V13 Und sie nannte den Namen des EWIGEN, der mit ihr redete: Du bist der El-Roi. Denn, sprach sie, wahrlich, hier habe ich dem nachgeschaut, der mich erschaute.

1 Ssarai, Abrams Weib, hatte ihm nicht geboren. Sie hatte aber eine ägyptische Magd, ihr Name war Hagar. 2 Ssarai sprach zu Abram: Da ER mich doch versperrte fürs Gebären, geh doch ein zu meiner Magd, vielleicht, daß ich aus ihr bekindet werde. Abraham hörte auf die Stimme Ssarais. 3 Ssarai, Abrams Weib, nahm Hagar die Ägypterin, ihre Magd, nach Ablauf von zehn Jahren, die Abram im Lande Kanaan siedelte, und gab sie Abram, ihrem Mann, ihm zum Weib. 4 Er ging ein zu Hagar, und sie wurde schwanger. Als sie aber sah, daß sie schwanger war, wurde ihre Herrin gering in ihren Augen. 5 Ssarai sprach zu Abram: Über dich meine Unbill! Selber gab ich meine Magd in deinen Schoß, nun sie sieht, daß sie schwanger ist, bin ich in ihren Augen gering geworden. Richte ER zwischen mir und dir! 6 Abram sprach zu Ssarai: Da, deine Magd ist in deiner Hand, tu mit ihr was deinen Augen gutdünkt. Ssarai drückte sie. Sie aber entfloh ihr. 7 SEIN Bote fand sie am Wasserquell in der Wüste, am Quell auf dem Wege nach Schur. 8 Er sprach: Hagar, Ssarais Magd, woher bist du gekommen, wo ziehst du hin? Sie sprach: Vor meiner Herrin Ssarai bin ich flüchtig. 9 SEIN Bote sprach zu ihr: Kehre zu deiner Herrin und drücke dich unter ihre Hände! 10 SEIN Bote sprach zu ihr: Mehren will ich, mehren deinen Samen, er werde nicht gezählt vor Menge. 11 SEIN Bote sprach zu ihr: Da, schwanger bist du, gebären wirst du einen Sohn, seinen Namen rufe: Jischmael, Gott erhört, denn erhört hat ER deinen Druck. 12 Ein Wildeselmensch wird der, seine Hand wider alle, aller Hand wider ihn, all seinen Brüdern ins Gesicht macht er Wohnung. 13 Sie aber rief SEINEN Namen, des zu ihr Redenden: Du Gott der Sicht! Denn sie sprach: Sah auch wirklich ich hier dem Michsehenden nach? 14 Darum rief man den Brunnen Brunn des Lebenden Michsehenden. Da ist er, zwischen Kadesch und Bared. 15 Hagar gebar dem Abram einen Sohn. Abram rief den Namen seines Sohns, den Hagar gebar: Jischmael. 16 Abram war sechsundachtzig Jahre, als Hagar Abram den Jischmael gebar.

Die Schrift, Buber/ Rosenzweig

Ssarai שָׂרַי = meine Fürstin sieht die Not ihres Mannes Abram אַבְרָם = großer Vater, denn er leidet sehr darunter, keine Nachkommen zu haben. Immerhin ist er schon alt und baut darauf, einen Nachfolger und Erben zu hinterlassen, der sein geistiges Erbe weiterträgt. Hatte Gott ihm das nicht versprochen? Sollte er IHN falsch verstanden haben? Er sollte doch zu Abraham אַבְרָהָם, zum Vater vieler Völker werden.

