MEINE Gedanken sind höher als eure Gedanken

Predigttext vorgeschlagen für Sonntag, d. 12.02.2023

6 Suchet IHN, da er sich finden läßt! rufet ihn an, da er nah ist! 7 Der Frevler verlasse seinen Weg, der Mann des Args seine Planungen, er kehre um zu IHM, und er wird sich sein erbarmen, zu unserem Gott, denn groß ist er im Verzeihn. 8 Denn: »Nicht sind meine Planungen eure Planungen, nicht eure Wege meine Wege.« ist SEIN Erlauten. 9 Denn: »Hoch der Himmel über der Erde, so hoch meine Wege über euren Wegen, mein Planen über eurem Planen.« 10 Denn: – Gleichwie der Regen und der Schnee vom Himmel niedersinkt und kehrt dorthin nicht zurück, er habe denn erst die Erde durchfeuchtet, sie gebären, sie sprossen lassen, dem Säenden Samen gegeben, dem Essenden Brot, 11 so geschiehts mit meiner Rede, die aus meinem Munde fährt, fruchtleer nicht kehrt sie wieder zu mir: sie habe denn getan, was mein Wille war, geraten lassen, wozu ich sie sandte. – 12 Ja denn, in Freuden fahret ihr aus, in Frieden werdet ihr hergebracht, (die Berge und die Hügel brechen vor euch in Jubel aus, alle Bäume des Feldes klatschen in die Hände. 13 Anstatt des Kameldorns steigt der Wacholder, anstatt der Nessel steigt die Myrte. Das wird IHM zu einem Namensmal, zu einem Zeichen für Weltzeit, das nie ausgerodet wird.)

Die Schrift, Martin Buber/ Franz Rosenzweig

Über Jesaja Jeschajahu יְשַׁעְיָהוּ = ER wird retten, erlösen spricht Gott an dieser Stelle alle Menschen an, Juden wie Heiden. ER lockt sie zu Seiner Quelle, so wie auch dieser Blog zur Quelle, zu den Wurzeln locken will, zum unverfälschten Wort und Ruf Gottes. Milch und Wein soll den Menschen erfreuen. Laut Raschi ist mit dem Wasser die Tora gemeint, und die Lehre und das Lernen werden als wertvoller angesehen als Wein und Milch. (V1) Gott ruft, denn ER möchte unserer Seele Gutes tun, sie erquicken und neu aufleben lassen.

Den Juden werden so die Gnadengaben Davids und ein ewiger Bund zugesichert (V3), doch das hat zum großen Ziel, dass alle Völker der Welt, und seien sie noch so fern und unbekannt, durch das Vorbild Israels zu Gott finden. Gottes Herz brennt danach, alle Menschen zu gewinnen, denn alle Menschen sind Seine Geschöpfe. ER sehnt sich nach jedem von ihnen. Dazu erwählte ER Israel, damit dieses Volk Zeugnis von dem mächtigen und ewigen Schöpfergott gibt. Der Ewige gewinnt Menschen durch Menschen, Heiden durch Juden. Und dann, so Pinchas Lapide, würden Juden ihre Erwählung überflüssig machen, da alle Erdenbürger den EINEN Gott erkannten.

Noch erklingt der Ruf: Suchet IHN, da er sich finden läßt! Es gibt also eine Zeit, in der Gott sich leicht finden lässt; eine Zeit, da Gott den Menschen besonders nahe ist, wo ER noch kein Urteil verkündet, wie Raschi betont. Diese Nähe Gottes ist dann zu spüren und zu erkennen, wenn der Gottlose seinen Weg verlässt.

Der רָשָׁע Rascha ist der schlimmste Sünder, laut Buber der Frevler, denn er lehnt Gott ab und lehnt sich gegen den Willen Gottes auf. In einer solchen Haltung kann er die Güte Gottes nicht erkennen. Der אִישׁ אָוֶן Isch Awen hat die Nichtigkeit zu seinem Lebensinhalt gemacht und tut darum Übles. Erst muss ein jeder eine derartige Einstellung aufgeben, um seinerseits den Ruf Gottes hören und darauf antworten zu können. Durch Umkehr machen es der Gottlose und der Übeltäter Gott möglich, sich ihnen mit Barmherzigkeit zuzuwenden und ihnen Vergebung für die Ablehnung und all die bösen Taten, die daraus entstanden, zu gewähren.

