommen, wie gut es ist, Gottes Anweisungen zu folgen, von denen in unserem Text einige vorkommen. Beachten wir, dass das Wort Gebot Mizwa מִצְּוָה von צוה = zawa kommt und Verbindung bedeutet, eine Verbindung zwischen dem Menschen und seinem Gott.

Das Gebot zur Ehrung der Eltern folgt nach dem Versprechen der Heiligkeit, denn Eltern sind Gottes Partner und Stellvertreter in der Kindererziehung. Sie bringen dem Kind die Liebe Gottes, die sich auch durch die Gebote ausdrückt, näher. Sie bezeugen Seine Wohltaten, die sie erleben durften.  Darum verweisen sie auf das Einhalten des Schabbats, an dem der EWIGE, als ER die Welt für die Menschen schuf, eine Pause einlegte, um Sein Werk zu begutachten und zu feiern. Gott hatte schon bei den Zehn Worten am Sinai gesagt, dass Seine Weisungen Leben bedeuten, gerade im Hinblick auf die Eltern, die uns das Leben schenkten.
Ex.20,12 Ehre deinen Vater und deine Mutter, damit sich längern deine Tage auf dem Ackerboden, den ER dein Gott dir gibt.

Ein Unding ist es, sich anderen Göttern hinzugeben oder anzuvertrauen. Dann haben wir nicht verstanden, wer Gott ist. Götter und Götzen entspringen immer dem Bild des Menschen, der sich seine Helfer schafft. Ob es das „goldene Kalb“ in der Wüste war oder unsere eigenen „goldenen Kälber“, die unser Herz und unsere Sinne mehr in Anspruch nehmen als wir Zeit mit Gott verbringen. Der EWIGE, unser Schöpfer und Vater, muss einzig in unserem Leben sein. Dann haben wir verstanden, wer ER ist und was es bedeutet:
Dtn. 6,4 Höre Jissrael: ER unser Gott, ER Einer! שְׁמַע יִשְׂרָאֵל יְהוָה אֱלֹהֵינוּ יְהוָה אֶחָד Schma Israel JHWH Elohenu, JHWH echad

Gott ist EINER und einzig, aber ER möchte auch mit uns EINS sein, denn ER hauchte uns den Atem, unsere Seele, ein! Neschama נשמה ist die von Gott eingehauchte Seele und נשימה neschima ist der Atem.

Gottes Weisungen betreffen unseren gesamten Alltag, in dem wir unsere „Heiligkeit“, unsere Verbundenheit mit Gott ausdrücken können. Es betrifft den Umgang mit den Armen, für die ein Rest des Ackers bei der Ernte übrig gelassen wird. Es geht um einen wahrhaftigen und neidlosen Umgang mit dem Mitmenschen, der nicht belogen werden darf und dem nichts wegzunehmen ist. Alles, was die Ehre des Menschen antastet und in ihm die Würde seiner Gottesebenbildlichkeit antastet, untersagt Gott, damit Seine Kinder ein Leben in Heiligkeit vorleben können.
Wir haben ganz praktische Aufgaben, die sich lohnen in diesem Kapitel nachzulesen und die es uns ermöglichen, Gott auf dieser Erde zu vertreten und zu bezeugen, indem wir so handeln, wie ER es an Seinen Kindern tut.

Außerdem ist dieses Heilig-Sein keine Magie, sondern ist allein davon abhängig, dass Gott per se heilig ist. Nur in der Verbundenheit mit IHM werden wir auf dem Weg durch unser Leben heilig werden. Wie z.B. durch das Folgende:

V18 Heimzahle nicht und grolle nicht den Söhnen deines Volkes. Halte lieb deinen Genossen, dir gleich. ICH bin der EWIGE.
Bekannter ist es in den Worten: du sollst wirst deinen Nächsten lieben wie dich selbst;
וְאָהַבְתָּ לְרֵעֲךָ כָּמוֹךָ  – we ahawta re’echa kamocha

Dieses „Gebot der Nächstenliebe“ steht inmitten der erwähnten Anweisungen zum Umgang mit dem Mitmenschen. Innerhalb des Verses steht er im Zusammenhang mit der Aufforderung, keine Rache zu üben und nicht über seinen Nächsten zornig zu sein.
Geht das? Ist das nicht Utopie? Sollen wir alles durchgehen lassen, was der andere uns antut? Oder ist es eher die Aufforderung, Gott in jeder noch so verfahrenen Situation zu vertrauen, anstatt vorschnell zu re-agieren!
Dann aber doch die Frage: Kann man Liebe überhaupt befehlen?
Mein Schwiegervater Pinchas Lapide stellt eben diese Frage:

