Wunder des Lebens in der Wüste nah dem Toten Meer
Schabbat 17. Cheschwan 5782; 23. Oktober 2021 zur Paraschat Wajera: Gen. 18,1 – 22,24

Die arme Witwe

Die heutige Haftara befasst sich mit einer bekannten Geschichte, die unter die Kategorie: spannende Wundergeschichten im Kindergottesdienst fallen könnte. Doch eine solche Geschichte ist es mitnichten, wenn wir uns die Umstände ernsthaft anschauen. König Achab und seine götzendienerische Frau Isebel wurden nach ihrer grausamen Herrschaft umgebracht, doch ihre ebenso erbarmungslosen Nachfahren hatten nun das Sagen. Der desolate Zustand des Landes zeigte sich in Gottlosigkeit, in der Unterdrückung der Witwen und Waisen, im Machtpoker und Gesetzlosigkeit. Die Werte und Gebote Gottes, die Fürsorge Benachteiligter spielen keine Rolle.
Dtn. 10,18 der der Waise und Witwe Recht schafft, der den Gastsassen liebt, ihm Brot und Gewand zu geben.
Dtn. 24,20 Wenn du deinen Ölbaum abklopfst, säubre nicht hinter dir nach, dem Gast, der Waise und der Witwe werde es.

Nirgends gibt es Barmherzigkeit oder Respekt für einen anderen Menschen. Schwer haben es sogar die von Gott berufenen Propheten, weil ihre Mahnung niemand hören will.

In dem vorliegenden Abschnitt ist die Witwe eines Propheten in Not geraten. Nach Raschi ist sie die Frau des Propheten Obadja עֹבַדְיָה, der in seinem Namen die Bedeutung Knecht oder Sklave עֶבֶד ewed Gottes Jah יה trägt. Gemäß dem Zeugnis der Frau war er sehr gottesfürchtig und hat Gott sein Leben lang gedient. Er versteckte einhundert Propheten vor Achab und Isebel und versorgte sie:
1.Kö. 18,4 es war geschehn, als Isabel SEINE Künder ausrotten ließ, da hatte Obadjahu hundert Künder genommen, hatte sie versteckt, je fünfzig Mann in einer Höhle, er versorgte sie mit Brot und Wasser.

Nun ist seine Frau eine arme Witwe und ein Schuldherr bedrängt sie, der sich ihre Söhne verdingen will, sollte sie ihre Schulden nicht begleichen können. Es scheint aussichtslos, denn wie kann sie als Witwe in einem solch lebensfeindlichen Umfeld ihre Schulden bezahlen? Dieser Schuldherr ist gemäß Raschi ein Sohn Achabs, der genauso gnadenlos und gottlos handelt wie sein Vater. Er verachtet die Gebote der Tora, wonach gerade Witwen und Waisen besonderer Schutz zusteht.
Genau in diesem Umfeld will Gott sich an einer einfachen, jüdischen Frau verherrlichen und sie rehabilitieren, weil die jüdischen Männer und Könige versagten.

Elischa wird von dieser Frau angefleht wegen ihrer großen Not, denn ihr Mann und Elischa waren Kollegen. Er stellt ihr, wie für Juden kennzeichnend, Fragen, und zwar die typische Frage: Was willst du, dass ich dir tun soll? Was hast du im Haus? Damit regt Elischa an nachzudenken, welche Gaben und Fähigkeiten sie hat, mit denen sie für sich selbst und die Söhne Sorgen kann. Er zeigt ihr, dass sie nicht so hilflos ist wie sie meint.

Die Frau hat noch einen Krug Öl im Haus. Damit deutet sie auf die Einheit Gottes hin, DER sich durch ein Wunder verherrlichen wird. Öl ist zudem ein sehr kostbares Gut, denn es wird zur Salbung des Königs, der Priester und der heiligen Gegenstände benutzt. Zudem wird es am Ende der Tage den Maschiach auszeichnen.
Öl, auf Hebräisch שֶׁמֶן schemen, hat den Zahlenwert 13. Denselben Wert hat das Wort eins echad אחד  und das Wort Liebe ahawa אהבה . Damit weist  das Öl auf den Einen Gott hin, der sich in Liebe der Witwe annimmt.

