.. ich meine jüdischen Wurzeln liebe

ich das teilen möchte, was mir in den letzten knapp zwei Jahrzehnten wichtig geworden ist. Meinen Weg dahin möchte ich kurz erzählen.
Mein Leben begann 1960 in einer evangelischen Familie in Hamm/ Westfalen als Bärbel Marx, meine Schulzeit verbrachte ich größtenteils in Wiesbaden, wo ich mein Abitur absolvierte und anschließend Kinderkrankenschwester wurde.
Der Glaube an Gott – war er mir in die Wiege gelegt worden? Ich weiß es nicht, aber ich glaubte und betete immer, auch wenn mein Elternhaus nicht besonders religiös war. Und so begegnete ich noch in meiner Schulzeit Menschen, die mir zeigten, was Gott und Bibel für mich persönlich bedeuten können. Die Bibel wurde zu meinem Lieblingsbuch und das Sprechen mit Gleichgesinnten meine Freude und mein Inhalt.

Wie liebe ist deine Weisung; ich sinne über sie nach den ganzen Tag. Ps.119,97

Dieser Glaube bewährte sich in allen Krisen, die das Leben mit sich bringt. Die Mitarbeit im Kindergottesdienst erfüllte mich sowie die Erziehung meiner eigenen Kinder in diesem tragfähigen Glauben. Und da ich mit der Zeit mehr über die Bibel und deren Auslegung wissen wollte, studierte ich Theologie und wurde Religionslehrerin für evangelische Religion. Über die Gottes Wort muss man reden, denn: Wovon das Herz voll ist, davon redet der Mund. (vgl. Lk.6,45)

Gottes Wege sind nicht unsere Wege

Doch dann erlebte ich, was geschieht, wenn Gott unsere Sehnsüchte ernst nimmt, vielleicht ernster als wir selbst. Meine nicht erklärbare Liebe galt Israel, für das ich mit 33 Jahren meine Flugangst überwand sowie dem Judentum, weil ich verstanden hatte, dass das jüdische Volk der Augapfel Gottes ist. Mit Sicherheit aber auch durch einen entfernten Onkel, der noch mit 90 Jahren erstmals Israel besuchte und eifrig Hebräisch lernte, der die Bibel liebte und mir durch seine Briefe, die man in den 1970er Jahren noch schrieb, ein wichtiger Begleiter war.
Und ich sehnte mich nach den urchristlichen Gemeinden, die noch nah dran waren an der Quelle. In der charismatischen Gemeinde dachte ich, sie gefunden zu haben, weil hier die Erlebnisse der Apostelgeschichte als erlebbar geachtet wurden. Doch Zweifel wuchsen in mir, als ich erfuhr, dass das christliche Denken mehr durch das Griechische als durch das Hebräische geprägt war. Auch wenn das Neue Testament in griechischer Sprache vorlag, war mir doch bewusst, dass griechische und hebräische Kultur nicht zueinander passten.
Was aber wusste ich schon von diesem Judentum, über das ich meine Examensarbeit in Religionspädagogik geschrieben hatte? Ich meinte, viel zu wissen, aber Gott führte mich mit meinem jetzigen Mann zusammen. So las ich erstmals Bücher seines Vaters Pinchas Lapide, die mir christliche Freunde 18 Jahre vorher nicht unbedingt empfohlen hatten. Jetzt öffnete mir dieses erste Buch die Augen über all die Vorurteile gegen Juden, die ich völlig unbemerkt übernommen hatte. Ich musste feststellen, dass sie einer gewissen Form des christlichen Verständnisses wohl inhärent sind. Ich lernte so viel über das Neue Testament und seine tiefe Verwurzelung im Judentum. Mein jüdischer Freund, den ich insgeheim noch bekehren, mindestens aber belehren wollte, erklärte mir nun die Stellen des Neuen Testaments so schlüssig, schöpfend aus seinem Wissen um das Judentum der Zeit Jesu, dass ich einerseits nur noch lernen wollte, andererseits mit meiner Ent-Täuschung zu kämpfen hatte, so viel überhebliche Lehre verinnerlicht zu haben, die mit dem Juden Jesus nichts zu tun hatte.
Gott führte mich zu meiner Quelle, nach der ich mich gesehnt hatte, indem ich das heutige Judentum sowie das aus der Zeit des Zweiten Tempels, in der Jesus lebte, durch meinen Freund, Lebensgefährten und heutigen Ehemann sowie durch reichlich Literatur kennen lernte.

