Predigtvorschlag für Sonntag, 9. Jan. 2022

Jes. 42,1 Mein Knecht hier, an dem ich halte, mein Erwählter, dem eine Seele gnadet, auf ihn gebe ich meinen Geisthauch, den Weltstämmen führe er Recht hin. 2 Nicht schreit er, nicht erhebt, nicht läßt auf der Gasse seine Stimme er hören, 3 ein geknicktes Rohr bricht er nicht, einen glimmenden Docht, den löscht er nicht ab, Recht führt hinaus er in Treuen. 4 Er selber verglimmt nicht und knickt nicht ein, bis das Recht er setzte auf Erden und seine Weisung die Ozeanküsten erwarten. 5 So hat der Gottherr, ER, gesprochen, der die Himmel schuf und sie spannte, der die Erde breitete zusamt den aus ihr Gesproßnen, der dem Volk auf ihr Odem gab, Hauch den sie Begehenden: 6 ICH rief dich an in Bewährung, ich fasse dich an der Hand, ich will dich verwahren, ich will dich begeben zu einem Volksbund, zu einem Weltstämme-Licht, 7 blinde Augen zu erhellen, aus dem Kerker Gefangne zu führen, aus dem Hafthaus, die in Finsternis sitzen. 8 ICH WERDE DA SEIN: das ist mein Name, meinen Ehrenschein gebe ich nicht einem andern, noch den Meißeldocken meinen Lobpreis: 9 das Frühre, hier, es kam, Neues melde ich an, eh es wächst, lasse ich euch es erhorchen.

Übersetzung Martin Buber/ Franz Rosenzweig

Welch ein wunderbarer Blick in die Zukunft, die Gott nach Androhungen von Konsequenzen seinem Volk mitteilt! Das Volk ist umgekehrt, sodass sich ein hoffnungsvoller und wegweisender Blick für alle Völker ergibt. Dieser Predigttext spricht von „meinem Knecht“. Der Kontext erstreckt sich über mehrere Kapitel, doch lesen wir nur ein Kapitel vorher, so wird uns klar, wer der Knecht Gottes ist.

Jes. 41,8 Du aber, Jissrael, mein Knecht, Jaakob, den ich wählte, Same Abrahams, meines Liebenden!

Zuerst nennt sich Abraham selber vor Gott: dein Knecht. Gott berief ihn aus dem Heidentum in das Vertrauen zu dem EINEN Gott. In einer Audition hatte ER sich Abraham offenbart, der daraufhin alles stehen und liegen ließ und sich vertrauensvoll auf den Weg machte in ein neues Land und in ein neues Leben. Abrahams Auftrag war, den EINEN Gott unter den Heidenvölkern zu bezeugen. Er lebte ihnen einfach vor, was es hieß, mit dem unsichtbaren Gott zu leben und zu wirken.

Dann aber gehen aus Abraham Jizchak und Jaakow/ Israel hervor sowie die 12 Stämme. Diese 12 Stämme baute Gott auf zu Seinem geliebten Volk, das als Nachfolger der Patriarchen Sein Knecht bleibt. Besonders der Prophet Jesaja/ Jeschajahu benutzt den Begriff „mein Knecht“ sehr häufig. Ist jemand anderes gemeint als das Volk Israel, so wird der „Knecht“ gemeinsam mit dem entsprechenden Namen gebraucht. Zum Knecht Israel einige Beispiele:

Jes. 44,1 Jetzt aber höre, Jaakob, mein Knecht, Jissrael, den ich erwählte, 2 – so hat ER gesprochen, der dich gemacht hat, der dich gebildet hat vom Mutterleib auf, dir hilft, – fürchte dich nimmer, mein Knecht Jaakob, Jeschurun, den ich erwählte!
Jes 44,21  Bedenke dies, Jaakob, Jissrael, denn du bist mein Knecht, zum Knecht habe ich dich gebildet, du bist mein, Jissrael, du wirst mir niemals vergessen werden.
Jes 49,3 Er sprach zu mir: Mein Knecht bist du, Jissrael du, mit dem ich prangen darf.
Jes 49,5  Jetzt aber hat ER gesprochen, der vom Mutterleib auf mich bildete zum Knecht sich, Jaakob zu ihm zurückkehren zu lassen, daß Jissrael zu ihm heimgebracht werde – gewichtig bin ich in SEINEN Augen und mein Gott ist mein Sieg nun – ,

