Schabbat Mikez (Gen. 41,1 – 44,17) am 30. Kislew 5782, 4. Dezember 2021
Die Auslegung beruht in Teilen auf einem Seminar zum Propheten Sacharja mit meinem Mann Yuval.
In der Haftara zur Parascha am Schabbat Chanukka und zur Paraschat Behaalotecha finden sich einige Stellen, die bei Christen sehr bekannt und beliebt sind. Ich möchte sie gerne ein zweites Mal unter einem anderen Blick in den Kontext einordnen und ihre jüdische Sichtweise erklären.
Sacharja tritt als Prophet am Ende des Babylonischen Exils auf und ruft zur Heimkehr auf. Wir erfahren Angaben zur Zeit seines Auftretens in
Sach. 1,1 In der achten Mondneuung im zweiten Jahr des Darius geschah SEINE Rede zu Secharja Sohn Berechjas Sohns Iddos, dem Künder, im Spruch: … 3 nun aber sprich zu ihnen: So hat ER der Umscharte gesprochen: Kehret um zu mir, ist SEIN des Umscharten Erlauten, und ich kehre um zu euch.
Die Botschaft Gottes geschieht an ihn im 2. Jahr des Königs Darius, des Persischen Königs, also etwa im Jahr 520 v.d.Z. Sacharja זְכַרְיָה heißt Gott gedenkt, Gott erinnert von זָכַר sachar er erinnerte. Gott gedenkt an Sein Volk im Exil.
Sein Vater hieß Berechja בֶּרֶכְיָה = Gott segnet, Gott schüttet sein Füllhorn aus von בְּרָכָה bracha = Segen. In diesem Segen darf Sacharja weitermachen und ihn seinem Volk Israel übermitteln.
Sein Großvater war Iddo עִדּוֹ = zu seiner (Gottes) Zeit von עִדָּן idan = Epoche, Zeitalter oder Gottes Zeuge עֵד ed. Die Bibel stellt eine Familienkontinuität durch die Vorfahren, die damals noch bekannt waren, her, und die Sacharja legitimieren, ein Prophet, ein Nawi zu sein.
Sacharja ist aus gutem Hause und wird nicht aggressiv, auch wenn er die Polarität Gottes darstellt. Er tritt auf im 2. Jahr im Monat Schwat (11. Monat) am 24. (כד). Die Quersumme aus 11 = 2 sowie das 2. Jahr beinhalten die Bedeutung der Polarität des Aufbruchs, 11 als 2×1 gelesen, weist auf den Einen Gott hin. 24 ist der Zahlenwert des Wortes kad כד = Krug und steht für die Fülle. Aus diesem Krug tränkten die Frauen der Bibel Männer wie Elieser oder Jakob.
Sacharja zeigt das Ende des Exils und den Neuanfang sowie das Ende der Zeiten als eschatologischen Hinweis. Darum benutzt der Prophet Bilder, damit diese im Hörer weiter wirken. Über die Bilder muss man nachdenken und es brennt sich mehr in den Hörenden ein. Worte dagegen verpuffen schnell.
Zu Beginn des 2. Kapitels spricht Gott von der Wiedererwählung Jerusalems, von der Mauer, die nicht mehr nötig sein wird, weil Gott selbst seine feurige Mauer um die Stadt sein wird. Zudem wird Jerusalem so bevölkert sein, dass es die Grenzen der Mauer sprengt.
Sach. 2,14 Jauchze, freue dich, Tochter Zion, denn da komme ich, daß ich einwohne שָׁכַנְתִּי schachanti dir inmitten, ist SEIN Erlauten.
Die Beziehung zu Gott wird als Kindschaftsverhältnis Israels dargestellt, nämlich als Tochter, während Hosea von einer Mann-Frau-Beziehung spricht oder von Israel als Sohn. Diese Bilder brauchen die Menschen, damit sie Gott als nah und nahbar erleben können.
Im Islam wird die Vaterschaft Gottes radikal abgelehnt, wie uns in Israel ein Imam erklärte, weil Gott dort nicht vermenschlicht und als geschlechtliches Wesen gesehen werden darf. Jeglichen Anthropomorphismus lehnt der Islam ab, damit der Monotheismus nicht im Geringsten gefährdet wird. Dagegen ist der jüdisch-christliche Gott ganzheitlich: Mutter, Vater, Liebhaber sowie Kämpfer und Richter, obwohl ER in den Glaubensartikeln des Maimonides als körperlos dargestellt wird. Der Glaube an den unsichtbaren, transparenten Gott behindert nicht die Vorstellung von einem Gott, der uns in menschlich verstehbarer Weise vertraut ist.
