Schabbat 25. Tewet 5781; 9. Januar 2021
Die Ausarbeitung dieser Parascha bezieht sich zu größten Teil auf die Mitschrift eines Seminars meines Mannes Yuval Lapide von 2006. Für das Bild bedanke ich mich bei einen Semiarteilnehmer aus Ellwangen von 2018 ganz herzlich.

Das Buch Schmot – Namen

Die Tora ist aus einem Guss geschrieben, alle Texte sind inspiriert, sind eines Geistes Kind. Im 1. Buch Mose finden wir die Entstehung des jüdischen Volkes aus Individuen aus der Gründerzeit der Hebräer. Die Begegnung mit einem fremden Gott, mit einem transzendenten Gott macht die Entstehung dieses Volkes möglich. Die Urfrage des Menschen ist immer: Wie kann der fleischliche, endliche Mensch dem transzendenten, ewigen Gott begegnen? Gegen Ende des 1. Buches Mose zieht ein großer Clan von 70 Menschen nach Ägypten, deren Namen hier nochmals genannt werden. Abraham hatte schon in 1.Mo.15 die Prophetie erhalten, dass seine Nachkommen in Ägypten viel leiden müssten. Jetzt, etwa 400 Jahre nach der Prophetie und etwa 200 Jahre nach der Ankunft der 70 Seelen in Ägypten, ist es soweit.
Im 2. Buch Mose erleben wir die Pädagogik Gottes, wie ER aus Sklaven Sein Volk macht. Die Geschichte des Volkes beginnt mit dem Exil. Das werdende Volk muss sich seine Identität erarbeiten, muss sich zum Volk Gottes, zum Licht der Völker entwickeln. Es muss Gott in sein Stammesgefühl integrieren.
Mosche kommt aus dem Stamm Levi. Der Name bedeutet: anhängen. Das Volk muss noch mehr seinem Gott anhängen. Durch eine Repräsentantin des Feindes wird das Leben des Judenkindes gerettet: durch die ägyptische Prinzessin.

Ein großes Volk

In Ex. 1,7 heißt es von den Söhnen Israels, dass sie fruchteten, wimmelten, sich mehrten und sehr erstarkten. Vier Verben sind hier aufgeführt, die eine Ganzheitlichkeit in der Ordnung der Natur, ja die Fülle der Natur darstellen.
Ex. 1,8 Ein neuer König erstand über Ägypten, der hatte Jossef nicht gekannt.
Wie kann es sein, dass ein Pharao nichts mehr von Jossef weiß? Eigentlich behält das kollektive Gedächtnis solch einmalige Ereignisse in Erinnerung. Von diesem Pharao kann nur angenommen werden, dass er Jossefs gute Taten nicht kennen wollte. Es steht dort nicht, dass er um die Hungersnot und die Errettung seines Volkes nicht wusste, sondern dass er Jossef nicht kannte. Er verbreitet vielmehr, wie wir es leider heute auch aus der aktuellen Politik kennen, Verschwörungstheorien. Über das Volk, das ihm ein Dorn im Auge ist, verbreitet er, es sei zu groß und zu stark, dass es sich in einem etwaigen Krieg gegen Ägypten stellen könnte. Ohne Fakten, ohne Erfahrungen kommt er zu diesem Schluss. Er bringt somit über sich, was er verhindern wollte, nämlich dass dieses Volk der Israeliten für ihn und die Ägypter Anlass letztlich Anlass zur Furcht bietet.
Ex. 1,12 Aber wie sie es bedrückten, so mehrte es sich, so brach es durch, es graute ihnen vor den Söhnen Jissraels.
Der Mensch braucht Druck, Herausforderungen, das sogenannte Böse, um sich für das Gute zu entscheiden und seinen Überlebenswillen zu wecken. Druck mobilisiert Kräfte! In Deut. 4,20 wird Ägypten mit einem Schmelzofen verglichen. Druck führt zu Ausdruck! So bekommt Eva = חַוָּה  Chava = Lebensspenderin den Namen erst außerhalb des Paradieses.
Dass sich die Ägypter die Söhne Israels dienstbar gemacht hatten, wird fünfmal in den Versen 13+14 betont. Wie die fünf Finger an einer Hand bedeutet die Zahl, dass wir die Welt begreifen, mit der Natur in Beziehung treten.עבודה Awoda – der Dienst bedeutet auch, sich mit der Realität auseinanderzusetzen, die Realität anzupacken. Dienst kann die Unterwerfung unter einen Despoten sein, er war aber später sogar der heilige Dienst im Tempel. Gott erzog sein Volk dazu, sich nach dem guten Dienstherrn, nach Gott, zu sehnen. Und sie wurden erzogen zum Dienst für Gott durch die Gegensätze. Erst diese bilden eine Ganzheit, wie Wohlergehen und Unterdrückung, wie Dunkelheit und Licht.
Hebräer = Iwri = אָבְנָיִ ist der Grenzübergänger, der Grenzüberwinder. Er kann die Widrigkeiten des Lebens überwinden. Auch das Böse ist dazu da, dass es überwunden wird und der Mensch sich zum Guten durchringt. Das Böse ist die Abwesenheit des Guten. Durch die Unterlassung des Guten kommt das Böse.
Die Hebammen werden als hebräische Hebammen bezeichnet, denn sie überwanden das Böse, denn sich entschieden, Gott und dem Leben zu dienen und keine Angst vor dem Pharao zu haben. Schifra = die den Zustand Verbessernde und Pua = die sich Gehör Verschaffende retteten die Kinder und fanden Ausreden, die sie Pharao präsentierten.
Ex. 1,21 … er machte ihnen Häuser – : Damit können einfach Häuser, aber auch eine spirituelle Förderung gemeint sein. Wie in der letzten Parascha erklärt, kann zudem gemeint sein, dass Gott ihnen Kinder schenkte und ihnen eine Familie „baute“.