Und nun blogge ich, weil …

mich die Wirkungsgeschichte der christlichen Theologie, welche sich seit dem 2. Jh. von ihren jüdischen Wurzeln abgeschnitten hat, immens schmerzt.
Und weil ich mich schäme, so lange blind gewesen zu sein für die Schuld einer Kirche, die mit ihrer wurzelgetrennten Theologie und dem Antisemitismus der Kirchenväter bis zu Martin Luther und seinen Anhängern wie Adolf Harnack sogar dem Antisemitismus der Nationalsozialisten eine Steilvorlage bot.
Wegen dieser Wirkungsgeschichte über zahlreiche Pogrome an den angeblich „verstockten Juden“, an den „Gottesmördern“, gegen die man in unverzeihlicher Hybris meinte, an Gottes Statt die Zuchtrute an den „Verstoßenen Gottes“ schwingen zu dürfen, halte ich es für dringend geboten, das Verständnis der Bibel wieder an seine ihm zugehörige jüdische Wurzel anzubinden.
Darum möchte ich für jeden gläubigen Menschen, ob Gemeindeglied jedweder Konfession, ob ehrenamtliches Mitglied oder studierte/r Theologe/in Gedanken zu Bibelstellen bloggen. Sie sollen ein Angebot sein, einmal die traditionell christliche Brille zu tauschen gegen die jüdische Brille, weil der Heiland der Christen immer Jude war und das Judentum nie überwand. Dadurch möchte ich die Möglichkeit schaffen, dem Glauben Jesu näher zu kommen, der keine andere Schrift kannte als die Hebräische Bibel, der von einem Neuen Testament nichts wusste und mit großer Wahrscheinlichkeit nicht der sein wollte, den die spätere Kirche aus ihm machte.
Dass ich selber den Weg ins Judentum gegangen bin heißt nicht, dass ich mit meinen Erläuterungen Christen zu Juden machen möchte. Auf keinen Fall! Aber ich möchte Christen die Chance geben, ihren Glauben zu bereichern und mögliche Vorurteile gegen die leiblichen Brüder und Schwestern Jesu abzulegen.
Gerade in Deutschland, dem Land des unglaublichsten Menschheitsverbrechens an dem erwählten Volk Gottes, halte ich es für unabdingbar, eine Korrektur der Sichtweise auf Gottes Wort zuzulassen, eine Sichtweise, die den jüdischen Glauben ehrt statt ihn vereinnahmt, der die hebräische Bibel wieder als eigenständiges Wort Gottes, aus dem Jesus lebte, respektiert und akzeptiert statt sie mit den Augen des Neuen Testaments zu deuten.
In diesem unserem Land, das sich erneut einem Erstarken des Antisemitismus ausgesetzt sieht, möchte ich den Weg wählen, das Urübel des Antisemitismus zu erneuern, nämlich den christlichen Glauben in der noch nicht überwundenen Form der judenfeindlichen Kirchenväter bis hin zu Martin Luther.
Für die Seite der Opfer und der Täter des nationalsozialistischen Erbes bedarf es der Heilung der Wunden, die die 12 braunen Jahre sogar in den nachfolgenden Generationen hinterlassen haben. Ein Weg wird der sein, dass die Juden nach 2000 jähriger christlicher Verfolgungsgeschichte eine Würdigung und Anerkennung erfahren durch Christen, die endlich dankbar erkennen und bekennen, dass sie Jesus, die Bibel, den Gottesdienst, die Ethik den Juden zu verdanken haben, die das Wort Gottes bewahrten und tradierten, die ihr von Gott geschenktes Wissen während der langen Zeit der Verbannung aus dem Heiligen Land ihren Gastländern schenkten.

Darum meine herzliche Einladung, meine Gedanken zu Texten der jüdischen Parascha, d.h. Wochenabschnitt, die in der Synagoge an jedem Schabbat gelesen werden, als auch zu Texten der christlichen Bibellese oder Predigt aus beiden Testamenten als Anregung aufzunehmen und zu überdenken.

Lernen Sie mich näher kennen in meinen Aufsätzen:
Wer trägt die Binde
Tage der Umkehr – Zwischen Israel und Halle

3 thoughts on “Ich beginne zu bloggen, weil …

  1. Sehr geehrte Frau Lapide. In Ihren Sätzen lese ich mein Denken seit ca 50 Jahren. Diesen Widerspruch empfand ich als Kind (kindlich) und später als Teenager bis heute.
    Bei Herrn Michael Volkmann durfte ich auch schon wunderbare Vorträge erleben, u.a. von Gabi Cohn. Später in der Schweiz waren es vor allem Rabbiner Herman Schmelzer und Rabbiner Tovia Ben Chorin.

    1. Pfarrer Volkmann hat mir beratend zu Seite gestanden, als ich meinen ersten Beitrag schrieb, den ich zuerst auf der Seite meines Mannes veröffentlichte: Wer trägt die Binde … Er ist ein sehr guter Freund und mein Mann und ich wünschen ihm Gottes Segen. Bitte lernen Sie weiter!

  2. Liebe Frau Lapide, ich bin durch das Stichwort Kernhaftigkeit auf Ihren Blog gestossen. Was bin ich froh, auf auf Ihre Seite gestossen zu sein. Sie sprechen mir aus und zu meinem Herzen.
    Mit lieben Grüssen
    Christine Reutimann

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