vorgeschlagen für Judika, den 21. März 2021

Das Buch Hiob
19,19 mich scheun die Leute meines Einvernehmens, die ich liebte, haben gegen mich sich gewandt. 20 An meiner Haut, an meinem Fleisch klebt mein Gebein, ich bin entronnen mit der Haut meiner Zähne, – 21 schenkt mir Gunst, schenkt Gunst, ihr meine Genossen, denn Gottes Hand hat mich angerührt. 22 Warum verfolgt ihr mich wie der Gottherr und werdet meines Fleisches nicht satt? 23 Wer gäbs doch, meine Worte würden geschrieben, wer gäbs, auf einem Brief eingezeichnet, 24 mit Eisengriffel nebst Blei auf immer in den Felsen gehaun! – 25 da ich doch weiß, mein Auslöser lebt, und als der Spätgekommne wird vortreten er überm Staub, 26 und noch nachdem meine Haut, dies da, zerfetzt ist, noch von meinem Fleisch aus werde ich Gott schauen. 27 Was ich selber mir erschaue, meine Augen sehn, nicht eines Fremden, in meinem Leib verzehren sich danach meine Nieren.

Übersetzung der Schrift von Martin Buber und Franz Rosenzweig

Hier leidet ein Mensch nicht nur unter seiner Krankheit, sondern auch unter Menschen, die sich seine Freunde nennen. Dieser Mann Hiob ist zum Inbegriff des Leidens geworden. Diesem Buch entstammen auch die „Hiobsbotschaften“, weil ihm zu Beginn Boten immer neue, schreckliche Nachrichten brachten. Dieser Hiob gilt auch in der jüdischen Tradition nicht als Jude, trotzdem wird in diesem Buch der Name Gottes verehrt, gelobt und verherrlicht, weshalb es in den jüdischen Kanon aufgenommen wurde. Aus dem Buch Hiob leitet das Judentum gleichfalls das Schiwa-Sitzen, die 7-tägige Trauerzeit nach dem Tod eines nahen Angehörigen ab, weil die Freunde Hiobs angesichts seines Leidens 7 Tage mit ihm schwiegen.
Hiob איוב  heißt „der (von außen) Angefeindete“. Er erlebt, wie diejenigen, die er liebte, sich von ihm abwandten, sich sogar gegen ihn wandten. Seine drei Freuden kamen zwar und trauerten mit ihm, aber sehr schnell musste Hiob erleben, wie sie ihn selbst für sein Unglück verantwortlich machten. Er fleht sie um Erbarmen an, weil Gottes Hand schwer auf ihm liegt, aber sie richten erbarmungslos über ihn. „Du bist schuldig an deinem Los!“ Sie legen ihm zu Gottes Lasten noch zusätzliche Last auf, indem sie ihm Schuld zusprechen.
Das kennen wir heute nur zu gut, wenn Menschen uns beschuldigen, nicht richtig! zu glauben, was immer das bedeutet. Wenn sie uns für von Gott verlassen halten, nur weil wir anders von Gott sprechen als sie. Sie wenden sich von uns ab in Zeiten der Krise und des Zweifels, weil meine Zweifel sie selbst verunsichern und somit gottlos sein müssen.
Hiobs Leiden erinnert an das des Gottesknechts in Jes. 53,3  von Menschen verschmäht, gemieden, ein Mensch der Schmerzen, der Krankheit bekannt, wie wenn das Antlitz sich vor uns verbergen muß: so verschmäht – wir achteten sein nicht.
Oder an Erfahrungen von David in Ps. 55 oder in Ps. 41,10 Auch der Mann meines Friedensbunds, auf den ich mich verließ, Mitesser meines Brots, macht die Große Ferse über mich. (ist gegen mich angegangen)