Geburt des Mosche

Ein Kind wird in der Zeit ägyptischer Unterdrückung geboren und ist in Lebensgefahr. Bei seiner Geburt sah die Mutter bereits, dass sie einen guten Sohn geboren hatte, ילד טוב הוא – jeled tow hu – ein gutes Kind. Diese Worte kommen genauso in der Schöpfungsgeschichte vor, wo jeder Tag von Gott gut genannt wird. So wird in Mosche wie zuvor auch in Abraham eine neue Schöpfung gesehen, weil durch diese Männer etwas Grandioses geschehen durfte. Durch Mosche wird Israel in die Freiheit gehen. 
Ex. 2,3 Als sie ihn nicht länger verheimlichen konnte, nahm sie für ihn ein Kästlein aus Papyrusrohr, sie verlehmte es mit Lehm und mit Pech und legte das Kind darein und legte es in das Schilf am Ufer des Flusses.
Die Mutter will ihren Sohn in Sicherheit bringen, indem sie ihn in ein Kästchen legte. Sie legte ihn in eine Arche, oder wie wir von dort bereits wissen, in eine תֵּבָה Tewa. Dieses ist ein altes Wort für „Wort“, sodass wir aus diesem Vers schließen können, dass sie ihr Kind dem Wort Gottes anvertraute, dem Gott, der für seine gesamte Schöpfung sorgt.
סּוּף  Suff bedeutet Schilf, Soff סוֹף dagegen Ende. Ohne Punktierung sind die Worte nicht zu unterscheiden. אין סוף Ajn Soff ist ebenfalls ein Name für Gott, der kein Ende hat, der ewig ist. So kann man aus diesem einen Vers trotz aller Not das große Vertrauen in Gottes Wirken herauslesen.
Ex. 2,10 Das Kind wurde groß, sie brachte es zu Pharaos Tochter, es wurde ihr zum Sohn. Sie rief seinen Namen: Mosche, Der hervortauchen läßt. Sie sprach: Denn aus dem Wasser habe ich ihn hervortauchen lassen.
Nachdem die eigene Mutter inkognito ihr Kind säugen durfte, wodurch sie sicherlich auch spirituell Einfluss auf ihn nahm, brachte sie den Jungen zu Pharaos Tochter. Somit tritt sie in einem Rechtsakt die Mutterschaft an die Prinzessin ab. In verschiedenen Midraschim wird erzählt, dass die Pharaostochter die Seele des Kindes erspürte und ahnte, dass sie mit diesem Jungen etwas zu erleben hätte. Sie hatte schon Sehnsucht nach Gott, der sie herausführte aus dem Götzendienst ihres Vaters. Darum trägt sie im Midrasch den Namen Batja = Tochter Gottes. Gott fügt die Umstände so, dass die tiefsten Sehnsüchte des Menschen befriedigt werden.
Die Geburt des Mosche geschah unter Bedrängnis, unter Lebensgefahr. 3 Monate versuchte die Mutter, die Geburt geheim zu halten. Drei bedeutet die Bewährung in der Gefahr. Die Wahrheit kommt unter Druck ans Licht. Drei Tage Rüstzeit, bevor das Licht hervorkommt.
Nach drei Monaten wird Mosche in das Kästchen gelegt, und wieder helfen drei Frauen: die Mutter, seine Schwester Miriam, die Tochter des Pharao. Sie nannte den Knaben: Mosche, denn ich habe dich aus dem Wasser gezogen. Eine Heidin gibt dem großen Führer Israels den Namen, der nie geändert werden wird.  
Der Nil sollte der Tod für alle Jungen bedeuten, doch Gott ließ für Mosche daraus das Leben entstehen. Später verwandelte er das Wasser des Nils zu Blut. Weil Mosche aus dem Tod herausgezogen wurde, konnte er andere aus dem Tod herausziehen, aus der Enge. Sein Name ist Erinnerung und Programm. Das Böse steht im Dienste des Guten.