Gott ist immer bereit, zu vergeben. SEINE Liebe zu SEINEN Geschöpfen drängt IHN dazu. IHM ist die Vergebung ein Leichtes, denn dazu bedarf ER keiner Opfer. Was Gott sucht, sind Buße und Reue, also aufrichtige Teschuwa תְּשׁוּבָה = Umkehr zu IHM. Da Teschuwa gleichzeitig Antwort heißt, sucht ER die „verantwortende Antwort“, wie Buber es ausdrückt, auf Seinen ununterbrochenen Ruf. Dann entflammt Gottes Vergebungsbereitschaft, und der Mensch erfährt die Annahme, nach der er sich sehnte.

Wenn Gott vergibt סְוֹלחַ = ßole’ach, ist damit durchaus die Forderung verbunden, durch Taten sein eigenes Leben in Ordnung zu bringen oder Wiedergutmachung dem Nächsten zu gewähren, der Schaden erlitt. Maimonides erläutert in seiner Lehre von der Umkehr, dass das Bekenntnis der Schuld allein nicht ausreicht, sondern guten Taten des reumütigen Sünders für das Opfer der Vergehen erforderlich sind. Dagegen heißt לִמְחוֹל limch’ol verzeihen und bedeutet eher, dass durch das Verzeihen der Sünde keine Rechnung mehr offen ist, doch das steht an dieser Stelle nicht. Verantwortung hat eben auch damit zu tun, dass man für seine begangenen Sünden einsteht.

Die Verse 8+9, die mit „Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, …“ beginnen, benutzen wir Menschen immer wieder in Situationen, in denen wir uns hilflos fühlen, für Ereignisse, für die wir keine Erklärung und Antwort finden. Aktuell geht es uns so mit dem schrecklichen Erdbeben in der Türkei und Syrien. Warum? Wozu diese Verwüstung, dieser Tod, der zu nachtschlafender Zeit kam? Warum? Wozu dieses Leid der Menschen, die schon genug Leid durch den Bürgerkrieg erlebten und nun in der Kälte um ihr Überleben kämpfen? Was will Gott uns damit sagen? Was sollen wir lernen? Ist das Leid von Kindern und Alten, von Kinder und deren Eltern, die verwaisen, nicht überaus grausam?

Gott lässt sich von uns nicht erfassen. Wüssten wir auf alles eine Antwort, wäre Gott nicht Gott. Von Isaac Newton stammt der Ausspruch: „Was wir von Gott wissen, ist ein Tropfen und was wir von Gott nicht wissen, ist ein Ozean.“ IHN und Seine Pläne zu verstehen, können wir uns noch weniger anmaßen.

Jesaja spricht mit dem bekannten und viel zitierten Satz in Katastrophen herein. Die Kinder Israel fragen ebenfalls: „Wozu?“ Gott fordert Seine eigene Souveränität ein. ER hat seine Pläne und den Überblick über alles. Wir dürfen vor Gott klagen, aber ihm Vorwürfe zu machen, ist unnütz. Es gibt eine Weisheit von Gott, die uns nicht zugänglich ist. Selbst wenn Gott uns Dinge sagen oder erklären würde, könnten wir Menschen es mit unserem Gehirn nicht begreifen. Der Schöpfer muss sich uns gegenüber nicht legitimieren. An uns ist es, dass wir uns Gott unterordnen, dass wir demütig und dankbar sind.

„Das heißt, dass es eine Unterscheidung und einen Unterschied gibt, Vorteile und Überlegenheit in Meinen Wegen mehr als in deinen Wegen und in Meinen Gedanken mehr als deinen Gedanken, da die Himmel höher sind als die Erde; du bist fest entschlossen, gegen Mich zu rebellieren, während Ich fest entschlossen bin, dich zurückzubringen. „Denn Meine Gedanken sind nicht deine Gedanken“: Meine und deine sind nicht gleich; darum sage Ich zu euch: „Der Gottlose wird seinen Weg aufgeben“ und Meinen Weg annehmen…“, so heißt es bei Raschi. Weiter legt er aus:
„Meine Gesetze sind nicht wie die Gesetze des Menschen. Was euch betrifft, wer im Gericht gesteht, wird für schuldig befunden, aber was mich betrifft, wird jedem, der gesteht und seinen bösen Weg aufgibt, Gnade gewährt (Sprüche 28:13).“
Spr. 28,13 Wer seine Abtrünnigkeiten verhüllt, dem gelingts nicht, wer aber bekennt und läßt, findet Erbarmen.