Was die Frau noch gering achtet, wird ihr zur Hilfe. Aber sie muss aktiv werden, muss rauskommen aus ihrer Verzweiflung, ihrer Hilflosigkeit, ihrer Verzagtheit, ihren Selbstzweifeln, ihren Minderwertigkeitsgefühlen. Vielleicht trauert sie auch noch um ihren Mann. Dass sie sich als Frau zu schwach fühlt, für ihre Söhne zu sorgen, redet ihr die ruchlose Gesellschaft ein. Nun soll sie sich in der Öffentlichkeit neu zeigen und ihre Nachbarn um Gefäße bitten. Sie soll mit denen Kontakt aufnehmen, vor denen sie sich schämte. Und sie soll so viele Gefäße erbitten, wie nur eben möglich ist, ganz egal, was „die Leute“ sagen.
Diese leeren Gefäße füllt sie nun mit dem Öl, das sich so lange vermehrt, wie es Gefäße gibt, die das Öl aufnehmen. Es liegt also in ihren Händen, wie groß ihr Glaube war, wie viel Gefäße sie sich glaubensvoll erbat.
Sie sollte ausdrücklich leere Gefäße erbitten. Das ist wichtig, denn in volle Krüge passt nichts mehr hinein oder es gibt eine Verunreinigung zwischen dem Öl und dem Rest eines alten Inhalts. Das ist ein Gleichnis für uns und die Witwe: Wenn wir etwas von Gott empfangen wollen, müssen wir leer sein. Unsere eigenen, begrenzten Vorstellungen behindern uns, Seine Wunder, Seine Hilfe zu empfangen, und sie behindern Gott, Seine Wunder zu tun. Gott ist bereit, wunder-bareres zu tun als wir uns ausmalen können.

Darum füllt sie endlich mit ihren Söhnen die Gefäße hinter verschlossenen Türen. Für das wunderbare Handeln Gottes braucht es keine Zeugen. Gott handelt im Verborgenen, ER braucht keine Zuschauer, keine Akklamation, nur demütige und dankbarer Empfänger Seiner Hilfe. Was ER tut, geht nur denjenigen etwas an, der Seiner Hilfe bedarf, in diesem Fall die Witwe und ihre beiden Söhne. Sie befüllen ein Gefäß nach dem andern und stellen die vollen Gefäße zur Seite. Gott machte den einen Krug zur sprudelnden Quelle für alle anderen Gefäße. Die Quelle stand still, als kein Gefäß zur Aufnahme mehr vorhanden war.

Wiederum fragt die Frau Elischa, was zu tun ist. Der trägt ihr auf, die vollen Gefäße zu verkaufen. Damit machte sie das Wunder publik. Mit dem Erlös konnte die Witwe nun doch ihre Schulden begleichen und ihre Söhne vor dem gierigen Despoten retten. Von dem übrigen Geld war es ihr möglich, selber ein gutes Leben zu führen.
Gott stellt sich zu der verwitweten Frau Seines treuen Dieners und gegen die Mächtigen. Sie müssen erkennen, dass neben den von Menschen Verachteten immer der starke Gott steht.
Die Frau ist uns nicht namentlich bekannt, hat dessen ungeachtet jedoch eine ungeahnte Bedeutung in der Geschichte ihres Volkes durch ihren Glauben an Elischas Worte. Mit ihrem Glauben ehrte sie Elischa und Gott, was die Nachfahren von Achab und Isebel nicht fertig brachten.

Die Schunamiterin

Die zweite namenlose Frau war, laut Raschi, die Schwester der Schunamiterin Abischag, die König David in seinen letzten Lebenstagen wärmte.
1.Kö. 1,3 Sie suchten ein schönes Mädchen in aller Gemarkung Jissraels und fanden Abischag die Schunemiterin, die hießen sie zum König kommen.
Die Frau erkennt in dieser glaubenslosen Zeit in Elischa einen heiligen Mann Gottes. Sie sagt יָדַעְתִּי jada’ti ich erkannte, ich sah in meinem Innersten, in meinem Herzen die Heiligkeit des Mannes in dieser unheiligen Zeit. Sie bittet ihn darum, regelmäßig ihr Gast zu sein. Weiterhin ist sie bereit, da Elischa diesen Weg wiederholt zurücklegt, für ihn eine kleine Bleibe zu errichten. Die Heiligkeit des Mannes Gottes möchte sie in ihrem Haus aufnehmen, nach der es sie hungert. Ihr Mann schweigt, lässt sie aber gewähren.