Mosche in Midian

40 Jahre wurde Mosche am Hof des Pharao durch die ägyptische Mentalität geprägt. Er entdeckte seine jüdische Seele und kehrte zurück zu seinen Wurzeln. Einen Ägypter tötete er, weil die Enge übermäßig groß wurde. Der Mord führt ihn nach Midian. Das ist auch für Mosche ein geistliches Niemandsland. Er ist aus Ägypten geflohen, weil er auch bei den Hebräern nicht integriert war. Er saß zwischen den Stühlen.
Midian war ein Vasallenvolk der Ägypter mit einem großen Priesterkult. Laut einem Midrasch schaffte Jitro diesen Kult ab, weil er eine Gottesbegegnung hatte. Ein Heide gab Mosche ein Zuhause, die Sicherheit, die Möglichkeit zu einer Arbeit. Seine hebräische Identität konnte Mosche durch die Begegnung und den Austausch mit Jitro festigen, der hier als Re’uel רְעוּאֵל = Gott ist mein Hirte auftritt. Der Schwiegervater Mosches hatte sieben Namen, die alle in der Bibel auftauchen. Ausgerechnet ein Ex-Heide gibt Mosche also den Anstoß zu seiner jüdischen Identität, denn Jitro gilt als Konvertit.
Midian enthält die Wurzel Dan, welche richten oder auch Richtstätte heißt. Im wörtlichen Sinn wird Mosche hier „hingerichtet“ auf seinen neuen Weg. Er geht zugrunde, zum Grund seines Glaubens.
Jitro hat die Wurzel jeter = zusätzlich. Er bringt etwas Zusätzliches mit, fügt etwas hinzu in sein Leben und kann etwas hinzufügen in das Leben Mosches. Als Re’uel ist er für Mosche ein fürsorglicher Berater. Seine Tochter Zippora heißt: etwas rechtzeitig wahrnehmen.
In den Versen 23-25 Gott interveniert nun fünfmal; die Kinder Israel sind reif für den Auszug.

