Schabbat 4. Tewet 5781, 19. Dezember 2020

Diese Auslegung bezieht sich zum großen Teil auf ein Seminar mit meinem Mann 2008

Pharaos Träume

Gen. 41,1 Nach Verlauf zweier Jahre geschah, daß Pharao träumte: Da, er steht an dem Fluß, 2 und da, aus dem Fluß steigend sieben Kühe, schön von Aussehn und fett von Fleisch, und sie weideten im Ried,
Nun träumt der Pharao. Beim ersten Traum ist er nur ein wenig verstört, wacht auf und schläft wieder ein. Er will den Traum verdrängen, ahnt nicht, dass es eine göttliche Botschaft ist. Er steht im Gegensatz zu Menschen, die Gott kennen. Jaakob steht im Gegensatz zu ihm.
Gen. 28,16 Jaakob erwachte aus seinem Schlaf und sprach: So denn, ER west an diesem Ort, und ich, ich wußte es nicht!
Er wacht auf und erkennt Gottes Reden; er verarbeitet den Traum sofort!
Des Pharaos erster Traum handelt von Kühen, und er steht am Nil. Beides sind Gottheiten. Kühe wurden in Ägypten verehrt und vergöttert. Die Kuhgöttin hieß Hathor. Als Heide denkt der Pharao an Äußerlichkeiten, an pralles, fettes Fleisch. Der Traum redet in den Begriffen, die dem Träumer vertraut sind. Im Traum wird das Weltbild Pharaos umgestürzt.
Bei Pharao sind die Träume ein Rückschritt. Zuerst träumt er von Tieren, dann von Pflanzen. Er steht am Fluss, am Nil. Er steht an seinem Gott. Mit ihm steht Pharao im Kontakt, von dort kommt nach seiner Vorstellung das Leben. So braucht Pharao einen zweiten Traum, damit er aufwacht!
Gen. 41,5 Er schlief ein und träumte zum zweitenmal: Da, an einem einzigen Halm steigend sieben Ähren, fett und gut,
Ein einziger Halm bedeutet Einheit. Erst jetzt erkennt Pharao die Tiefe der Träume. Er ist beunruhigt. Seine rückschrittlichen Träume zeigen, dass Pharaos heidnisches Weltbild keinen Bestand hat. Die Dekadenz kommt auch im zweifachen Bild des Auffressens deutlich vor. Pharao steht im Traum als Mensch über seinem Gott, dem Nil. Ein solcher Gott kann ihn nicht nähren. In Jaakobs Traum steht Gott über ihm an der Spitze. Ein Diener Gottes ist demütig und kann bestehen.
Gen. 41,18 und da, aus dem Fluß steigend sieben Kühe, fett von Fleisch und schön von Gestalt, und sie weideten im Ried, 19 und da, ihnen nachsteigend sieben andre Kühe, elend und sehr übel von Gestalt und hager von Fleisch, in allem Land Ägypten habe ich nie ihresgleichen an Übelbeschaffenheit gesehn, 20 und die sieben hagern und übeln Kühe fraßen die sieben ersten, die fetten Kühe, 21 die kamen in ihren Leib, aber daß sie in ihren Leib gekommen waren, nicht wars zu erkennen: ihr Aussehn war übel wie zu Beginn. Und ich erwachte.
Einen Traum zu erzählen hilft ihn zu verstehen. Pharao verstärkt die Deutung durch die Darstellung der Hässlichkeit der Kühe. Er merkt, dass es sich um Mizraim (Ägypten) handelt.
In V21 erweisen sich die fetten Kühe als Illusion. Sie waren nicht nahrhaft. Das scheinbar intakte Weltbild Pharaos gerät ins Wanken. Wenn es keine Veränderung gibt, kommt es zur Selbstvernichtung, zur Hoffnungslosigkeit.
