Schabbat, d. 20. Elul 5781; 28. August 2021

כִּי תָבוֹא ki tawo – wenn du kommst in das Land, wenn du, Israel, angekommen bist in deinem Land, deiner neuen Heimat, wo du dein Haus, deine Familie bauen wirst, dann gib deinem Gott von deinem Bekommenen zurück, lass deinen Gott teilhaben an deinem Wohlergehen, für das ER sorgt.
Mach es wie bei einer Anmeldung an einem neuen Wohnort und „melde“ dich bei deinem Gott an, der deine Reise und dein Ankommen gesegnet hat. Bring IHM eine Gabe des Dankes, indem du IHM von den Gaben des Feldes bringst, mit denen ER dich versorgt.

Doch nicht nur das war den Israeliten aufgetragen. Vor dem Priester, dem sie stellvertretend den Korb voller Früchte brachten, erklärten sie:
Dtn. 26,5 Abgeschweifter Aramäer mein Ahnvater, er zog nach Ägypten hinab, er gastete dort, wenige Leute, er wurde dort zu einem Stamm, groß, markig und zahlreich,
Die nun sesshaften Israeliten erinnern sich an Abraham, der auf Geheiß Gottes ein Wandernder war. Er verließ sein Vaterland und durchwanderte das Land, das Gott ihm und seinen Nachkommen geben wollte. In der Sicherheit ihrer Bleibe erinnern sie sich an den, der ihnen dieses Land „er-ging“, Schritt für Schritt wandernd einnahm, das Land, in dem er noch nicht sesshaft werden durfte.
Auch ihr Vorfahr Jakob zog erst mit seiner ganzen Familie während der anhaltenden Hungersnot nach Ägypten, wo er die nächsten 400 Jahre bleiben sollte. Aber er wusste, dass Gott mit ihm hinunter ging nach Ägypten, und dass dieser Gott seine Kinder zurückbringen würde gemäß Seiner Zusage, hinauf nach Kanaan.
Gen. 46,3 Er aber sprach: Ich bin die Gottheit, der Gott deines Vaters. Fürchte dich nimmer, nach Ägypten hinabzuziehen, denn dort mache ich dich zu einem großen Stamm. 4 Ich selber ziehe mit dir nach Ägypten hinab und ich selber bringe dich wieder herauf, ja herauf. 
Auch in die Pessach-Haggada wurde diese Erinnerung aufgenommen, allerdings mit Blick auf Laban, der seinen Schwiegersohn Jakob arglistig hinterging. Dadurch, dass er Jakob zuerst seine Tochter Lea unterschob, verursachte er viel Unglück unter den Frauen und unter deren Kindern. Ihm wird nicht zuletzt durch diese List eine Mitschuld an dem langen Aufenthalt in Ägypten gegeben.

In der Situation unserer Parascha, die Heimat erreicht zu haben, ist ein anhaltender Rückblick in die Geschichte Israels angesagt. Nicht nur die glorreiche Ankunft in Ägypten, sondern auch die Sklavenjahre und das Flehen zu Gott, der die Israeliten mit starkem Arm aus der Tiefe des Leids heraufführte. Gott hatte in Ägypten mit Seinem Volk gelitten, war mit hinabgestiegen und brachte es wieder empor, als die Zeit gekommen war. Und schließlich brachte ER es in das Land, wo Milch und Honig fließen!
Der ganze Weg muss die Aufmerksamkeit der dankbaren Israeliten bekommen, denn nichts ist selbstverständlich, wie es das Lied aus der Pessach-Haggada „Dajenu“ ausdrückt (Zu finden unter diesem Link und der Überschrift: Die Folgen dieser ersten „Fake News“).
Die Gaben werden vor Gott gebracht, um sich vor IHM zu freuen! Es gibt so viel Grund zur Dankbarkeit und zur Freude! Freiheit, Schutz, Orientierung, Nahrung, die Kleidung hielt 40 Jahre! Und im Land des Überflusses wächst und gedeiht es, sodass das Volk keinen Mangel erleidet! Freude für Seine Kinder ist Gottes Wunsch.
Dtn. 26,11 freue dich an all dem Guten, das ER dein Gott dir und deinem Hause gab, du, und der Lewit, und der Gastsasse, der in deinem Innern ist.