Mosches Berufung

An seiner individuellen Richtstelle in Midian erlebt Mosche seinen individuellen Auszug aus der Enge vor dem kollektiven Exodus. Er musste herausgezogen werden aus der ägyptischen Mentalität. In der Glut des brennenden Dornbusch es wird Mosche zum echten Hebräer.
Midbar מדבר = Wüste, דבר dawar  = Wort
Die Wüste ist eine Sprechstätte. Sie ist ein Ort der Verlassenheit von Menschen, ermöglicht dadurch aber die großen Begegnungen mit Gott, wo das Wort ins Herz dringt. In einer dreistufigen Theophanie offenbart sich Gott, um Mosche vorzubereiten: durch Feuer, durch seinen Boten, durch sich selbst.
Der Horeb ist identisch mit dem Sinai hat folgende Bedeutung: charew  חרב= Ruine, Einbruch, Zusammenbruch. In Mosche muss etwas zerbrechen und in der Feuerglut des brennenden Dornbusches geformt werden.
cherew  חֶרֶב= Schwert, das aus der Scheide gezogen wird. Damit es hier zur Scheidung der Geister kommt, zur Entscheidung für Gott, muss es hier zum neuen Bekenntnis kommen. Die ägyptische Mentalität muss Mosche ablegen.
snei סְנֶה – Dornbusch. Wir haben hier eine sprachliche Ähnlichkeit mit Sinai. Das brennende, stachlige, unangenehme hört man lautmalerisch in Sinai סִינַי
Hier ist eine Vorwegnahme dessen, was das Volk später am Sinai erleben soll, wo die Heiligkeit Gottes und die Heiligung des Boden eine Rolle spielt. Am Dornbusch findet Mosches Exodus aus Ägypten statt, der ihn bewegt, andere herauszuziehen. Vergl. Ri. 9 die Parabel der Bäume. Dornbüsche im Orient können auch brennen. Es ist die Ambivalenz des Dornbusches, dass er sowohl Schatten spenden kann als auch Feuer hervorbringen. Vergl. Ex. 24,17: Gott ist ein verzehrendes Feuer.
Gott spricht bei Mosche durch die Blume, das Gewächs des Dornbusches. Gott ist ein schreckliches Geheimnis, andererseits der nahbare und nahe Gott. ER pflegt mit jedem Menschen eine individuelle Beziehung. Jeder Mensch macht seine eigene Erfahrung mit IHM. Das dialogische Prinzip bei Gott ist: ER benutzt erst das Vertraute. Ex. 3,6 Und sprach: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Jizchaks, der Gott Jaakobs. Mosche barg sein Antlitz, denn er fürchtete sich, zu Gott hin zu blicken.
Dadurch ist Gott nah und verlässlich. Es ist ein Gottesbild, dass das Gottesbild der Umwelt stark kontrastiert. Feuer als Symbol der Reinigung kommt auch im Bild des Schmelztiegels vor, andererseits der nahe Gott.