Gott erwählte sich Israel als Sein Volk, das ER aus dem heidnischen Ägypten erlöst hatte, um mit diesem Volk Geschichte zu schreiben, und zwar die Geschichte des fortschreitenden Monotheismus. Mit diesem Volk schloss Gott einen immer gültigen Bund am Berg Sinai. Dazu gab ER ihm durch Mosche die Tora, in denen alle „Spielregeln“ stehen.
Ex. 19,5 Und jetzt, hört ihr, hört auf meine Stimme und wahrt meinen Bund, dann werdet ihr mir aus allen Völkern ein Sondergut. Denn mein ist all das Erdland,
Dtn. 14,2 Denn ein heiliges Volk bist du IHM deinem Gott, dich erwählte ER, ihm ein Sonderguts-Volk zu sein, aus allen Völkern, die auf der Fläche des Erdbodens sind.

Raschi (11. Jh.) erklärt: „Israel wird ‚Mein Auserwählter‘ … genannt (Ps. 135:4). „Denn der Ewige hat Jakob für sich erwählt.“ Die Schrift sagt auch: „Um meines Dieners Jakob und Israels willen, meinem Auserwählten.“
Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt: um seinen Propheten mein Geheimnis bekannt zu geben, und sein Ende wird sein, dass ‚er den Völkern Gerechtigkeit verkünden wird‘, …“

Raschi-Kommentar aus dem Englischen übersetzt

Weiter erklärt Raschi zu V2: „Es wird nicht nötig sein, die Nationen zu ermahnen und zu prophezeien, denn sie werden von selbst kommen, um von ihnen [dh. von Israel] zu lernen, wie es heißt (Sach. 8,23): ‚Lasst uns mit euch gehen!, denn wir haben gehört, dass Gott mit dir ist.‘“

Raschi-Kommentar aus dem Englischen übersetzt

Das Vorleben des wahren Gottesdienstes wird ausreichen, die Heiden, um die es Gott geht, zu erreichen.  

Im Kontext von Kapitel 41 sehen wir, dass eine Botschaft Gottes für die Heiden lautet, dass Israel aufgrund ihrer Untreue für sie zum „Dreschschlitten“ (V15) wird. Israel wird die Heidenvölker wie auf einer Tenne worfeln, sodass die Spreu vom Weizen getrennt wird. Dabei wird es Acht haben auf die umkehrwilligen Völker und auf die Sanftmütigen, die wie ein geknicktes Rohr sind. Die Gerechtigkeit wird wieder aufgebaut, sodass niemand mehr die Armen übervorteilen wird. Dieses Recht wird bis an die Enden der Erde Gültigkeit haben. Israel wird nicht verglimmen oder einknicken:

„denn die Erde wird voll Erkenntnis des Herrn sein, wie Wasser den Meeresgrund bedeckt“ (Jes. 11,9). Und die Inseln werden ihm [Israel] gehorchen, wie es heißt (Zeph 3,9): „Denn dann will ich die Völker rein machen von der Rede usw.“ Das ist, was folgt: Und nach seiner Belehrung sollen sich Inseln sehnen. Sie alle sollen seiner Anweisung gehorchen.“

Raschi-Kommentar aus dem Englischen übersetzt

In V6 liegt laut Raschi ein Wechsel des Angesprochenen vor. Der Schöpfer der Welt, der alles Leben hervorbrachte, spricht nun zu Jesaja/ Jeschajahu, dass er ihn in Gerechtigkeit berief und an Seiner Hand führen wird. So wird der Prophet das Volk Israel in den Bund mit seinem Gott zurückführen. Die Botschaft der Tora wird gleichzeitig ein Licht für die Völker sein. Dadurch werden Juden und Heiden aus ihren Kerkern befreit und von ihrer Blindheit geheilt. Alle zusammen erkennen den wahren Gott.