Worüber kann sich Israel, die Tochter Zion, jetzt freuen? Dass Gott Seine Gegenwart wieder inmitten Seines Volkes wohnen lassen wird! Seine Schechina, Seine Einwohnung ist wieder bei dem geliebten Eigentumsvolk. ER selbst erwählte Jerusalem erneut, um Seinen Kindern nahe zu sein. Der Abstand ist vorbei! Gott selbst kommt zu Seiner geliebten, niemals verstoßenen Tochter!
Im nächsten Vers wird der Partikularismus zugunsten des Universalismus überwunden: Die gesamt Weltgemeinschaft wird gemeinsam mit Israel Gottes Volk sein. Israel wird seine Sonderstellung aufgeben, doch bis dahin hat es die verantwortungsvolle Aufgabe, Zeugnis für Gott abzulegen, Sein Wort zu verbreiten. Doch Seine Wohnung unter Seinem Volk Israel gibt Gott nicht auf.
ER fügt die Heerscharen zusammen, um ein friedliches Gebilde zu schaffen. Jedoch wird ER die Karten jederzeit neu mischen, sollten sich Völker überheben. Das bedeutet der Name Zebaoth צְבָאוֹת = Heerscharen. Und Menschen müssen erkennen, dass sie nichts in der Hand haben, besonders nicht Gott.
Gott ist der Eigentümer der ganzen Schöpfung. IHM gehört alles! Weder Juden noch Christen noch Muslime haben Recht auf geografischen Größenwahn. IHM gehört alles, was ER uns als den Gästen auf der Erden leiht. Darum muss die gesamte Schöpfung still sein vor IHM. Gott hat das Wort und ER will gehört werden. Die Worte der Menschen sind unverständig und böse. Sie müssen schweigen.
Pred. 5,1 Nimmer haste mit deinem Mund, und dein Herz eile nicht, zu Gottes Antlitz hin Rede hervorzubringen, denn Gott ist im Himmel und du bist auf der Erde, darum sei deiner Rede wenig. 2 Denn »mit vielem Geschäft kommt der Traum und die Stimme des Toren mit vielem Gerede«.
Gott will einziehen, von Seiner oberen Stätte ausziehen in Seine untere Stätte und dort Wohnung nehmen. Menschen mit gutem Herzen müssen IHM eine Heimstätte geben, das sagt uns der bisherige Text.
Die Umbruchszeit vor der Rückkehr löste widersprüchliche Gefühle in den Exilanten aus. 539 v.d.Z. erhielten sie das Edikt des Königs Kyrus, der von Gott als Sein Gesalbter, also Sein Messias מְשִׁיחוֹ meschicho angesprochen wird (Jes. 45,1). Kyrus sichert den Juden die Rückkehr in ihr Land zu. Dabei hatten sich die Juden mittlerweile etabliert und waren unsicher, ob sie bleiben oder wieder gehen sollten. Sie hatten auf Jeremias Anweisung gehört und das Exilland sowohl praktisch als auch im Gebet unterstützt und selber Karriere gemacht. Immerhin lag in Jerusalem noch der Tempel in Schutt und Asche. Doch auch Esra und Nehemia drängten die Menschen zur Rückkehr.
Schließlich nur blieb eine Minderheit in Babylonien. Es war eine Zerreißprobe zwischen Gefühl und Verstand. Der berühmte Babylonische Talmud entstand hier und Lernstuben etablierten sich. Aber der Verstand sagte immer, dass Juden nach Kanaan, das von Gott verheißene Land, gehören.
Heute ist die Situation vergleichbar mit Juden in Amerika, denen es dort sehr gut geht. Sie sind anerkannt, können koscher leben und sind finanziell gut ausgestattet. Darum spenden sie viel Geld nach Israel, damit sie das jüdische Land unterstützen, aber nicht durch Alija עֲלִיָּה, durch Einwanderung, wörtlich „Aufstieg nach Israel“. Wer dennoch ins Land Israel kommt, ist strenger Zionist oder finanziell und emotional ungebunden, vielleicht auch ein Abenteurer.