Die Theologie des Dornbusches

Gott tritt in die Diesseitigkeit. Ein Volk muss Gott anders erfahren als ein einzelnes Individuum. Es braucht eine Erdung, eine Praxis im Alltag. Gott ist durch den Dornbusch handfest, greifbar, mittendrin. Er geht mit durch die Bedrängnis in Mizraim. Gott hat die Natur im Griff. Ganz im Gegensatz zur Religion der Ägypter, welche die Natur für göttlich hielten.
Im Dornbusch erniedrigt Gott sich selbst. Gott kann sich klein machen, ER kann sich auch im unansehnlichen Dornbusch zeigen. Gott ist omnipräsent, allgegenwärtig. Gott ist mitleidend. Er leidet mit dem Volk mit, deshalb brennt ER. Das Brennen drückt das Leiden aus. Durch das Bild wird Mosche diese Botschaft gegeben, bevor ein Wort fällt. Mosche muss erst ins rechte Bild gesetzt werden.
In die Dornen des Strauches kann man die Hand hineinstecken, doch beim Herausziehen verletzt man sich. Die Hand ist darin gefangen. Gott zeigt, dass er die Gefangenschaft kennt. Ps. 91, 15 ich bin mit ihnen im Leid.
Ägypten מִצְרָיִם Mizraim ist Bedrängnis, Enge von der Wurzel zar צר = eng.
Ex. 3,4 … rief Gott (Elohim – אֱלֹהִים) ihn mitten aus dem Dornbusch an, er sprach: Mosche! Mosche! er sprach: Da bin ich הִנֵּנִי (hineni).  
Elohim spricht Mosche an. Der Gottesname kommt von der heidnischen Gotteseiche elon אֵלוֹן her. Es ist die Pluralisierung des Gottesbegriffs El, der uns zeigen soll, dass wir statt der vielen Götter nur noch Gott selbst, den EINEN Gott brauchen. Das Heidnische wird nicht eliminiert, sondern transformiert. Um neue Gotteserfahrungen machen zu können, mussten die Kinder Israel von einer heidnischen Landschaft in eine andere gehen.
Hineni ist die Antwort auf einen Berufungsakt. Die Schuhe abstreifen ist ein Zeichen von Respekt, dass man bei jemandem zu Gast ist.
Ex. 3,5 …, denn der Ort, darauf du stehst, Boden der Heiligung (kodesch קֹדֶשׁ) ists.
Erstmalig wird hier der Boden als ein geheiligter bezeichnet, während Gott bei der Schöpfung die Zeit heiligte jikadesch יְקַדֵּשׁ (Futur), den Schabbat. Der Boden ist nicht per se heilig, er wird während der Zeitspanne geheiligt, in der Gott Mosche erscheint. Danach ist alles wieder alltäglich. heiligen =  mekadesch מקדש, heilig = kadoschקדש , die Heiligkeit = Keduscha  קדושהSo gibt es im Hebräischen aus einer Sprachwurzel verschiedene Aspekte von Heiligkeit. Hier geschieht die Heiligung des Bodens für eine bestimmte Offenbarungserfahrung.
ER hat gesehen, gehört, erkannt. Und ER kam hinab.
Ex. 3,7 ER aber sprach: Gesehn habe ich, gesehn die Bedrückung meines Volks, das in Ägypten ist, ihren Schrei vor seinen Treibern habe ich gehört, ja, erkannt habe ich seine Leiden. 8 Nieder zog ich, es aus der Hand Ägyptens zu retten, es aus jenem Land hinaufzubringen nach einem Land, gut und weit, nach einem Land, Milch und Honig träufend, …
 לדעתlada’at = erkennen, eins werden, das ist die Bedeutung von erkennen. Gott sagte Mosche im Dornbusch, dass ER eins wurde mit Seinem versklavten Volk, dass ER sich mit den zu Unrecht Unterdrückten identifizierte.
Gott steigt von seinem hohen Thron in die Niedrigkeit, weil wir nur so Gott erfahren können. Jeder Abstieg dient einem späteren Aufstieg. Gott geht mit, indem er jedem Menschen die Erfahrung schenkt, die er braucht.
Ex. 3,10 nun geh, ich schicke dich zu Pharao (Par’o פַּרְעֹה), führe mein Volk, die Söhne Jissraels, aus Ägypten!
Das Wort Pharao kommt von Para פַּרְע bedeutet: der Ungezügelte, der Despot, der Anarchist, der durch die Hebräer mit der Ordnung Gottes konfrontiert wird. Er entscheidet nach seiner eigenen Subjektivität. Israel = Streiter mit Gott oder auch für Gott. Israeliten haben eine grundlegend andere Ausrichtung als der keiner Herrschaft sich unterordnende Pharao. Die Befreiung ist ein schmerzhafter und oft langwieriger Vorgang, wie ein Geburtsprozess.
Ex. 3,11 Wer bin ich, …: Mosche war von der Tochter des Pharao zur Unterwürfigkeit erzogen worden. Pharao war für die Menschen ein Gott, über den man sich nicht überheben darf.
Ex. 3,14 Gott sprach zu Mosche: Ich werde dasein, als der ich dasein werde (eheje ascher eheje אֶהְיֶה אֲשֶׁר אֶהְיֶה). Und er sprach: So sollst du zu den Söhnen Jissraels sprechen: ICH BIN DA (eheje אֶהְיֶה) schickt mich zu euch.
Gott offenbart seinen Namen. Diese Offenbarung ist eine Absage an alles, wie wir uns Gott vorstellen. Es handelt sich um einen dynamischen Gottesbegriff, der im Futur steht. Gott wird für jeden so da sein, wie es seine jeweilige Situation gebraucht. Auch wenn sich Zeiten ändern, wird Gott da sein. Darum übersetzt Buber an der zweiten Stelle nicht korrekt, sondern es müsste heißen: ICH WERDE DA SEIN schickt mich …
Ex. 3,16 Geh, hole die Ältesten Jissraels und sprich zu ihnen: ER, der Gott eurer Väter, hat von mir sich sehen lassen, der Gott Abrahams, Jizchaks und Jaakobs, sprechend: Geordnet habe ichs, zugeordnet euch und dem in Ägypten euch Angetanen, 17 ich habe gesprochen: Hinaufbringen will ich euch aus der Bedrückung Ägyptens in das Land des Kanaaniters …,
Mosche verkörpert einen kopflastigen Menschen, der die sichtbaren Phänomene braucht. Er wollte die Dinge begreifen, hinterfragen. Gott mutete sich ihm zu, bis er überzeugt war. Mosche musste ein neues Gottes- und Weltbild lernen. Er musste lernen, dass die Natur Gott untertan ist. Darum darf Mosche mit Gott – entgegen seinem alten Gottesbild -, streiten, und Gott legt Zeugnis ab, überzeugt ihn. Weil Gott sich um die Menschen kümmert, weil er sie sieht und hört, weil er gedenkt und erkennt, ist Mosche zum Dialog eingeladen. Er widerspricht dem Auftrag Gottes fünfmal. Eigentlich ist dieses eine peinliche Situation, dass der große Führer und spätere Lehrer des hebräischen Volkes so mit Gott umgeht. Aber Gott geht mit, bis Mosche überzeugt ist. Gott will das Volk aus der Enge nach Kanaan, was Eroberung bedeutet, führen. Erst aus der Enge kommend, aus den Lehrjahren, kann man Eroberer werden, oben sein.