Jossef und Pharao träumten von Ähren, sodass Jossef als Monotheist dem Heiden helfen kann. Bei ihm neigten sich die Garben und zeigten Dienstbarkeit an. In Pharaos Traum geht es nur um Oberflächliches, um „Fressen und Saufen“. Pharao ist beeindruckt, dass die mageren Kühe so mager und hässlich blieben. Es gab also nie eine Fülle. Und wenn sein Heidentum zerfällt, wird klar, dass Fülle fehlte. Aber Pharao ist in Gottes Augen wichtig, darum schickt ER ihm die Träume – und Jossef als Traumdeuter.
Gen. 41,25 Jossef sprach zu Pharao: Pharaos Traum ist eins. Was Gott tun will, hat er Pharao gemeldet. … 33 Jetzt aber ersehe Pharao sich einen Mann, verständig und weise, den setze er über das Land Ägypten!
Hier zeigt sich wahre Demut, denn Jossef weiß um Gottes Wirken und Vorhaben. Er versteht Gottes Pläne. Gott macht die groß, die sich klein machen, und so katapultiert Jossefs Demut ihn nach oben. Übrigens – auch Jesus wusste, dass sein Vater ihn groß machte und er ohne IHN nichts vermochte.
Gen. 41,38 Pharao sprach zu seinen Dienern: Könnten wir noch einen finden wie dieser, einen Mann, in dem Geist eines Gottes רוּחַ אֱלֹהִים (ruach elohim) ist?
Ein Heide erkennt Gott! Gottes Geist ist in Jossef. Elohim ist der Pankreator, der Schöpfer, der alles im Griff hat und ein Urteil gesprochen hat. Er steht für die Distanziertheit und Erhabenheit Gottes. Dagegen ist Adonai יהוה (JHWH) mein Gebieter, der weichere Gott der Milde und Gnade Gottes. Zebaoth צבאות bedeutet der Allmächtige, Herr der Heerscharen. Da jeder Gottesname seine eigene Bedeutung hat, sprechen Juden auch nicht von Elohisten und Jahwisten. Es hat einen inhaltlichen Grund, warum welcher Name benutzt wird.
Gen. 41,42 Pharao streifte seinen Siegelring von seiner Hand und gab ihn an die Hand Jossefs, er kleidete ihn in Linnengewänder und legte die goldene Kette um seinen Hals,
Nun bekommt Jossef das linnene Gewand vom Pharao. Er hat es sich erarbeitet. Er ist hineingewachsen. In seiner Jugend standen ihm die Gewänder nicht und schadeten ihm. Sie waren ihm zu „groß“, er musste erst in das Gewand und die Berufung hineinwachsen. Nun hat er in den zwei Jahren bis zu Pharaos Träumen sicher noch dazu gelernt, sich auf Gott zu verlassen und nicht auf Menschen, denn der Obermundschenk hatte ihn bis jetzt vergessen. Mikez מִקֵּץ – am Ende von zwei Jahren (V1)!
Gen. 41,43 er ließ ihn fahren in seinem Zweitgefährt und vor ihm ausrufen: »Abrech«, Achtung! - er gab ihn über alles Land Ägypten.
Abrech ist an dieser Stelle ein Titel, den nur Jossef bekommt und sein Ansehen widerspiegelt, das ihm zukommt. אַבְרֵךְ = abrech heißt: derjenige, der Segen spendet; milder Vater oder: auf die Knie gehen. So wird Jossef nicht nur Vizekönig, sondern auch Segensspender. Dass er das nun endlich für seine Familie wird, daran denkt er in dieser verantwortlichen Situation noch nicht.
Gen. 41,45 Pharao rief den Namen Jossefs »Zofnat Paneach«, er sprichts zu, und man lebt auf. Er gab ihm Assnat, Tochter des Poti Fera, Priesters von On, zum Weibe.