So gelten Regeln auch für die Zukunft, in der Israel an die Leviten, die im Dienst Gottes stehen, nicht vergessen werden. Die Witwen und die Waisen werden bei Gott nicht vergessen, doch gibt ER Seinen Kindern den Auftrag zu ihrer Versorgung. Sie sollen Seine Hände sein und ihnen die Gaben bringen, die Gott für sie vorgesehen hat. Gott segnet und gibt, aber Seine Kinder müssen Gott in dieser Welt unterstützen. ER macht nicht alles allein, sondern delegiert Verantwortung. Nur so kann der Feiernde wirklich feiern und sich freuen, wenn er die Benachteiligten nicht vergaß. Nur gemeinsames Feiern erfreut das Herz wirklich.
Dtn. 26,17  IHM hast du dich heuttags anversprochen: dir zum Gott zu sein, – in seinen Wegen zu gehn, seine Gesetze, Gebote und Rechtsgeheiße zu wahren und auf seine Stimme zu hören; 18 und ER hat sich dir heuttags anversprochen: ihm zu einem Sonderguts-Volk zu sein. Wie er dir geredet hat, so: all seine Gebote zu wahren;
So gilt ab jetzt eine gegenseitige Vereinbarung zwischen Gott, der all das Genannte tat, und Israel, das lediglich die Weisungen Gottes befolgen soll als ein besonderes Volk auf Erden.

Als Gedankenstütze baut Israel nach dem Betreten des Landes eine Schlachtstätte, auf deren Steine es die Gebote und Weisungen Gottes aufschreibt. Diese Steine dürfen nicht mit Eisen bearbeitet werden, denn aus Eisen werden Waffen gefertigt. Diese Steine stehen für den Frieden und die Ruhe, die Gott für Sein Volk plant. Sie werden zudem mit Kalk weiß angestrichen, bevor Gottes Wort darauf geschrieben wird.
אֲבָנִים שְׁלֵמוֹת awanim schlemot – aus infriedengelaßnen Steinen, so übersetzt es Buber. Diese Steine strahlen als unbearbeitete Steine den Frieden שָׁלוֹם Schalom aus. Auf ihnen werden שְׁלָמִים schlamim Friedmahle dargebracht, zu denen die Kinder Israel sich niederlassen und
Dtn. 26,7 „iß dort, freue dich vor SEINEM deines Gottes Antlitz;“
Die Freude darf Raum einnehmen, auch über überstandene Kämpfe. Gott bietet Seinem Volk Frieden und Segen an und ein tragfähiges Netz aus Geboten, die es als Gottes Eigentum ausweisen und das Zusammenleben unter den Menschen regelt.

Wieder benennt Mosche den Berg Grisim und den Berg Ebal, die wir aus der Paraschat Re’eh kennen. Auf den Berg Girisim, den Berg der Segnung, beruft er Schimon, den HÖRENDEN und Lewi, den ANHÄNGENDEN und Jehuda, den DANKENDEN und Jissachar, den LOHN GEWINNENDEN und Jossef, den VERMEHRER und Binjamin, den SOHN DER RECHTEN, denn Mosche gebot Israel:
Dtn. 27,10 Höre auf SEINE deines Gottes Stimme,
… hänge Gott dankbar an, dafür wird ER dich belohnen. Vermehre das Gute und den Segen und wandle folge dem rechten Weg
Für den Berg  Ebal, den Berg der Verwünschung beruft er Ruben, den GESEHENE SOHN, Gad, den GLÜCK HABENDEN, und Ascher, den ERÜLLTEN, und Sbulun, den AUFRICHTIGEN, Dan, den URTEILSSPRECHER und Naftali, den WETTKÄMPFER. (Namensbedeutungen in Genesis)
Diese Erfüllten, Aufrichtigen, die Glück haben und gesehen werden, die den Wettkampf auf sich nehmen, können gemeinsam mit dem Richter das Urteil sprechen, wenn Gott den Segen zurücknimmt.

Für nicht eingehaltene Gebote werden die Flüche verkündet, denn sie werden am ehesten ein abschreckendes Beispiel geben. Zumal der Segen für das Gebot: „Ehre Vater und Mutter!“ ohnehin schon bekannt ist. Das Volk bekräftigt alle Flüche bewusst, denn es ist mit all seiner Freude und Dankbarkeit für die gelungene Landnahme Gottes Eigentum geworden.

Doch die Segnungen folgen auf dem Fuß. Diese Worte lesen wir im Gebet zum Ausgang des Schabbat, denn das Einhalten des Schabbat bringt ebenfalls Segen mit sich. Die Worte zeugen von einem umfassenden Segen, der nicht nur Backtrog und Korb, also die nicht fehlende Ernährung umfasst, sondern eine Fülle, mit der Israel anderen Völkern wird leihen können. Es selbst wird es dagegen nicht nötig haben, zu leihen, weil es genügend hat. Auch die Nachkommenschaft ist sicher und die Scheunen voll zur Ernährung der Familie. Gott sorgt für gesichertes Einkommen. Und wenn ein Feind es wagen sollte, Israel anzugreifen, so wird der schnell zerstreut werden und fliehen. Israel bekämpft ihn auf EINEM Weg mit der Kraft des EINEN, aber der Feind flieht auf 7 Wegen, er flieht vollkommen vor Israel!

