Schabbat Chazon, der Schabbat vor Tischa beAw, 8. Aw 5781, 17. Juli 2021

Städtenamen erzählen Geschichte

Dtn. 1,1 Dies sind die Reden, die Mosche redete zu allem Jissrael jenseit des Jordans, in der Wüste, in der Steppe, gegen Ssuf zu, zwischen Paran und Tofel, Laban, Chazerot, Di-Sahab. 2 Elf Tagreisen sinds vom Choreb, auf dem Weg zum Gebirge Sseďr, bis Kadesch Barnea,

Dtn. 1,1 Dies sind die Reden Mosches zu allen, für die Gott kämpfte jenseits des Herabfließenden, in der Wüste, in der Steppe gegen das Ende zu, zwischen der Schönheit und dem Sumpf, dem Weißen, den Höfen und dem Ort von genügend Gold. 2) 11 Tagreisen vom der Dürre auf dem Weg des Struppigen bis zur Freude der Heiligung des Sohnes.

Vorher hatte er den König der Amoriter geschlagen und so eine Rechnung (חֶשְׁבּוֹן Cheschbon = Rechnung) beglichen und auch Og, König der fruchtlosen Ebene, der in der Kronenstadt saß, bei der Starken.

Mosche und das Volk waren also jenseits des Jordan, weil Mosche ihn nicht überqueren durfte. Er musste aufgrund seines Ungehorsams hinabsteigen in den Tod. Die Kinder Israel befinden sich in der Polarität, wenn man sich die Namen der Orte anschaut. Die Reise geht dem Ende entgegen (Suf סוּף oder sof סוֹף = Ende). Aber sie befinden sich zwischen Schönheit und Sumpf, Morast, zwischen dem Weißen, dem unbekannten, beargwöhnten Manna (Rabbi Yochanan), den Höfen – dem Ort der Rebellion Korachs und der üblen Nachrede Mirjams –  und dem Reichtum der Stadt des Goldes.
11 drückt durch die Quersumme 2 einerseits die Polarität aus, andererseits durch die doppelte 1 die Gegenwart der Einheit Gottes. Die Israeliten müssen vom Berg der Offenbarung, dem Ort in der Dürre durch Struppiges, Unwirtliches reisen, bis sie dorthin kommen, wo der Sohn Israel, den Gott aus Ägypten rief (Hos. 11,1), geheiligt wird.

40 Jahre verbrachten sie in der Wüste und machten eine umfassende, universelle Erfahrungen. Dieser Zyklus darf nun abgeschlossen werden. Und er findet seinen Abschluss, indem Mosche aus seiner sehr persönlichen Sicht die 40 Jahre Revue passieren lässt und die neue Generation erinnert, dass das verheißene Land vor ihnen liegt und mit Gottes Hilfe – 11 – eingenommen werden kann. Einige der Israeliten erlebten als Kinder, wie sie aus Ägypten auszogen und welchen Unglauben die Elterngeneration an den Tag legte. Andere wurden erst in den 40 Jahren geboren und werden durch die Worte des Mosche die Zeit miterleben, als wären sie dabei gewesen.
So nimmt die Haggada, wenn sie am Sederabend an das Bitterkraut erinnert, den heutigen Leser mit in das Erlösungsgeschehen hinein, sodass er den Auszug miterlebt, als sei er selber dabei gewesen.

„Zu allen Zeiten ist der Mensch verpflichtet, sich vorzustellen, als sei er selbst aus Ägypten gezogen, wie es heißt: Wegen dieser Pflichterfüllung hat Gott so mit mir verfahren, als ich aus Ägypten zog. Nicht nur unsere Väter hat Gott, gelobt sei Er erlöst, sondern auch uns mit ihnen, wie es heißt: Und uns hat er von dort herausgeführt, um uns hierher zu bringen und uns das Land zu geben, das er unseren Ahnen zugesprochen.“

Pessach-Haggada

Nach dieser Wanderung und nach diesen Kriegen befinden sich die Kinder Israel in Moab, (אָב מי Mei aw) dem Vaterwasser, wo Mosche erzählt und zusätzlich die Tora erklärt. Jeder muss sie verstehen, weil jeder sie einhalten muss. Keiner kann sich hinter einem anderen verstecken und ihn für gelehrter halten. Jedem soll die Tora nahe sein, am besten im Herzen, damit er sie tun kann.
Dtn. 30,14  Nein, sehr nah ist dir das Wort, in deinem Mund und in deinem Herzen, es zu tun.