Die theologische Dimension der Versklavung

Was ist Versklavung? Die Prophetie dazu finden wir bereits in Genesis 15. Gott hat etwas zur Erziehung der Kinder Israel beschlossen. Deut. 30,15 zeigt, dass es eine Freiheit der Wahl gibt. Der Mensch ist frei geboren. Auch Pharao konnte sich entscheiden. Gott kann Entscheidungen so instrumentalisieren, dass sie in seinen Heilsplan passen. Das nennt man die Providencia Gottes, also seine Voraussicht.
Der Schmelztiegel dient der Läuterung, dem Abstreifen der Schlacke. Es ist ein formender und reinigender Prozess für die Kinder Israel. Seine erzieherische Funktion liegt darin, dass dieses Volk in die Welt gesandt werden wird. Ein Leitwort in unserem Bibeltext ist darum der Dienst.
Auch Adam hatte den Auftrag, die Erde zu bedienen, bereit zu sein zum Dienst, ein Diener Gottes sein. Es ist tragisch, wenn man Diener eines Dieners zu sein hat wie von Pharao, anstatt Diener des höchsten Gottes. Mit allen Sinnen und allen Fingern Gott dienen, mit “ Haut und Haaren „. Dieser Dienst für einen despotischen Herrscher wurde umnotiert in den Dienst für Gott. Am Sinai gaben sich die Israeliten einem guten Herrscher hin, dabei vergaßen sie den Dienst für den Unterdrücker nicht. Auch böse Erfahrungen gehören zu unserem Leben; sie können nicht eliminiert werden. Wir müssen adäquat mit ihnen umgehen und auch Traumata transformieren. Oliven und Trauben werden ebenfalls gepresst, damit Öl bzw. Saft herauskommen. Die bekannteste Ölpresse ist Gethsemane. Gat = Presse, Schamen = Öl
In Gen. 15 heißt es: du sollst dich ausbreiten. Palästina liegt zwischen zwei Hochkulturen, in die der Eingottglaube durch die Kinder Israel einwirken durfte. Sein Glaube strahlte als Licht hinaus, wurde als eine spirituelle Ausweitung erfahren. Mesopotamier hatten Götzen und Standbilder sowie verrückte Geschichten über die verschiedensten Götter, die miteinander im Verhältnis standen. Die Ägypter hatten weniger Götter mit absoluter und schöpferischer Macht, dagegen beteten sie die Sonne an, Aton, sowie verschiedene Totengötter, den Nil, die Schlange, den Skarabäus und den Widder. Wegen ihres Totenkultes gab es die Einbalsamierung der Verstorbenen und die Nahrungsmittelbeigabe ins Grab. Das Leben hatte eine Statik und wurde durch den ausgeprägten, sonnenkultischen Priesterkult und dessen Wahrsagerei bestimmt.

