Lasst uns neu beginnen

Die Toralesung beginnt von vorne mit den bekannten Worten:
Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde.  בְּרֵאשִׁית בָּרָא אֱלֹהִים אֵת הַשָּׁמַיִם וְאֵת הָאָרֶץ = Bereschit bara Elohim et ha’schamaim we’et ha’aretz.
Was erfahren wir über die Schöpfung, wo wir doch überzeugt sind, dass die biblische Erzählung nicht mithalten kann mit unseren wissenschaftlichen Ansprüchen. Mein Schwiegervater wies einmal darauf hin, dass die Bibel ein Glaubensbuch sei, kein Wissenschaftsbuch, und es deshalb auch keine Konkurrenz zwischen Bibel und Wissenschaft geben müsse. So wird uns kein genauer, zeitlicher Plan mitgeteilt, an dem Gott die Schöpfung begann. Es ist die Anfangszeit, die nicht näher bestimmt wird, und von der wir erfahren, dass Himmel und Erde schon gemacht wurden. Ps.33,6 Die Himmel sind durch das Wort des Ewigen gemacht, und ihr ganzes Heer durch den Hauch seines Mundes.
Sie waren in einem wüsten Zustand, völlig leer, dunkel und chaotisch. Wir erfahren von der Existenz des Wassers. Aus diesem ganzen Chaos schafft Gott eine Ordnung. Wenn ich in der Schule im Religionsunterricht über die Schöpfung sprach, war es mir immer wichtig, dass auch hier das Leben aus dem Wasser kommt. Die Bibel will uns zwar mehr sagen als nur das Entstehen der Welt, aber sie ist doch nachvollziehbar in ihren Darstellungen.
Was sogar noch vor allem anderen da war, war der Geist Gottes. Wir finden ihn, nachdem Gott Himmel und Erde geschaffen hatte, wie er über dem Wasser schwebt. Man hat den Eindruck, dass dieser Geist etwas ausbrütet, etwas vorbereitet. Erst danach spricht Gott: Es werde Licht. Es wird Licht, obwohl noch kein Gestirn am Himmel steht. Dieses Licht ist das Licht Gottes.
So lesen es in den Psalm: (119,105) „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Weg.“
Oder Psalm 139,12: „… so wäre auch die Finsternis nicht finster für dich, und die Nacht leuchtete wie der Tag, die Finsternis wäre wie das Licht für dich.“
Jesaja schreibt in Kap.60,19: „Die Sonne wird nicht mehr dein Licht sein, noch der Mond dir als Leuchte scheinen, sondern der Ewige wird dir zum ewigen Licht werden, und dein Gott zu deinem Glanz.“
Der letzte Tag, der nur Gott bekannt ist, wird von Sacharja wie folgt beschrieben: (14,7) „Und es wird ein einziger Tag sein – er ist dem Ewigen bekannt -, weder Tag noch Nacht; und es wird geschehen: Zur Abendzeit wird es licht werden.“
Seine erste Ordnungsmaßnahme ist also, dass Er die dunkle Welt mit Seinem eigenen Licht beschenkt. Aus Seinem eigenen Licht und der bestehenden Finsternis entsteht die Einheit Tag, die aus Abend und Morgen besteht. Es ist nicht der erste Tag, sondern ein Tag, wie es im Hebräischen heißt. Mit dieser Einheit können wir weiter zählen, auch wenn uns noch nicht gesagt ist, ob diese ebenfalls im 24 Stunden Rhythmus abläuft. Diese Einheit bekommt Gottes Lob.
Was aber macht Gott als nächstes? Sein Schöpfungswerk besteht aus einer Scheidung, die Gott zwar für nötig, aber nicht für gut hält. Erst am 3. Tag, als Erde und Meer entstehen, und auch das Kraut hervor schießen kann, gibt Gott zweimal sein Bekenntnis: Es war gut. Mein Schwiegervater erklärt damit, dass der dritte Tag, unser Dienstag, den Juden zum Tag der Eheschließung wurde, weil an ihm zweimal das Lob gut gesprochen wird, für die Braut und den Bräutigam. Das erklärt auch eindrücklich die Hochzeit zu Kana am dritten Tag der Woche in Johannes 2.