Zofnat Paneach bedeutet: das Verborgene verkünden; die Verborgenheit Gottes verkünden. Sein Leben kommt aus dem Verborgenen, er kennt den verborgenen Gott und darf IHN verkünden durch seine Fürsorge.
Assnat heißt: etwas in sich bergen, ansammeln, speichern. Das passt zu Jossefs Auftrag. Er wird nun das Getreide einsammeln, speichern und bergen, bis es rationiert ausgegeben wird.
Gen. 41,46 Jossef zog aus über das Land Ägypten. Jossef aber war dreißig Jahre, als er vor dem Antlitz Pharaos, des Königs von Ägypten stand. Von Pharaos Antlitz zog Jossef aus und durchquerte alles Land Ägypten.
Jossef ist 30 Jahre alt, wie Jesus zu Beginn seines öffentlichen Wirkens. Jossef meldete sich 22 Jahre nicht bei seinem Vater, weil er wusste, dass er auf Gottes Kai’ros, den richtigen Augenblick, warten musste, damit die Brüder geläutert würden. Ohne sie wäre der ganze Neid so weitergegangen und er wäre nicht an den Ort seiner Berufung gekommen. Er muss also auch erkennen, dass Gottes Plan hinter seinem Abstieg und Aufstieg steckte. Gott hatte für ihn und seine Familie in der fernen Heimat vorgesorgt. Dass er sich noch immer mit seiner verlorenen Heimat beschäftigt, zeigen die Namen seiner Söhne.
Gen. 41,50 Zwei Söhne wurden Jossef geboren, eh das Jahr des Hungers kam, die ihm Assnat gebar, Tochter des Poti Fera, Priesters von On. 51 Jossef rief den Namen des Erstlings: Mnasche, Der entsinken läßt - denn: Entsinken ließ mir Gott all meinen Harm, all mein Vaterhaus. 52 Und den Namen des zweiten rief er: Efrajim, Zwiefrucht, denn: Fruchten machte mich Gott im Land meiner Bedrückung.
Zwei Söhne hatte Jossef! Das drückt die Polarität aus, in der er sich befindet, Heimat und Fremde. Sein Schicksal als Vater wird in die Namen der Söhne gelegt. Es erinnert an die Erzählkultur im Judentum. Dort heißt es: Erzähle den Kindern, was du erlebt hast. Die Erfahrungen der Eltern sollen Vorbild sein für die Kinder. Seine Erfahrung mit Gott soll das Kind auch machen.
Der Name des ersten Sohnes ist ebenfalls polar, denn er kann seinen Vater und sein Vaterhaus nicht vergessen. Sogar das Schmerzhafte gehört zu dem, was er seinen Kindern weitergeben muss.
Gen. 41,55 Als nun alles Land Ägypten hungerte und das Volk zu Pharao um Brot schrie, sprach Pharao zu allem Ägypten: Geht zu Jossef, was er euch zuspricht tut.
Jossefs Zeit ist gekommen. Der Pharao zieht sich zurück und delegiert an seinen Vize. Er scheut die Auseinandersetzung mit dem hungernden Volk.  Bei Jossef ist jetzt die Fülle. Er kann seine Speicher öffnen und Markt halten in Ägypten. Er kann sogar Markt halten für die damals bekannte Welt, in der es ebenfalls Hunger gibt. Hunger im Materiellen drückt den Hunger nach dem Spirituellen aus, den Hunger nach Gott. Der kann nur von einem gottesfürchtigen Mann gestillt werden.  Außerdem bezieht sich der Hunger auf Brot, das Brot des Lebens, das allein aus dem Mund Gottes kommt.
Dtn. 8,3 Er demütigte dich und ließ dich hungern und speiste dich dann mit Manna, das du und deine Väter nicht gekannt hatten, um dir kundzutun, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt, sondern von allem, was das Wort des Herrn schafft. 

Die Brüder kommen nach Ägypten

Gen. 42,3 Jossefs Brüder zogen hinab וַיֵּרְדוּ (we jordu), ihrer zehn, Korn aus Ägypten zu ermarkten.