„Hier steht ja gar kein Imperativ, sondern die Zukunftsform[1]: ‚Du wirst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.‘
Wann wird das geschehen? Sobald Gott seine Tora ‚in  unser Herz gegeben und in unseren Sinn schreiben wird‘ (Jer.31,33), sobald er uns ‚das steinerne Herz wegnehmen und uns ein fleischernes Herz geben wird‘ (Hes.36,26), dann wird es keiner Gebote und Befehle mehr bedürfen, um die Nächstenliebe als überschäumende Gottesliebe zur Selbstverständlichkeit zu machen.“

Die Bergpredigt – Utopie oder Programm? Matthias-Grünewald-Verlag 1982, S.31

Pinchas hebt eine weitere Besonderheit dieser Bibelstelle hervor (ebd. S.101): „[In Lev.19,18 steht] nicht: ‚Liebe deinen Nächsten‘ im Akkusativ, sondern im Dativus Ethicus, eine Wortfolge, die im Deutschen nur umschrieben werden kann: Wende dich ihm liebend zu! Oder: Erweise ihm Liebestaten! Oder: Tu ihm Liebe an! Mit einem Wort: Leb ihm zuliebe, nicht zuleid!

Bei der Nächstenliebe geht es also nicht um angeordnete Gefühle, sondern um Taten! Wer Gott liebt und Gottes Liebe bezeugen will, muss an seinem Mitmenschen zum Guten handeln. Der Wille Gottes muss getan werden! Darum geht es auch nach diesem Satz weiter mit den „Kleinigkeiten“ des Alltags weiter, die aber doch den Unterschied machen: Vor ergrautem Haar steh auf! Den Fremdling bedrücke nicht!

Im Heilig-werden, im Hineinwachsen in die Gottesebenbildlichkeit geht es immer um den Menschen und seinen Nächsten, sei er einer, der mit uns auf der Weide die Schafe weidet, was in dem Wort רֵעֲ re‘a steckt, sei er ein Böser, ein רע ra, was ebenfalls die Wurzel des Wortes ist, da der Mithirte auch ein Konkurrent sein kann, oder sei er ein Fremder. In Ägypten hat das Volk Israel selbst erfahren, was es heißt, fremd zu sein, deshalb kann es die Fremdheit gut nachempfinden und dem Gastsassen beistehen.

Manch einer wird sich fragen, warum es Kriege gibt, wenn wir doch liebevoll miteinander umgehen sollen. David musste schon feststellen, dass er mit seinen Feinden nicht in Frieden leben konnte, auch nicht mit falschen Freunden.
Ps. 120, 6 Lang genug hat meine Seele gewohnt bei dem Hasser des Friedens:  7 ich bin Friede, aber ob ichs auch rede, sie sind des Kriegs. 
Wer an Krieg und Vernichtung oder an die Erweiterung seiner Macht denkt, mit dem ist nicht zu reden. Gegen solche Menschen muss ein Staat sich wehren und seine Bewohner schützen. Vielleicht gelingt es später, den einstigen Feind zu „entfeinden“ (P. Lapide) und ihn zu gewinnen. Deutschland ist nach dem 2. Weltkrieg ein gutes Beispiel dafür, wie es durch den Einsatz von Tora-treuen Juden gewonnen werden konnte.

Wie gesagt: Es lohnt sich, die Aufforderungen im ganzen Kapitel 19 zu lesen, die zum einen Ausdruck der Nächsten- und Gottesliebe sind und die dazu beitragen, uns heilig werden zu lassen. In Über-Ein-Stimmung (Yuval Lapide) zu leben mit unserem Gott, unserem König und Vater. Heilig werden wir nicht durch fromme Sprüche, sondern durch das TUN des Willens Gottes.


[1] Für die Hebräischkenner  unter meinen Lesern: Durch das Konversions-Waw vor dem Verb in der Vergangenheit ahawta wird dieses zum Futur gewandelt.

* Ich benutze die Übersetzung Buber/ Rosenzweig, erlaube mir aber, sie zu korrigieren in Absprache mit meinem Mann Yuval Lapide. So korrigieren wir „sollen“, was es im Bibelhebräisch nicht gibt und den Konjunktiv. Einige Worte möchten wir präziser übersetzen, wie z.B. „Schabbat“ statt „Wochenfeiern“. Das große DU ersetzen wir durch „der Ewige“ oder fügen es hinzu. Die besonderen „Buberismen“ wie „königen“ oder „priestern“ erhalten wir selbstverständlich.

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