Erst am vierten Tag entstehen die Lichter am Himmel, denen Gott einen besonderen Auftrag erteilt. Sie sind gehorsame Geschöpfe und dürfen als solche Regenten der Nacht und des Tages sein, und die Sterne werden zur Zeitrechnung für die Feiertage herangezogen. So beginnt der Schabbat, wenn drei Sterne am Himmel zu sehen sind, zur selben Zeit endet er auch. Der Mond gibt uns den Anhaltspunkt für das Neujahrsfest. Jeder neue Monat wird ausgerufen, wenn kein Mond zu sehen ist, was ein deutliches Zeichen dafür sein soll, dass der Mond nicht anbetungswürdig ist, sondern eben nur ein gehorsames Geschöpf. Er darf aber auch zur Berechnung anderer Feiertage dienen. So ist beispielsweise das Pessachfest am Vollmond. Auch das Laubhüttenfest fällt in die Mitte des Monats, wenn der Mond deutlich sichtbar ist. Wir sehen also, wie Gott der Schöpfung ihre Bestimmung zuspricht, dass die Geschöpfe Aufgaben und Lebenssinn, Existenzberechtigung erhalten, dass sie von ihrem Schöpfer Ansprache erfahren und einen Namen bekommen. Was Gott schafft, kann angesprochen werden.
Nun endlich können die Wassertiere, die Vögel, die Landsäugetiere geschaffen werden, und alles ist gut. Der erste Segen, den Gott ausspricht, gilt den Tieren. Sie sollen sich vermehren und fruchtbar sein. Aber ein Wesen fehlt ihm noch, das ist der Mensch, der nach Seinem Bild geschaffen wird.
Mit wem bespricht sich Gott nun, dass Er Menschen machen will? Laut jüdischer Tradition spricht Er zu seinen Engeln, dass Er Menschen machen will, die ihnen ähnlich sein sollen. „Er schuf den Menschen nach seinem Bilde“, so wird es uns gesagt, „männlich und weiblich schuf er sie“. Nach dem Bilde Gottes ist also nicht das Aussehen, sondern die männliche und weibliche Natur Gottes. Er schuf sie als Mann und Frau. Dieser Mensch soll Gott vertreten, als Mann mit seiner Kraft, seinem Jagdtrieb und als Frau mit seiner Mütterlichkeit, seiner Fähigkeit Kinder auszutragen, seinem Beschützerinstinkt. All das ist auch in Gott vorhanden, der uns als Vater und Mutter begegnet. Jes.66,13: „Wie einen seine Mutter tröstet so will ich euch trösten;“ sagte Gott von sich selbst.
Gott segnet den Menschen und trägt ihm auf, sich zu vermehren, wie er es schon bei den Tieren tat. Aber etwas ändert sich doch. Er vertraut Seine Welt dem Menschen an, sie zu bedienen, sich um sie zu sorgen, und nicht, wie es fälschlich heißt, sie zu beherrschen oder sie untertan zu machen. Die Erde muss besorgt werden, sonst lehnt sie sich auf und schafft, wie wir es bei der Vertreibung aus dem Paradies hören, nur Dornen und Disteln und muss hart bearbeitet werden. Gott bietet dem Menschen diese Erde mit all seinen Samen tragenden und Frucht bringenden Gewächsen und Bäumen, denn er hat Sorge für die Nahrung des Menschen getragen. Es war alles sehr gut! Gott war mit sich und Seiner Schöpfung zufrieden, und man könnte meinen, es sei nun genug.
Doch Gott vollendet seine Schöpfung mit einer Krone, dem Schabbat. Er legt die Arbeit nieder und zeigt dem Menschen, wie man einen weiteren Tag dazu verwenden kann soll, fröhlich auf seiner Hände Werk zuschauen, an ihm zur Ruhe und mit Gott in Verbindung zu kommen. Dieser Tag erfährt damit einen besonderen Segen, den kein anderer Tag bekommen hat.