Ssarai, seine einfühlsame Frau, gibt ihm darum ihre Magd Hagar = von להגר lehager die Emigrierende, die Fremde. Sie ist eine Ägypterin, die die Eheleute aus dem fernen Land mitbrachten. Laut Midrasch war sie eine Prinzessin, die überwältigt war von der Nähe zwischen Ssarai und Gott, sodass ER sie vor Missbrauch bewahrte. Sie ging daraufhin freiwillig mit Ssarai und Abram. Hagar gilt in der jüdischen Tradition als Vorläuferin der Konvertiten mit allen damit einhergehenden Unvollkommenheiten einer adligen, heidnischen Königstochter, die Ssarai und Abram liebevoll in ihr neues Umfeld aufnahmen. Somit bewahrheitete sich der Satz:
Gen. 12,5 Abram nahm Ssarai sein Weib und Lot seinen Brudersohn, …, und die Seelen, die sie sich zu eigen gemacht hatten …
Abram und Ssarai sind ebenfalls מהגרים Mehagraim = Emigranten, die ihre Heimat auf Gottes Ruf hin verließen. Doch sie gehen anders mit ihrer Heimatlosigkeit um, nämlich demütig gegenüber DEM, DER sie rief. Hagar dagegen war sich nicht bewusst, was das Verlassen der Heimat für sie bedeutete. Sie nahm immer ihre heidnische und überhebliche Mentalität als Prinzessin immer mit, ergänzt Yuval.

Ssarais Vorschlag ist sehr liebevoll, denn sie nahm Abrams Wunsch sehr ernst. In der damaligen Gesellschaft war es nicht anstößig, wenn die Magd anstelle ihrer Herrin ein Kind gebar, im Gegenteil. Nur so konnte die Menschheit fortbestehen. Das Kind galt als rechtmäßiger Erbe und Nachfolger des Ehepaares. Auf diese Weise kam eine verheiratete, unfruchtbare Frau zu Kindern und ihr Ansehen blieb gewahrt.

Was aber hier geschieht, verstößt gegen jedwede Etikette und jeden Anstand. Die Magd, die nun ein Kind ihres Gebieters  erwartete, sah ihre Besitzerin abschätzig an. Sie verliert jeden Respekt vor Ssarai, obwohl sie genau weiß, dass sie das Kind für ihre Herrin bekommen wird. Rein rechtlich wird es ihr gehören und sie, Hagar, wird Magd und Kindermädchen bleiben. Trotzdem wird sie überheblich und arrogant.

Ssarai, die weniger unter der Kinderlosigkeit gelitten hatte als Abram, leidet nun unter ihrer unverschämten, hochmütig gewordenen Magd. Sie erbittet Abrams Hilfe, doch der hält sich aus der Angelegenheit der Frauen heraus. Dabei geht ihn die ganze Sache sehr wohl etwas an. Abram steht hier nicht an der Seite seiner Frau. So versucht sie es mit Strenge, um Hagar wieder Respekt zu lehren.

Doch was macht Hagar? Sie flieht vor Ssarai und entzieht sich ihrer Autorität. Meint sie, damit sei das Thema erledigt? Genau in dieser Situation sieht sie der Engel Gottes. ER stellt ihr zwei Fragen: Woher bist du gekommen, wo ziehst du hin?

Weiß Gott das etwa nicht? ER fragt wie bei Adam:
Gen. 3,9 ER, Gott, rief den Menschen an und sprach zu ihm: Wo bist du?
Gott konfrontiert Adam mit seinem Versagen und erlaubt ihm damit nicht, sich zu verstecken. ER möchte mit Adam ins Gespräch kommen, Worte der Einsicht hören, aber Sein erstes Geschöpf redet sich raus, zeigt mit dem Finger auf seine Frau.

Gott fragt wie bei Kain:
Gen. 4,9 ER sprach zu Kajin: Wo ist Habel dein Bruder?
Doch Kain redet sich raus, übernimmt keine Verantwortung, als wüsste der Fragesteller nicht, was geschehen ist. Auch von ihm hört Gott keine Worte der Reue und Einsicht.

Genauso fragt Gott nun Hagar und übernimmt die Aufgabe Abrams. Der Ewige will mit ihr ins Gespräch kommen, möchte sie zum Nachdenken und zur Einsicht bringen. Durch die Anrede gibt ER ihr zu verstehen, dass ER die Flüchtende genau kennt:
V8 Hagar, Ssarais Magd, woher bist du gekommen, wo ziehst du hin?