Das Obergemach wird ausgebaut und mit dem Notwendigsten eingerichtet. Dazu gehören neben dem Bett ein Tisch, eine Lampe und ein Stuhl. Die Frau bedenkt, dass der Mann Gottes einen Raum für sich braucht, wo er seine Gebete verrichten kann und Gemeinschaft mit Gott hat.

Elischa nimmt die Erleichterung auf seinem Weg gerne an. Dann fragt er sie, was er für sie tun oder erbitten könnte. Er möchte sich als dankbar für all ihr Mühen erweisen. Aber sie braucht keine Hilfe vom König oder seinen Soldaten und Dienern, denn sie lebt unbehelligt in ihrem Volk.
Was sie und ihr Mann entbehren, ist ein Kind. Das erwähnt sie mit keinem Wort, weil sie die Hoffnung auf Nachwuchs längst aufgegeben hat. Gechasi, Elischas Diener, fällt dieser Mangel auf, als beide bei ihr im Obergemach zu Gast sind. Ihr Mann ist alt, anscheinend auch desinteressiert, denn die Frau ist die Aktive, Kreative und Starke, darum scheint sie in dieser unkommunikativen Ehe nicht auf einem Kind zu beharren. Es stellt sich die Frage, wie alt sie ist. Ist sie noch jung genug, ein Kind zu gebären? Ein Mann kann doch sehr lange Kinder zeugen? Was ist die wahre Ursache für ihre Kinderlosigkeit?

Hier tut sich nun die Parallele zu unserer Wochenlesung Wajera in der Synagoge auf. Abraham und Sara erfahren, dass sie einen Sohn haben werden. Sara lacht, weil sie und ihr Mann alt sind. Beide Frauen wollen keine Enttäuschung erleben, nicht etwas Unmögliches von Gott erbitten. Doch antwortete Gott Abraham und Sara:

Gen. 18,14 Ist IHM ein Ding entrückt? Zur Frist kehre ich zu dir, wann die lebenspendende Zeit ist, und Sara hat einen Sohn.

ER ist der Schöpfer und der Herr über Seine Schöpfung. Hält ER dann nicht alle Naturgesetze in der Hand? Kann ER sie nicht nach Seinem Willen außer Kraft setzen oder verändern? So bekommen beide Frauen den lang ersehnten Sohn.

Als Ursache für Unfruchtbarkeit gelten in der Bibel ein unfruchtbarer Glaube und eine unfruchtbare Beziehung zu Gott. Abraham und Sara als auch die Schunamitin lebten in einem gottlosen, götzendienerischen Umfeld. Sara und Abraham arbeiteten gemeinsam nach dem Ruf Gottes dafür, Menschen zu IHM zu führen. Von ihnen heißt es schon in
Gen. 12,5 Abram nahm Sarai sein Weib und Lot seinen Brudersohn, allen Zuchtgewinn, den sie gewonnen, und die Seelen, die sie sich zu eigen gemacht hatten in Charan.
Doch in den folgenden Jahren ihrer Unfruchtbarkeit arbeiten beide weiter an ihrer Beziehung zu Gott und zu Menschen, sodass sie eine Umbenennung erfahren, womit ein erweiterter Auftrag einhergeht. Sie werden sogar in die Lage versetzt, für den heidnischen König Abimelech und seinen Hof zu beten, damit die Unfruchtbarkeit von ihnen genommen werde.
Gen. 20,17 Abraham aber setzte sich ein bei Gott, und Gott heilte Abimelech, sein Weib und seine Sklavinnen, daß sie Kinder gewannen.
Jetzt erst können Abraham und Sara den versprochenen Sohn bekommen.

Die Frau aus Schunem zeigt ihre Liebe zu Gott in der Fürsorge, die sie dem Diener Gottes zuteilwerden lässt. Wieder will Gott Seine Macht an einer Frau zeigen, die in einem von Achab und Isebel sowie ihren gottlosen Nachfolgern vergifteten Umfeld lebt und als einzige dem Propheten Elischa Ehre und Achtung erweist. Es ist eine Zeit ohne Glauben, ohne Werte, ohne Wunder.