Was aber hat es mit den folgenden Versen auf sich, die von christlichen Theologen gerne als der zweite Schöpfungsbericht tituliert werden? In der jüdischen Tradition sind diese Verse ein Rückgriff in den Schöpfungsbericht und erklären etwas genauer, wie der Mensch entstanden ist.
Zudem möchte ich ein kleines Bonbon mit Ihnen teilen, das ich bei Friedrich Weinreb gelernt habe. Hier steht, Dunst stieg beständig auf von der Erde. Dieses Wort Dunst heißt im Hebräischen ed אד – besteht also nur aus aleph und dalet. Es hat den Zahlenwert 1 – 4 und bildet den Anfang des Namens Adam. Adam hat den Zahlenwert 1 – 4 – 40. Er wurde aus der adama אדמה genommen, dem Erdboden, und wir wissen durch diese Zusammenführung, dass er aus der Erde und aus dem Wasser des Dunstes bestand.
Ein weiterer Bestandteil des Namens Adam ist das Wort Dam דם mit Zahlenwert 4 – 40 und bedeutet Blut. Dam ohne das Aleph, welches für Gott steht, ist also tot. Adam lebt durch Gott, der ihm auch Seinen Geist einhauchte.
Pinchas Lapide, mein Schwiegervater, nannte Adam einen Erdling, einen Erdenklos auf zwei Beinen. Es steckt aber noch weit mehr dahinter, wie wir anhand der Zahlen sehen konnten. Diese Folge von 1 – 4 steht für Gott, der die Materialität geschaffen hat. Die 1 steht für Gott, 4 ist die Materie.
Der Mensch Adam soll nun den übrigen Tieren einen Namen geben, der zu ihnen passt und fortan zu ihnen gehören soll. Damit wird der Mensch mit in die Schöpfung hinein genommen, denn er darf den Tieren ihre Bestimmung geben. Danach, als unter den Tieren keine Hilfe gefunden wurde, wurde die Frau aus Adams Seite geschaffen, nicht aus seiner Rippe. In der jüdischen Mystik ist es nichts anderes, als dass die Seite mit der Frau, die von Anfang an mit geschaffen war, aufgeklappt und vor Adam gestellt wird. Nun wird sie ihm zu einem Gegenüber und kann ihm somit eine Hilfe auf Augenhöhe sein. Sie ist keineswegs weniger wert als er, denn alleine kann er nicht existieren. Deshalb heißt es in der jüdischen Religion, dass weder Mann noch Frau etwas ohne den anderen sind. Es ist im Judentum ein Gebot, dass man heiraten muss, denn es ist das erste Gebot der Bibel, dass man nicht alleine bleibt, sondern gemeinsam eine Familie gründet.
Natürlich stellt sich die Frage, warum nur der Mann den Auftrag erhält, Vater und Mutter zu verlassen, um seinem Weibe anzuhangen. Damit ist gesagt, dass der Mann es ist, der diese Aufforderung braucht. Die Frau hat eine besondere Nähe zu Gott, sodass sie ihren Weg kennt. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass sowohl der Geist Gottes als auch die Weisheit im Hebräischen weiblich sind und wichtige Eigenschaften Gottes darstellen. Aber auch die Fähigkeit, Kindern das Leben zu geben, bringt sie in die Nähe Gottes. Heißt doch Seine Barmherzigkeit auf Hebräisch etwas wie „Mutterschößigkeit“, רִחַמְים = rachamim, was von der Wurzel für Gebärmutter = rechem רֶחֶם abzuleiten ist. Dieses Wort hat mein Mann von einer katholischen Theologin des Bistums Freiburg im Gespräch gelernt.

Vertreibung aus dem Paradies

Die Versuchung der Frau wurde lange als Beleg dafür genommen, dass die Frau versagt hat. Wir können aber zuerst einmal feststellen, dass die Schlange = nachasch = נָחָשׁ im Hebräischen männlich ist und so liegt es nah, dass ein männliches, auf zwei Beinen stehendes, gut aussehendes Wesen mit Eva ins Gespräch kommt. Er redet mit Eva über Angelegenheiten, die Gott mit Adam besprochen hatte. Von daher ist sie hier leicht zu verunsichern und gibt schließlich dem Drängen des Schlangerichs nach. Die Schlange weiß ganz genau, dass die beiden nicht sterben. Ihnen werden die Augen geöffnet und sie erkennen, dass sie nackt sind. Dass das ihr Tod ist, ihre Trennung von Gott, erleben sie nun sehr schmerzlich.
