empfohlen für Sonntag, d. 19. April 2020

26Erhebt eure Augen zur Höhe und schaut: Wer hat jene geschaffen? Er, der ihr Heer herausführt nach der Zahl, sie alle mit Namen ruft. Ihm, der groß ist an Kraft und stark an Macht, bleibt nicht eines aus. 27Warum denn sagst du, Jakob, und sprichst du, Israel: «Mein Geschick ist dem Herrn verborgen, und mein Recht entgeht meinem Gott»?28Weisst du es nicht; oder hast du es nicht gehört: Ein Ewiger Gott ist der Herr, der die Enden der Erde geschaffen! Er wird nicht müde noch matt, unerforschlich ist seine Einsicht;29er gibt dem Müden Kraft und dem Ohnmächtigen mehrt er die Stärke.30Jünglinge werden müde und matt, Krieger straucheln und fallen;31aber die auf den Herrn harren, empfangen immer neue Kraft, dass ihnen Schwingen wachsen wie Adlern, dass sie laufen und nicht ermatten, dass sie wandeln und nicht müde werden.

Kontextualisierung

Die Verse dieses Predigttextes stehen in einem der sieben Kapitel, die als Trostbotschaft in den sieben Wochen zwischen Tischa beAw und Rosch haSchana in der Synagoge als zweite Lesung nach der Tora gelesen werden.
Das gesamte Kapitel 40 oszilliert zwischen der Trostbotschaft und der Botschaft an das Volk Israel, doch endlich zu erkennen, wie es gegen Gottes Tora sündigt, indem es Götzendienst praktiziert. Der kleine, vergängliche Mensch, der verdorrt wie das Gras des Feldes, geht seinen eigenen Weg, macht sich unabhängig von Gott und Seinem ewig gültigen Wort und wendet sich stattdessen Götzen zu. (V6-8)
Wie im Buch Hiob stellt Gott Fragen, die den Menschen herausfordern, Seine Allmacht zu erkennen, und zwar in der Schöpfung, für die Ihn kein Mensch beraten hat.
Was ist dagegen das Götzenbild, das so ein kleiner Mensch mit seinen Händen aus dem Material der Schöpfung Gottes baute?

Die Größe Gottes

Gottes Aufforderung, die Augen zu erheben, ist die Aufforderung, die Schöpfung bewusst wahrzunehmen. Abram sollte den Himmel anschauen und die Sterne zählen – was unmöglich ist -, nicht um die Sterne zu verehren, sondern um seine Verheißung zu bekommen und den Einen Gott zu verehren. So zahlreich wird deine Nachkommenschaft wie die Sterne am Himmel. (Gen.15)
Der Psalmist weiß: Ps.121,1 Zu den Bergen hebe ich meine Augen: woher wird meine Hilfe kommen? 2 Meine Hilfe ist von IHM her, der Himmel und Erde gemacht hat.
Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat, kennt jedes Seiner Geschöpfe. Er schuf sie nicht nur, Er kennt jeden Stern, wirklich jeden, auch die Gestirne, die wir noch nicht entdeckt haben, mit Namen. Wenn Er Seine Geschöpfe zusammenruft, wird kein einziges fehlen.

Dieser Gott ist ein Gott der Beziehung!

In V21+28 fragt Gott: Wollt ihrs nicht erkennen? הֲלוֹא תֵדְעוּ = halo ted’u
Das hebräische Wort לָדַעַת = lada’at (Infinitiv von ted’u) bedeutet nicht nur „wissen“, sondern „erkennen“ in dem Sinne, wie wir es aus mancher Bibelstelle kennen, in der es heißt: „Er erkannte sein Weib und sie ward schwanger.“
„Erkennen“ fokussiert nicht einfach auf den Geschlechtsverkehr, sondern meint ein tiefes Sich-in-die Seele-blicken. So fragt Gott Sein Volk: Bist du Mir noch nicht so nahe gekommen, dass du die tiefe Beziehung zwischen uns spürst; dass du in so inniger Verbindung mit mir bist, dass nur nach Mir dein Verlangen ist? Ist dir nicht allein durch die faszinierende Schöpfung und das endlose Himmelszelt bewusst geworden, dass es Unsinn ist, das Geschöpf statt des Schöpfers anzubeten?
All diese Innigkeit steckt in diesem kleinen Wort.

Israel vs. Jakob?