Kapitel 3 nimmt uns in ein visionäres Geschehen mit hinein. Jehoschua יְהוֹשֻׁעַ = ER wird retten war der letzte Hohepriester vor dem Exil. Gott will, dass alles rechtlich korrekt zugeht, weshalb Gott den Satan שָּׂטָן = Hinderer einschaltet als den Advokatus Diaboli (Ankläger) und den Engel als Advokatus Angeli (Verteidiger). Die Anklage des Satans wird nicht genannt, aber er könnte den Priester als dreckigen und sündigen Kerl verklagen. So kann der doch kein Vorbild sein! Diese harten Worte werden dem Volk erspart. Dafür schilt Gott den Satan, der nur auf das Äußere sieht und macht Satan damit lächerlich. Jemand, der schmutzige Kleider hat, kann sich waschen und kann sich neu kleiden. Das Äußere ist unwichtig gegenüber dem Inneren. Das sollen auch diejenigen lernen, die in Babylonien bleiben und sich ihre Hände nicht schmutzig machen wollen.
Sach. 3,2 ER aber sprach zum Hinderer – ER verschelte dich, Hinderer, ER verschelte dich, der Jerusalem wählt – : Ist dieses nicht ein Scheit, aus dem Feuer gerettet?!
Israel ist bis heute „das Scheit aus dem Feuer“. Auch die Überlebenden von Auschwitz waren nur „ein Scheit aus dem Feuer“. Die wenigen Übriggebliebenen bauten den Staat wieder auf.
Das Scheit kann sich in unserem Text auf „diesen“ einzelnen Mann wie auch auf „diesen Rest des Volkes“ als Gesamtheit beziehen. Ein Rest blieb sogar während des Exils im Land Kanaan, quasi als Unterpfand für die Rückkehr ganz Israels. Besonders die Priester hatten keine Aufgabe im Ausland, denn sie waren ausschließlich für den Tempeldienst berufen.
Jehoschua repräsentiert alle sündigen Juden, die in Jerusalem geblieben sind und die Gott durch Sein vergebendes Wort und den Wechsel der Kleider allein erlösen wird. Solche Macht hat Gott – und nur ER! Der Tanach personalisiert das Volk Israel durch Begriffe wie „Tochter Zion“ oder „Sohn“ oder „Jungfrau“, um die Nähe und Liebe zu diesem Volk hervorzuheben, das immer wieder Gottes Errettung erfährt, so wie es der Name des Hohepriesters ausdrückt. Gott hat Sein Volk erwählt, und diese Erwählung ist unumkehrbar! Dagegen kann auch der Satan nichts ausrichten und nicht der Hass der Völker!
Gott weiß, dass auch dieser Hohepriester gesündigt hat. Aber nach 70 Jahren vergibt ER und reinigt ihn von den schmutzigen Kleidern und von seinen Sünden. Gott lässt die Kleider seines Hohepriesters erneuern, damit sie wieder die Ehrengewänder werden, die ER Mose für Einkleidung der Priester und des Hohepriesters aufgetragen hatte (Ex. 28, 30ff). Jehoschua wird wieder neu eingekleidet und neu eingesetzt durch Gott, der erwählt, vergibt und reinigt.
Sach. 3,8 Höre doch, Jehoschua, Großpriester, du und deine Genossen, die vor dir sitzen – sie sind ja Männer des Erweises – : Ja, wohlan, ich lasse kommen meinen Knecht »Sproß«.
Der oberste Gott, der Heeresführer, gibt dem Hohepriester, seinen Nachfolgern und Mitbediensteten eine neue Chance. ER beruft sie zum Zeugnis. Sie bekommen eine neue Bedeutung und eine neue Wichtigkeit. Jehoschua darf wieder in die Vorhöfe und ins Heiligtum treten und seinen Dienst versehen. Was Gott den Kindern Israel nahm, will ER ihnen nun wieder geben, nachdem sie äußerlich gereinigt sind und selber zu innerer Reinigung bereit sind.
Der „Spross“ ist ein eschatologischer Ausblick auf den Spross aus dem Haus Davids, den Gesalbten der Endzeit, den Maschiach. Sacharja lässt die Visionen der verschiedenen Epochen zusammenfließen.
Sach. 3,9 Ja, siehe, der Stein הִנֵּה הָאֶבֶן hine ha‘ewen, den ich vor Jehoschua hin gebe, auf dem einen Stein sieben Augen, ich selber, wohlan, steche ihm dem Siegelstich ein, Erlauten ists von IHM dem Umscharten, weichen lasse ich den Fehl jenes Landes an Einem Tag.