Das wahre Wunder wird diese Frau noch erleben, als ihr Sohn unerwartet stirbt. Der Vater hatte ihr das Kind gebracht und sich nicht weiter gekümmert. Als sie zu Elischa reiten will, fragt er nicht nach dem Sohn und lässt sich beruhigt mit ihrem Gruß abspeisen. Die Mutter weiß, was sie will. Auf keinen Fall will sie Zeit verlieren. Sogar von Gechasi lässt sie sich nicht aufhalten. Erst Elischa merkt, dass ihre Seele verbittert ist.
2.Kö. 4,27 Als sie aber zu dem Mann Gottes, zum Berg hingekommen war, umfaßte sie seine Füße. Gechasi trat heran, sie wegzustoßen, der Mann Gottes aber sprach: Laß sie, denn verbittert ist ihr ihre Seele, aber verhohlen hats ER vor mir, hat mirs nicht ermeldet.

Die Frau erlebt sich als zurecht wütend und verletzt. Sie hatte nicht um diesen Sohn gebeten. Darum ist sie nun nicht bereit, Elischa aus seiner Verantwortung für den Sohn zu entlassen. Sie erwartet von Gott und dem Propheten, dass etwas geschieht, das sie jetzt noch nicht ermessen kann. Für das, was sie erwartet, findet sie keine Worte.

Gechasi, der Elischa vorauseilt, kann bei dem Jungen nichts bewirken. Sein kalter Stab, den er auf ihn legt, verfehlt seine Wirkung, weil Gechasis persönlicher Einsatz und Glaube fehlt. Wie die Jünger Jesu kommt er unverrichteter Dinge zu Elischa.
Mk. 9,18 … Und ich habe deinen Jüngern gesagt, sie sollten ihn austreiben; aber sie konnten es nicht
Elischa geht in seine Kammer, wo der Junge auf seinem Bett lag, und schließt hinter sich ab. Die verschlossene Tür scheint eine Schlüsselbedeutung zu haben, denn Gott handelt im Verborgenen. Elischa ist allein mit dem Jungen, kann sich ganz auf Gott ausrichten. Er betete וַיִּתְפַּלֵּל wajitpalel zu Gott, ging mit sich ins Gericht. Dabei wird er die Not der Familie zu Gott gebracht haben, die Gesprächs- und Interessenlosigkeit des Ehemannes, den Schmerz der Mutter. Elischa nimmt sich Zeit für die Aussprache mit Gott. Vielleicht fragt er Gott, warum ER der Kinderlosen einen Sohn gab, wenn er doch wieder von ihr genommen wird. Dann wird er verstanden haben, sein Warum in ein Wozu zu verwandeln, denn nach seinem ausführlichen Gebet konnte Elischa handeln. Mit seinem eigenen Körper legte er sich auf das Kind, als würde er es spirituell neu zeugen. Der Körper des Kindes erwärmte sich unter Elischa. Mund, Augen und Hände hatte er auf den Knaben gelegt, als solle er das Richtige sehen und verkünden und tun.
Nach einer Unterbrechung wiederholt Elischa sein Ritual, und der Junge niest 7-mal. Das siebenmalige Niesen zeigt, dass der Knabe mit Leben und Geist neu erfüllt ist. 7 heißt, sein Niesen zeigt die Vollkommenheit seiner Wiederherstellung an. Der Junge ist eine Neuschöpfung, denn sein neues Leben korrespondiert mit dem 7. Tag der Schöpfung, den Gott auf besondere Weise segnete und heiligte. Die Heiligkeit, die zu dieser Zeit nicht mehr zu finden ist, manifestiert sich in dem Jungen.

Gechasi ruft die Mutter, die ihren Sohn forttragen soll. Sie ist zutiefst berührt und dankbar, denn sie bückt sich zur Erde. Damit drückt sie ihre Demut und ihren Dank aus. Sie durfte in dieser kalten, wunderlosen Zeit Gottes Wunder erleben, und das gleich zweimal, indem ihr der nicht erwartete Sohn zum zweiten Mal geschenkt wird. Auch sie und ihr Sohn gehen namenlos in die Geschichte Israels ein. Aber sie wirken wie ein Licht in der Finsternis.

„Die Frau erlebt an ihrem Sohn eine Erweckung, eine Neubelebung, wie sie das gesamte Volk Israel erleben muss. Auch Israel braucht ein erneuertes Leben, frei von jedwedem Götzendienst, dafür voller Gottesdienst. So ist das Wunder der Wiederbelebung nicht nur ein privates Wunder, sondern ein Wunder, das für ganz Israel aussteht“, sagt mein mich anregender und beratender Gatte Yuval.

Kommentar verfassen