Nun müssen die Brüder hinabsteigen, herunterkommen von ihrem hohen Ross. Ihre Korrektur beginnt hier. Das Erlernen von Demut soll uns zu unserer wahren Größe, zu Gottes ebenbildlicher Größe, zu unserer Persönlichkeit bringen. Die Brüder müssen sich zudem in die Enge begeben (Ägypten = Mizraim = doppelte Enge). Für sie wird es wirklich eng, wenn sie zu Unrecht beschuldigt werden. Sie werden in die Mangel genommen und sind doch eigentlich nur gekommen, um nicht hungers zu sterben.
Warum reisen sie nur zu zehnt? Benjamin braucht die anstehende Erziehung nicht, denn er war nicht bei dem Verkauf des Bruders dabei. Außerdem ist er Rachels Sohn, gegen den die Brüder auch voreingenommen sein könnten. An Benjamin werden sie ihren Gesinnungswandel beweisen können.
Gen. 42,7 Jossef sah seine Brüder und kannte sie, aber er stellte sich unbekannt gegen sie und redete hart mit ihnen. Er sprach zu ihnen: Woher seid ihr gekommen? Sie sprachen: Aus dem Lande Kanaan, Eßware zu ermarkten.
Jossefs Herz war menschlich immer wach und seine Sehnsucht nach Brüderlichkeit präsent. Deshalb erkennt er die Brüder nach so langen Jahren. Seine Menschlichkeit blieb auch in seiner Karriere erhalten. Zu seiner Ganzheit (Schalom) gehören auch die Brüder. Die allerdings erwarten ihn nicht hier und nicht in dieser Stellung.
Gen. 42,9 Und Jossef gedachte der Träume, die er von ihnen geträumt hatte. Er sprach zu ihnen: Späher seid ihr! die Blöße des Landes zu sichten seid ihr gekommen!
Erst jetzt erkennt Jossef die Bedeutung seiner Träume! Er erkennt die Botschaft Gottes! Und darum spürt Jossef, dass er noch eine Aufgabe hat. Hier werfen sich nur 10 Brüder hin, der 11. fehlt noch sowie Vater und Mutter. Und seine Garbe stand – Das muss er erfüllen und standhaft sein als Bevollmächtigter Gottes. Er muss die Fehlenden dazu bringen.
Er wirft seinen Brüdern Spionage vor, weil sie ihn für seine „Spionage“ hassten, für das Weitertragen von Informationen an den Vater. Sie sollen seinen Schmerz fühlen, den er als Jugendlicher hatte, als er sich ihres Vorwurfs gar nicht bewusst war, als er die Zusammenhänge noch nicht verstand und nur die Hilfe des Vaters ersehnte.
Gen. 42,13 Sie sprachen: Deiner Knechte sind zwölf, Brüder sind wir, Söhne Eines Mannes, im Lande Kanaan, so nämlich: der Jüngste ist bei unserm Vater heute, und einer ist nicht mehr da.
Sie bezeichnen sich als Knechte, stehen sie doch jetzt vor dem zweitmächtigsten Mann der Welt! Sie haben es verursacht, dass Jossef als Knecht in Potifars Haus verkauft wurde und in den Kerker kam, um dann die Träume Pharaos zu deuten. Jossef ist aus seinem Knechtsein aufgestiegen, doch sie stiegen hinab in die Abhängigkeit von diesem fremden Herrscher.
Was wir anderen antun, wird irgendwann auf uns zurückkommen, denn wir sind alle miteinander verbunden.
Gen. 42,17 Er ließ sie mitsammen drei Tage in Gewahrsam halten. 18 Am dritten Tag sprach Jossef zu ihnen: Seid dies zu tun bereit, so bleibt ihr am Leben, denn Gottes bin ich fürchtig:
3
Tage nimmt Jossef die Brüder in Gewahrsam, 3-mal beschuldigt er sie der Spionage. Drei bedeutet, dass etwas Neues ansteht.