Hagar gibt selbstsicher zu, sie sei von ihrer Herrin geflohen. Erhofft sie sich Verständnis? Weit gefehlt, denn der Ewige schickt sie zurück, als Magd weiterhin unter strenger Hand zu dienen.

Ist das nicht ungerecht? Gerade als Schwangere soll sie zurückkehren zu ihrer Gebieterin und sich ihr unterordnen? Doch gerade weil Gott noch Pläne mit Hagar hat, schickt ER sie zuerst in die Schule ihrer Herrin, so wie ER Jaakow und Jossef in eine harte Lebensschule schickte. Auch wenn Gott der Magd keine Vorhaltungen macht, ist ER nicht einverstanden mit ihrer Überheblichkeit Ssarai gegenüber, die die Stammmutter des jüdischen Volkes werden wird. Einer Fürstin gebührt Respekt, und für ihre Schwangerschaft kann Hagar nur dem Höchsten danken, der sie mit hineinnimmt in die Geschichte des werdenden Volkes, das ER sich erwählen wird als Licht für die Völker, als Zeugen für den EINEN Gott. Hagar bedarf des Lernens und der Reifung, bis Gott mit ihr weitergehen kann.

Jischmael יִשְׁמָעֵאל bekommt einen sehr schönen Namen, der bereits auf das Schma Jisrael hinweist: Gott wird hören. ER hörte schon jetzt die Not der Magd, wenngleich ihre Zeit, Herrin zu sein, noch nicht gekommen ist. Die Zeit wird kommen, wenn sich der Segen, den sie erhielt, bewahrheiten wird und ihre Nachkommen sich zu einer unzählbaren Menge vermehren werden. Sie muss lernen, dass Lehrjahre keine Herrenjahre sind, und dass Gott festlegt, wann die Lehrjahre bei IHM vorüber sein werden.

Gott sah Hagar und sprach zu ihr durch Seinen Boten. Nach all den Worten der Ermutigung ist sie dankbar für diese Ansprache und für dieses Gesehen werden. Die erzieherischen Worte hatte sie gebraucht, denn sie war nicht bereit, sich von Ssarai und Abram zurechtweisen zu lassen. Dabei ging es ihr doch allezeit vor ihrer Schwangerschaft gut bei dem Ehepaar, das mit einem unsichtbaren Gott lebte und IHN ernst nehmen und verkünden wollte. Der Gott Abrams hatte sie nicht ihrem selbst gewählten Schicksal überlassen, sondern ihr mitgeteilt, dass sie eine Aufgabe zu erfüllen habe.

So rief sie nun voller Staunen SEINEN Namen: Du Gott der Sicht! Denn sie sprach: Sah auch wirklich ich hier dem Michsehenden nach? Den Brunnen, an dem sie sich befand, nannte sie:
Brunn des Lebenden Michsehenden בְּאֵר לַחַי רֹאִי be’er la‘chai ro’i.

Die Jahreslosung begleitet uns nun durch das Jahr 2023. Jeder darf sich die Worte Hagars zu eigen machen und wissen: Der Ewige sieht mich auch in selbstverschuldetem Unglück und hilft mir heraus. ER sieht mich mit meinem Schuldig geworden sein, doch der Gott der Barmherzigkeit und Vergebung macht mir keine Vorhaltungen, aber ER schickt mich unter Umständen zurück in die Schule des Lebens. Nicht, um mich zu quälen, sondern weil ER große Pläne mit mir hat, für die unsere Persönlichkeit reifen und geschliffen werden muss wie ein Diamant. ER sieht mich und verliert mich auf meinem Weg niemals aus den Augen, zumal, wenn ich einen langen und schweren Weg vor mir habe.
Gott kommt mit Seinen Plänen und mit mir an Sein Ziel!

One thought on “Jahreslosung 2023: Der Gott, der mich sieht

  1. Wie immer einfühlsam geschrieben. Mit Respekt und Tiefe. Der wichtige Unterschied: vom WARUM zum WOZU. Nicht wer ist an meinem Unglück schuld, wem kann ich damit Schuld zuschieben, sondern wozu erlebe ich das, woran muss ich reifen.

    Toda raba.

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