Ein anderer Zugang, z.B. von Malbim, einem Kommentator des 19. Jh.‘s, sieht in dem Erwählten einen aus Israel hervorkommenden Berufenen, den König Maschiach. Dieser steht mit seiner Mission pars pro toto für das ganze Volk Israel.

Er wird dafür sorgen, dass in dem Gericht über die Völker das geknickte Rohr nicht gebrochen wird, dass also die umkehrwilligen und einsichtigen Heidenvölker nicht ausgerissen werden. Das erinnert an das Gleichnis im Matthäusevangelium, das ich für den Altjahresabend ausgelegt habe.
Der Maschiach tritt für das Recht und Gottes – seine – Weisung ein, für מִשְׁפָּט וּלְתוֹרָתוֹ mischpat ule’torato, er sorgt also für die Einhaltung der Gebote Gottes und Seiner Tora unter den Völkern. Das alles tut er in Ruhe und ohne viel Aufhebens. Bei all seiner verantwortungsvollen Aufgabe wird er selber nicht einknicken, nicht bestechlich sein. Er wird die Gefangenen aus ihren Kerkern führen wie Gott Israel aus Ägypten herauszog: לְהוֹצִיא lehozi = herausführen, mit Kraft herausziehen.

Gott sagt im Anschluss: ICH WERDE DA SEIN: das ist mein Name …
Wer also all das Rettende und Befreiende wirkt, ist niemand anders als Gott selbst. Nur ER gibt dem Volk oder dem Maschiach Kraft und Weisheit, die Heidenvölker zu erreichen. Gott macht sehr deutlich, dass ER, „der die Himmel schuf und ausspannte und die Erde ausbreitete samt ihrem Gewächs, der dem Volk auf ihr Odem gibt und Geist denen, die darauf wandeln“, Seinen Bund mit Israel und die Tora zum Licht für die Völker setzt. Israels Rückkehr zu Gott und zu Seiner Tora hat Auswirkungen auf die gesamte Völkerwelt. Israel oder sein höchster Repräsentant, der König Maschiach, wird von Gott geführt, um ein Licht für die Völker zu sein, wie es auch die große Völkerwallfahrt in Jes. 56 ankündigt:
Jes. 56,6 Und die Söhne der Fremde, die IHM Anhangenden, ihm zu amten und SEINEN Namen zu lieben, ihm Knechte zu werden: »Allwer die Schabbatfeier vor Preisgabe behütet, die an meinem Bund Festhaltenden, 7 sie lasse ich kommen zum Berg meines Heiligtums, sie heiße ich sich freuen in meinem Haus des Gebets, ihre Darhöhungen und ihre Schlachtmahle seien zu Begnadung auf meiner Schlachtstatt: denn mein Haus, das Haus des Gebets wird es gerufen werden bei allen Völkern.“

Durch die Rückkehr Israels zu Gott und Seiner Tora werden blinde Augen geöffnet und Gefangene befreit, wird Licht und Leben und Gerechtigkeit für Israel und die Heiden gebracht.

Juden wissen, dass Gott immer der Handelnde hinter allem ist, denn im Morgengebet heißt es:
Gelobt seist du, Ewiger, unser Gott, König der Welt, der die Blinden sehend macht.
Gelobt seist du, Ewiger, unser Gott, König der Welt, der die Nackten bekleidet.
Gelobt seist du, Ewiger, unser Gott, König der Welt, der die Gefesselten befreit.
Gelobt seist du. Ewiger, unser Gott, König der Welt, der die Gebeugten aufrichtet.

Siddur

Schon Seinem Knecht Mosche sagte Gott:
Ex. 4,11 Da sprach der HERR zu ihm: »Wer hat dem Menschen den Mund gemacht? Oder wer macht ihn stumm oder taub oder sehend oder blind? Bin ich es nicht, der HERR? 12 So geh nun hin: Ich will mit deinem Mund sein und dich lehren, was du sagen sollst!«
Gott wirkt zu jeder Zeit, deshalb überlässt ER Seine Ehre, die IHM dafür gebührt, keinem anderen. Jede Anbetung für die Wohltaten und Wunder, die wir Menschen erfahren, gebührt Gott. Alles andere ist Götzendienst.