Nach all den wohltuenden und ermutigenden Segnungen zählt das 28. Kapitel das Gegenteil der Segnungen auf, die zu harten Flüchen werden. Aus dem Land Israel, in dem die Wandernden ihre Heimat fanden, werden sie arm und unter Verlust ihres Ansehens vertrieben werden.
Israel wird mitunter nur als האָרֶץ ha’Arez = das Land bezeichnet, was die innige Beziehung des Volkes zu seinem Land ausdrückt. Der Begriff אָרֶץ Arez = Land hat sprachlich mit לרוץ laruz = laufen oder mit רָצוֹן razon = Willen zu tun. Das Land Israel ist demnach eng verbunden mit dem Willen Gottes. Es wehrt sich, wenn Gottes Wille nicht erfüllt ist; es ist dann in Bewegung.

Dtn. 28,9  ER errichtet dich zu einem heiligen Volk sich, wie er dir zuschwor, wenn du SEINE deines Gottes Gebote wahrst, du in seinen Wegen gehst. 10 Es schauen alle Völker der Erde, daß SEIN Name über dir gerufen ist, sie erschauern vor dir.
Das Land geht konform damit, dass das Volk Israel sich als heiliges Volk erweist, indem es Gottes Geboten folgt, und dass es ein Zeugnis für seinen Gott vor die anderen Völker ist.
Wenn es das nicht tut, ist auch das Land nicht mehr bereit, Frucht zu bringen, weder auf dem Feld noch auf der Weide. Es entzieht sich, Kinder des Volkes zu tragen oder dem Volk Schutz zu gewähren. Dann wird es ohne Ansehen auf der Flucht sein und muss um Zuwendung betteln. Krankheit und Not werden Israel das Leben schwer machen.

Was aber bedeuten die Flüche in letzter Konsequenz? Folgend Geschichte kann uns das erklären:

„Als der Alter Rebbe, Rabbi Schneor Salman von Ljadi, in Ljosna lebte, war er dort am Schabbat der Baal Koreh (der Vorleser des wöchentlichen Tora-Abschnitts). Eines Tages war der Rebbe zu Schabbat Paraschat Ki Tawo verreist und ein anderer Vorleser übernahm seine Aufgabe. Der Sohn des Alten Rebben, Dow Bär, der eines Tages die Nachfolge seines Vaters antreten sollte und zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal Bar Mitzwa war, fiel in Ohnmacht, als er die Flüche hörte, die in dieser Parascha enthalten sind. Der junge Dow Bär wurde so krank, dass es sogar fraglich war, ob er überhaupt am folgenden Jom Kippur hätte fasten können.
Als sein Zustand sich verbesserte, fragte man ihn, warum ihn die Flüche in Paraschat Ki Tawo an diesem Schabbat so viel mehr zusetzten, als noch in den vergangenen Jahren? Er antwortete daraufhin: „Wenn mein Vater die Tora liest, hört man keinerlei Flüche.“ Denn Rabbi Schneor Salman sah in den Flüchen nicht den endgültigen Willen G-ttes. Im Gegenteil, G-tt liebt sein Volk und möchte es in Wahrheit mit Segen überschütten. Die in der Tora enthaltenen Flüche sind insofern nur oberflächlich – in ihnen sind vielmehr Segnungen versteckt, mit denen das jüdische Volk letztendlich belohnt werden wird.“[1]

Chabad Karlsruhe

Die Flüche drücken nicht den endgültigen Willen Gottes aus. Viel wichtiger ist es, in diesen Ankündigungen für den Fall, dass Israel ungehorsam sein würde, Gottes Liebe und ernsthafte Warnungen zu hören. ER möchte am wenigsten, dass die Fälle als Ursache für die Flüche eintreten, denn ER liebt Sein Volk.

Was Gottes Ziel ist, selbst wenn Israel ungehorsam war, zeigt die Trost-Haftara in Jesaja 60:
Jes. 60,1Erhebe dich, werde licht, denn dein Licht ist gekommen, SEIN Ehrenschein, über dir ist er erstrahlt. 2 Denn da hüllt die Finsternis noch die Erde, Wetterdunkel die Nationen, aber über dir strahlt ER auf, sein Ehrenschein läßt über dir sich sehn. 3 Weltstämme gehen in deinem Licht, Könige im Glanz deines Strahlens.

Letztendlich werden alle Völker vom Licht Israels profitieren, dem Volk, dem Gott immer wieder vergibt. Deshalb sollten sie sich niemals überheben.

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https://www.synagoge-karlsruhe.de/templates/articlecco_cdo/aid/445134/jewish/Spende.htm


[1] https://www.synagoge-karlsruhe.de/parshah/article_cdo/aid/3045986/jewish/Der-Segen-hinter-dem-Fluch.htm

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