הָאֶבֶן ha’ewen = der Stein ist ein Gegenstand zum Erbauen, hier in erster Linie des Tempels. Er hat zusätzlich mit Weisheit zu tun, denn אָבִין awin heißt ich werde verstehen, Einsicht erlangen. Das Wort אִבָּנֶה ibane benutzt Sarai, als sie Abram ihr Magd Hagar gibt. Sie hofft, durch Hagar „bekindet“ oder „erbaut“ zu werden (Gen. 16,2). Ein Sohn בֵּן ben oder Töchter בנות banot haben ebenfalls die Bedeutung, eine Familie zu bauen oder durch sie als Eltern erbaut zu werden.
Die 7 Augen weisen zurück auf die 70 Jahre am Beginn des Buches. Gott selbst gibt den Stein für den Bau des Tempels. Mit Seinem Geist baut Gott den Tempel, nicht Menschen, was durch die Gravur, den Siegelstich ausgedrückt ist. Gott ist der Steinmetz; ER nimmt die Schuld und steht über aller Arroganz der Menschen. ER sieht mit den 7 Augen in die Tiefe, ER hat den vollkommenen Durchblick in die Herzen der Menschen. Das ist bis heute so und die Bedeutung der Zahl 7.
Sach. 3,10 An jenem Tag, Erlauten ne’um נְאֻםists von IHM dem Umscharten, rufet ihr jedermann seinen Genossen unter den Weinstock, unter den Feigenbaum.
Ne’um נְאֻם ist das höchste, autoritative Erlauten Gottes. Der Weinstock steht für Israel und bedeutet Frieden und Ruhe nach harter Arbeit. Der Feigenbaum steht für die Korrektur für den Ungehorsam im Garten Eden. Die Dualität wird zur Einheit. Die Einheit von Diaspora und Exil wird kommen, wenn alle zurückkehren.
In den nächsten Versen aus Kapitel 4 finden wir einmal den Bezug zur Parascha, in der es um die Träume des Pharao geht und die Jossef deutet. Der Engel Gottes kommt und weckt den Propheten auf, wie man einen Schlafenden weckt. Dabei wird für den Leser nicht klar, ob die folgenden Verse nicht doch von einer Traumvision sprechen.
Sach. 4,2 Er sprach zu mir: Was siehst du? Ich sprach: Ich habe gesehn, da, ein Leuchter, golden ganz, und seine Kugelampel ihm zuhäupten, und seine sieben Lichte darauf: sieben, und sieben Gießrohre für die Lichte, die ihm zuhäupten waren, 3 und zwei Ölbäume daran, einer zur Rechten der Ampel und einer an ihrer Linken.
Was hier beschrieben wird, kennen die Leser sicherlich als Staatswappen Israels: den Leuchter zwischen zwei Ölbäumen.
Sacharja versteht die Vision nicht, doch Gottes Antwort ist:
Sach. 4,6 Er entgegnete, er sprach zu mir, sprach: Dies ist SEINE Rede zu Serubbabel, der Spruch: Nicht durch Macht und nicht durch Kraft, sondern durch meinen Geistbraus! hat ER der Umscharte gesprochen.
Gott wird durch Seinen Geist den Tempel und den Tempeldienst erneuern. ER baut den Tempel und schenkt das Öl für den Leuchter ohne menschliche, harte Arbeit. Es wird zur Korrektur der Vertreibung aus dem Paradies kommen, und der Mensch wird nicht mehr im „im Schweiß seines Antlitzes“ (Gen. 3,19) den Boden bebauen und die Früchte ernten und pressen. Gott selbst macht die Erde dem Menschen wieder dienstbar und lässt das Öl für den Leuchter in ihn hineinfließen. Das ist ein verstärktes Ölwunder von Chanukka!
Sach. 4,7 Wer bist du, großer Berg! vor Serubbabel zur Ebne! Hervor holt er den Giebelstein, – Jubelrufe: Gnade, Gnade חֵן chen dem!
Jedes Problem, vor dem Serubbabel steht, wird zergehen und zerfallen zu einem ebenen Weg. Der Problemberg wird vielmehr zum Schlussstein werden beim Bau des Tempels. So wie es Jesaja ankündigte:
Jes. 54,10 Ja denn, die Berge mögen weichen, die Hügel mögen wanken, meine Wohltat weicht nicht von dir, der Bund meines Friedens wankt nicht, hat dein Erbarmer, ER, gesprochen.
Verkörperte Jehoschua das kleine Heimatjudentum des Landes und das religiöse Oberhaupt, so ist Serubbabel der Vertreter des Diasporajudentums und der weltliche Befehlshaber. Er hat die Zusage Gottes, sodass er über Seine große Gnade wird jubeln können.
Die zuversichtliche Stimmung bleibt: Tochter Zion, jauchze, freue dich!