Mosche und Aharon

Von Kindheit an hatte Mosche Makel, die ihn aber auch förderten. Er wurde unter lebensbedrohlichen Umständen gezeugt und geboren, er überlebte nur in seinem Körbchen und wuchs in der Dualität der Kulturen auf. Er war Flüchtling in Midian, und hatte zu seinen körperlichen vermutlich auch psychische Defekte. Am Ende seines Lebens wird er kein Grab haben. Seine Eltern lebten eine eigentlich verbotene sexuelle Beziehung, denn der Vater heiratete seine Tante, wie wir aus Ex. 6,20 wissen.
Ex. 4,4 ER sprach zu Mosche: Schick deine Hand aus! greif sie am Schwanz! – er schickte seine Hand aus, er packte sie, und sie wurde in seiner Faust zum Stab –
Gott ließ Mosches Stab zur Schlange werden, um seine immer noch anhaltenden Argumente zu entkräften. Seine Landsleute werden ihm vertrauen. Die Schlange ist mit ihrer Häutung ein Symbol für Veränderung und Täuschung, auch ständige Erneuerung. Sie ist aber auch Symbol für das Verführerische in uns. Ihrem Zuflüsterungen können wir widerstehen, darum: Hast du Gott in dir, dann musst du nicht auf ihre Zuflüsterungen, ihre Verführung und deine Angst hören.
Ex. 4,6  Weiter sprach ER zu ihm: Lege doch deine Hand in deinen Busen! Er legte seine Hand in seinen Busen, er zog sie hervor, da war seine Hand aussätzig, wie Schnee.
Als zweites erlebt Mosche, dass seine Hand weiß von Aussatz wurde. Aussatz ist nicht vergleichbar mit Lepra; es handelt sich um eine nicht ansteckende Hauterkrankung, die in der Bibel häufig vorkommt als Konsequenz für schlechtes Reden. Mosche hatte insofern schlecht gesprochen, als dass er seinem Volk nicht zutraute, auf ihn zu hören.
Ex. 4,1 Da aber, sie werden mir nicht vertrauen und auf meine Stimme nicht hören, denn sie werden sprechen: Nicht hat ER von dir sich sehen lassen. Seinen eigenen Zweifel projizierte er auf das ganze Volk. Mosche erlebte aber auch, dass Gott alles wieder heilen kann.
Ex. 4,11 ER sprach zu ihm: Wer hat einen Mund dem Menschen gemacht oder wer macht stumm oder taub oder klaräugig oder blind? bins nicht ICH?
Hier erfahren wir, dass Gott Schöpfer eines jeden Menschen ist. Sogar die Behinderungen hat ER geschaffen. Wir wissen nicht, was für eine Behinderung Mosche hatte. Hatte er eine Hasenscharte? Zumindest lispelt und stotterte er. Aber eine Behinderung ist keine Hinderung für einen Auftrag Gottes!
Als Mosche weitere Ausflüchte sucht, reicht es Gott.
Ex. 4,14 SEIN Zorn entflammte wider Mosche, er sprach: Ist da nicht Aharon אַהֲרֹן, dein Bruder, der Lewit – ich weiß, daß er beredt reden wird, und da zieht er schon dir entgegen, sieht er dich, wird er in seinem Herzen sich freuen.
Aharon bedeutet: der Erleuchtete. Ihn stellt Gott dem Mosche zur Seite. Als Levit wird er seinem Bruder anhängen, der für ihn zum Gott wird. Die Rede von Gott kommt zu Mosche, und von Mosche zu Aharon.
Ex. 4,16 Er also rede für dich zum Volk, und so seis: er, er sei dir zu einem Mund und du, du seist ihm zu einem Gott.
Ex. 4,22 Dann aber wirst du zu Pharao sprechen: So hat ER gesprochen: Mein Erstlingssohn ist Jissrael, 23 ich sprach zu dir: Schicke meinen Sohn frei, daß er mir diene, und du hast dich geweigert, ihn freizuschicken. nun bringe ich deinen Erstlingssohn um.
Die Botschaft an den Pharao ist diese: Wenn du meinen Erstgeborenen nicht ziehen lässt, töte ich deine Erstgeborenen. Dies ist auch eine Antwort auf Pharaos Mord an den Jungen, als er sie in den Nil werfen ließ.
Ex. 4,31 Das Volk vertraute. Sie hörten, daß ER zugeordnet hatte den Söhnen Jissraels, daß er angesehen hatte ihre Bedrückung, sie bückten sich und warfen sich nieder.
Das Volk vertraute Mosche gegen alle Vorurteile, trotz aller Skepsis.  