Mit seinen Leiden ist Hiob – wie der Gottesknecht – in Leidensgemeinschaft mit dem Volk Israel. In diesem Jahr jährt sich nicht nur zum 1700. Mal jüdisches Leben in Deutschland, sondern genauso lange währt die Loslösung des Christentums von der jüdischen Wurzel durch Verlegung des Ruhetages vom Schabbat auf den Sonntag, des Tages des „Sol invictus“ (3. März 321). Und zum 600. Mal jährt sich das Massaker an Juden in Wien, das unter dem Begriff „Wiener Gesera“ (12. März 1421) in die Geschichte einging.
Die Bilder von befreiten Juden in den Lagern der Schoah erinnern an Hiob. Haut und Knochen waren sie, manchmal waren ihnen nicht einmal die Zähne geblieben! Dabei waren die Verräter ehemals ihre Freunde und Weggefährten!
Was glauben ihre Häscher zu gerne: „Ihr seid doch selber schuld an eurem Leid! Hättet ihr nicht das Geld, erhebtet ihr nicht Anspruch auf die Weltmacht, hättet ihr nicht unseren Heiland gekreuzigt, wäret ihr nicht so ein Schaden für die Welt, dann …!“ Dass alles nur Verleumdungen sein sollten, wer wollte es glauben?!
Hiob ruft im Namen aller Leidenden und Verfolgten: „Schaffe mir Recht!“ (Judika! Ps. 43,1)

Doch Hiob wünscht sich auch, dass all seine Worte aufgeschrieben würden. Und was will er mit eisernem Griffel in Fels einhauen, sodass es für alle Zeit bekannt sein würde? Dass er trotz aller Not, trotz der Verlassenheit durch die Freunde, trotz Verleumdung und Verrat, die seine Seele schmerzen, die Gewissheit hat, dass sein Erlöser lebt! Er wird Gott schauen und erkennen, dass Gott nicht sein Feind ist. Menschen sind seine Feinde, und sie müssen sich vor Gott fürchten, wie es in Hi. 19,29 heißt: erschauert, ihr, vor dem Schwert – denn Grimmglut ists, Verfehlungen fürs Schwert – , auf daß ihr erkennt, daß ein Urteil ist!«
Menschen sind schuldig, nicht Gott! So sprach mein Schwiegervater Pinchas Lapide von Anthropodizee und nicht von Theodizee, wenn er über die Verantwortung für die Schoah sprach. So sind auch hier die Freunde schuldig geworden, weil sie ihn verurteilten. Sie halfen ihm nicht, Gott zu erkennen, wie später sein Freund Elihu אֱלִיהוּא = ER ist Elohim. Auch wenn Elihu ihn tadeln muss, weil Hiob sich für gerechter hielt als Gott, half er ihm, Gott in Seiner Größe zu erkennen. Elihu half ihm, sodass er zu Schluss sagen konnte: Hi. 42,5 Aufs Hörensagen des Ohrs habe ich dich gehört, jetzt aber hat dich mein Auge gesehn.

Wer ist für Hiob der Erlöser? Für ihn konnte nur Gott der Erlöser und Retter sein. So wie es Jesaja an vielen Stellen bezeugt, so galt es auch für Hiob. Jes. 48,17  So spricht der Herr, dein Erlöser, der Heilige Israels: Ich, der Herr, bin dein Gott, der dich lehrt, was frommt, der dich leitet auf dem Weg, den du wandeln sollst.
Oder wie es David klar war in Ps. 19,15 Lass dir wohlgefallen die Reden meines Mundes und das Sinnen meines Herzens, o Herr, mein Fels und mein Erlöser!
Von Mose lernen wir in Ex.15,26 denn ICH, der Herr, bin dein Arzt.

Mein Erlöser lebt גֹּאֲלִי חָי Goali chai! Der Go’el enthält ein Aleph א, das auch der erste Buchstabe des Gottesnamens Elohim ist. Im Gegensatz dazu steht die Gola גּוֹלָה = Verbannung, Exil. Sie klingt ähnlich, aber hier fehlt der Buchstabe Aleph א. Somit macht Gott jedes Exil, auch das der Krankheit und des Leidens, zur Erlösung.
„ER ist mein Gott, und mein Erlöser lebt, der Fels in meinem Leid, zur Zeit der Not.“
Diese Zeile gehört in das Lied: Adon Olam – Herr der Welt, das im jüdischen Gebet am Morgen und am Abend gesungen wird. Diese Lehre aus dem Buch Hiob ist also ein täglicher Begleiter und eine große Gewissheit für jeden gläubigen Juden.

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