Der letzte Satz bedeutet laut Raschi:

„Die früheren Dinge, die ich Abraham bezüglich des Exils von Ägypten versprochen habe … ‚Siehe, sie sind eingetreten‘: Ich habe mein Versprechen gehalten, …“

Raschi-Kommentar aus dem Englischen übersetzt

Gott steht zu Seinem Wort. Alles, was jetzt neu klingt, wird gewiss eintreten.

Im Neuen Testament werden die Verse des Predigttextes laut Lukas 4 von Jehoschua/ Jesus, möglicherweise als Haftara in der Synagoge, vorgelesen.  Er las allerdings die ähnlichen Worte aus Jesaja 61, wo es zum Schluss heißt
Jes. 61,2 … auszurufen ein Jahr SEINER Gnade, einen Tag der Ahndung unseres Gottes, alle Trauernden zu trösten,
Dazu kann er sagen:
Lk. 4,21 Heute ist diese Schrift erfüllt vor euren Ohren!
denn er sieht einen Tag der Ahndung יוֹם נָקָם jom nakam, einen Tag der Wiederaufrichtung des Rechts, kommen. Das Römische Reich wird von Gott seine Abrechnung erhalten.

Wenn Jehoschua dagegen das Wunderwirken aus Jes. 35 als Antwort auf Johannes zweifelndes Fragen in Luk. 7 anführt, drückt er damit aus, dass Gott mit Seiner Ahndung kommt und Israel rettet. Er selber als ein Teil Israels darf an der Konkretisierung des Wortes mitwirken, denn Jehoschua stärkt mit seiner Botschaft die verzagten Gemüter. Er wirkte, wie damals viele Wanderrabbiner, das Wunder geöffneter Augen oder das Gehen ehemals Lahmer.
Jes. 35,4 sprecht zu den Herzverscheuchten: Seid stark, fürchtet euch nimmer, da: euer Gott, Ahndung kommt, das von Gott Gereifte, er selber kommt und befreit euch! 5 Dann werden Augen von Blinden erhellt, eröffnet Ohren von Tauben, …

Wenn der Predigttext seinen Fokus auf die Völkerwelt legt, wusste Jehoschua selber sich nur gesandt zu dem Volk Israel.
Mt. 15,24  Er aber antwortete und sprach: Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.
Er hatte eine Botschaft für das bedrängte Volk, das sich einen Erlöser aus der Not so sehr wünschte wie die Israeliten in Ägypten oder wie wir heutigen Menschen. Wir alle sehnen uns nach dem Kommen des Maschiach, der Frieden und Gerechtigkeit bringt, der die Tora bis an die Enden der Erde aufrichtet, Blinde sehend macht und sie zur Erkenntnis führt, der die Gefangenen aus ihren vielfältigen Kerkern befreit; der Götzen vernichtet und die Völkerwelt zum Haus Gottes, dem heiligen Tempel, bringt.

Das alles wirkte Jehoschua nicht, denn die Welt lag nicht in seinem Blickfeld. Er brachte sein Volk zurecht und gab ihm Orientierung und Hoffnung. Die damalige und heutige Welt aber wurde durch Jehoschua nicht friedlicher, im Gegenteil. Im Namen Jehoschuas kam es zur Feindschaft mit dem jüdischen Mutterglauben und im Namen Jehoschuas wurden unzählige Kriege geführt. Weder zu seinen Lebzeiten noch danach entstand eine bessere Welt.

Die Botschaft Jehoschuas von der bedingungslosen Liebe Gottes und von Seiner Bereitschaft, auf unsere Umkehr und Rückkehr zu warten, ist eine Botschaft der Hoffnung und Stärkung. Sie hilft Menschen, auf den EINEN Gott zu vertrauen und der endgültigen Erlösung guten Muts entgegenzusehen, nicht aufzugeben und den guten Funken Gottes in jedem Menschen zu erkennen. Sie hilft, Gott immer wieder vertrauensvoll um Hilfe und Heilung zu bitten, aber sie ist kein Zeichen für das messianische Zeitalter.

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