Vgl. Hos. 6,2 nach einem Tagepaar belebt er uns wieder, läßt erstehn uns am dritten Tag, daß wir in seinem Angesicht leben.

Gen. 42,21 Aber sie sprachen einer zum andern: Dennoch, schuldig sind wir: an unserem Bruder! wir sahen die Drangsal seiner Seele, wie er uns anflehte, und wir hörten nicht! darum ist diese Drangsal an uns gekommen!
Erst unter Druck gelangen sie zur Einsicht. Das schlechte Gewissen muss all die Jahre an ihnen gezehrt haben, dass sie jetzt diese Situation mit dem ausländischen Herrscher, der ja nur ein aufmerksamer Herrscher seines Landes sein könnte und es schützen möchte, mit ihrer Schuld an ihrem Bruder in Verbindung bringen. Jossef versteht sie, doch müssen sie sich mit ihm mittels eines Dolmetschers unterhalten. (V23)
Gen. 42,22 Ruben antwortete ihnen, sprechend: Sprach ich nicht zu euch, sprach: Versündigt euch nimmer an dem Kind! ihr aber habt nicht gehört - sein Blut, da, nun wirds heimgefordert!
Sie empfinden Reue, denn sie erkennen, dass Jossef damals noch ein Kind war. Sie hörten damals nicht auf Ruben, der den Knaben schützen wollte. Jossef wollte gerne, dass ihm die Brüder zuhörten. (Kap.37,6) Er schrie um Hilfe, aber sie blieben herzlos. (V21)
Jossef ließ Schimon gefangen nehmen, denn er heißt: Gott hat mich erhört! „Ihr habt nicht auf mich gehört, aber Gott!“
Gen. 42,28 Er sprach zu seinen Brüdern: Mein Silber ist zurückgeraten, da ists gar in meinem Ranzen! Ihr Herz entwich, sie erbebten einander zu, sprechend: Was hat uns Gott da getan!
Gott hat ihnen das angetan, damit sie endlich einsichtig werden! Gott will eine Erneuerung ihres Herzens, ihres Denkens und Fühlens. ER will MITGEFÜHL, dass sie durch die Angst lernen!
Gen. 42,36  Jaakob, ihr Vater, sprach zu ihnen: Ihr verwaist mich! Jossef ist nicht mehr da, Schimon ist nicht da, nun wollt ihr Benjamin nehmen - auf mich gerät das alles!
Jaakob hat in puncto Vorliebe für Rachels Söhne noch nicht gelernt. Jossef muss über den Trick, Benjamin nach Ägypten zu holen, ihn von seinem Klammerverhalten lösen. Aber er ist auch in seiner Trauer verhaftet und scheint keine Hoffnung mehr zu haben. Wo sind die Worte, die er in seinem Herzen bewahrte? Warum stellte er den Tod Jossefs nie in Frage? Er sah das Gewand und stimmte sofort dem Vorschlag der Brüder zu, ihn für tot zu halten. Warum hinterfragte er nicht? Warum suchte er nicht nach dem geliebten Sohn? Dann hätten die Söhne ihre Lüge nicht so lange aufrechterhalten können. Er ist immerzu gefangen in der Angst um den Jüngsten.
Gen. 42,4 Den Binjamin aber, Jossefs Vollbruder, schickte Jaakob nicht mit seinen Brüdern, denn er sprach: Es könnte sonst ein Leides ihn treffen!
Gen. 42,37 Ruben sprach zu seinem Vater, sprach: Meine beiden Söhne töte, lasse ich dir ihn nicht wiederkommen, gib ihn an meine Hand, und ich, ich bringe dir ihn zurück!