In V27 spricht Gott Sein Volk mit zwei Namen an, mit Jakob und mit Israel. Warum tut Er das?
Wir kennen die Geschichte, als Jakob seinen Schwiegervater Laban mit seinen zwei Frauen, seinen elf Söhnen und allem Kleinvieh verlässt. (Benjamin war noch nicht geboren, bei dessen Geburt seine Mutter Rachel sterben wird.) Vor der Begegnung mit seinem Bruder Esau, der ihn nach dem gestohlenen Segen durch Vater Isaak ermorden wollte, kämpfte Jakob am Jabbok mit einem Mann, der ihn an der Hüfte verletzte und ihm den Namen Israel gab.
Gen.32,28 (29) Da sprach er: Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel. Denn du hast mit Gott und mit Menschen gestritten und hast obgesiegt.
Warum werden sehr oft in der Hebräischen Bibel beide Namen des Stammvaters genannt, sowohl zu seinen Lebzeiten als auch später in der Nennung des Volkes Gottes? Abraham wurde nie wieder Abram genannt.
Jakob bedeutet „Fersenhalter; der hintan Stehende“. Israel dagegen bedeutet „Gottesstreiter“, jemand, der für oder mit Gott kämpft.
In unserem Text werden beide Namen genannt, weil die Zerrissenheit, die Polarität und die Zweifel des Volkes beim Namen genannt werden. Zweimalige Nennung mit zwei Namen zeigt die Zweifel!
Das Volk meint, Gott sehe nicht, welchen Weg es geht, geschweige denn wie es ihm geht. Es zweifelt an Gottes Anteilnahme. Es zweifelt, dass Gott ein Interesse an einer integren Beziehung hat. Es zweifelt, dass es von Gott wahrgenommen wird. Es zweifelt, dass Gott sich für sein Ergehen interessiert.
Dieses Volk soll sich über die Erfahrung mit Gott hinaus entwickeln aus der Mentalität eines Jakob, der sich im Hintergrund hält, nur auf das hört, was Dritte fordern. Jakobs Bruder will das Linsengericht
– und er erfindet etwas linkisch einen Handel ums Erstgeburtsrecht; seine Mutter will ihn im Genuss des väterlichen Segens sehen – und er lässt sich verkleiden; seine Mutter schickt ihn zu ihrem Bruder aus Angst vor dem Zorn Esaus – und er macht sich auf den Weg. Sein Onkel kann ihm sogar die falsche Frau unterjubeln – und er dient einfach mal sieben Jahre mehr. Erst die Nacht am Jabbok, die ihn zermürbende Furcht vor dem Bruder, der ihm mit einem riesigen Heer entgegenkommt, stellt ihn in diesen Kampf, aus dem der Mann Gottes ihn siegreich entlässt. Aber auch danach ist er dem Bruder gegenüber immer noch unterwürfig, was zeigt, dass dieser Stammvater sein Leben lang in der Entwicklung steht, zum Streiter für den Höchsten hineinzuwachsen.
Das Volk Israel ist immer wieder in dieser Mentalität, sich nicht klar positionieren zu können, nicht gradlinig und mit ganzem Herzen für Gott einstehen zu können. Es fehlt ihm die oben erklärte Einsicht in die Beziehung, aber ebenso die Einsicht in die Verantwortung für das eigene Ergehen.

Eine Entscheidung ist gefordert

Dtn.30,15 Sieh, gegeben habe ich heuttags vor dich hin das Leben und das Gute, den Tod und das Böse, 16 da ich heuttags dir gebiete, IHN deinen Gott zu lieben, in seinen Wegen zu gehn, seine Gebote, seine Satzungen, seine Rechtsgeheiße zu wahren: leben wirst du, wirst dich mehren, ER dein Gott segnet dich in dem Land, wohin du kommst es zu ererben. 17 Wendet sich aber dein Herz, hörst du nicht, lässest dich absprengen, neigst dich andern Göttern, dienst ihnen, – 18 ich melde euch heuttags, daß ihr dann schwinden, schwinden müßt, nicht werdet ihr Tage längern auf dem Boden, dahin zu kommen du den Jordan überschreitest, ihn zu ererben.
Das Volk weiß seit Mose, dass es zwischen Segen und Segensentzug wählen muss! Dafür ist es verantwortlich! Wenn es den Götzen folgt, kann Gott Sein Volk nicht schützen und nicht segnen, sodass es aus seinem verheißenen Land weggeführt werden wird. Dann wird es nicht siegen gegenüber den Feinden ringsherum. Nur als Kämpfer an der Seite Gottes kann es siegen. Nur in der Verbindung mit Gott sind Israels Feinde auch Gottes Feinde, sodass es mit Gottes Kraft widerstehen und obsiegen kann. Sonst wird es sich als zu klein erweisen für die feindlichen Völker. Eine Entscheidung ist gefragt; eine Entscheidung des Volkes.
Gottes Entscheidung ist gefallen, in Innigkeit mit Seinem Volk verbunden zu sein, es zu segnen und ihm Kraft zu geben, wenn es zu ermatten droht. Die Entscheidung des Volkes ist gefragt, ob es in diesem Wirkungskreis des allmächtigen Gottes leben will oder in der Unfähigkeit der Nichtse (Bubers Übersetzung für Götzen).

Ein guter Tausch

Die Frage Gottes in V28 ist eine provokative Kritik an Seinem Volk, das in diesen Zweifeln verharrt und nicht die Stärke Gottes erkennt. Dabei erlebte es die Rettung aus Ägypten durch Gottes starken Arm! Aber all diese Worte, die Israel einst von Mose gelernt hatte, sind vergessen. Selbstmitleid und Zweifel obsiegen statt des Kampfes an der Seite und unter der Führung Gottes.
Jes.40, 29 Er gibt dem Ermatteten Kraft, dem Ohnmächtigen mehrt er Kernhaftigkeit. (M.Buber)
Das Wort עָצְמָה = azmah übersetzt Buber nicht mit Stärke, sondern mit Kernhaftigkeit. Damit meint er, dass Gott dem Menschen das gibt, was ins Innerste geht, was ihn in seinem Inneren angeht, was nicht im Außen bleibt, sondern ins „Eingemachte“ geht. Der Ohnmächtige findet wieder zu seiner innersten Identität. Gott gibt ihm von sich selbst.
Jes.40,31 aber die SEIN harren tauschen Kraft ein,…
Wenn der Mensch am Ende ist, fangen Gottes Möglichkeiten erst an. Es gibt nur eine Bedingung: Der Mensch muss sich mit Gott verbinden. Ohne Stecker in der Steckdose fließt kein Strom, funktioniert kein elektrisches Gerät. Ein Ziehen des Steckers und Abwenden zu Götzen bringt keinen Segen.
Das allein erwartet Gott von Israel:
Vertraue MIR! Halte MEIN Wort! Kehre um von den Götzen zu MIR, deinem Schöpfer und Vater.
Dann fließt der Segen und es fließt die Kraft!

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