Rückblick auf bedeutende Etappen

Dtn. 1,8 sieh, ich gab das Land vor euch hin, kommt und ererbet das Land, das ER euren Vätern, Abraham, Jizchak und Jaakob, zuschwor ihnen zu geben und ihrem Samen nach ihnen. –
Dieses Land ist das Land ihrer Väter Abraham, Jizchak und Jaakob, von denen sie es nun erwerben, annehmen müssen, um es ihrerseits zu besitzen. Wie es Goethe im „Faust“ sagte: „Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen.“
Das Volk wird aufgefordert, aktiv zu werden und ihr Erbe in Besitz zu nehmen, in ihm zu schalten und zu walten, heimisch zu werden und das Land zu nutzen. Was ist das Erbe sonst nütze?

Dtn. 1,10 ER euer Gott hat euch gemehrt, da seid ihr heut wie die Sterne des Himmels an Menge
Wenn Mosche erzählt, warum ihm die Kinder Israel eine Last waren, zitiert er Gottes Zusage an Abraham:
Gen. 22,17 segne, ja segne ich dich, mehren will ich, mehren deinen Samen wie die Sterne des Himmels und wie den Sand der am Ufer des Meers ist, ererben soll dein Same das Hochtor seiner Feinde,
Diese Menge stellte Mosche vor eine Herausforderung. Er lässt Jitro unerwähnt und verankert seine Aufgabenteilung im gesamten Volk. Das wird er im Buch Dewarim häufiger tun, um die Verantwortung im Volk zu fixieren. Damit wird es lernen, Verantwortung für vergangenes als auch für zukünftiges Handeln zu übernehmen, denn Gottes Gnade gibt es nicht umsonst.
So nahm er die Kinder Israel in die Pflicht, gerechtes Gericht zu halten ohne Ansehen der Person.
Dtn. 1,17 Ihr sollt werdet kein Ansehn betrachten im Gericht, so Kleinen so Großen sollt werdet ihr anhören. Nicht sollt werdet ihr bangen vor Mannes Ansehn, denn das Gericht ist Gottes. Die Sache aber, die euch zu hart ist, sollt werdet ihr mir nahen, daß ich sie höre.

Daraus ergibt sich die Verantwortung für das nun Folgende, als das Volk vor der Einnahme des Landes stand, sich aber entschied, zuvor Kundschafter hinzusenden. Die Idee gefiel sogar Mosche. Warum? Raschi erklärt Bezug nehmend auf eine ältere Auslegung Sifrei:

„ ‚Es hat mir gefallen, aber dem Allgegenwärtigen hat es nicht gefallen.‘ Aber wenn es Moses gefiel, warum erwähnt er es dann in seinen Zurechtweisungen?
Dies kann mit einem Mann verglichen werden, der zu seinem Freund sagt: ‚Verkauf mir diesen Esel.‘ Er antwortet ihm: ‚Ja.‘ ‚Gibst du ihn mir, um ihn zu testen?‘ Er antwortet: ‚Ja.‘ ‚Darf ich ihn auf Bergen und Hügeln testen?‘ Wieder antwortet er: ‚Ja.‘
Als er sieht, dass sein Freund ihm nichts vorenthält, denkt der Käufer: ‚Dieser Mann ist sicher, dass ich an dem Esel keinen Mangel finden werde‘, und sagt ihm sofort: ‚Nimm dein Geld. Ich brauche ihn jetzt nicht zu testen.‘ Auch ich stimmte ihren Worten zu und dachte, sie würden es sich vielleicht noch einmal überlegen, als sie sahen, dass ich es ihnen nicht vorenthalte, aber sie haben es nicht überlegt.‘“
[1]

Raschi mit Bezug zu Sifrei

Ein anderer Kommentar, auf den Raschi im Buch Sifrei aufmerksam macht, besagt, dass sich bei dieser ersten Gelegenheit zur Landnahme sich die Völker nicht widersetzt hätten. „Dem Plan G’ttes zufolge wäre das Land friedlich zu erobern gewesen. … dass allein die Forderung nach einem Spähtrupp schon ein Hinweis auf das mangelnde Vertrauen in G’tt und seine Hilfe ist.“[2]