Wie schön muss es doch zu paradiesischen Zeiten gewesen sein, als Gott sich abends im Garten erging und sich zum Plausch mit Adam und Eva traf. Aber an diesem Abend fragt Gott: „Adam, wo bist du?“ Kann Gott wirklich nicht wissen, wo Adam ist? Ist er aus dem Paradies entkommen? Er will eine Standortbestimmung von Adam haben, der sich dazu äußern muss, dass er nicht mehr unvoreingenommen mit Gott unterwegs sein kann. Wenn Adam weiß, dass er nackt ist, hat er Angst vor Gott. Adam ist ein Mensch der Schuldverschiebung, denn er weißt seiner Frau die alleinige Schuld zu, ohne selbst Verantwortung zu übernehmen. Er kann Gott keine Antwort geben auf die Frage: Wo bist du.
Wir wissen, wie es endet: Alle spüren die Konsequenzen, vom Mann bis zur Schlange, und die Menschen müssen das Paradies verlassen. Es wird Feindschaft geben zwischen dem Same des Weibes und dem Same der Schlange, denn die am Boden kriechende Schlange findet keine Freunde. Es wird ein Zeichen ihrer Niedrigkeit sein, dass sie die Nachkommen der Frau nur noch in die Ferse beißen kann, denn sie kriecht auf dem Boden. Der Mensch aber geht aufrecht und kann sich der Schlange erwehren.
Rashi gab in einem Kommentar zum Besten, dass die Schlange deshalb zu der Frau gekommen sein, weil er hoffte, Adam würde aus der Hand der Frau zuerst von der Frucht essen und sterben, so dass der Schlangerich die Frau heiraten können. Gott bestrafte die Schlange deshalb, weil sie die Schutzlosigkeit der Frau ausnutzen wollte.
In der jüdischen Tradition sieht man in Adam und Evas Verhalten keinen Sündenfall, denn das Wort Sünde wird hier kein Mal erwähnt. Man sieht darin eher die Fürsorge Gottes, die den Menschen zu einem eigenständigen und verantwortlichen Wesen mit freien Willen macht, das für sein Leben Verantwortung tragen kann, indem es für den entsprechenden Lebensunterhalt sorgt und für seinen Nebenmenschen da ist. Gott verspricht den Menschen sogar, dass ihm die Arbeit nicht unmöglich sein wird. Nur wo der Mensch losgelöst von Gott tätig sein will, wird der Segen von Ernte und Nahrung weichen.
Wie ich oben schon angedeutet habe, trägt die Erde nun Disteln und Dornen, und verlangt dem Menschen harte Arbeit ab. Die Erde leidet an dem, was Menschen ohne Gott tun. Genauso wie die Erde schreit und unruhig wird, als das Blut Abels auf ihr vergossen wird.
Für uns heute können wir davon ableiten, dass die Schöpfung insgesamt aus belebten Wesen besteht, die sehr wohl ein Gespür für das Schaffen der Menschen auf dem Erdboden haben. Die Natur zeigt sich uns widerspenstig in Tsunami, Erdbeben, Feuerkatastrophen, Sturmkatastrophen, denn wir sind verantwortlich, wo immer sich die Erde ungehalten zeigt. Wir haben eine Verantwortung für Gottes Schöpfung. Wir haben eine Verantwortung für unsere Mitmenschen. Wo das nicht sichtbar wird durch Krieg, durch Raubbau an der Natur, da wird die gesamte Schöpfung gegen uns Menschen aufstehen.

Im Übrigen schafft Gott bis heute neue Menschen, wenn der Mensch bereit ist zur Umkehr, zur Teschuwa.
Jes. 43,19Siehe, nun schaffe ich Neues; schon sprosst es, gewahrt ihr es nicht?

Kommentar verfassen