Vor Pharao

Pharao ist der Alleinherrscher von Ägypten. Es gibt für ihn keinen Gott über ihm, denn er versteht sich als Gott.
Ex. 5,2 Pharao sprach: Wer ist ER, daß ich auf seine Stimme hören sollte, Jissrael freizuschicken! ER – den kenne ich nicht, auch schicke ich Jissrael nicht frei.
Wer ist also dieser Gott, dass er auf seine Stimme hören sollte? Er kennt diesen Gott nicht, er hat keine Beziehung zu ihm. Als Mosche und Aharon den Pharao bitten, das Volk drei Tage in die Wüste gehen zu lassen, um Gott dort zu opfern, denkt er nur an seinen Profit und daran, wie das Volk durch noch mehr Arbeit geschwächt werden kann. Ex. 5,5 Pharao sprach: Da, zuviel ist nun schon Volks im Land, und ihr wollt sie von ihren Lasten feiern lassen!
Er will alles tun, dass das Volk nicht auf irgendwelche Führer hört, weil sie zu viel Arbeit haben.
Ex. 5,9 Wuchten soll auf den Leuten der Dienst! sie sollen daran zu tun haben, daß sie nimmer auf Lügenreden achten.
Sie sollen so hart arbeiten, dass sie nicht auf Lügenreden achten. Damit konnte er das Volk gegen Mosche aufbringen, denn in ihren Augen war Mosche an ihrem Unglück Schuld.
Ex. 5,21 Sie sprachen zu ihnen: ER sehe auf euch, er richte, daß ihr unsern Geruch stinkend gemacht habt bei Pharao und bei seinen Dienern und ihnen ein Schwert in die Hand gabt, uns umzubringen! 22 Mosche kehrte zu IHM zurück und sprach: Mein Herr, warum handelst du übel an diesem Volk? warum hast du mich da geschickt?
Das wiederum führte dazu, dass Mosche sich umso mehr an Gott wandte. Die Verantwortung für die Not seines Volkes lastete schwer auf ihm.
Diese Gebet führte dazu, dass Gott sich verherrlichen und Mosche versichern konnte, dass er sich mit starker Hand um sein Volk bemühen würde, so dass die Ägypter sie schließlich davon jagen werden.
Ex. 6,1 ER sprach zu Mosche: Jetzt wirst du sehn, was ich an Pharao tue: ja, unter starker Hand schickt er sie frei, unter starker Hand jagt er sie aus seinem Lande.

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