Mosche hatte nach dem Bericht der Kundschafter alles versucht, um dieses Vertrauen zu Gott wieder aufzubauen:
Dtn. 1,29 Ich sprach zu euch: Ängstet euch nicht, fürchtet euch nicht vor ihnen! 30 ER euer Gott, der vor euch hergeht, selber wird er für euch kämpfen, allwie er mit euch in Ägypten vor euren Augen tat 31 und in der Wüste, die du sahst, wo ER dein Gott dich trug, wie ein Mann seinen Sohn trägt, auf all dem Weg, den ihr gingt, bis zu eurem Kommen bis zu diesem Ort.
Er verwies auf den Kämpfer für Israel, auf den Vater, der Seinen Sohn trägt, doch nichts konnte die Kinder Israel überzeugen, bis Gott schließlich ein Machtwort sprach und das Volk 40 Jahre in der Wüste umherziehen ließ. Lediglich Kaleb Sohn Jefunnes כָּלֵב בֶּן יְפֻנֶּה, der Mann nach meinem Herzen (Kalew כָּלֵב), Sohn dessen, der Gottes ansichtig wird und sich zu Ihm wendet ( פונה poné er wendet sich), er darf in das Land kommen mit Jehoschua, dem Sohn Nuns, dessen Namen ich in der Paraschat Pinchas erklärte.
Diese heftige Situation vom Hören auf Verschwörungstheorien einerseits und dem Versuch einer Umkehr, die nicht mehr möglich ist, zeigt Mosche auf. Er selbst verlagert seinen eigenen Ausschluss vom Land Kanaan zu dieser Situation, obwohl wir sie erst später beim Haderwasser hören. Mosche war doch im Gebet für das Volk Israel eingetreten, damit Gott es nicht vernichtete. Er scheint zu wissen, dass Gott seine Entscheidung, Kundschafter zu senden, gar nicht gefiel und sieht darum nicht nur das Haderwasser, sondern auch diese frühere Situation als ursächlich für Gottes Verärgerung über ihn.

Dtn. 1,45 Ihr kehrtet zurück, ihr weintet vor IHM, aber ER hörte nicht auf eure Stimme, er lauschte nicht zu euch hin.
Es gibt keinen anderen Ausweg, als die Entscheidung Gottes zu akzeptieren und durch die Wüste zu wandern. Die eigenmächtige Kriegsführung kann nicht von Erfolg gekrönt sein, denn für diesen Weg hat Gott dem Volk Seine Gegenwart und Sein Hören entzogen.

Beim Weiterziehen musst Israel durch die Gegenden von Esau, Ammon und Moab ziehen. Alle drei Völker dürfen nicht bedrängt oder bekriegt werden. Sie sind Verwandte, zudem gab Gott ihnen ihr Land. Gott, der die Welt geschaffen hat, ist Herr der ganzen Welt und teilt jedem Volk seinen Landbesitz zu. Daher durften die Moabiter die Emiter vertreiben, die Ammoniter die Rephaiter und Esau die Choriter.
„Vor diesem Hintergrund ist es erhellend, dass es gerade das Volk Israel ist, das sein Land nicht einfach zugeteilt bekommt, sondern es sich erkämpfen muss, indem es die Gebote G’ttes einhält. Es kann dieses Land durch Fehlverhalten auch wieder verlieren. Auf der anderen Seite kann so die Eroberung des Landes Knaan nicht damit begründet werden, dass fremde Völker fremden Kulten anhängen, sondern damit, dass dieses Land Jisrael zugesprochen wurde.“[3]