Und damit verweist Raschi uns darauf, dass in den Versen, die diesen Vielzitierten vorangehen, die Vergebung der Sünder Thema war. So öffnet sich mir ein ergänzendes Verständnis: In unserem Alltag begegnen uns viele Menschen. Einige von ihnen sind unter Umständen an uns schuldig geworden, haben uns tief verletzt. Wenn wir gewahr werden, dass Gott ihnen Barmherzigkeit widerfahren lässt, dass ER ihnen vergibt, müssen wir dann nicht auch Gottes Wege, Gottes Pläne akzeptieren? Müssen wir dann nicht Gott zutrauen, dass ER in dem Menschen mehr Potential sieht, als wir es aufgrund unserer Verletzungen können? Gott sieht weiter, über unsere Pläne, Vorhaben und Vorlieben hinweg. ER sieht das ganze gewobene Bild, von dem wir nur die unklare Rückseite mit vielen scheinbar verworrenen Fäden sehen.

Gottes Vergeben, Gottes Barmherzigkeit und Liebe können wir weder begreifen noch verstehen. Gottes Eigenschaften, von denen 13 aufgezählt werden, stehen in
Ex. 34,6 ER ER Gottheit, erbarmend, gönnend, langmütig, reich an Huld und Treue, 7 bewahrend Huld ins tausendste, tragend Fehl Abtrünnigkeit Versündigung, straffrei nur freiläßt er nicht, zuordnend Fehl von Vätern ihnen an Söhnen und an Sohnessöhnen, am dritten und vierten Glied.
Sie sind zu hoch für uns kleine, vergängliche Menschen. Sie sind wie das Wort Gottes, das uns diese Güte verkündet. Mit Regen und Schnee ist Sein Wort vergleichbar, deren Herkunft wir heute erklären können, deren Wirkung uns aber immer wieder aufs Neue staunen lässt. Durch sie bringt die Erde Frucht und Nahrung hervor; neues Leben entsteht. Erst, wenn Regen und Schnee ihre Aufgabe gänzlich vollbracht haben, können sie wieder im Dunst aufsteigen in die Höhen Gottes.

Laut Raschi bedeutet das: „… und es kehre nicht leer zurück, sondern tue dir Gutes. So soll mein Wort sein, das aus meinem Munde kommt: euch zu belehren durch die Propheten, es wird nicht leer zurückkommen, sondern euch wohltun, wenn ihr sie beachtet.“

Gottes Wort muss seinen Dienst unter den Menschen tun. Es muss aufrütteln, zurechtbringen, mahnen und trösten. Es muss dem Suchenden den Weg weisen, den Glaubenden bestätigen und ermutigen, den Kranken heilen oder ihn mit Geduld ausstatten. An so vielen Stellen, in so vielen Situationen wirkt Gottes Wort, auch in Krisen und Unglücken. Gottes Wort kehrt nicht leer zurück zu IHM. Es hat Antwort bekommen in der Teschuwa, in der Danksagung, in der Freude derer, die ihren Weg fanden, im Frieden derer, die wieder heimfanden und Frieden schließen konnten mit Mitmenschen oder erlebten Situationen.

So groß ist die Freude am Wort Gottes und seiner Wirkung, dass selbst die geplagte Natur jubelt! Die Natur, die sich momentan aufbäumt gegen Ausbeutung und gegen die Gleichgültigkeit und den Hass der auf ihr lebenden Menschheit, diese Natur wird jubeln, in die Hände klatschen. Nicht länger wird die Erde Dornen und Disteln hervorbringen, wie es das Zeichen Gottes für Adams Ungehorsam war. Nein, die Erde wird am Ende der Tage befriedet sein durch das Wirken Seines Wortes bei Mensch und Natur.

Und das wird ein ewiges Zeugnis für den Namen Gottes sein, der Name, der einzig sein wird, neben dem es keinen anderen Namen geben wird:
Sach. 14,9 An jenem Tag wird ER der Einzige sein und sein Name der einzige.

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