Rubens Vorschlag ist unüberlegt, denn Gott will kein Menschenopfer. Er bietet das Leben seiner Söhne an. Sollte dem Großvater geholfen sein, wenn seine zwei Enkelkinder sterben? Hat Ruben gar keine Hemmungen mehr? Der Vater kann nur an den vermeintlichen Tod seines Sohnes Jossef denken.

Die Brüder kommen mit Benjamin

Gen. 43,8  Jehuda sprach zu Jissrael seinem Vater: Schick nur den Knaben mit mir, und wir machen uns auf und gehn und dürfen leben und müssen nicht sterben, so wir, so du, so unsre Kleinen! 9 Ich selber will bürgen für ihn, von meiner Hand heische ihn! lasse ich ihn nicht heimkommen dir, stelle ihn nicht vor dich, gesündigt habe ich dir alle Tage!
Jehudas Vorschlag klingt nun erwachsen, gereift. Er übernimmt jetzt Verantwortung, denn er bietet sich selber an. Jehuda ist ein Leben lang schuldig, wenn er Benjamin nicht zurückbringt. Er will dann denselben Schmerz tragen, den die Brüder dem Vater auferlegt haben. Damit überzeugt er Jaakob.
Gen. 43,14 Der Gewaltige Gott אֵל שַׁדַּי (El Schaddai) gebe euch Erbarmen vor dem Mann, daß er euch freischicke euren andern Bruder und dazu Binjamin! Ich aber - wie ich verwaisen soll, muß ich verwaisen!
El Schaddai ist der fürsorgliche Gott, auf den sich Israel verlässt. ER ist der für mich persönlich da seiende Gott. Das drückt eine enorme Intimität der Beziehung aus, denn Schaddai hat zu tun mit dem Wort für die Mutterbrust (שָׁד = schad). Der Name beinhaltet somit Gott Versorgung, wie eine Mutter ihr Kind versorgt.
Israel kapituliert, lässt los und vertraut Gott, der ihn geführt hat. Jaakob muss innerlich sterben, damit er wirklich leben kann.
Gen. 43,20 sie sprachen: Ach, mein Herr! herabgezogen waren wir ein voriges Mal, zumarkt um Eßware gezogen,
Die Brüder sprechen es selber aus, dass sie herabgekommen sind. In ihnen geht ein Gesinnungswandel vor. Dreimal entsteht die Situation, dass sie sich mehrfach vor Jossef bis zur Erde verneigen. Der Traum hat sich erfüllt. Was sie in ihrer Arroganz verhindern wollten, ist Wahrheit geworden. Gott hat selbst ihre unmenschliche Tat benutzt, um den Traum zu erfüllen.
Gen. 43,23 Er sprach: Frieden euch שָׁלוֹם לָכֶם (Schalom lachem), fürchtet euch nimmer! euer Gott (אֱלֹהֵיכֶם Eloheichem), der Gott eures Vaters, hat euch einen Hort in eure Ranzen gegeben, euer Silber ist an mich gekommen. Er brachte ihnen Schimon heraus.
Vgl. Kap. 37,4 + 37,14: Schalom, Friede, der nicht möglich war, wird jetzt aufgegriffen! Friede ist jetzt möglich. Die Brüder sollen sich auf ihren Gott besinnen, auf den Gott ihres Vaters. Den müssen sie vergessen haben, als sie ihren Bruder verkauften und ihren Vaters so lange belogen. Mit diesem Gott ist Friede möglich.
Gen. 43,34 Er ließ Gänge von sich aus zu ihnen hinübergehen, Binjamins Gang aber war fünffach größer als ihrer aller Gänge. Dann tranken sie mit ihm und berauschten sich.
Jossef lässt von seiner Mahlzeit auch zu Benjamin bringen, und zwar fünfmal mehr als den anderen Brüdern. Jossef will eingreifen, intervenieren, das ist die Bedeutung der Fünf. Und er will die Reaktion der Brüder sehen. Sind sie auch auf diesen Sohn Rachels eifersüchtig?