Gott hat Sein Volk so gesegnet, dass es in der Lage ist, sich Nahrung, die es gebraucht, in diesen Gegenden zu kaufen. Mit diesem Argument wollen die Kinder Israel nun durch das Gebiet des Königs Sichon ziehen. Dieses Land hat Gott den Kindern Israel bereits übergeben, aber es wird von einem Fehlverhalten des Königs berichtet, das einen Kampf gegen Sichon rechtfertigt.
Ebenso ergeht es dem König Og, dessen Land Israel ebenfalls einnehmen durfte für die Stämme Gad, Ruben und dem halben Stamm Menasche.
„Unter dem Banngut versteht man jenes Eroberungsgut, auf das Gott Anspruch erhebt und das deshalb nicht von den Eroberern in Besitz genommen werden darf. Deshalb ist das Bannen lediglich auf die Eroberung des Landes Knaan beschränkt. Aus der Überlegung, dass das Land Knaan G‘tt gehört, ist es nur konsequent, dass alles, was die Jisraeliten erobern würden, vernichtet werden muss. Dies führt allerdings auch dazu, dass die Menschen des eroberten Landes getötet werden mussten, da die Jisraeliten von ihnen – in Form von Sklaven – keinen Nutzen haben durften. Dass dies in altorientalischer Zeit tatsächlich praktiziert wurde, besagt die Mescha-Stele, auf der davon berichtet wird, wie ein Moabiterkönig eine jisraelitische Stadt eroberte und die Menschen der Stadt seiner Gottheit opferte, indem er sie tötete.“[4]

Nach 38 Jahren war dies alles geschehen. Die alte Generation war gestorben, auch ihre kriegsfähigen Männer. Nun begann Gott, Seinem Volk die ersten Landstriche zu übergeben. In der Quersumme von 38 begegnet uns wieder die 11, Gottes Anwesenheit, die nun bei diesen wichtigen Eroberungen gegenwärtig ist.

Dtn. 3,21 Jehoschua aber entbot ich zu jener Frist, sprechend: Deine Augen sinds, die alles sahn, was ER euer Gott diesen zwei Königen tat, so wird ER allen Königreichen tun, dahinüber du schreitest, 22 fürchtet sie nicht, denn ER euer Gott, er ists, der für euch kämpft.
Mosche will Jehoschua stärken für seine spätere Aufgabe. Noch ist er Schüler. Noch kann er beobachten und seine Schlüsse ziehen. Und mit Mosches Zuspruch darf er lernen, dass er sich nicht fürchten muss, weil Gott für ihn kämpfen wird, denn auch Gott ist der Gottesstreiter, der Gott, der für Israel kämpft.

Nach dem Tod Mosches wird Gott selbst Jehoschua ermutigen mit der Zusage, dass er an Mosches Stelle tritt und das Land einnehmen wird.
Jos. 1,6 Sei stark, sei fest, du ja sollst dieses Volk eineignen in das Land, das ihnen zu geben ich ihren Vätern zuschwor. 7 Sei nur sehr stark und fest, es zu wahren, zu tun nach all der Weisung, die Mosche mein Knecht dir gebot, wende nimmer davon rechts oder links, damit du durchgreifest überall, wo du gehst. … 9 Habe ich dir nicht geboten: sei stark, sei fest! ängste nimmer, scheue nimmer, denn bei dir ist ER dein Gott überall, wo du gehst.


[1] Der Titel Sifre debe Rav (wörtl. „die Bücher der Schule von Rav“) wird von Chananel ben Chushiel, Isaac Alfasi und Rashi verwendet; er kommt ebenfalls in Makkot 9b vor.
Der Autor von Halachot Gedolot aus dem 8. Jahrhundert nennt vier „exegetische Bücher der Schriftgelehrten“ (hebr. Midrasch sofrim), die sich allem Anschein nach auf „Sifre debe Rav“ zu beziehen scheinen und die folgende Schriften umfassten: 1) Genesis Rabbah 2) Mekhilta (zu Exodus), 3) Sifrei (zu Numeri) und 4) Sifrei (zu Deuteronomium).
https://en.wikipedia.org/wiki/Sifre
[2] H. Liss, B. Landthaler, Erzähl es deinen Kindern. Die Torah in fünf Bänden, Devarim – Worte Band 5, S. 28
[3] Ebd. S. 31
[4] Ebd. S. 33

Danke an Chabad Karlsruhe und Rabbiner Mendelson, von dessen Seite https://www.synagoge-karlsruhe.de/parshah/article_cdo/aid/1577460/jewish/Erzhlen-Sie-Ihre-Geschichte.htm
ich das Beitragsbild nehmen durfte. Bitte unterstützen Sie den Rabbiner und seine Arbeit in Deutschland mit Ihrer Spende.

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