Jossef lädt hier seine Brüder ein. Sie dürfen es sich gut gehen lassen und feiern, wenn sie den Bruder auch noch nicht erkennen. Für ihn bedeutet es eine Genugtuung, sie einzuladen zu können und mit ihnen zusammen zu essen, denn das war immer sein Wunsch. Aber damals war er ausgeschlossen von ihrem Mahl. Trotzdem ist Jossef mit der Erziehung der Brüder noch nicht fertig. Nicht nur die Eifersucht ist eine Frage, sondern auch die Verantwortung für Benjamin. Sie wird auf die Probe gestellt.
Gen. 44,2 und meinen Kelch, den Silberkelch, lege an die Mündung des Ranzens des jüngsten, mitsamt dem Silber, für das er ermarktet hat! Er tat nach Jossefs Rede, die er geredet hatte.
Kelch und Silber sind eine Vergeltung für die 20 Silberlinge, für die sie den Bruder verkauften. Er zahlt „mit gleicher Münze heim.“ Damit wird er sie aus der Reserve locken.
Gen. 44,15 Jossef sprach zu ihnen: Was ist das für eine Tat, die ihr da getan habt! wußtet ihr nicht, daß ein Mann wie ich Ahnung erahnen kann?
Jossef fingiert etwas, weil die Brüder damals etwas fingiert haben. So hat jetzt Jehuda seine Chance, in seiner Verantwortung für Benjamin aufzutreten. Er merkt nun, dass sein Versprechen an den Vater keine leeren Worte bleiben können.
Gen. 44,16 Jehuda sprach: Was sollen wir zu unserm Herrn sprechen! was sollen wir reden, wie uns bewahrheiten! Gott hat die Schuld deiner Knechte gefunden! Da verknechten wir uns meinem Herrn, so wir, so er, in dessen Hand der Kelch gefunden wurde.
Jehuda spricht ihn als Herrn an. Er wirkt jetzt korrigierend und übernimmt die Verantwortung. Er bekennt seine Schuld – unumwunden! Jehuda zeigt in seiner Rede Empathie in einer vergleichbaren Situation. Er setzt sich ein. Aber sein Einsatz ist – noch – nicht von Erfolg gekrönt. Noch weiß Jehuda nicht, wer der „Schuldige“ ist.
Gen. 44,17 Er aber sprach: Weitab seis mir, das zu tun! der Mann, in dessen Hand der Kelch gefunden wurde, der sei mir verknechtet, ihr aber zieht in Frieden zu euerm Vater hinauf!
In Frieden sollen sie heimziehen, wenn  ihr Bruder Benjamin getötet wird? Sie haben ihrem Vater seine unversehrte Heimkunft versprochen! Sollen sie schuldig sein am Tod Jossefs und Benjamins, und am Ende ihres Vaters? Wie sollen sie da Frieden finden?
Jossef hatte viel Mitgefühl mit den Brüdern, aber sie müssen ihre Lektion lernen. Zweimal verbarg er sein Weinen vor ihnen. Er blieb für sie hart und fremd, während es ihm das Herz zerbrach. Aber er weiß, was noch nötig ist.
Gen. 42,24 Er aber wandte sich von ihnen und weinte.
Gen. 43,30 Und eilig – denn sein Eingeweide glühte seinem Bruder zu, er mußte weinen – kam Jossef in die Kammer und weinte dort.

Seine Liebe zu ihnen zeigt er in der Fürsorge, indem er sie Getreide für den Hungerbedarf mitnehmen ließ und Wegzehrung. Ansonsten bleibt er inkognito.

Zur Vertiefung empfehle ich Ihnen die Webseite von Chabad Karlsruhe, die Sie auch gerne mit einer Spende unterstützen können:
https://www.synagoge-karlsruhe.de/parshah/default.htm

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